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Freitag, 18. Januar 2013 – Widerfahrnis

Hello, Freunde der Katholiken,

die ecclesia triumphans triumphiert jeden Tag ein bisschen mehr. Die Tage der instrumentellen Demut sind vorbei. Gott ist in den Schwachen mächtig, bei Schwachen ist der Vatikan noch mächtiger. Die klerikale Macht zeigt der Welt ihr gütiges Despotengesicht immer unverhüllter. Sie quälen und schänden, was sie lieben.

Wenn Priester sich an ihren Schäfchen vergingen, bekundeten sie ihnen die Liebe Christi. Es gab eine regelrechte „Spiritualität des Verbrechens“, gibt sich Bischof Ackermann regelrecht erschüttert. So erschüttert wie jene Mütter, die nie mitbekamen, dass ihre Töchter von den Vätern missbraucht wurden. Warum soll es den Töchtern besser ergehen als ihnen? Die eifrigsten Klitorisbeschneiderinnen sind alte Frauen, die es nicht ertragen, dass es den nächsten Generationen besser gehen soll.

In der tabulosesten Gesellschaft aller Zeiten gilt das Grundmotto: niemand sieht nichts.

Säuselte der Priester seinem Opfer ins Ohr: „Du bist eine auserwählte Braut Christi.“ Wäre dies Zynismus, könnte man sich dagegen wehren. Wer aber will der Liebe Gottes widerstehen – der Maria ungefragt überschattet hatte: komm, Schätzchen, du willst es doch auch! –, wenn Widerstand gegen den Heiligen Geist mit Feuerchen bestraft wird?

Hatte Saulus eine Chance gegen seinen göttlichen Beglücker, als dieser mit Karacho vom Himmel herunterfuhr, um ihn zwangszubeglücken? „Und plötzlich umstrahlte ihn ein Licht vom Himmel her und er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme.“

Fast jede Berufungsgeschichte ist eine spirituelle Vergewaltigung. Die Priester

ahmen nur ihren Schöpfer nach, wenn sie mit List und Tücke über ihre Anvertrauten herfallen. Wie der Herr, so‘s Gscherr. Die Potenz- und Imponiergebärden des Himmels sind derart gewaltig, dass die Menschlein keine Freiheit mehr haben, Nein zu sagen.

Dem jungen Mose erschien der Herr „in einer Feuerflamme, die aus dem Dornbusch herausschlug. Und als er hinsah, siehe, da brannte der Busch im Feuer, aber der Busch ward nicht verzehrt.“ ( Altes Testament > 2. Mose 3,1 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/2_mose/3/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/2_mose/3/“>2.Mos.3,1 ff) (Bestimmt die Lieblingsstelle des Bush-Clans) Wer kann bei solchen Zaubereien noch Nein, Danke sagen? Dennoch widersteht Mose eine Weile. Der Gott des Dornbuschs muss seine ganze cälestische Rhetorik aufwenden, um den arglosen Schäfer herumzukriegen. Er sei doch ein Niemand, sagt Mose. Er kenne den Namen des Gottes der Väter nicht. Er könne nicht reden. Was solle er machen, wenn die Kinder Israels nicht auf ihn hören? Da zieht der Herr der Heerscharen alle Register, zeigt sich in seiner Allgewalt und verleiht auch Mose die Fähigkeit, zu zaubern und Wunder zu tun. Wie heißt es in Mafiafilmen: Ich mache dir ein Angebot, das du nicht ablehnen kannst.

Jesaja ist durch seine Berufung überrumpelt. „Da erbebten die Grundlagen der Schwellen von der Stimme der Rufenden und das Haus ward voll von Rauch. Da sprach ich: wehe, ich bin verloren, denn ich bin ein Mensch mit unreinen Lippen, wohne unter einem Volk mit unreinen Lippen – und habe den Herrn der Heerscharen mit eigenen Augen gesehen“. (Gott mit sinnlichen Augen sehen, war Frevel.) Da musste erst ein Engel mit glühender Kohle kommen, um ihn generalzureinigen und all seine Sünden zu tilgen. Nach diesen überzeugenden Argumenten muss der Prophet endlich wollen. Auch Jeremia will anfänglich nicht. Er sei zu jung, er könne nicht reden.

