Kategorien
Tagesmail

Von vorne XXXIX

Von vorne XXXIX,

Hiroshi Ishiguri „ist einem jahrtausendealten Menschheitstraum inzwischen recht nahegekommen: ein perfektes Abbild des Menschen zu schaffen.“ (SPIEGEL.de)

Ein uralter Menschheitstraum? Existiert nicht mal als Artikel in Wikipedia. Menschheitsträume zum ewigen Frieden gelten in der Zivilisation als Wahnvisionen, Fieberträume gottgleicher Golems jedoch gehören zur DNA der Menschheit. Unter ihnen die Raumfahrt. Vor 50 Jahren gehörten jene Träume nicht mal zur DNA des SPIEGEL:

„Es ist an der Zeit, die Hoffnung zu begraben: Der Weltraum ist nicht unsere New Frontier, ist nicht der Raum, in dem die Menschheit über sich selbst hinauswächst. … eine kosmische Bewußtseinsbildung findet dennoch nicht statt. Jede irdische Utopie hat da bessere Chancen. Deshalb ist uns die bemannte Raumfahrt auch so schnell langweilig geworden. Sie zeigt, daß Menschen imstande sind, selbst Träume Wahrheit werden zu lassen. Aber sie zeigt auch, was daraus folgt: nämlich gar nichts. Die gewaltige Konzentration materieller und geistiger Kräfte, die den Mondschuß zuwege gebracht hat, ist offensichtlich nicht anwendbar auf die Probleme der Umweltverschmutzung, ist nicht wiederholbar zur Rettung der Flüchtlinge, die in Pakistan verhungern oder gemetzelt werden.“ (SPIEGEL.de)

Dieselben Probleme wie heute. Heute werden sie nicht einmal mehr erwähnt, geschweige zur Debatte gestellt. Das kann man Fortschritt in Verdunkelung nennen.

Ungeheure Geldmassen werden ins All geschossen – auf Kosten der leidenden Erdbevölkerung. Mächtige Eliten deklarieren ihre privaten Verstiegenheiten als Menschheitsträume.

Framing oder Kunst des Kommunizierens wird heute genannt, was man früher Propaganda oder Agitation nannte. Himmelstrebende Dome und Kathedralen, phantastische Burgen und Schlösser standen am Anfang des Fortschritts, gefolgt 

 von immer gewaltigeren Maschinen und weltumspannender Gewalt über Mensch und Natur. Alles auf Kosten der Abgehängten.

Nur Leid und Entbehrungen würden Fortschritt zustande bringen, lehrten die Kulturbringer. Natürlich das Leid – der anderen.

Die Aufwärtsentwicklung der Menschheit erfordere Opfer und Entbehrungen – der anderen.

Obligate Priester segneten den Fortschritt als Annäherungen an die Wiederkunft des Herrn. Wenn ER der Menschheit nicht entgegenkommen wollte, sollte diese Ihm entgegengehen und die Erde planmäßig untertan machen, um Ihn zur Wiederkehr zu reizen.

Nennen wir Geist die Humanisierung der Menschheit und Technik die globale Machtergreifung, so war abendländische Geschichte ein Wettkampf zwischen Geist und Technik, Humanisierung und Machtergreifung.

Der Geist war nicht erfolglos. Er drängte Schloss- und Domherren zurück, befreite den Menschen von der Despotie des Heils und errichtete Demokratien in Freiheit und Würde. Doch mitten in den Demokratien wuchsen Machtzusammenballungen durch wirtschaftlichen Gigantismus und geniale Wissenschaft, die den Geist aushöhlten und die Humanität ins Gegenteil verkehrten. Alles im Namen des Fortschritts, der durch grenzenlose Quantität die beharrende Qualität der Menschlichkeit an den Rand drängte.

Naturwissenschaften, die seit Beginn der Neuzeit Erkenntnisinteressen in Machtinteressen verwandelten, gewannen immer deutlicher den Wettkampf gegen die Geisteswissenschaften, die mit Eroberungen des Globus und des Weltalls nicht mithalten konnten. Was taten sie in ihrer Verlegenheit? Sie imitierten die Naturwissenschaften und begannen den Geist zu quantifizieren.

