Kategorien
Tagesmail

Von vorne XXXVIII

Von vorne XXXVIII,

„Die USA markierten mit der Apollo-11-Mission ihren Anspruch als große, unangefochtene Führungsmacht der Welt. Zugleich konnten sich aber alle Erdenbürger freuen, weil plötzlich deutlich wurde, dass die Menschheit als Ganzes etwas Großartiges erreicht hatte. Jeder konnte sich in diesem Moment als Teil einer friedlichen, glücklichen Weltgemeinschaft fühlen, unabhängig von Herkunft oder Hautfarbe.“ (SPIEGEL.de)

Friedliche und glückliche Weltgemeinschaft durch technischen Fortschritt? Das war das Halluzinogen von Zukunftsphantasten, verbreitet mit Hilfe quotengieriger Weltmedien. Die Wirklichkeit sah gänzlich anders aus.

Max Nicholson, führender Kopf im internationalen Naturschutz, schrieb wenige Monate nach der Mondlandung am 19. Juli 1969:

„Der Stolz, den Mond erreicht zu haben, ist zerronnen gegenüber der demütigen Einsicht, es so weit gebracht zu haben, dass wir unseren eigenen heimatlichen Planeten in einen Slum verwandelten. Ganz plötzlich ist der Kampf einer kleinen Minderheit für Naturschutz von einer breiten Welle des erwachten Bewusstseins breiter Massen aufgenommen wurden. Alte Werte, Denkmuster und eingefahrene Praktiken stehen auf der ganzen Welt unter Beschuss. Was wir erleben, ist eine Umweltrevolution.“ (in: Joachim Radkau, Die Ära der Ökologie)

In Amerika begann die moderne Ökobewegung, die die Erde in eine friedliche, naturgemäß lebende, gleichberechtigte Weltgemeinschaft verwandeln wollte. Die „Freunde der Erde“ („Friends of the Earth“), gegründet von David Brower, prägten den Slogan, der die Welt umrunden sollte: Global denken, regional handeln (Think globally, act locally).

Der Slogan bedeutet, den Einklang von Mensch und Natur, die Verträglichkeit

aller Völker für möglich zu halten und mit der erdumspannenden Reparatur dort zu beginnen, wo jeder lebt.

Die Grünenbewegung in Deutschland war ein Import aus dem – damals – vorbildlichen Land der Befreier, das gegenwärtig von Präsident Trump mit der Abrissbirne zerlegt wird.

1966 führte Robert Kennedy die erste Protestbewegung gegen die Verschmutzung des Hudson und das Projekt eines Wasserkraftwerks an.

1968 gründete sich in der Accademia di Lincei der Club of Rome. Die ersten Hearings über die von Rachel Carson behaupteten Schadenswirkungen des DDT fanden statt.

1969 bis 1973: Erste Dürrekatastrophe in der Sahelzone.

1970: „Tag der Erde“ (Earth Day) mit 10 000 Teilnehmern in Washington und 20 Millionen weltweit.

1970: erster Umwelttitel des SPIEGEL („Vergiftete Umwelt“)

1971: Greenpeace in Vancouver gegründet.

1972: Gründung der deutschen Dachorganisation BBU (Bundesverband der Bürgerinitiativen Umweltschutz) und Präsentation des ersten deutschen „Ökologischen Manifests“ von Hubert Weinzierl und Konrad Lorenz.

In diesen Jahren erschienen die ersten aufrüttelnden Bücher von: Bookchin-Herber, Barry Commoner, Roderick Nash, Dubos-Ward, Lewis Mumford, Meadows, dem Club of Rome.

Führt ein direkter Weg von der Mondlandung zur ökologischen Utopie? Kann technischer Fortschritt eine humane Zukunftsvision begründen?

