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Von vorne XXX

Von vorne XXX,

„So hütet euch nun, daß ihr des Bundes des HERRN, eures Gottes, nicht vergesset, den er mit euch gemacht hat, und nicht Bilder machet irgend einer Gestalt, wie der HERR, dein Gott, geboten hat. Denn der HERR, dein Gott, ist ein verzehrendes Feuer und ein eifriger Gott. Wenn ihr nun aber Kinder zeuget und Kindeskinder und im Lande wohnet und verderbt euch und machet euch Bilder irgend einer Gestalt, daß ihr übel tut vor dem HERRN, eurem Gott, und ihr ihn erzürnet: so rufe ich heutigestages über euch zu Zeugen Himmel und Erde, daß ihr werdet bald umkommen von dem Lande, in welches ihr gehet über den Jordan, daß ihr’s einnehmet; ihr werdet nicht lange darin bleiben, sondern werdet vertilgt werden. Und der HERR wird euch zerstreuen unter die Völker, und wird euer ein geringer Haufe übrig sein unter den Heiden, dahin euch der HERR treiben wird.“

„So sollst du wissen heute, daß der HERR, dein Gott, vor dir her geht, ein verzehrendes Feuer. Er wird sie vertilgen und wird sie unterwerfen vor dir her, und du wirst sie vertreiben und umbringen bald, wie dir der HERR geredet hat.“

Nein, das kann kein Killergott sein, der hier spricht. Sonst könnte Josef Joffe nicht an ihn glauben. Das muss, in wohlwollender Hermeneutik, ein liebender Erlösergott sein.

Ein echter Killergott klingt so: „Und kämpft auf Allahs Weg gegen diejenigen, die gegen euch kämpfen, doch übertretet nicht! Allah liebt nicht die Übertreter. Und tötet sie, wo immer ihr auf sie trefft, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben, denn Verfolgung ist schlimmer als Töten!“

Muslime lieben den Tod, Juden und Christen das Leben. Weshalb es heute eine christlich-jüdische Allianz gegen den infamen Islam gibt, obgleich alle drei Religionen totalitäre Zwangsbeglückungen sind. Was nicht bedeutet, dass die meisten Anhänger dieser Religionen potentielle Killer seien. Von winzigen Minderheiten abgesehen,  

haben sie sich vom gnadenlosen Wortlaut ihrer Schriften gelöst und sich eine humane Philosophie angeignet.

Die Unverträglichkeit ihrer Lebenshaltung mit ihrer blinden Schrifttreue können sie wegen ihrer omnipotenten Auslegungskunst nicht wahrnehmen. Francis Bacon hielt Mohammeds Lehre für derart gefährlich und unbelehrbar, dass er sie ausrotten wollte. Tataren seien empfänglicher für die technischen Missionierungstaten der Christen als Muslime.

Was Märtyrer sind, wissen moderne Christen nicht. Das muss eine Erfindung kranker Korangläubiger sein, die ihr Leben riskieren, um fremdes zu töten.

Christliche Märtyrer gehen pazifistisch in den Tod – wie ihr Heiland und Erlöser, der sich ans Kreuz nageln ließ, um diejenigen, die nicht an ihn glauben, ins ewige Feuer zu werfen. Kreuzzügler riskierten ihr Leben, um ein Zeugnis für ihren Heliand abzulegen, indem sie die muslimischen Feinde Christi in Jerusalem abschlachteten. Sie wateten buchstäblich in Blut.

