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Weltdorf I

Hello, Freunde des Weltdorfs I,

„Ich bin weder Athener noch Grieche, sondern ein Bürger der Welt.“ (Ein hässlicher Athener, Sohn einer Hebamme)

Wie können wir von vorne beginnen? Wir müssen Weltbürger werden. Jedes Kind braucht ein Dorf, um ein Mensch, jeder Mensch braucht die ganze Welt, um ein ganzer Mensch zu werden. Das Weltdorf ist eine Utopie. Ohne Utopie kann die Welt nicht überleben. Wir müssen uns eine gemeinsame Utopie erstreiten, die nicht ortlos bleiben wird, wenn wir sie in Raum und Zeit entwerfen und ihrem Wegweiser folgen.

Ubi bene, ibi matria. Wo es mir gut geht, da ist Kosmos, die schöne Ordnung der Welt. Fühlen Menschen sich hienieden zu Hause, wird Mutter Erde ihre Heimstatt sein. Männer zerhacken und plündern den Planeten, um sich im kleinsten Winkel als Herren der Natur, der Frauen und Kinder aufzuspielen. In Händen der Männer wird jede Utopie zur Zwangsbeglückung – freut euch, die Herrschaft der Phalli geht vorüber. Reißt nieder, was uns trennt.

Nationale Grenzen sind blutige Wunden im Organismus der Menschheit. TTIP und CETA sind Abgrenzungen der Reichen, um noch reicher zu werden. Mauern und Zäune, inzestuöse Kooperation der Starken, globale Wirtschaftsherrschaft derer, die im Licht stehen, schaffen jene Flüchtlingsmassen, die die Wagenburgen der Privilegierten erstürmen, um mit dem bloßen Leben davon zu kommen.

Die herrschende Ökonomie ist ein Abgrenzungs- und Ausschließungsinferno der Moralfreien, die ihr himmlisches Gewissen in Religion ersäufen, um ihren Triumphzug über die Ausgeschlossenen als Sieg ihrer Heilsgeschichte zu feiern. Ihr Gewissen ist obergrenzenlos dehnbar, sodass es nichts gibt, was sie mit ihrem Ruhekissen nicht

vereinbaren können.

Mit endloser Arbeit vernichten sie die Krume der Erde und rechtfertigen ihre Verbrechen gegen Mensch und Natur: Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen gearbeitet, lautet die Exkulpierung einer deutschen Kanzlerin.

Arbeit immunisiert gegen Kritik, Arbeit adelt jedes Verbrechen, Arbeit macht unfehlbar. Rom hat gesprochen, die Sache ist erledigt? Die Arbeit hat gesprochen: da verstummen alle medialen Leibgarden der Eliten.

Wissen ist Fortschrittlern keine Erkenntnis der Welt, um sich in ihr behaglich einzunisten: Wissen ist Macht zur Überwältigung der Welt. Nach bestem Wissen und Gewissen haben wir gearbeitet, ist die Übersetzung des religiösen Satzes: sündiget tapfer, macht euch die Erde untertan, verbreitet Furcht und Schrecken über die Tiere – wenn ihr nur glaubt. Glaubt und arbeitet, betet und glaubt – und nichts wird euch aufhalten, die Welt zum Schemel eurer Füße zu machen.

„Wettbewerbsfähig und wissensbasiert“ soll Europa unter der Leitung ihrer Königin den Rest des Globus an die Kette legen. Die Deutschen folgen dem „Wohlstandsversprechen“ ihrer machtbewussten Magd Gottes. Alle Krisen hat sie bewältigt, an keiner ist sie schuld, nun wird sie auch noch die Flüchtlingskrise bewältigen und Europa im Alleingang versöhnen – so BILD & Co. Ist Demokratie Herrschaft des Wohlstands oder Herrschaft eines freien Volkes?

