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Weltdorf L

Hello, Freunde des Weltdorfs L,

die Epoche der Religion geht zu Ende. Ihre Rückkehr in Zeiten der Krise ist ihr Niedergang. Ihr Triumph über die schwache Kreatur zeigt dem lernfähigen Menschen, dass er stark werden muss, um Verlockungen des falschen Trostes nicht länger zu folgen.

Der falsche Heiler verriet sein Geheimnis: die Gesunden bedürfen des Arztes nicht. Also musste er die Gesunden zu Kranken machen, um Seine Unentbehrlichkeit unter Beweis zu stellen. Eine gesunde Menschheit wäre immun gegen falsche Verheißungen. Wozu sie noch nicht fähig ist, das kann sie sich erarbeiten. Der Mensch bedarf keiner Erlösung, er ist lernfähig. Wer sich trostlosem Pessimismus ergibt, verrät den Menschen.

Der oberste Glaubenssatz des autonomen Menschen lautet: Der Mensch ist dem Menschen heilig. (Seneca)

Der oberste Glaubenssatz des fremdgesteuerten Menschen lautet: Der Mensch ist dem Menschen ein Teufel. Nur Gott ist dem Menschen ein Heiland. „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen?“ Lehnt der Mensch den himmlischen Heiland ab, wird Gott zu seinem Teufel.

Ist Gott ein Spiegel des Menschen, wie Feuerbach schrieb? Ein Spiegel zeigt, was ist. Gott zeigt nicht, wie der Mensch ist. Er schwächt den Menschen, um seine Größe zu behaupten. Gott ist ein Parasit des Menschen, er lebt von dessen Blut und Energie. Alles Gute raubt er dem Menschen, um ihn als elenden Sündenkrüppel zur Beute zu machen.

Doch Gott gibt es nicht, er ist eine Erfindung des Menschen. Der Mensch schwächt sich selbst, um ein erfundenes und allmächtiges Wesen zu mästen – an das er glauben kann, um sich zu retten. Der Mensch will sich am eigenen Zopf aus dem Elend ziehen, indem er sich entmachtet zugunsten eines Wesens, das er selbst ausbrütete. Er rettet sich, indem er sich schwächt; er schwächt sich, um sich zu retten. Das

ist die Paradoxie der Religion, die verhindert, was sie predigt und predigt, was sie verhindert. Religion verheißt die Rettung, die sie selbst boykottiert.

Warum hat Religion Macht über die Menschen gewonnen? Weil sie hoffnungslosen und geschwächten Menschen die Illusion der Rettung vorgaukelt. Religion stärkt den Menschen nicht, um ihm zu helfen. Sie schwächt ihn, um ihm trügerische göttliche Allmacht zu verleihen – oder völlige Ohnmacht und endgültigen Untergang. Der religiös aufgeblähte Mensch lebt von angemaßter Allmacht über die Natur und vollständiger Ohnmacht, ein gutes Leben im Einklang mit der Natur zu führen.

Die Alternative zur selbstschädigenden Religion ist die Vernunft. Vernunft erkennt man an der Übereinstimmung von Tun und Reden. Sie spaltet sich nicht in ein ohnmächtig-reales Wesen und ein allmächtig-irreales. Sie ist eins mit sich. Was sie will, versucht sie mit rationalen Methoden zu gewinnen.

Die Ratio kann egoistisch und überheblich sein, dann sprechen wir vom Naturrecht der Starken. Sie kann sich aber auch zur humanen Vernunft weiterentwickeln, dann erhalten wir das Naturrecht der Schwachen – oder die Menschenrechte der Freien und Gleichen.

Als die humane Vernunft griechischer Philosophie sich im Vorderen Orient ausbreitete, humanisierte sie die vorhandenen archaischen Rachereligionen. Auch die biblische Religion veränderte ihr Racheprinzip: der Tod Kains soll siebenmal gerächt werden, zum einfachen Vergeltungsprinzip: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Für Jesus war auch diese einfache Vergeltung etwas, was überwunden werden muss: „ich aber sage euch, dass ihr dem Bösen nicht widerstehen sollt, sondern wer dich auf den rechten Backen schlägt, dem biete auch den andern dar.“

Das war die Übertragung der sokratischen Moral: Unrecht erleiden ist besser denn Unrecht tun, auf eine archaische Rachereligion, die sich dadurch ein humaneres Aussehen gab. Jesus deutete die alte Religion in seinem Sinn, indem er die alte Religion scharf kritisierte. Ohne Kritik der bestehenden Religion kann man diese nicht humanisieren. Doch Jesu Kritik blieb halbherzig. Er zerbrach nicht den alten Rahmen, sondern nur die Deutungen der Väter.