Wer die jüdisch-christliche Religion kritisiert, ist für Joffe ein „Rechtsextremer“, vermutlich gar ein Antisemit? Das treffe auf Jürgen Todenhöfer zu, dessen

„Sicht auf das Alte Testament […] mit Jahwe als Killer-Gott […] ein probater Topos rechtsextremer Pamphletisten“ sei. „Todenhöfer habe „auf dem Hochsitz der Moral ein hübsches Geschäftsmodell entwickelt, wie seine Auflagen und TV-Auftritte zeigen“. (Wikipedia.org)

Auf dem Hochsitz welcher Moral? Spricht Joffe im Namen einer tiefstehenden Unmoral? Spricht Todenhöfer nicht im Namen der Menschenrechte, wenn er Israels Besatzungspolitik kritisiert und sich um die Belange der Schwächeren – also der Palästinenser – kümmert? Ist Joffe ein Gegner der Menschenrechte? Gehören die Menschenrechte, auch die Grundlagen des deutschen Grundgesetzes, zu jener „Moralisiererei“, die von Deutschen immer mehr, selbst von Kabarettist Florian Schröder, zur schlechthinigen Amoral erklärt werden? Sind ihre Attacken nicht selbst moralischer Art, die sich über eine Moral erhaben fühlen, die zur Gründung der UN führten und Inbegriff der aufgeklärten Vernunft sind?

Können engagierte Vertreter der Menschenrechte rechtsextrem oder gar antisemitisch sein?

„Am 14. Juni ist Todenhöfer mit einem selbst bemalten Schild auf den Grenzzaun zu Israel zugelaufen. Es war Freitag, der Wochentag, an dem die Palästinenser seit einem guten Jahr zu ihrem „Marsch der Rückkehr“ an den Zaun ziehen, um an ihre 70 Jahre währende Flucht zu erinnern. Auf Todenhöfers Schild stand: „Liebe Israelis, bitte behandelt die Palästinenser so, wie ihr behandelt werden wollt.“ (SPIEGEL.de)

Bundespräsident Steinmeier muss ein unerträglicher Moralisierer sein, wenn er EU-Mitglied Italien ermahnt, die Kapitänin Rackete aus der Haft zu entlassen. Wer Leben von Flüchtlingen rette, sei kein Verbrecher – wie Mussolinisympathisant Salvini schäumt, als wolle er gegen die Deutschen einen Krieg entfachen.

Ein Demokrat hält sich an die Gesetze seines Landes, weil er sie im Prinzip für richtig hält. Indem er den Gesetzen gehorcht, gehorcht er sich selbst. Mit einer Ausnahme: verstoßen die Gesetze gegen die Regeln der Humanität, an denen die Gesetze gemessen werden müssen, ergibt sich die Pflicht zum zivilen Ungehorsam. Der Ungehorsame muss die Folgen seines Rechtsbruchs auf sich nehmen, wenn er nicht als Feind aller Gesetze gelten will. Sokrates ehrte das Gesetz, indem er das Todesurteil des Volksgerichts auf sich nahm.

Wie soll man jene obersten Kriterien nennen, an denen die Gesetze gemessen werden? Früher sprach man von Naturrecht. Dass man diesen Begriff heute kaum noch verwendet, liegt daran, dass es verschiedene Naturrechte gibt, die auf unterschiedlichen Naturvorstellungen beruhen.

Wilhelm Nestle unterschied das Naturrecht der Starken vom Naturrecht der Schwachen. Unter dem ersten verstand er das Recht der Starken und Mächtigen, ihren Willen bedingungslos durchzusetzen. Nietzsche nahm diese Kraftbolzen als Vorbilder seiner Willen-zur-Macht-Übermenschen.

Das Naturrecht der Schwachen war Ursprung der demokratischen Polisgesetze aller Freien und Gleichen und der späteren kosmopolitischen Menschenrechte.