Lässt sich Geist zerlegen, zählen und berechnen? Kurz vor dem Ersten Weltkrieg erklärte der Amerikaner John Broadus Watson, Begriffe wie Geist und Bewusstsein seien Worte ohne Inhalt. Ein halbes Jahrhundert später verkündete einer der bedeutendsten Uni-Professoren unserer Zeit – Burrhus Frederic Skinner – die endgültige Nichtexistenz von Geist und Ideen.

Die Psychologie schloss auf zur Ökonomie, die sich seit Entstehung des Frühkapitalismus als Naturwissenschaft gebärdet hatte: als Naturwissenschaft der Geschichte. Vor der Aufklärung war Geschichte noch das Revier eines unergründlichen Gottes.

Die Aufklärer, noch immer im Banne Newtons, verwandelten Geschichte in Natur. Geschichte könne berechnet werden wie Natur. Verteidiger und Kritiker des aufkommenden Kapitalismus waren sich einig: Geschichte funktioniert wie ein Uhrwerk der Natur. Gesetze des Uhrwerks waren invariabel, die Erkenntnis der Geschichts- oder Naturgesetze diente der Machtergreifung über Natur und Geschichte.

Alles, was berechenbar ist, kann auf Geist oder moralische Prägungen verzichten. Naturgesetze sind, wie sie sind, sie lassen sich von keiner Moral dreinreden. Geschichtsgesetze nicht anders.

Adam Smith befreite sich von Moral, die er mit christlicher Liebe verwechselte, um die Ökonomie von hinderlichen Fesseln zu befreien. Sein milder Stoizismus sorgte dafür, dass an die Stelle der Privatmoral eine Ökonomie trat, deren Gesetze selbst moralisch waren – wenn auch nicht dem äußerlichen Scheine nach. Dem Scheine nach musste alles egoistisch sein. Endergebnis aller Egoismen aber war – das Gesamtwohl der Nation.

Wie das? Durch eine Lücke im System, die nach dem Motto handelte: die Menschen gedenken es böse zu tun, doch ich sorge für das Gute. Das war die unsichtbare Hand, ein Relikt aus theistischen Zeiten, die den unberechenbaren Gott der Schrift in einen wohlwollenden Vernunftgott transformiert hatten.

Selbst Gott konnte also durch Vernunft perfektioniert werden. Smith misstraute der moralischen Kompetenz der Menschen, auf eine moralische Wirtschaft aber wollte er nicht verzichten. Also musste er Moral in das kapitalistische System hineinschmuggeln. Systemmoral befreit von individueller Moral.

Diese Halbheit konnte nicht lange gutgehen. Seine Nacheiferer warfen die unsichtbare Hand aus dem System und reduzierten die Ökonomie zur berechenbaren, moralfreien Geschichtswissenschaft. Berechenbarkeit der Natur wurde zur Berechenbarkeit der Geschichte. Moralische Einwürfe aus dem Munde des homo sapiens: unerwünscht, unzulässig und wirkungslos.

Homo sapiens, der weise, vernünftige Mensch, der etwas Besseres sein wollte als ein Uhrwerk, wurde reduziert zum homo rationalis oeconomicus, der von Natur aus egoistisch war wie das ganze System. War er doch ein atomares Teilchen des Systems.

Bei Newton war das Uhrwerk noch unvollkommen und musste von Gott, dem großen Uhrmacher, regelmäßig nachgestellt werden. Dieser Defekt widersprach Leibnizens Vorstellung von einem perfekten Schöpfer, weshalb er die Uhr zum vollkommenen Mechanismus perfektionierte. Die Geschöpfe wurden zu geistigen Atomen, die er Monaden nannte und unfähig waren, miteinander zu kooperieren. Alles wurde in prästabilierter Harmonie von Ihm gelenkt.