Den Gottesrahmen ließ Jesus unbehelligt. Der Wille des Gottes blieb unverändert, nur zwei unvereinbare Deutungen stritten um die wahre Deutung des einen Gotteswillens: euch ist gesagt worden, ich aber sage euch.

Hier erleben wir zum ersten Mal die Malaise einer Deutung, die einiges erneuern will, indem sie das Alte unverändert lässt. Mit welchem Ergebnis? Der alte Racherahmen benutzt die neuen humanen Elemente, um die Rache – noch schrecklicher zu machen. Das Humane wird zum bloßen Dekor einer verschärften Rachereligion, die die neuen humanen Elemente nutzt, um das alte Inhumane noch mehr zu enthumanisieren.

Eine Religion mit widersprüchlichen Moralaussagen könnte das neue Plus benutzen, um das alte Minus aus dem Weg zu räumen. Bleibt aber das Minus, stehen sich zwei unvereinbare Moralen gegenüber. Was geschieht, wenn Plus und Minus sich in gleicher Stärke gegenüberstehen?

In der Mathematik heben sich Widersprüche auf. In der Realität aber verharren die Widersprüche: keine Seite ist stark genug, die andere zu überwinden. Es gilt kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-Als-auch. Die alte Rache gilt weiterhin, in unvereinbarem Widerspruch zur neuen humanen Auslegung.

Wenn Konträres erlaubt ist, kommt es zur Willkürmoral. Jeder kann sich aus dem Angebot, das nichts ausschließt, seine private Moral wählen. Moral wird zur antinomischen Beliebigkeit. Wenn nichts verboten ist, ist alles erlaubt. Das ist der Zustand der heutigen Erlöserreligion. Jeder kann sich seine Lieblingsmoral zusammenstellen, indem er widersprechende Deutungen ignoriert. Mit lutherischer Schrifttreue hat das nichts zu tun. So viele Ausleger, so viele Deutungen.

Wird keine Deutung ausgeschlossen, erhält die Heilige Schrift den Charakter der Unwiderlegbarkeit. Streitigkeiten sind nicht möglich, weil jeder sich auf seine private Meinung berufen kann.

Hier sehen wir den Ursprung der Postmoderne, die keine objektive Wahrheit zulässt, weil es unendlich viele individuelle Wahrheiten gibt. Dennoch kommt es zum Paradox, dass jeder seine eigene Meinung für die absolut göttliche Wahrheit hält, obgleich es unendlich viele wahre Meinungen geben soll.

Für religiöse Menschen sind logische Widersprüche kein Problem. Im Gegenteil: je widersprüchlicher, umso göttlicher. Das Göttliche übersteigt allen irdischen Verstand. Je paradoxer und absurder, umso mehr zeigt sich die Aura des Numinosen. Ich glaube, weil es absurd ist. Wäre es nicht absurd, fehlte ihm die Aura des Überirdischen, das alle irdische Vernunft überragt.

Die schlimmste Variante der Plus-Minus-Moral steht noch aus. Bleiben Plus und Minus im unveränderlichen Status quo, verharren sie nicht im unüberbrückbaren Gegeneinander, sondern gehen eine geheime Kumpanei ein. Die schwächere Seite muss der stärkeren dienen, ob sie will oder nicht. Die schwächere aber ist die humane, die sich in den Dienst der alten Rachemoral stellen muss. Die neue Nächstenliebe wird genutzt, um archaische Racheprinzipien zu verstärken. Die alte Rachemoral gibt sich, als predige sie Liebe: Rache wird durch Liebe unbesiegbar. Jede Kritik an ihrer Rache verwirft sie mit dem Hinweis, erst das sei wahre Liebe, wenn dem Nächsten Rache angetan wird – unter dem Etikett der wahren Nächstenliebe.