Rein zufällig erschien in den 70er Jahren Alvin Tofflers Buch „Zukunftsschock“, das von Robert Jungk im SPIEGEL besprochen wurde:

„Dabei ist Tofflers Buch die anklagende, oft erschütternde Darstellung einer monumentalen Fehlentwicklung der westlichen Gesellschaft. Noch nie ist mit einer solchen Überfülle von Fakten gezeigt worden, wie technischer Fortschritt, der über den Produkten die Produzenten vernachlässigte, zu einer kollektiven Erkrankung führte, für die der Autor den Terminus „Zukunftsschock“ fand. Opfer dieses Leidens sind wir alle, die physisch und psychisch zu viele Veränderungen in einem zu kurzen Zeitraum durchmachen müssen. Diesen immer neuen Einbruch der Zukunft in die Gegenwart können die Zeitgenossen nicht mehr verkraften. Angst, Apathie, Depressionen, Gewaltausbrüche sind einige der zahlreichen Manifestationen dieses Anpassungsmankos, das mit jedem Jahr zunimmt.“ (SPIEGEL.de)

Hellsichtige Worte Jungks über Toffler, dessen Analysen heute zutreffender sind denn je. Hat sich irgendwas geändert?

Ja, alles wurde schlimmer. Die Menschheit hat ein halbes Jahrhundert in die Pfanne gehauen. Statt Bremsen und Stoppen der Naturverwüstung, eskalierte sie in einer atem-beraubenden Weise. Ökologische Globalisierung wurde zur ökonomischen, die die Welt in einen ausgetrockneten, überhitzten Erdball verwandelt.

Die Mondlandung wurde zum Paradigma zukünftiger Raketenflüge zum Mars und Mond, mit denen Superreiche die Erde ihrem Verderben überlassen wollen. Der Fortschritt entlarvte sich als das, was er von Anfang an war: als Eskapismus aus der verdorbenen „Schöpfung“ in eine transzendente Überwelt – für wenige Auserwählte. Die Menschheit wird zur massa perditionis, zur Masse der Verlorenen.

Schon damals spürte Jungk das kommende Schicksal der Ökobewegung, die bis zum heutigen Tage weder von Rechten noch Linken zu ihrer Herzensangelegenheit gemacht wurde:

„Wohl geht zur Zeit eine Flut von futurologischen Büchern und Artikeln auf die von Zukunftsangst geplagten Zeitgenossen nieder, aber ihre Erkenntnisse bleiben Worte. Sie dürfen nicht in die Alltagswirklichkeit umgesetzt werden, denn das wäre angeblich „angesichts der angestrengten wirtschaftlichen Situation durchaus unrealistisch“. Also: Morgen, morgen, nur nicht heute. „Manana“ heißt neuerdings auf deutsch „Prognose“. Aber wer soll und kann diese Vorschläge verwirklichen? Die Rechte, die bei allem Revolutionsgerede im Grunde nichts ändern will? Die Linke, die auch das Neueste immer wieder durch schon etwas betagte Konzepte erklären zu können glaubt?“

Die Rechte, die sich gern konservativ nennt, will alles bewahren, nur nicht die Natur. Darf sie auch nicht, sofern sie christlich sein will. Denn ihr Gott will die finale Zertrümmerung der Welt. Amerikanische Biblizisten kennen ihre Schrift, glauben an die johanneische Apokalypse und lehnen jede Naturrettung als Teufelswerk ab.

Deutsche Christen wissen nicht einmal, dass es ein Altes Testament und ein Neues Testament gibt. Massenweise treten sie aus der Kirche aus – um noch bessere Christen zu werden, die mit den Machenschaften des Klerus nichts zu tun haben. Doch von den heillosen Dogmen ihres Glaubens wollen sie nichts wissen.

Und was meint Jungk mit den „etwas betagten Konzepten“ der Linken? Alles, was irgendwie nach Marx klingt. Eine finale Naturzerstörung kann es nach Marx nicht geben. Nur eine vorübergehende durch den Kapitalismus, die jedoch unerlässlich ist, um dessen Wunderwerke zu vollenden. Erst im Reich der Freiheit wird die Revolution für Harmonie sorgen. Die Menschheit – ihr kollektives Bewusstsein – ist zu allem unfähig. Das Sein oder die Heilsgeschichte der Materie lässt es sich nicht nehmen, das Wunder am Ende aller Tage allein zu vollbringen:

„Marx hatte nachgewiesen, „dass die bestehende kapitalistische Ökonomie aufgrund ihrer verkehrten Logik die lebendige Arbeit und die lebendige Natur ignorieren, ja negieren muss, sodass erst nach einer revolutionären Aufhebung dieser verkehrten ökonomischen Basis, die vereinigt handelnden Produzenten einer befreiten Gesellschaft in der Lagesein werden, ihre Lebensverhältnisse von der lebendigen Arbeit und der lebendigen Natur her gestalten zu können.“ (Ökologische-Plattform.de)

Zudem ist Arbeit, die Zertrümmerung der Natur, überlebensnotwendig für den Menschen. Denn „Arbeit ist die „erste Grundbedingung allen menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, dass wir in gewissem Sinne sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.“ (Marx)

Im Gothaer Programm, noch heute von der SPD anerkannt, ist zu lesen:

„Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur.“

Gott schuf den Menschen aus Lehm, den er beatmete. Marxisten erschaffen den Menschen aus Materie, die sie mit Arbeit veredeln. Marx spricht von Resurrektion (Auferstehung) der Natur.

Geist, Denken, Muße ist alles nichts: malochen auf Kosten der Natur ist alles. Bis heute haben die Proleten es nicht für nötig gehalten, den Moloch Arbeit zu stürzen. Obgleich die meisten nicht mehr mit ihren Händen arbeiten, wollen sie dennoch Arbeiter bleiben: Kopfarbeiter.

In allen Grundprinzipien ist Marx ein Schüler Hegels geblieben:

„Über diesem Tode der Natur geht eine schönere Natur, der Geist, hervor.“

„Arbeiten heißt die Welt vernichten oder fluchen. Das Geschäft der Weltgeschichte ist die Arbeit, den Geist zum Bewusstsein zu bringen.“

Wie passen die beiden Sätze marxistisch zusammen? Vernichtende und fluchende Arbeit ist notwendig in der kapitalistischen Vorlaufzeit, im Reich der Freiheit tritt der Geist ans Licht und erntet die paradoxen Früchte des Arbeitsfluchs. Alles Gute kommt zustande durch sein Gegenteil: eherner Grundsatz der Dialektik.

Die Maxime von der Kreativität des Bösen gilt für Kapitalismus und Sozialismus; einer der wesentlichen Gründe, warum beide Systeme nicht daran denken, die Natur zu retten. Sie wird gerettet – durch Vernichtung. Das nennen einige Geschichtsoptimismus. Der Bund mit dem Teufel ist das Arcanum Gottes.

Gottgläubige tun nichts, um Natur zu retten, denn sie vertrauen Gott; Marxisten und neoliberale Evolutionisten tun nichts anderes, sie glauben an eine allmächtige Geschichte.

Das Elend der SPD ist die vollständige Verdrängung ihrer Vergangenheit: Natur muss vernichtet werden, damit das Reich des Geistes komme. Hegel und Marx verbleiben im eisernen Gehäuse des christlichen Dogmas.

Und was ist mit den Grünen? Bereits in ihren frühen Jahren warfen ihnen die Medien mangelhafte Konkretisierung ihrer politischen Pläne vor.

In ihrem kleinen Büchlein „Philosophie der Grünen“ beschrieb Manon Maren-Grisebach, eine ihrer ersten Bundesvorsitzenden, den ganz anderen Habitus der Grünen – der vor allen in einem stillen, müßigen Leben der Poesie bestehe.

„Der Finanz- und Geschäftsbetrieb erregt eher Ekel.“ Grüne seien ganz anders als die außengeleiteten, uniformen Konsumsklaven des Kapitalismus:

„Allein das Aussehen ist Zeichen dieses Inneren: selbstgestrickte Pullover, Sandalen aus Leinen oder Rohleder, nein, da wird keiner vom Hang zum Luxus getrieben. So rücken wir zusammen in Wohngemeinschaften, erdhockend oder im Gras, sind gern still miteinander. Sie stehen zusammen in Schweigeminuten, Schweigestunden. Stille als Sehnsucht gegen den Lärm des Getriebes, als Möglichkeit zur Sammlung im Innern. Die verlorene Sinnlichkeit wieder erobern mit Schmecken von Wurzeln, Fühlen, barfuß auf Moos oder Bachkieseln. Auf ihren politischen Versammlungen lesen sie Gedichte vor. Traum und Geheimnis, Phantasie und Meditation wollen wir in unsere Mitte aufnehmen.“

Heute gehören die Grünen zur höheren Mittelklasse, Gedichte werden auf ihren Parteitagen nicht mehr vorgetragen. Nur ihre Lichtfigur Habeck, Verfasser von Kinderbüchern, lässt, vor allem bei Frauen, geheime Sehnsüchte aufkommen – auch poetische.

