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Von vorne XVIII

Von vorne XVIII,

das Geheimnis ist gelüftet. Merkel selbst war es, die den innersten Beweggrund ihres politischen Werdegangs entlarvte:

„Immer wieder begegnet man neuen, faszinierenden Menschen. Und das ist für mich der wichtigste Kraftquell für Politik.“ (BILD.de)

Als mächtige Politikerin kommt man – trotz defekten Fluggeräts – herum in der Welt. Bei knapp 8 Milliarden Menschen auf dem Planeten wird es doch EINPROZENT interessante Gattungsexemplare geben. Wer unter Politik eine aktive Gestaltung menschlicher Verhältnisse verstand, wird ab jetzt eines Besseren belehrt. Es geht um passives Begeistert-werden.

Faszination ist „die Ausübung eines mächtigen oder unwiderstehlichen Einflusses auf die Neigungen des Gemütszustand oder der Leidenschaft“. (Wiki)

Besonders zu empfehlen für eher leidenschaftslose Wesen, denen man eine psychische Anämie zu bescheinigen pflegt.

Niemand komme jetzt auf die falsche Fährte.

„Ich hätte mich sicherlich nicht zu diesem Interview bereit erklärt, wenn ich nicht Lust hätte, noch ein bisschen etwas politisch zu sagen.

Untersuchungen renommierter Kommunikationswissenschaftler haben ergeben, dass in Merkels Vokabular eine unscheinbare Floskel übersignifikant vorkommt: „ein bisschen“.

Framingexperten haben die Floskel als Versuch gedeutet, die exponierte Stellung der Sprecherin durch ostentative Bescheidenheit zu kompensieren. Merkel hatte

das Glück, in der Reihe ihrer interessanten Begegnungen auf eine holländische Königin zu treffen, die ihr feministischen Nachhilfeunterricht erteilte:

„Die niederländische Königin Maxima hat mir einmal erklärt, wie sie Feminismus sieht. Dass Frauen überall genau dieselben Rechte haben und dass dies Parität ist (…), von der Politik bis zu den Medien bis zur Geschäftswelt. Das muss unser Ziel sein. Aber wir sind noch nicht da. Ich bin in meiner Zeit als Kanzlerin für viele Mädchen zu einem Vorbild geworden.“

Vorbild worin? Merkels Politik kann maskuliner nicht sein. Ihr Demutsstil ist nicht feministisch, sondern meta-maskulin: er stammt von einem männlichen Erlöser, der den Frauen Befreiung von der Macht irdischer Männer versprach, um sie unter das Joch übernatürlicher Männer zu locken.

Oder etwa Vorbild im Sinne eines allgemeinen Zeitgeists: „…. dass man es schaffen kann“? Dass man nur Mensch ist, wenn man es schafft? Das ist der Kern aller männlichen Ideologie. Unter faustischen He-mannern gilt: wer die Welt nicht in Trümmer legt, um sie nach eigenem Bilde neu zu erschaffen, ist nichts. Daher die Frauenverachtung der Schöpfer und Schaffer.

„Ich bin in meiner Zeit als Kanzlerin für viele Mädchen zu einem Vorbild geworden. Wir brauchen mehr Frauen in solchen relevanten Positionen. Und das heißt, Männer müssen ihre Gewohnheiten ändern.“

Schwer zu glauben, dass eine Machtpolitikerin, in deren Zeit alles vermoderte und degenerierte, (vor allem der Frieden mit Mensch und Natur), zum Vorbild vieler Mädchen geworden sein soll. Und wenn doch, ist es mit dem Vorbild vorbei, seitdem diese Kanzlerin die Revolution der Jugend mit einem wohlwollenden Sätzchen – ignorierte.

Hätte sie einen Draht zur Jugend, wären die unter 30-Jährigen nicht auf die Idee gekommen, mit großer Mehrheit die Grünen zu wählen. Merkels CDU ist der Hit derer, die eine potentielle Naturkatastrophe nur postmortal erleben werden.

Bei Frauen und Menschenrechtlern gilt: jeder Mensch ist Mensch, allein dadurch, dass er ist: sola existentia. Daher das weltberühmte, schlichte Wörtchen „ist“ im ersten Artikel des Grundgesetzes.