Auspeitschen und Geißeln sind Tätigkeiten der Rache? Nicht, wenn das Motiv der Taten reine Nächstenliebe ist. Ist ein Mensch vom Glauben abgefallen, kann ihn der Staat – nach Meinung Augustins – mit Peitschen und Geißeln zum Glauben zurückzwingen. Der Staat übernehme damit die Rolle des „Hirten“, der mit der Geißel das verirrte Vieh wieder zur Herde zurücktreibt. Den Abgefallenen bedeutet es, dass sie sich über die Auspeitschung nicht beklagen dürfen, „da sie ja mit Liebe und nicht aus Hass gegeißelt wurden.“ (Nach Pöhlmann)

Die allerschlimmsten Verbrechen sind möglich, wenn sie aus Liebe geschehen. Das schwache neue Plus macht das alte störrische Minus unüberwindbar. Durch Liebe wird teuflische Rache überhaupt erst möglich. Wer sich auf der Seite der Guten empfindet, kann schlechterdings nichts mehr Böses tun. Liebe – und tu, was du willst. Sündige tapfer, wenn du nur glaubst. Das ist die Verschärfung der alten Rachereligion ins Maßlose – durch die neue Botschaft der Nächstenliebe.

Jede Folter der Inquisition ist erlaubt, denn sie will den Gefolterten retten und zum wahren Glauben zurückbringen. „Es ist besser, die Ungläubigen wider ihren Willen zu retten, als sie mit ihrem Willen verloren gehen zu lassen.“ In einer altchristlichen Flugschrift wird den Frommen befohlen (mit Verweis auf 5. Mose 13, 6), den eigenen Bruder und Freund, ja den Sohn und die Gattin zu ermorden, wenn sie versuchen würden, ihn für einen fremden Glauben zu gewinnen. „Es sei besser, die Ungläubigen wider ihren Willen zu retten, als sie mit ihrem Willen verloren gehen zu lassen.“

Die völlige Amoral im Dienst des Glaubens steht auch in der Bergpredigt, die als Gipfel der Nächstenliebe gilt:

„Ärgert dich aber dein rechtes Auge, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde. Ärgert dich deine rechte Hand, so haue sie ab und wirf sie von dir. Es ist dir besser, daß eins deiner Glieder verderbe, und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.“

Platons urfaschistische Zwangsbeglückung ist zum theokratischen Totalitarismus expandiert, der während des Mittelalters ganz Europa terrorisierte und später die heidnischen Völker der Welt kolonialistisch mit Furcht und Schrecken überzog. Die uralte Rachereligion hat es geschafft, der neuen Liebesreligion den Stachel zu ziehen und in den Dienst der Rache zu stellen. Da sie sich als Liebe etikettieren kann, tritt sie nicht mehr als alte Rache auf, sondern als neue Liebe, die als Gipfel einer humanen Moral gilt.

Die hehrste Liebe wird zur Maske schlimmster Menschenfeindschaft. Ab jetzt gibt es kein Menschheitsverbrechen mehr, das nicht mit Nächstenliebe abgesegnet werden könnte. Mit anderen Worten: das Böse ist zur Inkarnation des Guten und Heiligen geworden. Trumps Motto: Amerika zuerst, ist Ausdruck einer christlichen Nächstenliebe der Guten, denen alles erlaubt ist, wenn sie die Welt der Bösen mit militärischen Liebestaten überziehen. Ist die Welt nicht selbst schuld, wenn sie nicht Amerika ist?

Heute erleben wir wieder eine neue Deutungswelle, die es nicht schafft, die alte Religion klar und deutlich zu kritisieren. Sie lässt alles beim Alten, das sie gleichwohl neu definieren will. Der alte Rahmen der unfehlbaren Offenbarung bleibt – doch innerhalb des Rahmens soll alles erneuert werden. Die Theologie wird mit humanen Gedanken überschwemmt.

Die Kräfte der Aufklärung waren stärker als der uralte Hass- und Rachegeist biblischer Schriften. Keine moderne Deutung, die nicht humanen Geist beweisen müsste. Alle schrecklichen Sätze der Schrift werden ignoriert oder solange umgedeutet, bis sie ins Raster einer menschlichen Moral passen. Wäre das Problem der Deutung damit nicht erledigt? Hat Humanität nicht den Sieg über die archaische Religion gewonnen?

Nein, denn der alte Rahmen ist weiterhin intakt und gilt als unfehlbare Offenbarung. Ginge es nur um zeitgemäße Sätze, die heute keine Gültigkeit mehr besäßen, wäre der Nachweis der Verträglichkeit mit Humanität überflüssig. Der alte Unfehlbarkeitsrahmen soll weiterhin gelten, die Losungen werden zitiert, als seien sie direkt vom Himmel gefallen. Und dennoch sollen sie anderes bedeuten, als sie der puren Schrift nach bedeuten können.