Oh, grüne Geschwister der Natur, so berichtet doch, was euch geschah, dass ihr euch so verändert habt!

Beginnt eine Bewegung im kompromisslosen Reich des Denkens, hat sie schlechte Karten, wenn sie an die Macht will. Ihre selbstdenkende Radikalität – so glaubt sie – muss sie abschütteln und einem Kurs folgen, den Joschka Fischer nicht erfand, dem er nur als Getriebener folgte. Alle Gegner Fischers sind verschollen, er selbst, wie sein Kompagnon Schröder, räkeln sich in den Daunenfedern des Kapitalismus.

Solches geschah mit allen Parteien, die auf ihre Radikalität stolz waren – und als kompromiss-süchtige Bettvorleger endeten. Aber in Macht. Schließt Macht Geist aus?

Sokrates entsagte der Macht, um seinem aufrüttelnden Geist nicht untreu zu werden. Jesus, sein religiöser Schüler, entsagte der weltlichen Macht, ließ sich kreuzigen, aber nur, um in Glanz und Gloria aufzuerstehen und, sitzend zur Rechten des Vaters, die Welt zu richten. Die Letzten werden die Ersten sein, per aspera ad astra, durch Kreuz zur Krone. Platon wollte seinen idealen Staat durch Gewalt errichten.

Das war die eine Seite. Epikuräer, Kyniker hielten sich von der Politik entfernt, wählten das Abseits im Garten oder die kompromisslose Rückkehr zur Natur. Die Stoiker wagten sich gelegentlich in die Politik, fanden im Hellenismus, vor allem in roma aeterna begeisterte Schüler, denen es gelang, ein Weltreich mit friedlicher Gesinnung zu erfüllen – allerdings nicht im Ökonomischen. Doch was immer sie taten, sie legten Wert auf Ataraxie, die geistige Unabhängigkeit von Glanz und Gloria.

Die modernen Demokratien begannen in einem Furor der Freiheit und Menschenrechte. Je länger sie an der Macht sind, je mehr verliert sich der feurige Geist der Frühe. Unvermeidlich?

Nur, wenn die Demokratien sich mit Wirtschafts- und Weltmachtgelüsten bis zur Neige infiltrieren lassen. Eben dies geschah.

Philosophische Sehnsüchte nach Gleichheit und Geschwisterlichkeit werden peu à peu erstickt in Wohlstand und Arroganz der Macht.

Die moderne Demokratie – wenn sie überleben will – muss lernen, zweispurig zu fahren. Das Klima einer Polis darf keinen Gedanken aus tagespolitischen Gründen seiner Klarheit und Schärfe berauben und durch Kompromisse verstümmeln. Nur im engsten Bereich politischer Entscheidungen dürfen Kompromisse eine Zeit lang geduldet werden. So lange, bis die Koalitionen wieder zerbrechen und alle zurückkehren zur unbeschädigten Intaktheit ihrer Prinzipien.

Wahlkämpfe dürfen nicht mit prophylaktisch verstümmelten Kompromissen durchgeführt werden. Jede Partie hat knallhart zu formulieren, was sie denkt. Da die meisten Parteien durch Kompromisse verstümmelt sind, degeneriert der Wahlkampf zu inhaltslosen Floskeln. Das kann sich nur ändern durch retour à l‘origine der Gründungsgedanken – oder hinzu gewonnener Erfahrungen.

Warum gibt es keine Debatten in bestechender Klarheit? Warum keine erkenntnisbringenden Talkshows? Weil „Verantwortungsethiker“ kompromisslose „Gesinnungsethiker“ ablehnen, es als Zumutung betrachten, sich mit „unbefleckten“ Gedanken zu beschmutzen. Sie wollen als schlachterprobte Kämpen auftreten, deren Kompromiss-Narben vom Ruhm ihrer Heldentaten erzählen.

