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Von vorne XXXIV

Von vorne XXXIV,

wer den galoppierenden Klimawandel beenden will, muss den Lebensstil der westlichen Moderne verändern, der der Menschheit in den letzten hundert Jahren aufgezwungen wurde. Er muss Vernunft walten lassen und ein vernunftgeleitetes Gesamtziel der Menschheit entwerfen. Klimawandel ist keine isolierte Wucherung am Leib der Menschheit, die man unabhängig vom Gesamtorganismus herausschneiden könnte.

Vernunft ist Einsicht in den Zusammenhang aller Dinge oder in ihre allseitige Abhängigkeit voneinander. Um ein gefährliches Wort zu benutzen: wir brauchen eine Utopie als totalen Neuentwurf aller Dinge. Bislang wurde der Begriff total mit totalitärer Despotie in Verbindung gebracht.

Die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts aber waren alles andere als total neu. Im Gegenteil: in fanatischem Gehorsam übernahmen sie die Hauptelemente der abendländischen Ideologie, überließen sie nicht länger einem passiven Glauben und verwandelten sie mit rücksichtsloser Gewalt in selbsterfüllende Prophezeiungen. Alle Prinzipien ihrer Tyrannei entnahmen sie dem Inventar der heiligen Tradition des Abendlandes.

Sie waren dem messianischen Endzeitdenken der christlichen Heilsgeschichte verpflichtet, versuchten den versprochenen Jenseitshimmel bereits auf Erden zu verwirklichen. Ihr Ziel war eine Theokratie, ihr Gott die Überwältigung der Natur, die Alleinherrschaft einer Rasse oder Klasse, einer technischen und wirtschaftlichen Weltelite, einer winzigen Minderheit auserwählter Erfolgsgiganten.

Totalitäre Regimes bedienen sich rücksichtsloser Gewalt, um ihre Endreiche aus dem Boden zu stampfen und ihre Bevölkerung zur rechtlosen Masse zu erniedrigen.

Der theokratische Sinn des Satzes bleibt richtig: „Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, erzeugt stets die Hölle.“

Eine rationale Utopie hingegen ist das Gegenteil menschenfeindlicher Beglückungszwänge. Sie will die Realisierung der Menschenrechte in vitalen Demokratien für alle  

Menschen. Demokratien lassen sich nicht mit nicht-demokratischen Mitteln realisieren. Mittel und Zweck müssen übereinstimmen, der Zweck heiligt keine Mittel.

Der Versuch, eine rationale Utopie mit demokratischen Mitteln zu verwirklichen, kann vielleicht scheitern, doch niemals das Gegenteil seiner selbst erzeugen.

Bislang war Utopie die weit entfernte logische Konsequenz einer schon lange anhaltenden utopischen Aufwärtsentwicklung der abendländischen Völker. Ob man das Endziel erreichen werde oder nicht: der Aufstieg der Menschheit aus ihrer sündenbelasteten Vergangenheit erlebte der Westen im Triumph seiner unwiderstehlichen Überlegenheit.

Wie konnte der Triumph umschlagen in potentielle Selbstauslöschung? Gibt es nicht doch dialektische Gesetze, die alles ins Gegenteil kippen müssen, um sich am Ende der Geschichte miteinander zu versöhnen?

Es gibt weder eine automatische Geschichte, noch eine garantierte Aufwärtsentwicklung oder das verbriefte Ziel einer linearen Vollendung. Es gibt nur das historische Fazit aller Bemühungen des Menschen, die im Verlauf seines Erdenwandels Realität wurden. Die Geschichte des Menschen ist die unbestechliche Zeugin seiner Taten.

Die Utopie, die wir verwirklichen müssen, ist kein entbehrliches Surplus, keine luxuriöse Girlande, die sein kann oder nicht. Sie ist absolute Notwendigkeit – wenn wir überleben wollen. Denn sie ist die conditio sine qua non allen Überlebens.

Eine Vernunftutopie enthält die Elemente a) einer bedingungslosen Verträglichkeit mit der Natur und b) einer weltumspannenden Gemeinschaft, in der jeder Mensch Mensch sein darf.

Misslingt es dem Menschen a) den systematischen Raub an der Natur zu beenden und b) die Menschenwürde jedes homo sapiens zu verteidigen, wird die Menschheit sich in wütende Konkurrenzkohorten radikalisieren, die um die letzten Ressourcen der Natur einen erbitterten Endkampf kämpfen werdem.