BILD-Blome, Spielgefährte des – im Zweifelsfall – linken Augstein, sieht Befürworter des kategorischen Ist in der Nähe totalitärer Empörer:

„Ohne auch nur einen Funken von Zweifel an der eigenen Mission, das Weltklima zu retten: Wer nicht 100% dafür ist, den Klimakurs sofort „drastisch“ zu verändern, vertritt in dieser Welt aus Schwarz und Weiß keine „legitime“ politische Meinung. Im Ernst? Das ist mehr als Wut. Das ist Gesinnungsfuror. Das soll nicht überzeugen, sondern ausgrenzen.“ (BILD.de)

Die Urheber des Grundgesetzes müssen Gesinnungsfanatiker gewesen sein, als sie auf dem alternativlosen Ist bestanden. Ist die Würde angetastet, kann sie nicht zugleich unangetastet sein. Entweder-Oder. Selbiges gilt für Demokratie und alles, was dem Abendland lieb und teuer ist. Brennt das Haus, muss Alarm ohne Wenn und Aber geschlagen werden und nicht: vielleicht brennt das Haus, ruft ein bisschen die Feuerwehr. Elementare Überlebensinstinkte sind in Deutschlands Hochetagen nicht mehr vorhanden.

„Denn Gottes Zorn vom Himmel wird offenbart über alles gottlose Wesen und Ungerechtigkeit der Menschen, die die Wahrheit in Ungerechtigkeit aufhalten. Denn es ist gekommen der große Tag seines Zorns, und wer kann bestehen? Und ich sah ein anderes Zeichen im Himmel, das war groß und wundersam: sieben Engel, die hatten die letzten sieben Plagen; denn mit denselben ist vollendet der Zorn Gottes.“

Ihre abendländische Religion ist Offenbarung des Zornes Gottes über alles, was sich der „Liebe“ Gottes widersetzt. Liebt mich oder ihr werdet mich kennen lernen. Im Allerheiligsten wird der Zorn angebetet, im normalen Leben ist Wut nicht mal dann gestattet, wenn die Wütenden sich für alle Menschen einsetzen.

Die Blome-Fraktion ängstigt sich, durch moralische Imperative könnte sie, als Moralverweigerin, ausgeschlossen oder diskriminiert werden. Sie wird kritisiert, das ist der Sinn demokratischer Debatten. Und sie wird aufgefordert, ihren Starrsinn abzulegen und Vernunft anzunehmen. Doch was sie aus ihrem Leben macht, dafür ist sie allein zuständig. Was macht denn Blome? Er diffamiert die Jugend als autoritäre Moralisten, weil sie unerbittlich klar argumentieren. Sokrates muss für Blome ein platonischer Faschist sein.

In der Verfassung wird das Gewissen als höchste Instanz gerühmt. Im alltäglichen Kampf der Geister aber gilt als Radikalinski, wer ein gutes Gewissen haben will. Abgeordnete haben ihr Gewissen an der Fraktionsgarderobe abzugeben, der Pöbel sein Gewissen in der Springerzentrale, damit die Weber‘sche Wertfreiheit, auch mediale Objektivität genannt, nicht beschmutzt werde. War es doch Weber und die „positivistische“ Wissenschaft jener Tage, die nur wissen wollte, was ist, moralisches Sollen hingegen als unwissenschaftliche Parteilichkeit verabscheute.

Mögen Wissenschaftler unter sich ausmachen, ob sie Moral als Hexe aus ihrem Tempel jagen – oder nicht. Ob sie aber als politische Menschen auf Moral verzichten können, muss bezweifelt werden. Spätestens dann, als dieselben coolen Wissenschaftler gewisse Hitlerhorden aus Gründen wissenschaftlicher Reinlichkeit passieren ließen.

Heute noch schwören Sturmgeschütze der Demokratie auf das jungfräuliche „Ist“, ohne sich die Frage zu stellen: was, wenn die Demokratie gefährdet wäre? Versteht sich für einen wehrhaften Demokraten nicht von selbst die Devise: Du sollst die Demokratie verteidigen, wenn du willst, dass sie weiterhin sei?

Die frühe moralische Aversion Max Webers gegen die gewissenlose Weltmachtprahlerei des Kaisers zerstörte seine eigene Integrität, als er in späteren Jahren von moralischer Wertung abriet. Und dies im Namen der Wissenschaft. Als Moralist begann er und endete als gesinnungs-loser „Verantwortungsethiker“.

Um den großen Max Weber nicht aus der Ahnengalerie guter Deutscher entfernen zu müssen, hat man sich heute auf die Formel geeinigt: Verantwortungsethiker handeln nicht gesinnungslos, Gesinnungsethiker nicht verantwortungslos.

Doch halt! Wer schrieb dann die folgenden Zeilen?