Natur im ersten Fall war darwinistische Natur, in der Macht Recht bedeutet. Zu diesen Kraftnaturen gehörte ein Thrasymachos, der die Meinung vertrat, ein „Mann, der zu Großem fähig sei, müsse auch mehr Vorteile haben und diese seinen Freunden auch „im Widerspruch zum Recht“ zuwenden. Ja, das Leben des Ungerechten sei besser als das des Gerechten, vollendete Ungerechtigkeit besser sei als der Gerechtigkeit, dass Gerechtigkeit eine einfältige Moral sei. Das Leben des Ungerechten sei dem des Gerechten vorzuziehen.“

Es gehört zu den Verwirrungen der Moderne, dass Ralf Dahrendorf, ehemaliger Vorzeigeliberaler, in seinem Buch „Pfade aus Utopia“ ein „Lob des Thrasymachos“ schrieb. Pfade aus Utopia ist eine Anlehnung an Poppers Verdikt, nicht den Himmel auf die Erde zu holen, um nicht die Hölle zu erhalten. Dass Himmel mit rationaler Utopie nichts zu tun hat, können Neoliberale bis heute nicht erkennen. Für Hayek sind Christentum und vollkommener Markt identisch.

Der deutsch-englische Lord begründet sein Lob des Thrasymachos mit den Worten:

Die Vorzüge von Hobbes und Thrasymachos würden sich zeigen, wenn man „Institutionen nicht so sehr als Momente des Consensus betrachtet, sondern als Bastionen gegen die Schlechtigkeit der Menschen. Allen Zwangstheorien der Politik liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch für immer in einer Welt der Ungewissheit lebt. So mag es wohl sein, dass wir eines Tages entdecken, dass Parlamente, Wahlen und andere Elemente der traditionellen demokratischen Maschinerie nicht die einzige mögliche Antwort auf die bleibende Frage der Offenheit sind. Sie sollten nicht dem Status quo der Macht dienen durch eine ideologische Tarnung der Harmonisierung, sie sollten in einer komplexen Welt den Wandel erlauben.“

Das Kauderwelsch auf Deutsch: Macht in jeder Form ist notwendig, um die Gesellschaft in Bewegung zu halten. Offen zu sein für alles heißt, offen zu sein für Interventionen der Mächtigen, um die Eingeschlafenen zu wecken und den Wettbewerb der Nationen zu gewinnen. Die Welt muss eine ungewisse bleiben, damit Zufriedenheit und Harmonisierung nicht das letzte Wort behalten. Das eiserne Gehäuse einer Gesellschaft muss regelmäßig zertrümmert werden, um den Fluss der Heilsgeschichte nicht aufzuhalten.

Ähnliches meint die Kanzlerin, wenn sie von Disruption spricht. Man weiß, dass Europas Königin (bis jetzt) keinen sonderlichen Wert auf eine verfassungstreue Politik legte. Die Disruption durch Digitalisierung mag von allen Parteien abgesegnet sein. Das Volk aber hatte kein Mitspracherecht.

Geschichtsfromme Medien sorgten dafür, dass der Sprung in die Zukunft als unvermeidliches Geschick von allen akzeptiert wird. Zu diesem Zweck haben Priester und Propheten die lineare Heilsgeschichte erfunden, damit jeder Widerstand der Störrischen mit Hinweis auf den unveränderlichen Lauf der Geschichte gebrochen werde.

Die eisernen Ketten der jetzigen Demokratie liegen in jenen Elementen, die als Schicksalsmächte des Fortschritts gerühmt werden. Mediale Helfer stehen als Einpeitscher bereit, um den Untertanen Gehorsam gegen die Heilsgeschichte einzubläuen. Wer gegen Technik ist, muss ein technik- und fortschrittsfeindlicher Trottel, ja ein Feind der Moderne sein.

Die Naturvorstellung des Naturrechts der Starken ist die böse, unbarmherzige Natur als Schauplatz des Kampfes von jedem gegen jeden.

Die Natur des Naturrechts der Schwachen ist die Harmonie aller Wesen, in der niemand niemanden angreifen und vernichten darf. Alles ist eitel Sonnenschein, und wenn nicht, muss die verletzte Harmonie mit friedlichen Mitteln wieder hergestellt werden.

Bei den Griechen setzte sich das Naturrecht der Schwachen gegen das der Starken durch und entfaltete sich zur kosmopolitischen Menschenrechtsidee des Hellenismus.