Bislang war die Ethik der Menschheit aufgespalten in eine humane der Familie, Sippe oder Nation – und in eine machiavellistische zu Fremden und nationalen Feinden. Selbst der EU, die stolz ist auf ihre abendländischen Werte, ist es nicht gelungen, ihr Staatenbündnis in ein Bündnis humaner Werte zu verwandeln.

Militärische Kooperation ja, in wirtschaftlichen Dingen ein unerbittliches Nein zur Solidarität (no bail out). Innen versteht sich der Anstand von selbst, nach außen gibt es nur kühle Interessen, die den Wettbewerb der Nationen in Geld und Macht als Sieger bestehen wollen. („Jetzt ist das Geld der Deutschen in Griechenland verloren“.)

In Flüchtlingsfragen gibt es ein unerbittliches Hauen und Stechen. Italien wird allein gelassen und beginnt immer mehr, die „bigotten“ Deutschen zu hassen. In Geldfragen alles andere als solidarisch zu schwächeren EU-Verbündeten, fordert die Kanzlerin plötzlich bedingungslose Solidarität, um ihren nationalen Alleingang in samaritanischer Nächstenliebe zu legitimieren.

Diese Doppelmoral können wir uns heute nicht mehr leisten. Wenn wir uns in Klimafragen nicht auf ein verlässliches Aktionsbündnis einigen können, werden wir eine globale Lösung nicht mehr schaffen.

„In Indien entscheidet sich, ob die globale Klimakatastrophe noch zu verhindern ist.“ (SPIEGEL.de)

Wenn die Welt nicht eigennützig reformwillige Länder unterstützt, damit sie ihren Pflichten nachkommen können, wird sie die Quittung als globale Zerstörung der Natur erhalten. America-first-Haltungen werden nicht nur das eigene Land in Mitleidenschaft ziehen, sondern den Globus ins Verderben stürzen.

Wer sich verantwortlich fühlt für sein persönliches und nationales Wohlergehen, muss sich auch verantwortlich fühlen für das Wohlergehen des gesamten Oikos. Es gibt keinen Gegensatz zwischen Egoismus und Altruismus. Wer für sich sorgen will, muss für alle sorgen, wer für alle sorgen will, muss für sich selbst sorgen.

Die Aufteilung der Welt in Freunde und Feinde ist schädlich und riskant. Die ganze Menschheit muss mit sich selbst Freundschaft schließen. Wer sich Feinde schafft, um den Himmel mit Agape zu erobern, kann jene nicht in Freunde verwandeln. Wer sich selbst erniedrigt, besitzt kein Selbstbewusstsein, um seinen globalen Pflichten nachzukommen.

Vor allem für sich selbst sorgen, um einer unsichtbaren Hand das Gesamtwohl zu überlassen: das wird die Menschheit sich nicht mehr leisten können. In Zeiten, in denen das Schicksal aller von allen abhängt, fallen Egoismus und Altruismus zusammen. Die Zeiten, in denen Tüchtige, Gewitzte und Starke auf Kosten aller anderen davonkommen: diese Zeiten sind für immer vorbei.

1. Die momentane Regression der Völker in nationale Alleingänge und feindliche Verpanzerungen ist Gift für gemeinsame Klimabemühungen.

Wer die Klimakatastrophe stoppen will, muss fordern, die anwachsende Verfeindung der Nation in den Geist wohlverstandener Freundschaft zu verwandeln. Das heißt, die Völker müssen sich besser kennenlernen, ihr historisches Werden verstehen, ihre unterschiedlichen religiösen und philosophischen Prägungen begreifen lernen.

Warum hat sich China in den letzten 100 Jahren zum hartnäckigen Rivalen des Westens entwickelt, warum unterdrückt es immer mehr die freiheitlichen Bestrebungen seiner Bürger?

„Nun war der Krieg zu Ende, und die chinesische Republik, ein bleicher Schatten des 1911 untergegangenen Kaiserreichs, hatte seit Wochen auf das Urteil der Verbündeten gewartet. Was kam, war ein Strafurteil: Das von der deutschen Kolonialmacht verlorene Pachtgebiet Kiautschou, so bestimmte der Vertrag, sei nicht an China, sondern seinen Rivalen Japan zu übergeben.“ (SPIEGEL.de)

Warum trieb der Iran in die Hände theokratischer Ajatollas? Weil Amerika die frühen demokratischen Bestrebungen des Landes für seine Öl-Interessen zu Fall brachte. Inzwischen wird Persien von westlichen Medien zum alleinigen Sündenbock der wachsenden Kriegsgefahr erklärt.