„Der politische Führer trägt selbst die Verantwortung. Da er aber in der Welt handelt und Gewalt das ihm spezifisch äußerste Mittel ist, kann er nicht nach einem absoluten Sittengesetz handeln, ohne auf die Folgen zu sehen, den Erfolg Gott anheimstellend. So würde er gesinnungsethisch, aber verantwortungslos handeln. Da er in der Welt etwas erreichen will, muss er mit den Gewalten rechnen und handeln, die in der Welt wirken. Wer Politik treibt, „lässt sich mit den diabolischen Mächten ein, die in jeder Gewaltsamkeit lauern.“ (Karl Jaspers, Max Weber)

Feinde müssen diabolisiert werden, damit der Hass gegen sie einen guten Klang erhalte. Natürlich waren es immer die anderen, die Krieg wollten. Die deutsche Seele war stets rein und unschuldig. Selbst, wenn sie knietief im Blut watete, blieb sie – anständig.

Dabei war es seit Mandevilles Bienenfabel nichts Neues, dass jede gute Sache durch das Böse befördert werden muss. Der Historiker Friedrich Meinecke schrieb über diese „Staatsraison“ ein schwergewichtiges Buch, worinnen wir lesen:

„Zum Wesen und Geiste der Staatsraison aber gehört es gerade, dass sie sich immer wieder beschmutzen muss durch Verletzungen von Sitte und Recht, ja, allein schon durch das ihr unentbehrlich erscheinende Mittel des Krieges, der trotz aller rechtlichen Formen, in die man ihn kleiden mag, den Durchbruch des Naturzustandes durch die Normen der Kultur bedeutet. Der Staat muss, so scheint es, sündigen. Das ist die furchtbarste und erschütterndste Tatsache der Weltgeschichte, dass es nicht gelingen will, gerade diejenige menschliche Gemeinschaft zu versittlichen, die alle übrigen Gemeinschaften schützend und fördernd umschließt …, die allen übrigen Gemeinschaften eigentlich voranleuchten müsste durch die Reinheit ihres Wesens.“ (Friedrich Meinecke, Die Idee der Staatsraison)

Die Staatsraison – verflucht sei der Begriff, der Vernunft zum Inbegriff der Gewalt erklärt – verwandelte „Machiavellismus zum Nationalismus“ (Meinecke). Solange die deutschen Fürstentümer keinen deutschen Staat zustande brachten, konnte es auch keine Staatsraison geben. Erst Hegel nahm die zukünftige Rolle Deutschlands vorweg und ernannte Machiavelli zum Paten weltpolitischer Entwicklung.

Die hinterwäldlerischen Deutschen erkannten plötzlich die Gesetze der bösen Welt und wurden selbst – böse? Nein, sie blieben die Guten, die durch die Welt lediglich gezwungen waren, zum äußerlichen Bösen zu greifen, ohne innerlich davon berührt zu werden. Das war Luthers Gnadenpädagogik: sündiget, bis es euch zu den Ohren rauskommt, aber glaubet.  

„Oft hat man dieses Buch („Der Fürst“), als mit den Maximen der grausamsten Tyrannen erfüllt, mit Abscheu verworfen, aber in dem hohen Sinne der Notwendigkeit einer Staatsentwicklung hat Machiavelli die Grundsätze aufgestellt, nach welchen in jenen Umständen die Staaten gebildet werden mussten.“ (Hegel)

Als Bismarck den ersten deutschen Staat mit dem Kriegsbeil zusammenschusterte, schlug die Stunde des italienischen Wiederentdeckers des thukydideischen „Naturrechts der Starken“, identisch mit der theologischen Antinomie.

„Mit machiavellistischer Rücksichtslosigkeit und schärfster Berechnung und Ausbeutung der Machtmittel schuf er den deutschen Staat. Es besteht dabei ein innerer Zusammenhang mit seiner Niederhaltung der parlamentarisch-demokratischen Tendenzen. Man versteht, dass ein Zeitgenosse die ganze Entwicklung seit 1789 auf die Formel brachte, dass Machiavelli in ihr eine furchtbare Auferstehung gefeiert habe.“ (Meinecke)

Meinecke schrieb dieses Buch in der Weimarer Zeit. Nach dem Zweiten Weltkrieg und den Untaten der Schergen versuchte er 1946 in dem Buch „Die deutsche Katastrophe“, sich Rechenschaft abzulegen über die Ursachen der zweiten, noch gewaltigeren Katastrophe:

„Es ist die Geschichte der Entartung deutschen Menschentums. Der deutsche Machtstaatsgedanke, dessen Geschichte mit Hegel begann, sollte in Hitler eine ärgste und verhängnisvollste Steigerung und Ausbeutung erfahren. Ich habe von vorneherein die Machtergreifung Hitlers als den Beginn eines allergrößten Unglücks für Deutschland angesehen und mit urteilsfähigen Zeitgenossen in zahllosen Gesprächen immer wieder überprüft und vervollständigt.“