Weltaußenpolitik gibt es nur, wenn Völker sich äußerlich und fremd bleiben oder gnadenlos gegeneinander konkurrieren. Im Weltdorf gibt es nur Weltinnenpolitik: die Konflikte des Dorfes werden in erstrittenem Einverständnis gelöst.

Einfachheit ist das Siegel der Wahrheit, das Einfache aber das Schwierige. Das Schwierige ist weder unverständlich noch unlösbar, aber wir müssen uns reinhängen. Probleme entstehen durch Irrungen und Wirrungen der Unvernunft. Was Unvernunft und Unverstand anrichten, kann Vernunft aufdecken und korrigieren.

Das ist die Voraussetzung der globalen Utopie oder eines Weltdorfs. Jedes Kind, dem die Erwachsenen nicht die Zukunft rauben wollen, braucht das Weltdorf im Einklang mit der Natur, wo es mit jedem Kind der Welt spielen und hüpfen kann.

Zur Lebensfreude brauchen wir kein technisches Wissen, sondern die Weisheit der Welt. Die aber ist gefährdet. Bei Weisheit sehen jene rot, die sich jeden Tag neu erfinden, um die Vergangenheit zu begraben.

Vergangenheit ist die Hüterin aller Weisheiten der Menschheit. Wer Vergangenheit erschlägt, um jeden Tag von vorne zu beginnen, erschlägt die Lerngeschichte der Menschheit. Er entscheidet sich zum vorsätzlichen Gedächtnisverlust, zum kaltblütigen Wahrheitsmord – oder zum kollektiven Alzheimer.

Zukunftsfantasten beginnen nicht von vorne, sondern ex nihilo, ab dem Nullpunkt ihres Nichts. Von vorne beginnen heißt, das Gedächtnis der Menschheit bemühen und in die Schule des staunenden und freudigen Erinnerns gehen. Keine Lernerfahrung ist vergangen. Keine Erkenntnis liegt zurück. Wahres kennt kein Verfallsdatum, es ist synchron mit jeder Zeit. Das Unwahre und Missglückte hingegen muss vergehen, lass fahren dahin, das Weltdorf muss uns doch bleiben.

Es wird keine Zukunft für die Menschheit geben, wenn sie die Erkenntnisse ihrer kollektiven Biografie nicht dem Vergessen und Verdrängen entreißt. Zukunft ist gerettete Vergangenheit – und ist sie es nicht, wird es keine geben. Volle, intakte, freudige Gegenwart ist nunc stans, das Jetzt, das nicht vergehen will: geborgene Vergangenheit als Voraussetzung einer bergenden Zukunft. Nur die Natur ist befugt, dieses zeitlose Jetzt zu beenden. Wird der Mensch zum Urheber seiner missglückten Zeit, entlarvt er sich als Rohrkrepierer der Evolution.

Die Menschenrechte wurden erfunden, als die Hellenen die Borniertheiten ihrer elitären Überheblichkeit über andere Völker ablegten und Frauen, Sklaven und Barbaren als gleichwertige Wesen anerkannten. Alexander benutzte noch das Schwert, um Rassen und Völker miteinander zu versöhnen. Die stoischen Philosophen hingegen verließen sich auf die Kraft ihrer humanen Argumente, womit es ihnen gelang, selbst die eisenharten Römer zu beeindrucken und griechische Kultur als Vorbild der römischen zu etablieren. Helmut Schmidt, angeblicher Gegner der Utopie, war nicht nur Bewunderer des sokratischen Karl Popper, sondern des stoischen Kaisers Marc Aurel:

„Hüte dich, dass du nicht ein tyrannischer Kaiser wirst! Nimm einen solchen Anstrich nicht an, denn es geschieht so leicht. […] Ringe danach, dass du der Mann bleibest, zu dem dich die Philosophie bilden wollte.