2. Die Menschheit kann sich keinen ruinösen wirtschaftlichen Wettbewerb mehr leisten, dem die Interessen der Natur geopfert werden.

3. Die Menschheit kann sich keine Wirtschaft mit grenzenlosem Wachstum erlauben.

4. Die Menschheit kann sich keinen globalen Freihandel leisten, der dem Reichtum der Reichen nützt, mit uferlosem Verkehr die Luft verpestet, die Natur in eine wasserlose, von brütender Hitze erfüllte Wüste verwandelt.

Was ist die einzig verbleibende Alternative?

5. Die Wirtschaft muss zur Autarkie zurückkehren. So viel wie möglich selbst anbauen, so wenig wie nötig mit anderen Ländern tauschen. Umweltemissionen durch uferlose Verkehrsaktionen müssen auf ein Minimum reduziert werden. Abhängigkeiten, die das Gefälle der Völker noch mehr verstärken, müssen beendet werden. Ungerechte Dominanzen starker Länder, um die schwachen auszubluten – heute in Form „fairer Handelsverträge“ – müssen der Geschichte angehören. Internationale Handelsverträge, etwa zwischen der EU und südamerikanischen Staaten, verstärken die Abholzung brasilianischer Regenwälder, vermehren die Methan-Ausdünstungen wachsender Rinderheere in Argentinien.

Kulturen, die im Einklang mit der Natur lebten, waren autark. Das waren Vernunftleistungen von Völkern, die bei uns als kulturlose Wilde verachtet werden. Was „Stillstand-Kulturen“ zustande brachten, wird vom suizidalen Fortschritt des Westens als primitiv verachtet. In der Vergangenheit darf nichts vernünftiger gewesen sein, sonst wird es mit der Bemerkung verhöhnt: ja ja, früher war alles besser.

Heute muss alles in Zukunft besser sein. Vorteile? Keine. Was früher war, könnte als Erfahrung der Menschheit erinnert werden. Kollektive Erfahrungen sind Lernakte, die rekapituliert werden könnten. Könnten, werden aber nicht.

Lernen aus der eigenen Geschichte gilt nichts mehr. Erfahrungen? Lass fahren dahin. Heute gilt nicht das Bekannte, Verlässliche und Wohlvertraute, sondern der Glauben an das Unbekannte, Futurische, Riskante, Gefährliche.

Das unterscheidet Vernunft von Glauben: Vernunft ist stolz auf überstandene Irrungen und Wirrungen, aus denen sie gelernt hat. Glaube muss blind fürwahr halten, was eine fensterlose Zukunft verbirgt. Wie der Fromme sich blind in die Hände Gottes stürzt, soll die Menschheit sich blindlings auf die Zukunft verlassen. Was die Menschheit an Wissen gesammelt hat, wird auf den Müll gekippt. Das Wissen der Zukunft werde alles in den Schatten stellen.

Zeigt das TV eine Doku über KI, darf der markige Satz nicht fehlen: hier wird Zukunft gemacht. Idolatrie der Zukunft beruht auf dem tabula rasa-Menschenbild John Lockes. Täglich muss der alte Adam gelöscht werden, damit der neue, von keiner Vergangenheit gezeichnete, sein Genie aus Nichts beweisen kann.

Wie war es bei den australischen Aborigines?

„In Australien, wo es nie einen Mangel an Nahrung gab (da drei oder vier Millionen Menschen in schönster Harmonie mit der Natur lebten und uneingeschränkten Zugang zur Flora und Fauna eines Kontinents in der Größe Europas hatten), lag nicht der geringste Grund vor, die Agrartechnik zu erfinden und einen Überschuss zu erfinden. Die Aborigines hatten eine Dichtung, Musik und Mythologie von ungeheurem kulturellem Wert. Aber keine Mittel, um andere Völker anzugreifen oder sich selbst zu verteidigen.“ (Varoufakis, Time for Change)

Autarkie, die wirtschaftliche Seite der Autonomie, ist in der gegenwärtigen Debatte verschwunden. Ein Wirtschaftslexikon meiert das Prinzip in wenigen Sätzen ab:

„Das Ziel der Autarkie ist nur unter Wohlstandsverlusten erreichbar, da viele Güter im Inland entweder gar nicht oder nur mit höheren Kosten produziert werden.“ (Gablers Wirtschaftslexikon)

Der europäische Kapitalismus bei Adam Smith begann mit der Abkehr von jeglicher Autarkie. Bei ihm „tritt das Prinzip der Selbstversorgung oder Autarkie nach und nach zurück, der Austausch von überschüssigen (den Eigenbedarf übersteigenden) Erzeugnissen in expandierenden Märkten übernimmt die zentrale Funktion in der Versorgung der Menschen.“ (Wohlstand der Nationen, Vorwort)

Vor allem die Reichen profitierten, die den Tauschverkehr mit anderen Ländern organisierten. Die Bauern des eigenen Landes wurden immer weniger benötigt, weil unterdrückte Länder Lebensmittel billiger liefern konnten. Ab sofort können Bauern problemlos von ihren Ländereien vertrieben werden.