Warum konnte sich in der Moderne die charismatische Rhetorik an die Spitze politischer Berufungsprozeduren erheben? Weil wir biblisch denken, weben und sind. Ist Steinbrück ein Wackelkandidat, muss er die Macht seiner Worte demonstrieren und – er ist erwählt. Mit der Stoppuhr wird der geistgewirkte Applaus in Minuten und Sekunden gemessen. Als der Kandidat Obama seine Silberzunge in Berlin ertönen ließ, war Deutschland entzückt und sah schon den neuen Weltführer mit Heiligenschein. Unsere Bundespräsidenten gebieten über keinerlei Macht, außer über die des Wortes.

Im Gegensatz zur griechischen Rhetorik, die man in jahrelanger Übung lernen musste, ist die religiöse die Fähigkeit des Himmels. Nicht nur Mose, Jeremia, auch die Jünger Jesu sind keine eigenständigen Magier des Redens und Überredens. „Sorget euch nicht darum, wie oder womit ihr euch verteidigen oder was ihr sagen sollt! Denn der heilige Geist wird euch zu ebender Stunde lehren, was ihr sagen sollt.“ ( Neues Testament > Lukas 12,11 f / http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/12/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/12/“>Luk. 12,11 f)

Das nennt man geistige Ent-mündigung durch göttliche Berufung. Argumente? Papperlapapp! Kunst des Gesprächs? Überflüssig! Dialogische Kompetenz? Lass fahren dahin! Nicht der Mensch spricht, es spricht Gott aus dem Menschen. Der Berufene ist bloßes Mundstück und Lautsprecher des Souffleurs von Oben.

Der mündige Mensch, der kraft eigenen Kopfes etwas zu sagen hätte, ist das heidnische Gegenstück zu Wiedergeborenen und Berufenen. Wer nicht der intuitiven und situativen Eingebung des Herrn vertraut, ist nicht geschickt fürs Reich Gottes.

Die modernen Intuitionisten und Situationisten sind säkulare Erben des Heiligen Geistes, der just in time die Zunge seiner Marionetten bewegen wird. Wer will, könnte auch von Bauchrednern Gottes sprechen.

Es kommt noch besser. Wer von seinen christlichen Familienmitgliedern verraten wird, sollte sich ganz den Einflüsterungsmethoden des Geistes überlassen: „So nehmet nun zu Herzen, daß ihr nicht sorget, wie ihr euch verantworten sollt. Denn ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widersprechen können noch widerstehen alle eure Widersacher. Ihr werdet aber ausgeliefert werden von den Eltern, Brüdern, Verwandten und Freunden; und sie werden euer etliche töten. Und ihr werdet gehaßt sein von jedermann um meines Namens willen.“ ( Neues Testament > Lukas 21,14 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/21/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/21/“>Luk.21,14ff)

Im Christentum kann es keine heile Familie oder Freunde geben. Der Schmäh vieler Intellektueller gegen die familiäre Idylle ist neutestamentarisch. Die moderne Unfähigkeit zur Freundschaft – bei Aristoteles Zentrum des Lebens – ist neutestamentarisch. Israel muss sich von aller Welt gehasst fühlen, um alle Welt hassen zu müssen. Desgleichen die Christen. Allerdings nicht im nationalen Rahmen, sondern im Fight jeder gegen jeden. Dass abendländische Christen sich auch national definierten, war ein „Rückfall“ ins Alte Testament.