Selbst Meinecke, der kritische Geist, konnte sich, am Ende des Kriegs und am Anfang eines Neuen, nicht dazu durchringen, die Deutschen zu universell-moralischen Zeitgenossen der europäischen Völker und der Welt aufzurufen. Er schien nicht zu bemerken, dass machiavellistischer Geist unvermeidlich wird, wenn alle Staaten gegeneinander konkurrieren:

„Wir bedürfen keiner radikalen Umschulung, um wieder als Glied der abendländischen Kulturgemeinschaft wirksam zu werden. Radikal verschwinden muss nur der nazistische Größenwahn mit seiner Un- und Afterkultur. Aber kein blasses, inhaltsarmes, abstrahiertes Weltbürgertum hat an seine Stelle zu treten, sondern ein von individuellster deutscher Geistesleistung einst mitgeformtes und künftig weiter zu formendes Weltbürgertum. Der deutsche Geist hat seine besondere und unersetzliche Mission innerhalb der abendländischen Gemeinschaft zu erfüllen.“ (Meinecke)

Kein Land besitzt eine unersetzbare Mission. Nur in einem Punkt dürfen Völker brillieren und sich gegenseitig übertreffen: in Menschlichkeit. Alles andere – Wirtschaft, Technik und sonstige Darwinismen – sind Belanglosigkeiten, wenn nicht Hindernisse.

In heutigen Zukunftsdebatten wird das übersehen. Überall dominiert die Staatsraison: was müssen wir tun, damit wir nicht abgehängt werden? China eilt uns davon, die asiatischen Staaten überholen uns, Amerikas Vormacht verwandelt sich aus einem guten in einen herrischen, missgünstigen Patron.

Die Frage nach Krieg und Frieden hängt mit der Selbsteinschätzung der eigenen Macht zusammen. Wer seine eigene Spur finden will, muss sich von seinen Über-Ichs abgrenzen. Auf den militärischen Schutz der größten Atommacht der Welt werden wir angeblich immer angewiesen sein. Also müssen wir unseren eigenen militaristischen Beitrag aufbringen, damit Trump, trotz polternden Tons, nicht seine schützende Hand von uns abziehe.

Wenn Deutschland eine unerlässliche, ja, vorbildliche Rolle im Konzert der Völker spielen will, muss es die Posaunen Jerichos einpacken und die Friedensharfe auspacken. Es gibt nicht nur die großen Führungsnationen in der Welt. Es gibt viele kleinere Völker, die zusammen ein großes Gewicht auf die Waage bringen würden, wenn sie den Großen in entschlossener Haltung die Friedensharfe vorspielen würden.

Es muss Nationen geben, die den Mut zur pazifistischen Vorbildlichkeit besitzen und den unablässigen Versuch wagen, Verbündete in aller Welt zu suchen. Sollten die Gewaltigen tatsächlich den Kopf verlieren und auf den roten Knopf drücken, wären wir alle verloren. Daher gibt es nur eine ultima ratio: haltet Frieden, und nur eine Alternative: Frieden sei ihr erst Geläut.

Trump will vielleicht keinen Krieg, doch er kokettiert ständig mit seiner absoluten Überlegenheit. Diese schreckliche Torheit kann über Nacht ins Auge gehen. Hier hätte die ganze EU die absolute Pflicht als Verbündete, dem Pokerspieler aus Washington das drohende Unheil der ganzen Menschheit drastisch vor Augen zu führen.

Merkels Politik ist identisch mit Max Webers Verantwortungspolitik, die keine Skrupel kennt, gesinnungslose Inhumanität zu vollstrecken. Eine gute Tat genügt (die einem zudem von seinen Verbündeten aufgezwungen wurde), um als Lichtgestalt in die Geschichtsbücher einzugehen. Ansonsten menschenverachtendes Business as usual. Man wird doch nicht so traumtänzerisch sein, dass man seinen abendländischen Phrasen Taten folgen lassen werde.

Wobei diese Werte noch den gerechten Krieg kennen. Wenn man von bösen Feinden angegriffen wird, darf man sich wehren. Das war noch in seligen Zeiten, als ein Krieg die ganze Menschheit noch nicht in Biomüll verwandeln konnte. Vorbei. Das Zusammenwachsen der Völker und die ungeheuren Vernichtungswaffen haben der Idylle eines begrenzten Kriegs seit Hiroshima den Garaus gemacht.