Wird die Autarkie beendet, profitieren nicht nur die Reichen, sondern auch die mächtiger werdenden Priester – die sich die Deutungshoheit unter den Nagel reißen, wem der neue Überschuss gehören soll:

„Die Rolle der Priester besteht darin, Glaubenssysteme zu errichten, die die ungleiche Verteilung des Überschusses in den Augen aller legalisieren.“ (Varoufakis)

Da die Ungleichheit als Ungerechtigkeit empfunden wird, entstehen soziale Spannungen. Werden sie nicht gütlich gelöst, muss die Religion in die Bresche springen. Ein Gott muss es richten, der ex cathedra bestimmt, wer reich werden darf und wer arm bleiben muss. Religionen lösen keine irdischen Probleme, sondern versprechen eine generelle „Er-lösung“ – irgendwann, manjana.

Das Christentum ist eine instrumentelle Idolisierung der Armut, keine Verfluchung des Reichtums. Die Reichen werden nicht verdammt, weil sie reich sind, sondern weil sie in ihrem Reichtum – Gott vergaßen. Sie rühmen sich ihrer eigenen Fähigkeiten, anstatt ihrem Schöpfer für alles dankbar zu sein. Christen bilden sich ein, „ihr“ Neues Testament sei armenfreundlicher als das „jüdische“ Alte Testament, um Juden als frühe Kapitalisten zu schmähen. (Werner Sombart)

In Wirklichkeit gibt es nur ein zeitlich verzögertes Reichwerden auch der Armen, die eines Tages im Himmelreich am Reichtum ihres Schöpfers beteiligt werden.

„Wohl dem Manne, der den Herrn fürchtet, Reichtum und Überfluss ist in seinem Hause.“

Das Aufkommen des abendländischen Kapitalismus wäre ohne absegnenden Klerus nicht möglich gewesen. Die Grenzenlosigkeit in Fortschritt, Wirtschaftswachstum entspringt der Grenzenlosigkeit des Herrn.

In der brandenburgischen Sandwüste wird eine ökologische Stadt gegründet, die nach Möglichkeit autark werden soll:

„Die rund zehntausend Bewohner sind Selbstversorger und nahezu unabhängig von globalen Energie-, Produkt- und Rohstoffimporten. Sie haben sich der lokalen und regionalen Kreislaufwirtschaft verschrieben, die ursprünglich enge Beziehung zwischen Mensch und Natur soll wiederhergestellt werden. Die Wünsdorfer trinken und essen vorwiegend, was sie selbst produziert haben. «Der ökologische Stadtumbau ist die Schlüsselaufgabe der Menschheit im 21. Jahrhundert», sagt Hahn. «Aber unsere Zeit ist arm an Antworten. Es genügt nicht, den weltweiten Anforderungen mit Plastikreduktion, Elektromobilität, Wärmedämmung und dergleichen zu begegnen. Gebraucht wird eine Vision, die wirklich realisiert wird. Ein Vorbild. In Wünsdorf sollen einmal 80 Prozent des Gemüse-, Kräuter- und Obstbedarfs in der Stadt produziert werden.»“ (WELT.de)

Die marode Regierung in Berlin, immerzu mit Personalproblemen beschäftigt, damit sie nicht zur Sache kommen muss, ist unfähig, sich mit einem historischen Aufruf an die Bevölkerung zu wenden:

„Jeder hat inzwischen am eigenen Leibe erfahren, was Klimaerhitzung ist. Beginnen wir eine neue Epoche. Setzen wir uns auf allen Ebenen, im ganzen Land zusammen, um uns eine gemeinsame Utopie zu erarbeiten, damit wir die Zukunft unserer Kinder nicht gefährden müssen.“

Die Regierung ist gezeichnet vom Virus eines inkorrigiblen Verfalls. Verstockt setzen die Mächtigen des Landes auf Digitalisierung und Wirtschaftswachstum. Ja, sie warnen davor, einseitig auf Klimafragen zu setzen. Als ob nicht alle Aspekte des sonstigen Lebens irrelevant wären, wenn die Menschheit sich von der Erde verabschieden würde.