Als die Römer die hellenistischen Reiche eroberten, wurden die Sieger zu Schülern der Besiegten. Rom wurde zum ersten Riesenreich der Geschichte unter dem Motto philosophischer Menschenrechte – nur nicht in der Wirtschaft.

Der Kapitalismus als ungleicher Zwilling der Demokratie zerbrach alle Polisgrenzen, überwucherte alle Rechte des Volkes und entwickelte sich zum Alleinherrscher über alle Aspekte des Lebens.

Die nicht mehr zu überbietende Diskrepanz zwischen philosophischer Doktrin vieler Kaiser und der schreienden Ungerechtigkeit der Wirtschaft rief Erlöserreligionen auf den Plan, die ihre Rechte nicht mit politischer Aktivität, sondern mit Beten und Hoffen zu realisieren gedachten. Wenn nicht im Diesseits, dann im Jenseits. Als die Christen mit der Demutsgeste: nein, wir wollen keine Macht auf Erden, die Macht auf Erden errungen hatten, holten sie ihr Jenseits ins Diesseits. Die Letzten waren die Ersten geworden.

Im Mittelalter der christianisierten Germanen kam es im Verlauf eines Jahrtausends zu einer immer schärferen Konfrontation zwischen dem Papismus und aufmüpfigen mönchischen Intellektuellen, die die Bücher der Griechen in klösterlichen Bibliotheken entdeckten, in denen sie eine ganz andere Welt fanden. Das christliche Dogma musste sich immer mehr mit aristotelischen und platonischen Gedanken auseinandersetzen. Hier wurden die ersten Synthesen aus Vernunft und Glauben geboren, die später von Hegel in einem grandiosen dialektischen System zusammengebunden wurden.

Die gegenwärtige Krise der Moderne zeigt beim Auseinanderfallen ihrer Elemente die faulen Kompromisse, die in mangelhafter Emanzipation vom Glauben bis heute akzeptiert werden.

Natur und Übernatur sind wie Feuer und Wasser, wenn Übernatur die Natur als minderwertige und zu beseitigende Feindin betrachtet. Das griechische Naturrecht war auch ein Vernunftrecht, da Vernunft und Natur als Einheit gesehen wurden.

Da heidnische Vernunft dem christlichen Gott eine Torheit ist, können beide keine harmonische Beziehung eingehen. Was tun? Das Mittelalter trennte sich in zwei Denkschulen. Die eine war Vorläuferin der späteren Aufklärung und setzte Gott mit Vernunft in eins. Das heidnische Vernunftrecht konnte christlich vereinnahmt werden, weil Gott mit Vernunft zusammenfloss. Das bedeutete auch eine interne Kritik an vielen Dogmen, die mit Vernunft unverträglich erschienen. Im universitären Bereich durften diese Widersprüche formuliert werden. Das Volk durfte nichts erfahren. Als jene sich nicht länger verheimlichen ließen, propagierte man gar eine doppelte Wahrheit.

Die andere Schule lehnte es ab, Vernunft und Gott zusammenzulegen. In niederen irdischen Dingen, ja, da konnte die heidnische Vernunft ein Wörtchen mitreden, nicht aber in entscheidenden Fragen des Heils. Dort musste geglaubt werden. Gott konnte gar nicht vernünftig sein, denn heidnische Vernunft war zeitlos: was wahr ist, muss immer wahr sein. Zeitlosigkeit aber war unvereinbar mit dem linearen Offenbarungscharakter des biblischen Gottes.

Der Gott der Geschichte ist der Gott eines ständig veränderlichen Willens. War Vernunft bei den Griechen die oberste Entscheidungsinstanz über alle Gemütskräfte des Menschen, so ändert sich das bei einem allwissenden Wesen, das sich von keiner Vernunft, nicht mal der eignen, vorschreiben lässt, was es zu tun und zu denken hat. An die Stelle der Vernunft tritt der omnipotente Wille.