Wie ist dieser Zauberakt möglich? Durch divinatorische Deutung des Buchstabens. Das Divinatorische ist die Grundlage der deutschen Genie-Ideologie. Nur Geistlose, Uninspirierte und Unerleuchtete berufen sich auf den schnöden Buchstaben. Der vom Geist Ergriffene aber traktiert den Buchstaben als amorphe Deutungsmasse. Der bloße Buchstabe ist ein irdisch-sündiges Ding. Erst durch charismatische Deutung wird er zum unfehlbaren Vehikel der Offenbarung.

Die Bibel ist kein Buch wie jedes andere. Sie untersteht geistlichen Gesetzen. Würde man Cäsar mit theologischer Genie-Ästhetik deuten, gäbe es einen Aufschrei unter den Gelehrten. In der Theologie hingegen ist alles erlaubt. Man spreche nur, als spräche man mit der Ermächtigung durch den Heiligen Geist – und aller heidnische Verstand liegt besiegt am Boden. Logische Folgerichtigkeit und Widerspruchslosigkeit sind teuflische Alfanzereien.

Der Allmachtsattitüde der Deutung (die man eine faschistische Hermeneutik nennen könnte), entspricht die Allmachtsattitüde der Trump-Regierung, die sich das Recht nimmt, alles aus dem Wege zu räumen, was Amerikas Weltmachtstellung widerspricht.

„Es gibt keine Welthymne, keine Weltwährung und keine Weltbürger“, sagte Trump. „Wir verneigen uns vor einer Flagge. Und das ist die amerikanische.“ (SPIEGEL.de)

Mit diesem Grundsatz – von der deutschen Presse fast nicht bemerkt – hat Trump sich von der universalistischen Ethik der Nachkriegszeit verabschiedet und ist zurückgekehrt zum Prinzip nationalistischer Auserwähltheit, die bereits die Tore geöffnet hat zum unverhüllten Faschismus. (Reiner Zufall, dass der tschechische Präsident seinen Untertanen ein gefährliches Leben wünscht. Vivere pericolosamente, gefährlich leben, war das Motto des italienischen Faschismus.)

Jetzt gibt es keine gemeinsame Weltmoral mehr als Grundlage internationaler Verständigung. Bei Differenzen, die bei nationalen Interessen unvermeidlich sind, gibt es keine Argumente mehr, die die Völker versöhnen könnten. Ab jetzt können die Waffen aus den Arsenalen geholt werden, um mit militärischer Gewalt zu zeigen, wer im Recht ist.

Recht hat, wer die Macht hat: das ist die Devise der neuen Achse Trump-Netanjahu, die es der Welt zeigen will. Trump & Netanjahu erwecken den Eindruck, als wollten sie die UNO, die Gemeinschaft der Völker aufheben und eine neue UN mit nagelneuen Völkern gründen. Die Welt ist zu verkommen, um den Ansprüchen erwählter Nationen gerecht zu werden. Wie verträgt sich das Prinzip der Nächstenliebe mit der antiuniversalistischen Devise Trumps?

Bei Carl Schmitt war Agape keine universelle Moral. Liebe deinen Nächsten, bedeutete: liebe deine Volksgenossen. In der Nachkriegszeit expandierte die Nächstenliebe zur universellen Moral, die für alle Menschen gilt. Einer divinatorischen Deutung ist nichts unmöglich. Nur Karl Barth – theologischer Gewährsmann von Martin Walser – hielt nichts von einer Nächstenliebe, die für alle Menschen gelten soll. „Eine direkte allgemeine Nächsten- und Bruder- oder auch Fernsten- und Negerliebe ist nicht gemeint“, schrieb Barth in seinem „Römerbrief“. (Nach Mark Lilla, Der totgeglaubte Gott)

Man sieht: eine biblische Moral lässt sich nicht eindeutig festlegen und entzieht sich allem, was nicht divinatorische Zauberdeutung ist. Ist das Gebot der Nächstenliebe nicht mehr universalistisch, kann Amerika getrost zum egoistischen Nationalismus zurückkehren. Wie vor den Weltkriegen heißt es wieder: jede Nation ist der anderen eine Wölfin. Der Gott der Christen verbindet nicht, er trennt alle nach Seligkeit und Unseligkeit. Die weltpolitische Selektion im Namen der Nächstenliebe kann beginnen.

Genügt es nicht, wenn christliche Schriftdeuter durch die aufkommende Macht der Aufklärung genötigt wurden, zu humanen Deutungen überzugehen?