Hier hülfe nur eine polare Gesellschaft. Polar heißt nicht widersprüchlich. Man muss streng das Vorzeichen der jeweiligen Debatte beachten. Geht es um Machtausgleich der Interessen – oder um kompromisslose Debatte der Sache selbst?

Die jugendlichen Klimademonstranten werden immer misstrauischer beäugt. Wie einst den Grünen wirft man ihnen unkonkrete politische Ziele vor. Sie seien radikal und somit totalitär. Nicht mehr lange und sie werden jenen Jugendbewegungen nacheifern, die im Faschismus und Nationalsozialismus endeten.

„Die Ökopaxe stellen eine religiöse Bewegung dar, eine spirituelle Alternative für nicht praktizierende Christen, Muslime, Juden und Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften. Es ist nicht die Lehre von der heilen Welt, sondern die Lehre von der Notwendigkeit, die Welt zu heilen. Eine egalitäre und zugleich totalitäre Weltanschauung, die jedem, der mitmacht, das Gefühl gibt, dass es auf ihn ankommt, also so etwas wie Sozialismus ohne Klassenkampf.“ (WELT.de)

Wird das Gefühl vermittelt: auf dich kommt‘s an, kann es sich weder um Sozialismus noch um Faschismus handeln. Ist Demokratie nicht jene Form gleichberechtigter Politik, bei der es auf jeden ankommt? Zeichnet sich nicht jedes zoon politicon durch Autonomie aus?

Im völkischen Faschismus heißt es: Du bist nichts, das Volk ist alles. Im Sozialismus entscheidet die Partei. Nicht in eigener Vollmacht, sondern als Sprachrohr der materiellen Heilsgeschichte.

Nicht alles, was radikal ist, muss eine Religion sein. Griechische Philosophien waren radikal, aber – mit Ausnahme Platons – nicht totalitär.

Apart, die herrschenden Religionen mit Schweigen zu übergehen, rationale Wissenschaften aber in Bausch und Bogen als Religionen zu diffamieren. Jeder klare Gedanke wird heute als radikal, jede Radikalität als totalitär geschmäht.

Veränderungen der Maschinenwelt hingegen dürfen herrlich disruptiv sein. Disruption ist Bruch mit der Vergangenheit. Wird eine Gesellschaft nicht befragt, ob sie den Bruch billigt, muss er als faschistische Aktion gelten. Technische Visionen aus Silicon Valley können nicht brutal-radikal genug sein: da jubeln die Herzen der totalitären Zukunftsbeglücker und ihrer medialen Propheten.

Es geht noch besser. Ein Gymnasiallehrer klagt über lernunfähige SchülerInnen, die keine Selbstkritik kennen und nur noch hören wollen, was ihren eigenen Standpunkt bestätigt:

„In den letzten Jahren ist es mühsamer geworden, mit Schülern der gymnasialen Oberstufe rational über gesellschaftspolitische Themen zu diskutieren. In fast jedem Politik-Kurs gibt es Schüler, die mit Inbrunst Fakten anzweifeln und unverdrossen eigene „Erkenntnisse“ dagegenstellen. Über Klimafragen kann man mit politisch aktiven Schülern kaum noch rational diskutieren, weil einem allein das Beharren auf Fakten den Vorwurf einbringen kann, man gehöre zum Klub der „Klimaleugner“. Schuld an dieser konfrontativen Diskussionskultur ist die moralische Überhöhung der Politik. Wer für sich moralische Untadeligkeit in Anspruch nimmt, ist schnell bei der Hand, den Diskussionspartner, der das eigene Weltbild nicht teilt, als Ignoranten oder Freund der Auto-Lobby abzukanzeln. Die Schüler sollten Fakten nicht deshalb leugnen, weil sie unbequem sind und das eigene Narrativ von der bevorstehenden Katastrophe nicht unterstützen. Man möchte ihnen nicht wünschen, dass sie sich in der Rolle des Don Quijote wiederfinden, der seinem Diener Sancho Pansa sein närrisches Credo verkündet: „Tatsachen, mein Lieber, sind die Feinde der Wahrheit.“ (WELT.de)

Lehrer haben das Recht, ihre Schüler zu zensieren. Da es in der Klimafrage um Sein oder Nichtsein geht, gibt es also Zensuren im Fach: Überleben oder Sterben. Wer kompromisslos überleben und sich keinem kompromisslerischen Sterben hingeben will, kann sich ein Einser-Abitur abschminken. Welche Kompromisse gibt es zwischen Leben und Sterben? Geht es hier nach Monaco Franze: a bisserl was geht immer?