Der moderne Individualismus setzt den Heilsindividualismus mit ökonomischen Mittel fort. Dass es zum Widerspruch zwischen individueller und nationaler Berufung kommen musste, war unausweichlich. Zu beobachten bei Adam Smith, der auf „egoistischen“ Individualismus setzt, welcher in der nationalen Summe dennoch „altruistisch“ sein soll. Als er merkte, dass es zwischen beiden Prinzipien knirscht, erfand er schnell die Unsichtbare Hand, um individuelle und nationale Vorteile in Übereinstimmung zu bringen.

Doch nicht mal die Juden haben die jahwistische Garantie, als komplette Nation selig zu werden. Auch bei ihnen werden es nur die Erwählten der Erwählten sein. Nur ein heiliger Rest kommt durch, die anderen werden aussortiert. Die riesige Kluft zwischen wahrhaft Erwählten und tatsächlich Verworfenen ist das schreckliche Geheimnis national auserwählter Staaten. Amerika wird nicht en bloc ins Allerheiligste einziehen. Israel wird nicht als Kollektiv das goldene Jerusalem erobern. Immer nur der harte Kern der wahren Auserwählten wird es bis ins selige Finale schaffen.

Für Ultra-Rabbiner ist der Holocaust nicht das Werk böser Deutscher, sondern eine notwendige Strafe Jahwes für assimilierte und glaubensvergessene Juden, die von Gott bestraft wurden. Früher waren es Kyros, Belsazar, Alexander der Große, römische Kaiser und andere fremde Machthaber, die Gott benutzte, um den Abfall der Kinder Israels zu den Goldenen Kälbern der Welt zu bestrafen. Diesmal waren es Hitler und der Holocaust. Nichts besonderes in der langen Geschichte der Spießrutenpädagogik des Herrn. Regelmäßig müssen die Kinder gezüchtigt werden, dass sie wieder zum liebenden Vater zurückfinden.

Folgt man der Logik dieser väterlichen Liebe, die vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, war Hitler nichts als ein unbedeutendes nützliches Werkzeug des Herrn, um die Glaubensvergessenen wieder einmal zum Vater zurückzupeitschen. Durch Leid zum Sieg. Nach der Katastrophe ist Israel zu einem nicht ganz unbedeutenden Faktor der Weltgeschichte aufgestiegen. Erneut hat sich Gottes robuste Erziehungskunst als wahr und erfolgreich erwiesen.

Beruf kommt von Berufung. Berufen wird man entweder von Gott oder vom Markt – was dasselbe ist. Nicht jeder kann alles werden. Man muss auf den Ruf warten. Von Freiheit keine Spur. Muss der Staat aus Geldmangel Lehrer entlassen, ist‘s aus mit der Lehrer-Berufung. Je unqualifizierter der Einzelne ist, je passiver hat er auf eine Berufung auf die Abstellplätze zu warten.

Die Qualifikation hängt immer mehr von der Schicht ab, in die du hineingeboren bist. Deine Geburt entscheidet über dein Schicksal – in der freiesten Gesellschaft der Geschichte.

Das war bei den Propheten nicht anders. Schon im Mutterleib beruft Gott seine Sprachrohre. „Ich kannte dich, ehe denn ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe denn du von der Mutter geboren wurdest, und stellte dich zum Propheten unter die Völker.“ Calvin spricht von Prädestination, von Vorherbestimmung. Die Berufung findet statt, da gibt’s den Berufenen noch gar nicht. Du wirst rausgesucht, mit deiner Leistung und Schönheit hat das nichts zu tun.

Früher hing es vom grundlosen Willen des göttlichen Determinators ab, heute hängt es ab vom Geldbeutel deiner Eltern. „Hört auf mich, ihr Inseln, und horcht auf, ihr Völkerschaften, [die ihr] von fernher [seid]! Der HERR hat mich berufen vom Mutterleib an, hat von meiner Mutter Schoß an meinen Namen genannt. Nun spricht der Herr, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht gemacht hat.“

Justament Calvins amerikanische Schüler, die alle schon im Mutterleib – oder sogar noch früher – von ihrem Gott zum Heil berufen oder verworfen wurden, predigen heute am lautesten die Freiheit. Diese Reduktion des normalen Kannitverstans kann man nur mit Freud erklären: wer immer Ja sagt, meint Nein.