Auf keinen Fall. Aus taktischen Gründen haben sich Theologen schon immer angepasst. Verlieren sie an Macht, übernehmen sie scheinheilig die Meinung des Zeitgeistes. Werden sie wieder mächtiger, kehren sie dreist zurück zu ihren Machtpositionen von früher. Ein moderner Kleriker brachte es haarscharf auf den Punkt: „Solange wir in der Minderheit sind, fordern wir Duldung auf Grund eurer Prinzipien, wenn wir die Mehrheit haben, verweigern wir sie euch auf Grund der unsrigen.“

Zeitgeistschmeicheleien als neueste göttliche Erleuchtungen genügen nicht. Wenn der uralte Rahmen ewiger Seligkeit und Unseligkeit als Rache an der Mehrheit der Menschen nicht gründlich aufgehoben wird, bleiben humane Deutungen Heuchelpackungen im Dienste missionarischer Propaganda.

Indem Trump zurückkehrt zur antiuniversalistischen Caritas, der alle Sünden vergeben werden, weil sie aus Liebe geschehen, reaktiviert er den politischen Ungeist der konstantinischen Erhebung des Christentums zur Staatsreligion. Wir kehren zurück zu der politisch-religiösen Machteinheit Konstantins. Seit Tertullian wird Christus als „Imperator der Christen“ bezeichnet, die Taufe als sacramentum im Sinne eines militärischen Fahneneides.

In Gottes eigenem Land sind nicht die einzelnen Kirchen die wahre Kirche, sondern das Regiment der Wirtschaft, in der jeder sich vor Gott verantworten muss, ob er mit den anvertrauten Pfunden effizient gewuchert hat. Indem Trump Wirtschaft und Staat in einer Hand vereinigt, regrediert er zur konstantinischen Verschmelzung von sacerdotium und imperium, von geistlichem und weltlichem Regiment. Der russische Zarismus hat diese Einheit als Cäsaropapismus in jahrhundertealte Politik übersetzt. Putin und Trump – zwei gesinnungsgleiche Vertreter einer theokratischen Gesellschaft. Sie werden sich prächtig verstehen, auch wenn sie sich eines Tages den Schädel einschlagen, weil es letzten Endes nur einen auserwählten Gottesstaat geben kann.

Philipp Gessler verteidigt das Machwerk einer Einheitsübersetzung, als habe der Heilige Geist hinter den Kulissen gewirkt. Frauen und Juden werden nicht mehr diskriminiert. Es heißt nicht länger: liebe Brüder, sondern liebe Brüder und Schwestern. „Denn Männer und Frauen waren gemeint. Und das, obwohl das Original nur von „Brüdern“ spricht.“ (TAZ.de)

Die Einheitsübersetzer wissen genau, was gemeint war. Da müssen sie Gott wohl direkt ins Gehirn geschaut haben. Bei der Frage, ob Maria eine junge Frau oder eine Jungfrau war, mussten Protestanten nachgeben, denn ohne Jungfrau macht‘s der Vatikan nicht: „Konsequent wäre es gewesen“, sagt der emeritierte Tübinger Theologe Michael Theobald, ebenfalls ein Übersetzer der neuen Bibel. Aber dies sei für die neue Bibel „nicht durchsetzbar“ gewesen. Mehr will er zu diesem Konflikt nicht sagen. Maria keine „Jungfrau“ mehr, sondern nur noch eine „junge Frau“? Undenkbar!“

Die schlimmste Mauschelei wird als hermeneutische Erleuchtung gefeiert. Ein Junias wird kurzerhand zur Junia. Junias war ein Männername, „aber eine völlig abwegige Übersetzung. Sie sollte vermeiden, dass Paulus eine Frau als „Apostel“ bezeichnet.“

Dass Frauen in der Gemeinde schweigen sollen, ist für fromme Feministinnen ein Affront. Also weg damit: „Es sei in der Forschung praktisch Konsens, dass die Empfehlung „… sollen die Frauen in den Versammlungen schweigen“ nicht von Paulus stamme, sondern ein späterer Einschub sei.“

Ob Einschub oder nicht, ist für die seit Jahrtausenden vorliegende kanonische Zusammenstellung der Bücher belanglos. Wenn Gott der wahre Autor der Schrift ist, hängt der Text nicht von früheren oder späteren Einschüben ab. Es geht allein um die Frage, welche Schrift die Christen aller Welt seit undenklichen Zeiten geprägt hat. Da spielen historisch-kritische Fragen keine Rolle.