Ganz perfekt aber war auch Leibnizens Welt nicht. Er wäre Schwärmer gewesen, wenn er die Unvollkommenheit der Welt vollständig geleugnet hätte. Also blieb ihm nur, die beste aller möglichen Welten zu behaupten. Eine absolut perfekte Welt war selbst für einen Gott unmöglich. Um den Schöpfer dennoch als Inbegriff der Weisheit preisen zu können, lag es nahe, das Böse als Ingrediens der besten aller möglichen Welten zu begreifen.

Die Rechtfertigung Gottes (Theodizee) war gelungen. Zur vollendeten Schöpfung gehört das Böse so notwendig wie das Gute. Pia fraus, die gottgewollte Sünde, wurde zum eisernen Bestandteil der Moderne bis zum heutigen Tag. Wäre das System vollständig moralisch und frei vom Bösen, würde alles still stehen.

Die gegenwärtigen Gegner politischer und ökonomischer Moral sind die eifrigsten Befürworter des unbegrenzten Fortschritts. Amoral ist der Treibstoff, der die Gesamtmaschine in Bewegung hält. Stillstand wäre der Tod.

Wenn Ökonomie eine Naturwissenschaft sein soll, die sich durch Moral nicht steuern lässt: nach welchen Kriterien handelt dann der Mensch?

Wer Naturwissenschaftler sein will, darf keine Moral aus der Natur ziehen. Es wäre auch vergeblich, denn der Mensch ist ein determiniertes Wesen wie die Natur. Der Naturwissenschaftler benutzt die Gesetze, um sie als Machtinstrumente oder Werkzeuge im Dienst der Natur einzusetzen.

Man muss den Gesetzen dienen, um sie zu beherrschen: Bacons Formel ist umkehrbar. Wer Natur beherrschen will, muss ihren Gesetzen dienen. In dieser Formel ist der determinierte Mensch ein Teil der determinierten Natur, kein Geistwesen, das seine Moral in Freiheit bestimmt und betätigt.

Der naturalistische Fehlschluss – Zentraldogma aller Reduzierer des Geistes auf einen berechenbaren Mechanismus – verbietet jede Moral als Folgerung aus der Natur. Selbst wenn der Mensch eine eigenständige Moral formulieren könnte, wäre er, als Teil der Natur, unfähig, sie in die Tat umzusetzen. Wer determiniert ist von der Natur, hat alle Freiheit eingebüßt.

Doch der naturalistische Fehlschluss widerlegt sich selbst. Unfähig, der Natur seine Moral zu entnehmen, handelt der Mensch automatisch – nach der Natur, aus der er sich nicht lösen kann.

Das ist die Crux aller Geisteswissenschaften, die nichts als quantitative Naturwissenschaften sein wollen: sie handeln nach Gesetzen der Natur. Nicht einer menschenfreundlichen Natur, sondern einer darwinistisch-unerbittlichen Konkurrenznatur.

Das ist der Naturbegriff Hayeks, der dem Menschen vorschreibt, was er tun und lassen muss. Die Illusion, den Markt zu beherrschen, muss er sich aus dem Kopf schlagen. Das wäre eine „Anmaßung der Vernunft“. Alles in der Ökonomie – dem Herzstück der Moderne – gehorcht Gesetzen der Evolution. Die Natur allerdings kann er beherrschen nach Belieben.

Ist Evolution eine sich stets gleichbleibende, berechenbare Maschine? Oder verändert sie sich in großen Schritten?

Evolutionsforscher behaupten letzteres. Streng genommen fiele damit die Berechenbarkeit einer evolutionären Wirtschaft in sich zusammen. Eben dies ist die Meinung Hayeks, der den Markt für unberechenbar hält. Weshalb er zu einem willkürlichen Gott regrediert, dessen Walten sich alles unterwerfen muss. Der Neoliberalismus wird zur Gegenaufklärung. Der Mensch hat sich einem göttlichen, alle Vernunft übersteigenden Zufall unterzuordnen.

Wie gewonnen, so zerronnen. Die modernen Wissenschaften wollten sich durch Quantifizierung dem Zufall eines willkürlichen Gottes entziehen. Der Neoliberalismus aber führt sie zurück in die Gefangenschaft eines unberechenbaren Gottes.