Hoffe auch nicht auf einen platonischen Staat, sondern sei zufrieden, wenn es auch nur ein klein wenig vorwärts geht, und halte auch einen solchen kleinen Fortschritt nicht für unbedeutend. Denn wer kann die Grundsätze der Leute ändern? Was ist aber ohne eine Änderung der Grundsätze anders zu erwarten als ein Knechtsdienst unter Seufzen, ein erheuchelter Gehorsam?

Meine Natur aber ist eine vernünftige und für das Gemeinwesen bestimmte; meine Stadt und mein Vaterland aber ist, insofern ich Antonin heiße, Rom, insofern ich ein Mensch bin, die Welt. Nur das also, was diesen Staaten frommt, ist für mich ein Gut.

Die Menschen sind füreinander da. Also belehre oder dulde sie. (Marc Aurel)

Welcher heutige Weltpolitiker könnte sich mit Marc Aurel messen? Nein, niemand ist perfekt. Doch der heutige Zynismus lehnt das Vorbildliche der Vergangenheit unter Verhöhnung minimaler Fehler ab – und verteidigt die größten Schandtaten der Gegenwart als legitime Machtinteressen. Mit zweierlei Maß messen: war das nicht Heucheln?

BILD-Wagner hat nicht die leiseste Kritik an seiner geliebten Kanzlerin:

„Die Vorstellung, dass Sie sich zurückziehen, zur Ruhe setzen, ist absurd. Wir Deutschen haben uns an Ihre Hosenanzüge gewöhnt, Ihre Uneitelkeit, im Supermarkt gehen Sie einkaufen, in den Bergen machen Sie Urlaub mit Ihrem Mann. Sie sind eine bescheidene Kanzlerin. Es knallen keine Feuerwerkskörper, wenn Sie auftreten. Wir haben uns so gewöhnt an Sie. Sie waren unsere Kapitänin. Finanzkrise, Griechenlandkrise. Und jetzt die Flüchtlingskrise. Diese Krise müssen Sie schaffen, dann können Sie abtreten. Als Heldin.“ (BILD.de)

Demnächst wird Mutter Theresa, Despotin der Nächstenliebe, vom Papst heilig gesprochen. Danach folgt ihre Bewunderin und Nachahmerin auf politischem Terrain, eine deutsche Heldin. „Helden“ war die gloriose Selbstauszeichnung der Deutschen im Ersten Weltkrieg – in Konfrontation mit selbstsüchtigen Krämern des britischen Weltreichs.

Woran fehlt es der heutigen Politik? An unverzichtbaren gedanklichen Prinzipien – oder an Philosophie. Als Generaltugend der Demokratie gilt die Kompromissfähigkeit. Unterschiedliche Positionen haben offenbar keine Chance, sich mit Argumenten zu überzeugen. Bleibt nur der mechanische Kompromiss mit dem Lineal. Beide Parteien müssen sich in der Mitte ihrer Verschiedenheit treffen – oder dasselbe Maß an Überzeugung opfern. Gerecht ist ein Kompromiss, wenn die Schmerzen der Meinungs-Einbuße auf beiden Seiten gleich groß sind. Alles andere sind faule Kompromisse.

Was geschieht aber mit den Gedankenverlusten? Wenn alle Parteien mit allen koalieren können – in diesem Wärmetod der Gedanken befinden wir uns bereits – schnurrt das Gemeinsame zusammen zu einer intellektuellen Mini-Maische der politischen Klasse. Das pöbelhafte Revoltieren der Bevölkerung ist das Ergebnis einer unendlichen Reduktion des Politischen auf immer weniger Schlagworte. Nicht der unaufhaltsame Gedankenschwund der Eliteklassen, sondern die Verführbarkeit der Unterklassen durch Populisten gilt als das Böse an sich.

Drei Begriffe reichen den Medien aus, um die Misere der Gegenwart zu kennzeichnen: hyperkomplex, unlösbar und populistisch. Die Eliten beanspruchen, durch höhere Einsicht in die Unlösbarkeit überkomplexer Probleme unersetzbar zu sein. Auf brachialdeutsch: weil sie Loser sind, sind sie die einzig Wählbaren. Ihre Demut: wir wissen, dass wir nichts wissen, kennzeichnet ihre unvergleichliche Qualität.