Hier verrät sich, wie die Propheten der Disruption und des ständigen Neuanfangs wirklich ticken: ihre Beharrungskräfte werden zu Zwängen der Selbstzerstörung.

Autarkie gilt als faschismusverdächtige deutsche Krankheit, weil das Dritte Reich aus Kriegsgründen auf nationale Selbstversorgung setzte. Der „Raum im Osten“ sollte der Gewinnung kriegsnotwendiger Ressourcen dienen.

Friedrich List, Anreger der wirtschaftlichen Einheit der Deutschen, war ein bekannter Vertreter der Autarkie:

„List sprach oft davon, die Industrie einer Nation vom Auslandsmarkt unabhängig zu machen.“ Schreiben die Franzosen Gide-Rist in ihrer voluminösen „Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen“.

„Der Gedanke der „Wirtschaftlichen Autarkie“ ist während des Krieges (des Ersten Weltkrieges) von deutschen Schriftstellern bis zur Tollheit übertrieben worden.“ List aber nehmen sie ausdrücklich von dieser Schelte aus: „List ist unzweifelhaft ein Vorläufer des deutschen Pangermanismus, von dem er sich allerdings durch seinen politischen Liberalismus, dem er treu anhing, unterscheidet.“

Autarkie ist nicht identisch mit nationaler Isolierung und Selbstvergötzung. Im Gegenteil, die Beziehungen zu anderen Völkern könnten vom Verdacht befreit werden, diese noch immer mit scheinheiliger Wirtschaftsdominanz auszubluten. Eine ganz neue Bereitschaft könnte entstehen, die „unterentwickelten“ Staaten in ihrer bereichernden Individualität wahrzunehmen. Heute fluten deutsche Touristen die ganze Welt, nur um Landschaft, Meer und die Qualität der Hotelzimmer wie in einem snobistischen Casting zu bewerten.

Die griechische Demokratie kannte keine Überflusswirtschaft. Sie setzte auf Autarkie, wenngleich mit komplementären Tauschgeschäften über Grenzen hinweg, wenn die eigene Autarkie gefährdet schien. Wirtschaft hatte dem Menschen zu dienen, der Mensch keineswegs der Wirtschaft. Wirtschaft als Selbstzweck wäre geradezu eine Blasphemie an der Autonomie und Ataraxie (innerliche Unabhängigkeit) des Menschen gewesen:

„Der Reichtum verdirbt die Seele des Menschen durch Genusssucht, die Armut wird durch ihren Jammer in das schamlose Gebaren selbst hineingetrieben.“ (Platon)

Das Besondere der griechischen Wirtschaftsphilosophie – weshalb sie von der Moderne ignoriert wird – ist der Umstand, dass der Wirtschaft keine Eigengesetzlichkeit zugeschrieben, sondern sie „sittlichen und politischen Zielsetzungen unterworfen wurde.“ (Bertram Schefold in Klassiker des ökonomischen Denkens)

Bis heute wird der urgriechische Kapitalismus in der Moderne nicht anerkannt. Es fehle ihm „der Kausalitätsbegriff eines mechanischen Weltbildes. An seiner Stelle steht die anzustrebende moralische Ordnung, die in der modernen Theorie nirgendwo vorkommt. (Auch bei Marx nicht, weshalb er die Griechen in diesem Punkt nicht zur Kenntnis nahm.) Wohl kannten die Griechen Harmonievorstellungen, aber nicht bewirkt durch eine unsichtbare Hand, sondern durch sittliche Vorstellungen eines guten und geglückten Lebens.“ (Schefold)

Wir erkennen, warum die Griechen in ökonomischen Dingen von der Moderne verachtet werden: sie hatten keine Vorstellung von der Wirtschaft als Maschine oder als berechenbare Wissenschaft. Sie hatten nichts als Moral und demokratische Mitspracherechte.

Die Moderne kann auf Moral verzichten. Die Moral der Griechen als autonomes Regulativ der Wirtschaft bestraft sie mit Verachtung.

Wie der von der Jugend initiierte Kampf gegen die Klimakatastrophe nicht durchgeführt werden kann ohne moralische Energie, so kann eine menschen- und naturfeindliche Wirtschaft ohne einen kategorischen Imperativ nicht ad acta gelegt werden:

Handle so, als könne die Maxime deines Willens zur Rettung der Natur von allen Menschen geteilt werden, die sich im Kampf um Sein oder Nichtsein mit dir solidarisieren und eine neue Epoche der Menschheit beginnen können.

 

Fortsetzung folgt.