„Ich wandte mich und sah, wie es unter der Sonne zugeht, daß zum Laufen nicht hilft schnell zu sein, zum Streit hilft nicht stark sein, zur Nahrung hilft nicht geschickt sein, zum Reichtum hilft nicht klug sein; daß einer angenehm sei, dazu hilft nicht, daß er ein Ding wohl kann; sondern alles liegt an Zeit und Glück.“

Marx ist konsequenter als Hayek. Auch er macht die Geschichte zu einer berechenbaren „Naturwissenschaft“. Denn alles wird von berechenbarer Materie bestimmt, die er als Sein deklariert. Bewusstsein ist nur die Marionette des Seins.

Dass Moral in der Ökonomie nichts zu suchen hat: darin sind sich Marx und Hayek einig. Während Hayek aber die berechenbare Maschine der unberechenbaren Evolution unterordnet, macht er sie zu einem Objekt des göttlichen Zufalls.

Marx hingegen bleibt bei der dominanten Geschichte, der sich der Mensch unterwerfen muss. Das Proletariat jedoch kann die Geschichte nicht prognostizieren. Das können nur auserwählte „Priester“ der Parteiführung, die, aus unerfindlichen Gründen, prophetische Fähigkeiten besitzen. Auch das wäre, wie bei Hayek, eine Regression ins Religiöse, denn Prophetie ist eine Offenbarung von Oben, keine Fähigkeit berechnenden Vorausschauens.

Nachdem Kapitalismus und Marxismus sich zu Naturwissenschaften erklärten, blieben andere Geisteswissenschaften in der Zirkuskuppel: ratlos. Historiker sind die Einzigen, die sich bis heute weigern, ihre Fakultät in eine berechenbare Naturwissenschaft zu verwandeln. Trotzig reagierten sie ins Gegenteil. Keine Epoche ist mit keiner vergleichbar, es gibt keine Gesetze, die sich wiederholen. Alles bleibt ein Panoptikum endloser Unvergleichlichkeiten.

Wären sie konsequent, müssten sich die Historiker gegen die Umwandlung von Ökonomie, Psychologie und Soziologie in Naturwissenschaften wehren. Denn dort wird der Mensch zum durchschaubaren Dividuum – dem berechenbaren Gegenteil eines unberechenbaren Individuums. Wie können historische Erkenntnisse unvergleichbar sein, wenn all ihre heteronomen Subjekte berechenbar wären?

Besonders in der Psychologie gab es einen spektakulären Übertritt von einer „verstehenden, einfühlsamen“ Wissenschaft in eine knallhart-berechenbare. Der Mensch als Geist wurde zur berechenbaren „Skinner-Ratte.“

Skinner wurde zu einem der einflussreichsten Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Es gelang ihm, Freud, seinen Gegner und dessen Psychoanalyse an den Rand der Bedeutungslosigkeit zu bringen.

Vor Skinner war Geist des Menschen sein Inneres, das er sorgsam erforschen musste, um das Humane vom Inhumanen zu trennen. Skinner erklärte das Innere des Menschen zur unerkennbaren black box. Alles Innerliche wurde gelöscht und für irrelevant erklärt.

Übrig blieb der Mensch als physiologische Maschine, die man von außen stimulieren und lenken kann wie Ratten, die man in einen Kasten setzt. Betätigt die Ratte zufällig einen Hebel, fällt ein leckerer Happen in den Kasten. Das verstärkt die Ratte im Glauben, ihrer eigenen Tätigkeit verdanke sie ihr gutes Leben. Dabei bleibt sie nur die Marionette äußerlicher Reize.

Das Vortäuschen eigener Kompetenz durch raffinierte Außenlenkung wird zum Grundgesetz der Moderne. Der Mensch wird zum gegängelten Wesen, das glaubt, über sich bestimmen zu können.