Der Rationalismus der Griechen wird zum Voluntarismus des Abendlands: berechenbare und verlässliche Vernunft wird zum unberechenbaren, willkürlich wechselnden Willen eines Gottes, der von keiner menschlichen Vernunft verstanden werden kann.

Kant setzte auf Vernunft und verwandelte den unberechenbaren Willensgott in ein Postulat (Forderung) der Vernunft. Gott muss vernünftig sein, auch wenn er nicht bewiesen werden kann. Handle so, als ob es einen vernünftigen Gott gäbe.

Wozu aber benötigt man noch einen Gott, wenn er auch nichts anderes tun kann, als vernünftig zu sein? Es war die letzte Rückversicherung eines schwindenden Glaubens, dass die Vernunft des Menschen in der Geschichte verwirklicht werden könne, auch wenn die Kraft des Menschen überfordert wäre. Deshalb brauche man einen Gott, auf den man sich verlassen könne.

Der Kantianer Hans Vaihinger machte aus dem Postulat Gott sein berühmtes Als Ob. Das Als Ob wird zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Wer handelt, als ob es Gott gäbe, hat Chancen, seinen Willen selbst zu erfüllen. Das hatte zur Folge, dass der Mensch allmählich selbst zum Gott werden musste.

In der modernen Debatte werden die verschiedenen Naturrechte durcheinander geworfen oder ignoriert. Dass katholisches Naturrecht, in welchem Natur mit dem irrationalen Willen Gottes gleichgesetzt wird, nichts zu tun hat mit den beiden Naturrechten der Griechen, wird nicht zur Kenntnis genommen.

Ebenso wenig wissen die Zeitgenossen, dass die Menschenrechte dem Naturrecht der Schwachen entspringen. Es wird das Lügenmärchen verbreitet, die biblische Gottähnlichkeit des Menschen sei Ursprung der demokratischen Humanität.

Wer dennoch von Naturrecht spricht, meint zumeist das Naturrecht der Starken – wie der liberale Dahrendorf, der das „Böse“ benötigt, um das Gewohnte und Vertraute zu durchbrechen und zu neuen Ufern aufzubrechen. Nichts schlimmer als Harmonien und Utopien. Geschichte lebt von Remmidemmi. Mephisto ist der wichtigste liberale Motivator des Fortschritts.

„Es ist anzuerkennen, dass Machtpolitik und Krieg nicht nur zerstörend, sondern auch schöpferisch wirken können und dass aus Bösem Gutes, aus Elementarem Geistiges allenthalben emporwächst. Würde mit dem Erlöschen der Machtkämpfe nicht auch die innere Lebendigkeit und plastische Kraft der Staaten, der Heroismus und Opfergeist der Menschen erlöschen? Hängen nicht Geist und Natur so untrennbar zusammen, dass alle Kultur eines gewissen Nährbodens der Barbarei, alles Rationale des Irrationalen bedarf? Würde der Völkerfriede nicht mehr der Triumph einer äußerlichen Zivilisation als einer echten, aus der menschlichen Gesamtnatur sich nährenden Kultur sein?“ (Meinecke, Die Idee der Staatsraison)

Auch bei Meinecke steht Natur für irrationale Barbarei, ohne die Geschichte nicht voranschreiten kann.

Eine lineare Heilsgeschichte kannten die Griechen nicht. Der Mensch musste sich lediglich dem zeitlosen Ideal der Natur annähern, durfte nicht ständig wechselnden Direktiven eines Gottes gehorchen, um einer automatischen Heilsgeschichte gerecht zu werden. Vernunftrecht muss sich treu bleiben und darf nicht unvernünftig werden, auch nicht, wenn Gott entsprechende Direktiven gibt.

In der Heilsgeschichte ist der Mensch ferngelenkt, in der Naturgeschichte autonom. Für den Protestantismus gibt es kein Natur- oder Vernunftrecht. Luther hasste die Vernunft des Aristoteles. Er war vernarrt in den unverständigen Willen eines Gottes, der fordert, was er fordert. Darüber zu klügeln, steht dem törichten Sünder nicht zu.