Die Welt debattiert seit Jahrzehnten diese Klimafragen. Ein deutscher Lehrer beherrscht alles aus dem Effeff und kann jeden Schüler beurteilen, der sich anmaßt, eine andere Meinung zu haben. Welche Bücher wurden gelesen, welche Wissenschaftler befragt?

Täglich sind die Gazetten voller Unheilsmeldungen aus aller Welt, von der brennenden Arktis bis zum „Tag der Erschöpfung“: die Menschheit verzehrt vier bis fünf Welten, anstatt sich mit der zu begnügen, die ihr die Evolution gewährt hat. Wie kommt es, dass die Mehrheit der Wissenschaftler sich mit der FfF-Bewegung solidarisiert? Was der Zensor seinen Abhängigen vorwirft, tut er selbst: mit seiner unanfechtbaren Bewertung verübt er geistige Gewalt über seine Klassen.

In den 70er Jahren schrieb der amerikanische Historiker Lynn White Jr. einen aufsehenerregenden Artikel über die Ursachen der Klimakatastrophe:

„In seiner abendländischen Form ist das Christentum die anthropozentrischste Religion, die die Welt je kennen gelernt hat. Der Mensch teilt in großem Maße Gottes Transzendenz der Natur. In vollständigem Gegensatz zum antiken Heidentum und zu den asiatischen Religionen führte das Christentum nicht nur einen Dualismus zwischen dem Menschen und der Natur ein, sondern betonte, dass Gottes Wille geschehe, wenn der Mensch die Natur für seine eigenen Ziele ausbeutet. Indem das Christentum die heidnische Naturbeseelung zerstörte, schuf es erst die Voraussetzungen für eine Ausbeutung der Natur. Folglich werden wir weiterhin in einer sich verschlimmernden ökologischen Krise leben, bis wir den christlichen Grundsatz verwerfen, dass die Natur keine andere Existenzberechtigung hat, als dem Menschen zu dienen.“ (In „Gefährdete Zukunft, Prognosen angloamerikanischer Wissenschaftler)

Joachim Radkau, deutscher Öko-Historiker, wendet gegen White ein: „In der christlichen Tradition gab es nicht nur die sündige, durch den Sündenfall zum Verderben verurteilte Natur, sondern auch die Natur als Schöpfung Gottes: das hat Lynn White nicht beachtet. Das Dominium-terrae-Gebot des alttestamentlichen Gottes (Macht euch die Erde untertan) verpflichte auch zum Schutz der Erde. Die Arche Noah wurde zur Ikone der Ökobewegung: Symbol der Verantwortung für die Erde, wobei der Umweltschützer in die Rolle eines von Gott begnadeten Erzvaters rückt.“ (aaO)

Wenn man nur als begnadeter Erzvater Naturschützer sein kann, können sich 99% aller Menschen das Naturschützen abschminken. Nur die von Gott Erwählten wären wahre Ökologen. Amen. Noah war kein Retter der Erde, sondern lediglich seiner Familie und auserwählter Tiere. Sehr gut war die Natur am Anfang, danach wurde sie irreparabel zur Beute des Teufels – bis sie am Ende der Tage demontiert und vollständig erneuert wird.

Im Gegensatz zu den meisten amerikanischen Ökologen machten die deutschen Grünen einen verhängnisvollen Fehler: die Rettung der heidnischen Natur, die keinen Schöpfer kennt, machten sie zur Bewahrung der Schöpfung.