Auch der neutestamentliche Antisemitismus wird, Teufel komm raus, aus den Schriften gelöscht. Urplötzlich muss Israel nicht mehr gerettet werden, als ob Jesus sein Volk nicht verschiedene Male verflucht hätte. „Papst Franziskus hat stets betont, die Juden müssten nicht „gerettet“ werden. Die neue Einheitsübersetzung gibt ihm da recht.“

Was für ein offener Betrug: der Papst bestimmt, wie „übersetzt“ werden soll – und der neue Text gibt ihm wunderbarerweise Recht. „So wird beispielsweise in der neuen Übersetzung bei Lukas (Kapitel 2, Vers 25) von Jesus als dem „Trost Israels“ gesprochen. Im Gegensatz zur „Rettung Israels“ in der alten Einheitsübersetzung – als ob das Volk Israel gerettet werden müsste. Ähnlich im Römer-Brief des Paulus. In der alten Übersetzung nennt der Apostel die Juden dort knallhart „Feinde Gottes“. Während die neue sie schlicht „Feinde“ nennt, aber auch „von Gott Geliebte“.“

Wie praktisch, dass die Feinde Gottes zugleich Gottes Geliebte waren. Es soll Liebhaber geben, die ihre Lieblinge nicht mehr ertragen und sie im Affekt töten. Offener kann über die Verfälschungsprinzipien der neuen Übersetzung nicht mehr geschrieben werden.

Die christlichen Werte des Abendlandes können von intellektueller Redlichkeit keine Ahnung mehr haben, sonst hätte Gessler beim Schreiben seines Artikels schamrot werden müssen. Welche Deutungen bevorzugen Sie? Kein Problem. Wenn Sie über divinatorische Fähigkeiten verfügen, ist alles möglich im Bereich der Wünsch-Dir-Was-Deutungen. Wenn Silicon Valley morgen den Nachweis benötigt, dass der Gottessohn der erste unsterbliche Roboter war, der den Menschen das Heil brachte, wird es eine neue Übersetzung geben: und Gott ward Fleisch und das Fleisch ward Algorithmus.

Eine Kultur, die auf diese Art Schindluder treibt mit den rationalen Regeln des Denkens, wird vor lauter hermeneutischem Stammeln unfähig sein, ihre Probleme zu formulieren. Wie soll man seine Probleme lösen, wenn man sie nicht einwandfrei formulieren kann?

Die westliche Kultur ist an einem Tiefpunkt ihres Vernunfthasses angekommen. Und dennoch ist es ein Triumph des gesunden Menschenverstandes, dass die meisten Zeitgenossen keine inhumanen Deutungen ihres sogenannten Glaubens mehr dulden. Ein wichtiger Schritt aber fehlt noch: Sie müssten die ganze Schrift wie ein weltliches Buch betrachten, das nicht allen Wunschdeutungen offen steht, sondern der Logik des standhaften und klaren Buchstabens gehorcht.

Vernunft muss entscheiden, was da steht; nicht das Göttliche selbsternannter Genies, die ihre Scharlatanerie seit Jahrhunderten treiben. Es gibt keine Bücher, die vom Himmel gefallen sind. Alle unterstehen der Sprache, die alle Menschen verstehen.

Religion beraubt den Menschen seiner Gefühle und projiziert sie auf chimärische Wesen. Liebe, Hass, Trauer, Verbundenheit, Vergebung und Versöhnung: Gefühle des Menschen, die den Menschen gelten und mit ihnen besprochen und bearbeitet werden müssten, werden ins Imaginäre verschwendet. Die Schätze des Menschen, die er an den Himmel verschleudert, müssen zurückverlangt werden. Die Ausbeutung der Gefühle muss ein Ende haben. Der Mensch muss wieder komplett werden. Nicht der Herr macht uns frei, sondern der Mensch als mitfühlendes Wesen.

Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen, tröstet uns und macht uns frei??“

(Weihnachtsoratorium von Bach)

Nein. Oh Freunde, nicht diese Töne. Sondern lasst uns menschlichere und freudenvollere anstimmen:

Mensch, dein Mitleid, dein Erbarmen, tröstet uns und macht uns frei.

Deine holde Gunst und Liebe, deine wundersamen Triebe,

Machen deine Menschenliebe wieder neu.“


Fortsetzung folgt.