Über Autonomie macht Skinner sich lustig. Freiheit und Würde sind für ihn Nonsensbegriffe. Sein Zukunftsroman Futurum zwei ist ein totalitärer Staat („Dystopie“), der von unsichtbaren Verhaltensexperten wie eine Maschine programmiert wird. Skinner will „mit allen Kräften beweisen, dass menschliches Verhalten nichts als eine verfeinerte Form des Rattenverhaltens ist.“ (Arthur Koestler, Der Mensch als Irrläufer der Evolution)

Wird der Mensch zur Maschine, ist die Erfindung eines Roboters als Übermensch nur folgerichtig.

Alles dreht sich heute um Techniken außengeleiteter Manipulation wie in der Werbung, im Framing, Nudging, in den fake news, beim Erfinden unverständlicher Fremdworte, bei selektiver Information, bei objektiven Medien, die gar nicht objektiv sein können, sondern ihre Subjektivität verstecken.

Objektiv ist, sich an Fakten halten? Das ist lächerlich und problemlos. Wenn es unendliche Fakten gibt, muss man selektieren – doch nach welchen Kriterien? Darüber schweigen die Medien, denn sie wollen sich mit keinem Kriterium gemein machen. Auch sie beanspruchen eine schein-wissenschaftliche Objektivität in Analogie zu den Naturwissenschaften.

Griechen kannten keinen Fortschritt, denn sie kannten keine lineare Geschichte, die einem festgelegten Finale zustrebt. Fortschritt konnte erst aufkommen, als in der linearen Heilsgeschichte das Versprechen der Wiederkehr des Erlösers nicht erfüllt wurde. Die mittelalterlichen Christen, angeregt durch die wiederentdeckte griechischen Autonomie, wurden es leid, immer nur zu hoffen und zu warten. Sie entschieden sich zur selbsterfüllenden Wiederkehr des Heils durch fortschreitende Natur- und Welteroberung. Der wiederkehrende Herr sollte aller Welt die Wahrheit des Satzes demonstrieren:

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden.“

Wenn absolute Gewalt über die Erde durch eigene Fähigkeiten errungen werden konnte, war das Heil erschienen. Das Erringen der absoluten Macht über Mensch und Natur mit Moral war unmöglich. Also musste das Gute auf allen Ebenen suspendiert werden.

Griechen und Römer versuchten ihre Probleme mit Hilfe der Moral zu lösen. Das war eine Absage an jeden amoralischen Fortschritt. Die abendländische Fortschrittskultur war nur möglich als Ersetzen des „Guten“ durch das fortschrittsfördernde „Böse“. Das war der herrschende Amoralismus der abendländischen Kultur.

Mit Worten des amerikanischen Ökologen Murray Bookchin: „So kann Technologie Ethik verstümmeln und völlig absorbieren. Werte, die einer langen Tradition menschlicher Rationalität entwachsen waren, wurden nicht nur entmenschlicht, sondern auch rationalisiert, nicht nur zu Instrumenten im Dienste industrieller Ausbeutung, sondern auch zu sozialer Reglementierung umfunktioniert.“ (Die Ökologie der Freiheit)

Amerika war demokratisch wehrhaft genug, um sich der faschistischen Versuchung im Innern zu erwehren und sie im Äußern zu besiegen. Das ändert nichts daran, dass es erhebliche faschistische Tendenzen im Innern gibt. Zumeist versteckt hinter technisch-wissenschaftlichen Tendenzen. Silicon Valley entwickelte anfänglich hemmungslos totalitäre Staatsideen, vergleichbar dem Skinner‘schen Zukunftsstaat. Ließe man die Netzgiganten tun, was sie wollten, würden sie schon die ganze Erde beherrschen. Just so, wie China sein Volk algorithmisch an die Leine legt.

Trumps Triumphalismus ist keine Neuerfindung, sondern ein Abstoßen demokratischer Regeln und die Rückkehr zu Elementen einer eschatologischen Technik, die sich anschickt, ihre Macht ins All zu verlängern und aus den Tiefen des Universums die Welt zu beherrschen. Die Jubelfeiern zur Mondlandung vor 50 Jahren dienen einzig dem Zweck einer unangefochtenen Weltherrschaft.