Sokrates war nicht demütig, sondern bescheiden. Merkel ist demütig, aber unbescheiden und führungssüchtig. Nach einer Phase unsicheren Abwartens ist sie aufgelaufen zur Höchstform einer alternativlosen Führung in Europa. Auch wenn die ganze Welt anderer Meinung ist, bleibt sie bei Luthers Unfehlbarkeit: hier steh ich und will nicht anders.

Der Führungsstil des Jetzt-erst-recht-Rechthabens gegen eine ganze Welt von Irrläufern hat sich auf die Wirtschaftseliten übertragen. VW-Chef Müller fühlt eine ganze Welt von Teufeln gegen seinen betrügerischen Konzern. Von Selbstkritik keine Spur. Die Deutschen werden immer selbstherrlicher und päpstlicher. Auch er könnte mit Luther singen:

Und wenn die Welt voll Teufel wär
und wollt uns gar verschlingen,
so fürchten wir uns nicht so sehr,
es soll uns doch gelingen.
Der Fürst dieser Welt,
wie sau’r er sich stellt,
tut er uns doch nicht;
das macht, er ist gericht’:
ein Wörtlein kann ihn fällen.“

Dasselbe in Manager-Prosa: „Dieselaffäre, Zuliefererstreit, Ärger mit der Post – ganz schön viel Arbeit für das Management des Konzerns. „Wir haben Amerika am Hals, wir haben die ganze Welt am Hals“, bestätigte Müller.“ (FAZ.NET)

Ist es nicht merkwürdig, dass Sokrates in Deutschland vor allem von Gegenaufklärern strapaziert wird? Doch das Rätsel löst sich schnell. Das Wissen des Nichtwissens nutzten Hamann und Kierkegaard, um den Sprung in den Glauben zu fordern. In der Offenbarung erfährt der Gläubige das Ende seines sündigen Nichtwissens im herrlichen Wissen Gottes.

In theoretischen Angelegenheiten war Sokrates von seiner Unwissenheit überzeugt, nicht aber in politisch-moralischen Fragen. Mit seinem ehernen Motto: besser Unrecht erleiden als Unrecht tun, leistete er einem fehlgeleiteten Volksgericht Widerstand bis in den Tod.

In moralischen Fragen ist Merkel haltlos. Doch kein Problem. Da sie über die rechte Glaubensgesinnung verfügt, sind alle Moralen von kurzzeitigem Samaritertum bis standardisierter Herzenshärte von Oben abgesegnet. Ihre private Moral hat mit ihrer politischen Antinomie nichts zu tun. Private Tugenden, öffentliche Laster: Mandevilles Spuren haben die Amoral der christlichen Weltpolitik unauslöschlich geprägt.

Das sokratische Geständnis des Nichtwissens war die Voraussetzung der Suche nach der Wahrheit. Sein dialogischer Scharfsinn und seine mäeutische Befragungskunst sollten Suchbewegungen nach der Wahrheit sein.

Für BILD-Blome ist Kompromisse-Schließen die Fähigkeit, Abstriche zu machen:

„Ein Bundestag ganz allein gefüllt mit kompromisslosen Wolfgang Bosbachs würde vermutlich nicht richtig funktionieren, weil zum politischen Betrieb nun einmal auch Abstriche von der eigenen Überzeugung gehören.“ (BILD.de)

Kompromisse-Schließen ist zur Grundtugend der deutschen Nachkriegspolitiker geworden, die zeigen wollen, wie sehr sie das Wesen der Demokratie erfasst haben. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte haben sie zu einer einzigen Abstrich-Orgie deformiert. Doch ein Kompromiss darf die eigene Meinungsstabilität nie ins Wanken bringen. Streng genommen sind Meinungen nur durch Argumente zu verändern, nicht durch Abrieb des täglichen Politbetriebs.