An der Berufung kann nicht gerüttelt werden. Das gilt besonders für die Loser der Gesellschaft, die nicht daran denken, den amerikanischen Traum per Revolution in die Luft zu sprengen, auch wenn er zum Alptraum geworden ist. Jede Sozialdemokratisierung des Landes wäre ein Verrat an der Berufung, an die zu glauben niemand aufgeben darf. Sonst verrät er den himmlischen Eigentümer von Gottes eigenem Land.

Der Staat ist keine Einrichtung des Himmels, sondern Erfindung der Heiden. Wer sich der Fürsorge des Staates verschreibt, übergibt sich einer teuflischen Rotte. Lieber verrecken brave Amerikaner im düsteren Untergrund der New Yorker U-Bahn, als dass sie ihren Glauben an die Berufung aufgäben.

Die Europäer verstehen nichts von Amerika, weil sie ihre eigene Religion nicht kennen. Geschweige die amerikanische. Ganz Amerika ist eine feurige Wolke und die Erwählten folgen ihr. Geht’s den Amerikanern gut, sind sie bereits im neuen Kanaan, wo Milch und Honig fließt. Geht’s bergab mit ihnen, fühlen sie sich wie die geplagten Kinder Israels auf dem Fußmarsch quer durch die Wüste.

Da Berufung schon im Mutterleib – bei Calvin sogar vor der Zeugung – geschehen kann, muss sie sich früh beweisen. Aus diesem Gedankenkreis kommt Jakob Burckhardts Satz: Das Genie ist früh komplett. Der 12-jährige Jesus verblüfft im Tempel die alten Schriftgelehrten mit seiner Weisheit.

Genie ist das „weltliche“ Wort für Charisma, für Gnadengabe. Genie kann man nicht lernen, sagt Kant und die frühgenialen Romantiker sowieso. Was man nicht lernen kann, ist eine Gabe Gottes – später der Natur. Genies sind Auserwählte des Herrn: Was hast du, was du nicht von Gott hättest?

Dass Kinder heute immer früher ihre Genialität beweisen müssen, zeigt das Ausmaß der Charismatisierung der Gesellschaft. Wen Gott bereits im Mutterleib berufen hat, der muss seine Qualitäten schon als Baby mit Schnuller beweisen. Das Drama des begabten Kindes ist das Drama des von Gott erwählten und berufenen Kindes, dessen Qualität von der heidnischen Umwelt nicht erkannt wird und seine Begabungen nutzlos verschleudern muss.

Hier krepierte ein unerkanntes Genie, kann man in deutschen Gymnasialstuben lesen, eingeritzt in Tisch und Bänke. Da fühlte sich einer innerlich berufen, doch die Anerkennung durch die verbohrte Umwelt blieb aus. Zeigt ein Kind nicht in zartestem Alter seine überragenden Fähigkeiten, gehört es schnell zur menschlichen Durchschnittsware.

Zeit zum Ausreifen gibt es nicht. Kaufet die Zeit aus, Zeit ist knapp. Es gibt ja auch nichts zu lernen. Entweder man hat‘s oder man hat‘s nicht. Lernen müssen die, die es nötig haben. Von sündiger Welt kann man nichts lernen. Weisheit als Summa lebenslangen Lernens ist für Leute, die nicht mehr jung genug sind und das Stadium ihres intellektuellen Abbaus durch wohlfeile Sprüche kompensieren müssen.

Juden müssen ihre Auserwähltheit durch Genialität erweisen. Genie ist der säkulare Beweis, dass Gott die Seinen nicht im Stiche lässt. Hätten die Juden das Gefühl, ihre mentale Überlegenheit über die meisten Völker zu verlieren, verlören sie ihre jüdische Identität.