Das Motto der Papisten war: Ich glaube, um zu erkennen. Die irdische Welt ist vernünftig, die überirdische offenbart sich im Glauben. Luthers Motto hingegen lautete: ich glaube, obgleich alles absurd ist. Erst im Jenseits wird sich alles in Wohlgefallen auflösen.

Der Hauptgrund jedoch, warum das Naturrecht heute weithin verschollen ist, liegt am naturalistischen Fehlschluss. Aus dem, was ist, könne nicht gefolgert werden, was sein soll. Die Natur gibt uns keine Direktiven.

„Ein bekanntes Beispiel ist die Herleitung eines „Rechts des Stärkeren“ aus der Beobachtung, dass in der Natur der Stärkere überlebe.“

In der Tat: an den Bäumen steht nicht geschrieben: Menschen, schont uns, ihr braucht uns zum Überleben. Nur wenn ihr uns nützt, können wir euch nützen. Der Mensch muss selbst herausfinden, was er für richtig und falsch hält. Und hier liegt die Crux: ist der Mensch nicht selbst Natur? Kann er seine Moral nicht autonom bestimmen, weil er auch Natur ist?

Wie Sokrates sich von der äußerlichen Natur abwandte, da sie uns nichts lehren könne, sich aber seiner eigenen Natur widmete, in sich ging, um sich zu befragen, was das Gute für ihn sei: so hat er keinen natürlichen Fehl-, sondern einen Richtigschluss gezogen. Er befragte seine Biografie, um seine ursprünglichen Ideen zu erforschen, die er im mäeutischen Gespräch mit anderen überprüfte. Der Mensch bestimmt sein Sollen, keine äußerliche Natur.

Ungewollt verraten die Vertreter des naturalistischen Fehlschlusses ihren religiösen Naturbegriff. Der Mensch kann nicht zur Natur gehören, er ist ein von Gott erwähltes Geistwesen, das weit über der Natur steht.

Für wissenschaftliche Positivisten, die den naturalistischen Fehlschluss ablehnen, ist der Mensch a) einerseits kein Wesen, das der Natur angehört, b) dennoch kein Wesen mit Geist, das als „Krone der Schöpfung“ der Natur etwas zu sagen hätte. Positivisten scheinen keine Menschen zu kennen, die ihre Moral durch Erfahrungen und Nachdenken selbst entwickeln.

Naturwissenschaftler können Gesetze der Natur erkennen. Was sie mit diesen Erkenntnissen machen: den Menschen nützen oder schaden, die Natur schützen oder ausrauben, das sagt ihnen kein Naturgesetz. Dennoch handeln die Naturwissenschaftler wie Getriebene – im Interesse der Naturausbeutung und der Stärkung der technischen Macht. Hier gibt es keine Rebellion. Inzwischen sind 99% aller naturwissenschaftlichen Fakultäten im Dienst des Militärs und der Industrie: ergo im Dienst der Naturzerstörung.

Die Geisteswissenschaften hängen in der Luft, seit Newton den Siegeszug der exakten Naturwissenschaft begann und die „talking sciences“ zur Bedeutungslosigkeit verurteilte. Warum gibt es diese dennoch? Weil sie sich einbilden, sie hätten sich zu Naturwissenschaften entwickelt: durch Quantifizierung jener Phänomene, die bislang nicht quantifizierbar schienen.

Nehmen wir die Psychologie. Anstatt im internen Gefühlsleben herumzuwühlen, wurde das Innere zur black box erklärt. An die Stelle subjektiver Introspektion traten zählbare Stimuli. Daraufhin wurden die Reaktionen auf die Stimuli gemessen. Wie oft muss ich jemandem das Bild eines saftigen Burgers zeigen, damit er in die nächste Filiale geht, um sich einen zu kaufen?

Was ist Intelligenz? Ich muss kein subjektives Gespräch mehr führen, um die Antwort zu finden – ich muss präzise Fragen stellen. Je mehr Fragen beantwortet werden, umso mehr Punkte erwirbt der Kandidat. Die Quantität der beantworteten Fragen entscheidet über den IQ.