Praktisches Nachgeben – und Verteidigen des Unwiderlegten sind die beiden spannungsreichen Pole einer demokratischen Flexibilität, die nicht im Widerspruch zur wehrhaften Gedankentreue stehen darf. Manche werden von Rechthaberei sprechen, der Todsünde für postmoderne Wahrheitsleugner, die in ihrer Rechthaberei, nicht recht zu haben, unüberwindbar sind. Gefahren bestehen beim Rechthabenwollen wie beim Nichtrechthabenwollen. Sollen demokratische Grundsätze im Streit mit demokratiefeindlichen Salafisten aufgegeben werden, damit Terroristen nicht den Vorwurf des Rechthabens erheben können?

Der Burka-Streit ist ein typisch deutsches Schwanken zwischen mangelnder Wehrhaftigkeit und übergroßer Härte. Weder Recht- noch Unrechthabenwollen schützt vor Borniertheit. Hätte Sokrates nicht rechthaberisch seine Stechmückenfunktion verteidigt, wäre die Geschichte der Philosophie um ein eindrucksvolles Vorbild ärmer. Platon hingegen war ein gewalttätiger Rechthaber, der in seinem idealen Staat lieber Meinungsgegner über die Klinge springen ließ als dass er einen Millimeter nachgegeben hätte. Im Staate seines genialen Schülers wäre Sokrates – nach Popper – zum Tode verurteilt worden.

Die gedanklichen Schwundparteien müssten philosophische Schulen als komplementäre Pole gründen, in denen ihre Prinzipien verwahrt, diskutiert und weiter entwickelt werden. Zwar spüren sie den Mangel ihres endlosen Abstrichs, weshalb sie das Heinrich-Böll-Institut u.a. gegründet haben. Doch diese Institute sind zu Schwatzbuden verkommen.

Besonders schmerzlich ist der Gedankenverlust bei den Grünen, die von ihrer ehemaligen Öko-Philosophie fast nichts bewahrt haben. Überflüssig zu erwähnen, dass auch sie in religiöser Spätbekehrung die „Schöpfung bewahren“ wollen. Dass der Schöpfer seine creatio ex nihilo hasst und die „erste Natur“ vernichten wird: solche Gottlosigkeiten seien ferne von ihnen.

Schon seit dem Ersten Weltkrieg arbeitet die SPD daran, ihren revolutionären Antikapitalismus durch wachsende Verbürgerlichung vereinbar zu machen mit allen Unverschämtheiten der Arbeitgeber, die heute im Neoliberalismus ihren Höhepunkt erreicht haben. Selbst die Profiliertesten unter den Parteipolitikern hüten sich, in ihre Reden Grundsätzliches und Philosophisches einzumischen. Außer Tagesparolen zur jeweiligen Sau der Woche ist nichts zu hören.

Die restriktive Sprachkompetenz der Kanzlerin ist ohnehin die Frucht ihrer Animosität gegen alle heidnischen Weisheiten, die sie als irdische Torheiten verachtet. Philosophen gelten Pragmatikern als Schwätzer und Phraseure, die nur fähig sind, das Publikum zu verscheuchen. Inzwischen delektieren sich alle Parteien an ihren leer genagten GroßKoalitionsKnochen.

Der Tatbestand der intellektuellen Legasthenie betrifft den ganzen christlichen Westen. Kein Zufall, dass die Religion mit Macht zurückgekehrt ist; blitzschnell hat sie die Einbruchstellen der laizistischen Überheblichkeit erkannt und die pessimistischen Folgen der „Gottesferne“ mit uralten Heilsformeln zu füllen gewusst. Warum nur sind die Deutschen so erfreut, wenn der lästige Laizismus ihres ehemaligen Erbfeindes durch die Burkini-Affäre so herrlich auf die Schnauze gefallen ist?