Wen Gott beruft, den fragt er nicht. Wie kann man sich gegen Gottes Ruf wehren, wenn man nicht meschugge ist? In der Theologensprache: „Berufung bedeutet den Anruf Gottes – das hebräische Verb heißt rufen –, mit dem er die Menschen für sein Planen und Wirken in Anspruch nimmt und sie aus ihrer bisherigen Existenz heraus in seinen Dienst ruft.“ Widerspruch unmöglich. Dem Ruf des Kaisers dieser Welt verweigert man sich nicht. Es ist eine Auszeichnung. Anders darf man seine Berufung nicht deuten.

Man könnte auch von Zwangsbeglückung sprechen, dann wären wir beim Faschismus gelandet. Religionen mit Schöpfergott, der seine Geschöpfe willkürlich selektiert – ruft oder nicht ruft –, sind universelle Faschismen. Oder Kulturen spiritueller Vergewaltigung.

Jona floh bis in den Walfischbauch – es half alles nichts. Er musste Prophet werden, ob er wollte oder nicht. Bei Paulus nicht anders. „Wenn ich nämlich das Evangelium predige, so habe ich keinen Ruhm, denn es liegt ein Zwang auf mir; denn wehe mir, wenn ich das Evangelium nicht predige.“

Weltliche Menschen, die einer Passion folgen, empfinden ihre Leidenschaft auch oft als „Zwang“. Doch es ist eine selbstbestimmte Leidenschaft, die der Entwicklung des Menschen dient. Hat jemand seine Gaben entfaltet, fühlt er sich frei und zu sich gekommen. Er darf stolz sein auf seine unentfremdete Arbeit, die ihn mit sich versöhnt hat. Sein „Ruhm“ ist die Zufriedenheit, aus seinem Leben etwas gemacht zu haben.

Ein religiöser Mensch darf sich nicht selbst-entfalten. Er muss, im Dienste eines Höheren, einem Befehl gehorsam sein. Seine Pflicht ist es, einem äußeren Ruf zu folgen, die Befehle eines Mächtigen zu befolgen. Hat er seine Pflicht getan, muss er zur Seite treten.

„Welcher ist unter euch, der einen Knecht hat, der ihm pflügt oder das Vieh weidet, wenn er heimkommt vom Felde, daß er ihm alsbald sage: Gehe alsbald hin und setze dich zu Tische? Ist’s nicht also, daß er zu ihm sagt: Richte zu, was ich zum Abend esse, schürze dich und diene mir, bis ich esse und trinke; darnach sollst du auch essen und trinken? Dankt er auch dem Knechte, daß er getan hat, was ihm befohlen war? Ich meine es nicht. Also auch ihr; wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprechet: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren.“ ( Neues Testament > Lukas 17,7 ff / http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/17/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/lukas/17/“>Luk. 17,7 ff)

Vergewaltigung ist ein übles Wort. Lieber sprechen die Experten von Widerfahrnis. „Die Berufung ist nach dem Selbstzeugnis der Propheten ein Widerfahrnis, das sie unwiderstehlich überwältigt. Mit der ganzen Existenz von Gott als sein Bote beschlagnahmt, wird ihm Verzicht und Opfer bis zum Leiden und Martyrium auferlegt.“ (RGG) Ein Widerfahrnis ist ein „Ereignis, dem ein Mensch ausgesetzt ist, für das er nichts kann“. Es stößt einem etwas zu, was nicht Folge eigenen Tuns und Lassens ist.