Der Grund liegt an dem charismatischen Herrn, von dem der folgende Satz stammt:

„Damit entspricht die völkische Weltanschauung dem innersten Wollen der Natur, da sie jenes freie Spiel der Kräfte wiederherstellt, das zu einer dauernden gegenseitigen Höherzüchtung führen muss. Wir alle ahnen, dass in ferner Zukunft Probleme an den Menschen herantreten können, zu deren Bewältigung nur eine höchste Rasse als Herrenvolk, gestützt auf die Mittel und Möglichkeiten eines ganzen Erdballs, berufen sein wird.“ (Mein Kampf)

Und welches Problem musste bald bewältigt werden? Die Vernichtung einer gefährlichen Rasse, die gleich giftigen Bazillen die reine Natur zerstören würde. Und das soll Ökologie sein?

Weil die Grünen fürchteten, sie könnten als Neonazis betrachtet werden, wenn sie die Natur schützen, liefen sie komplett über ins christliche Lager und wurden zu Nachbetern einer blitzschnell erfundenen Bewahrung der Schöpfung.

Gewiss, es gab naturschützende Elemente bei diversen Wandervogelbewegungen, die später fast geschlossen zum Führer überliefen. Doch im Ganzen wird übersehen, dass der Nationalsozialismus keine germanische, sondern eine christlich-eschatologische Bewegung war. Sie wollte die Natur durch rassische Höherzüchtung in eine göttliche Übernatur verwandeln, in der deutsche Herrenmenschen als Ebenbilder Gottes herrschen würden.

Mit schändlichen Schulderklärungen gelang es den deutschen Kirchen, ihre fanatische Unterstützung des Sohnes der Vorsehung ungeschehen zu machen. Für die Grünen gab es kein Halten mehr, sich als ökologische Noahs zu betätigen. Dass der Schöpfer höchstselbst seine Schöpfung aus dem Verkehr ziehen würde, ignorieren die Grünen bis heute.

In den 70er Jahren leitete Willy Brandt im Auftrag der UN eine „Nord-Süd-Kommission“, um politische Lösungen des Klimaproblems auszuloten. Die „unterentwickelten Staaten“ sollten aufhören, den reichen westlichen Staaten nachzueifern.

«Es gilt», schrieb Brandt, «von der ständigen Verwechslung zwischen Wachstum und Entwicklung loszukommen. Stattdessen sollte das eigentliche Ziel der Entwicklung eines Landes stärker betont werden, das in dessen Selbsterfüllung und schöpferischer Partnerschaft liege.» Die Industrieländer sollten einsehen, dass sie zu viel Reichtum hervorbrachten und in falsche Hände legten. Internationale Unternehmen sollten stärker kontrolliert werden.“ (In Arthur Herman, Propheten des Niedergangs)

Nichts davon wurde wahr. Im Gegenteil: die westlichen Länder kamen in neoliberales Fieber und barsten vor Wachstum und Beherrschung der Völker. Was blieb diesen anderes übrig, als sich mit aller Macht zu wehren, die Weststaaten zu imitieren und einzuholen, ja, sie zu übertreffen?

Eben dies ist eingetreten. Trumps Wüstlingskurs ist das Eingeständnis Amerikas: mit uns geht’s bergab. Geht’s abwärts mit der Alphanation, folgen die Europäer wie hörige Hündlein. Wenn Amerika Schnupfen hat, bekommt Europa eine Lungenentzündung.

Arthur Herman bewertet die Ökobewegung als Geschichtspessimismus. Die Aufklärung hätte apokalyptische Propheten als Feinde der humanen Zivilisation betrachtet. Gewiss wird es düstere Schwarzseher geben, die sich ökologischer Erkenntnisse bedienen. Doch wahre Naturschützer wollen die Natur bewahren. Sie reden von der Gefahr der Apokalypse – um sie zu bekämpfen.

Was ist das Ziel einer ökologischen Politik? Das Leben des Menschen in Übereinstimmung mit der Natur. Nach diesem Maßstab, so urteilt der ökologische Schriftsteller Edward Abbey, „wären die australischen Aborigines, die afrikanischen Buschmänner und vielleicht die Hopi in Arizona die einzigen ökologisch lebenden Völker.“

Daraus folgert Jerry Mander, ein amerikanischer Öko-Aktivist:

„Die eingeborenen Gesellschaften, nicht unsere eigene, halten den Schlüssel zum Überleben in der Hand.“

Nun kann der Westen beweisen, dass er lebenslang lernen kann. Lebenslang – setzt Leben voraus.

 

Fortsetzung folgt.