Global denken, regional handeln: das waren Parolen früherer Aufbruchsjahre. Solidarische Weltinnenpolitik, die eine existenzgefährdende Weltaußenpolitik ablösen sollte, war das Grundelement der UN-Gründung. Kriege sollten durch das Weltparlament der Völker für immer der Vergangenheit angehören.

Das euphorische Aufatmen der Nachkriegsepoche ist vorbei. Die unter den Teppich gekehrten Uraltkonflikte der Religionen und imperialen Kulturen lassen sich durch schwindenden moralischen Eifer nicht mehr bändigen, prägen die Berlusconis, Dabbeljus, Trumps und Orbans dieser Welt und schwirren unkontrollierbar ins neue erdumspannende digitale Netz.

Das anschwellende Chaos ist zugleich eine neue Phase der Ehrlichkeit. Im Verlauf der Jahrzehnte waren demokratische Überzeugungen zu Phrasen degeneriert. Das amoralische und gleichheitsfeindliche Element der Ökonomie – von Anfang an ein vergiftendes Element der Demokratie – hat ihre Zermürbungstaktik zur Meisterschaft gebracht. Das demokratische Über-Ich hatte das Ich der Völker bislang im Zaum gehalten. Doch nun prescht das lang unterdrückte Es nach oben und scheint alle Schranken der Vernunft hinwegzuschwemmen.

Wenn wir Angst vor dieser Entwicklung haben, wird sie uns mit Sicherheit überrollen. Kaltblütig müssen wir wahrnehmen und Ursachen erforschen, dann haben wir eine Chance, von vorne zu beginnen. Es gibt kein Recht auf Nihilismus.

Wir müssen von vorne beginnen. Vorne ist die Utopie des Weltdorfes, dem wir uns in mühsamer Maulwurfsarbeit nähern müssen. Wenn die Welt ein Dorf von 100 Menschen wäre, gäbe es: 60 Asiaten, 14 Afrikaner, 11 Europäer, 14 Amerikaner und einen Ozeanier. 52 wären Frauen, 48 Männer, 70 Nichtweiße, 30 Weiße, 70 Nichtchristen, 30 Christen, 89 Heteros und 11 Homosexuelle. 6 Personen besäßen 59% des gesamten Reichtums, alle 6 kämen aus den USA. 80 hätten keine ausreichenden Wohnungen, 70 wären Analphabeten, 50 wären unterernährt.

„Wenn man die Welt aus dieser Sicht betrachtet, wird jedem klar, dass das Bedürfnis nach Zusammengehörigkeit, Verständnis, Akzeptanz und Bildung notwendig ist.“ (Orbit9.de)

Wie kommt es, dass wir dem Weltdorf wieder untreu geworden sind? Weil die Macht der westlichen Erlösungsreligion die Welt in toto ablehnt und hasst:

„In der Welt habt ihr Angst, siehe, ich habe die Welt überwunden. Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. Was von Gott geboren ist, überwindet die Welt. Wisst ihr nicht, dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott ist? Haltet euch unbefleckt von der Welt. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. Die Welt vergehet mit ihrer Lust, wer aber den Willen Gottes tut, bleibt in Ewigkeit. Wir wissen, dass wir von Gott stammen und die ganze Welt in der Macht des Bösen ist. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Was töricht ist in der Welt, hat Gott erwählt. Flieht die vergängliche Lust der Welt. Weil ihr nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, deshalb hasst euch die Welt. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, welche du mir gegeben hast. Meine Jünger sind nicht aus der Welt, wie ich nicht aus der Welt bin. Das wahre Licht kam in die Welt. Es war in der Welt und die Welt ist durch ihn geworden und die Welt erkannte ihn nicht. Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?“

Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt verlöre? Dann verlöre und vernichtete er die ganze Menschheit. Wir müssen die ganze Welt gewinnen, damit wir unser Leben auf Erden nicht verlieren.

 

Fortsetzung folgt.