Klingt auf den ersten Moment einleuchtend, ist aber Betrug. Jeder Testentwickler kann nach subjektivem Gutdünken Fragen stellen. Was Intelligenz ist, kann niemand beantworten und gilt als Suche nach einer „metaphysischen Substanz“.

Neuste Untersuchungen haben ergeben, dass die Deutschen immer dümmer, die anderen Völker immer intelligenter werden. Und zwar in derart steigendem Maß, dass die Mittelwerte der Tests nach oben verschoben werden müssen, damit der Geniefaktor nicht übertrieben wird. Dasselbe machen alle Lehrer, indem sie die Noten ihrer Klassen nach unten korrigieren, wenn die Schüler zu gescheit werden sollten.

Mit gleichbleibender naturwissenschaftlicher Präzision hat all das nichts mehr zu tun. Naturwissenschaftliche Experimente müssen nach Belieben wiederholbar sein und stets zu denselben Ergebnissen führen.

Am verheerendsten ist der erschlichene naturwissenschaftliche Status der Ökonomie. Liberale, neoliberale Kapitalisten sind ebenso vom naturwissenschaftlichen Charakter ihrer Ökonomie überzeugt wie Marxisten: das Sein – die unveränderliche Materie – bestimmt das Bewusstsein. Der Mensch wird zur Maschine erklärt mit invariantem Egoismus, dass er berechnet werden kann wie ein Uhrwerk.

Seltsam nur, dass die ökonomische Naturwissenschaft unfähig ist, ihre Katastrophen zu erklären, die sie regelmäßig produziert. Weder vorher, noch nachher. Kommt es erneut zur Krise, stehen sie da und faseln. Haben sie seit der letzten Krise ein einziges Tüttelchen dazugelernt?

Sie verwandeln die globale Wirtschaft in ein unberechenbares Glücksspiel mit menschenfeindlichen Folgen. Vehement lehnen sie es ab, moralische Schlussfolgerungen aus ihrer Wissenschaft zu ziehen. Die nächsten Krisen, an denen sie unschuldig sind, dürfen kommen.

Deutsche Gegner der Moral wie Josef Joffe benötigen keine Moral. Sie schauen auf die Logik der Heilsgeschichte – und wissen, was die Glock geschlagen hat. Waren vor Jahren die Menschenrechte im Westen noch unbestritten, ist heute ihre Zeit vorbei. Die menschenrechtswidrige israelische Besatzungspolitik ist zu einem irreversiblen Erfolg geworden. Da können hinterwäldlerische Humanisten noch so krakeelen: Joffe hält sich an den großen deutschen Denker Hegel, der die Durchschlagskraft des Weltgeistes zum Kriterium der Wahrheit machte:

„Was wirklich ist, ist vernünftig, was vernünftig, ist wirklich.“

Meinecke kommentiert:

„Um das sagen zu können, musste Hegel den Begriff Vernunft umdeuten und flüssig machen. Dann konnte der neue Vernunftbegriff auch an den Widersprüchen und scheinbar ungelösten Gegensätzen der Geschichte nicht mehr scheitern. Denn er nahm durch seine Dialektik, die zum ersten Mal tief in das eigentliche Werden der geschichtlichen Dinge schaute, diese Gegensätze als notwendige Vehikel des Fortschritts und sanktionierte damit den gesamten Kausalzusammenhang der Geschichte mit seinen düsteren und grauenhaften Abgründen. Die List der Vernunft ist es, die auch das Elementare, ja das Böse für sich arbeiten lässt.“

Versteht sich, dass Joffe keine Kritik an der Bibel zulassen kann. Hegel hat der antinomischen Bibel schließlich seine Dialektik entnommen. Was Gott tut, das ist wohlgetan, auch wenn er seine Feinde zunichte macht.

 

Fortsetzung folgt.