Marx, Darwin und Skinner, Sozialismus, Kapitalismus und Verhaltenspsychologie sind einmütig der Meinung, dass der Mensch kein autonomes Wesen ist. Skinner und Darwin sind sich einig in der Erklärung der wichtigsten Geschichtselemente. Kulturelle und biologische Evolution folgen demselben Zweiphasenmodell. „Der erste Schritt wird vom blinden Zufall, der zweite von selektiven Belohnungen geleitet.“ (Koestler). Außengelenkte Konditionierung und willkürliche Selektion der Erfolgreichen bestimmen die Ökonomie und die Weltpolitik. Autonome Steuerung des Menschen ist durch den Triumph der Technik über die Moral verschwunden.

In einer launigen Pressekonferenz kann die Kanzlerin einen furchtbaren Satz von sich geben:

„Greta und viele, viele junge Menschen haben uns gezeigt, dass es um ihr Leben geht und welche Folgen ein Nicht-Handeln mit sich brächte“, sagte Merkel am Freitag in Berlin. „Sie haben uns sicherlich zur Beschleunigung getrieben.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Tatsächlich. Sie hat entdeckt, dass auch junge Menschen zu ihren Untertanen gehören und dass deren Zukunft durch ihre amoralische Passivität gefährdet ist. Konsequenz? Keine.

Pardon, doch: die Umfragewerte der Regierungspartei legen zu. Je dräuender die Gefahr, je psychotischer die Folie à deux der Deutschen mit ihrer Kanzlerin. Wie beschreibt die Presse das Verhalten der schuldbeladenen Kanzlerin?

„Die Kanzlerin wirkt kurz nach ihrem 65. Geburtstag auch sonst ziemlich befreit.“ Und dies, „obwohl sie ungewohnt selbstkritisch aufgelegt ist. Ein Trick Merkels sei das, sagen parteiinterne Kritiker, die ständig vorgeführte Komplexität der Dinge solle den Bürgern das Gefühl geben, dass eben nur eine durchblicke: eben sie.“ (SPIEGEL.de)

Das also wäre das Fazit der abendländischen Ersetzung der Moral durch „hochkomplexe Technik“: nur eine gewiefte Physikerin ist fähig, das Hochkomplexe zu durchschauen. Die moralistischen Simplicii, in steinzeitlichen Gut-und-Böse-Kategorien verharrend, müssen zurücktreten und blind der Erwählten vertrauen. In Gehorsamkeit gegen die Obrigkeit haben die Deutschen viel Erfahrung.

Bereits in den 50er Jahren hofften Kybernetiker auf die „Überlegenheit lernender Automaten über das Menschengehirn.“ Sie leugneten nicht, dass diese Automaten „zum Schaden der Menschheit“ eingesetzt werden könnten. Doch kein Grund zur Sorge, im Gegenteil: „Nur die Freiheit von vorgeschriebenen Verhaltensnormen sei die Voraussetzung für Fortschritt und Höherentwicklung.“ (Karl Steinbuch)

Die Maschine werde nicht nach dem Bilde des Menschen, der Mensch werde nach dem Bilde der Maschine gebaut werden. Die Maschine werde den Menschen überflügeln und ihn am Ende ausschalten.

Noch auf dem Totenbett entwarf John von Neumann „fortpflanzungsfähige Automaten“ für eine „neue Welt“, in der „die Leitung der Dinge an die Kybernetik übergeht.“ (Friedrich Wagner, Die Wissenschaft und die gefährdete Welt)

Von solchen Visionen ist der japanische Roboter weit entfernt. Noch begnügt er sich damit, den Menschen zu imitieren. Da müssen die Japaner noch ein wenig üben, bis sie den Roboter als Herrn über Leben und Tod der staunenden Welt vorstellen können.

Die Ersetzung der Menschheit durch Armeen von hitze-resistenten Robotern wird das Klimaproblem – mit links lösen.

 

Fortsetzung folgt.