Sollte man die gesamte christliche Moderne mit einem Begriff wiedergeben, müsste man sagen: alles, was geschieht, ist Widerfahrnis. Mit Menschen hat die Klimakatastrophe, die Friedlosigkeit unter den Völkern nichts zu tun. Sie mühen sich redlich, doch ihr Tun zeigt Wirkungen, die nicht von ihnen sein können und von denen sie sich distanzieren. Inshalla, Kismet, Schicksal, Heilsgeschichte, Evolution, der Markt, der Fortschritt. Gewaltige Elemente ziehen über uns hinweg und durch uns hindurch. Wir taten nur unsere Pflicht und waschen unsere Hände in Unschuld.

Man stelle sich vor, Genies würden feststellen, es gebe weder Geschichte noch Heilsgeschichte. Alles, was sich ereignete, sei auf unserem eigenen Mist gewachsen. Im Spiegel der planetarischen Ereignisse sähen wir uns selbst. Wir würden vor Scham im Boden versinken.

Damit wir der Scham entkommen, haben wir Götter, Märkte und Schicksalsgöttinnen erfunden. Jetzt dürfen wir uns als Getriebene und Unschuldige darstellen. Die Welt ist dem homo sapiens ein Widerfahrnis. „Der Löwe brüllt – wer fürchtet sich nicht? Gott der Herr redet – wer weissagt nicht?“ Wenn Gott redet, weissagt der Mensch, indem er die Rede Gottes nachplappert. „Denn so sprach der Herr zu mir, als seine Hand mich packte und er mich warnte, auf dem Wege dieses Volkes zu wandeln.“ „Du hast mich betört, o Herr und ich habe mich betören lassen; du bist mit Gewalt über mich gekommen und hast obsiegt.“ „Der Geist aber hob mich empor und entrückte mich und ich ging voll bitteren Unmuts und die Hand des Herrn lastete schwer auf mir.“

Das Neue Testament spricht von einem „auserwählten Werkzeug“, das die Befehle des Herrn ausführen muss. Der Knecht Gottes ist der Sklave Gottes, der keinen eigenen Willen kennt. Als der Gekreuzigte nur ein wenig aufmüpft: „Herr, lass diesen Kelch an mir vorübergehen“, muss er sich sofort wieder beugen: „Doch dein Wille geschehe“.

Bei den Gehirnforschern ist der Mensch Sklave seines Leibes und Gehirns, bei den Theologen Sklave seines Schöpfers, des Töpfers, der aus Lehm nach Belieben Gutes und Schlechtes machen kann: „Oder hat der Töpfer nicht Macht über den Ton, aus der nämlichen Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andre zur Unehre zu machen?“

Wer an einen allmächtigen Gott glaubt, sich selbst nur als Würmchen betrachtet – wie kann der hoffen, einen eigenen Willen zu besitzen? Die Katholiken reden vom freien Willen – den der junge Augustin von den Griechen übernommen hatte, bevor er zu Gottes Prädestination überging –, doch nur, um alle Schuld am Weltelend dem Menschen zuzuschieben. Erstaunlich, wie derselbe Theologe in einem Atemzug vom freiem Willen und von Vorherbestimmung reden kann, ohne zu erröten.

Priester sehen sich als Statthalter Gottes auf der Welt. Für den Schöpfer und seine Priesterkaste sind Menschen verfügbares Menschenmaterial. Ersetzt Schöpfer durch den allmächtigen Markt und ihr seid im Credo des Neoliberalismus.

Luthers Demutsformel lautete: Jeder bleibe im Stand, in den ihn Gott berufen hat. Amerikas gewendeter Calvin würde sagen: Jeder bleibe im System, in das ihn Gott versetzt hat.

Zur amerikanischen Freiheit der Naturausbeutung gibt es keine Alternative. Sie müssen tun, was sie tun müssen, um ihre Seligkeit im Himmel und auf Erden zu erringen. Sie können nicht anders, ein Zwang liegt auf ihnen. Haben sie ihre Pflicht erfüllt, sollen sie vor Gott treten und sagen: Wir sind unnütze Knechte, der Ruhm gebührt nur Dir, oh Herr.