Was ist die Grundlage der Merkel‘schen Politik? Achtung, festhalten:

„Das bedeute, „dass wir uns dagegen stellen müssen“. Der jungen Generation müsse immer wieder gesagt werden, „was die Geschichte an Schrecklichem hervorgebracht hat, was von deutschem Boden ausgegangen ist“. Es müsse auch klar gemacht werden, „warum wir für Demokratie sind … warum wir keine Toleranz zeigen gegenüber Verletzungen der Menschenrechte, warum unser Artikel 1 unseres Grundgesetzes ,Die Würde des Menschen ist unantastbar‘ so wichtig und fundamental ist“, argumentierte die Kanzlerin.“

Artikel 1 des Grundgesetzes heißt nicht: die Würde des deutschen Menschen, sondern die Würde jedes Menschen auf der Welt ist unantastbar. Das verpflichtet zu allen Anstrengungen, Konflikte human zu lösen, die Natur zu schonen, dass sie in planetarischem Maße jeden Säugling, jedes Kind, jeden Erwachsenen ernähren und zu einem erfüllten Leben verhelfen kann.

„Weltweit haben etwa 690 Millionen Kinder laut einem Bericht der Hilfsorganisation Save the Children keine Kindheit, die diesen Namen verdient.“ (SPIEGEL.de)

Der Kapitalismus, das abscheulichste Wirtschaftssystem der Geschichte, der die Natur zerstört und die Menschheit unter sich begräbt, wird noch immer mit dem Argument verteidigt, vielen Menschen hätte er aus der Armut geholfen. Warum aber wurde die Befreiung mit Erpressung und Gewalt vollstreckt? Warum mussten die Völker zu ihrem Glück gezwungen werden?

Liest man denn nicht die Theoretiker des Neoliberalismus wie Friedrich von Hayek, Milton Friedman e tutti quanti, die unmissverständlich erklären: Wenige werden gewinnen, die meisten kommen unter die Räder? Darwinistische Selektion nennt man den Vorgang: viele sind berufen, wenige sind auserwählt.

Was tut Merkel? Sie erhöht, unter Druck Washingtons, den Wehretat. Das hatte sie versprochen, aber nicht eingehalten. Warum hat sie solchen Wahnsinn versprochen? Warum widerruft sie ihn nicht? Was tut sie tatsächlich? Sie spielt die skrupulöse Gesinnungs-Fromme, um nur unter Druck des bösen Trump die Keule auszupacken. Das ist Schauspielerei, die nach Oberammergau gehört.

Sie zeigt keine Toleranz gegenüber Verletzungen der Menschenrechte? Hat sie denn ihrem Freund Obama die Leviten gelesen, als er das Folterlager Guantanamo nicht schloss, mit Drohnen vermutliche Feinde im Jemen liquidieren ließ? Hat sie ihrem besten Freund Netanjahu die bedingungslose Loyalität aufgekündigt, weil er nicht daran denkt, die imperiale Menschenrechtsverletzung in palästinensischen Gebieten zu stoppen? Im Gegenteil, er will sich das ganze Land in angeblich biblischer Urformation einverleiben. Oder heißt bedingungslose Loyalität: trotz Menschen- und Völkerrechtsverbrechen halten wir zusammen wie Pech und Schwefel?

Warum ist der Antisemitismus in Deutschland bedrohlicher geworden? Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht, weil originärer Judenhass gestiegen wäre, sondern weil man in Deutschland einen künstlichen Antisemitismus heranzüchtet: durch provozierten Protest gegen deutsche Heuchelei, die alle Menschenrechtsverletzungen der Jerusalemer Regierung absegnet. Jeder Widerstand gegen Netanjahu wird dem herkömmlichem Antisemitismus zugerechnet. Indem man die Regierung zur einzigen Stimme des Judentums kürt und alle jüdischen Stimmen gegen Netanjahu vollständig unter den Tisch fallen lässt, kann man die weltweit wachsende, emotional anschwellende Kritik an dieser Unrechtsregierung als Antisemitismus bezeichnen.

Merkel scheint zu glauben, der Kampf gegen Antisemitismus könne nur die Aufgabe der Polizei sein. Nein, der Kampf gegen Antisemitismus kann nur in strenger Aufklärungsarbeit durchgeführt werden.

Merkel führt keinen Kampf gegen Antisemitismus. Ihre Politik ist eine Hauptursache für den anschwellenden Antisemitismus: der Protest gegen ihre abscheuliche Heuchelpolitik verschärft sich immer mehr zur grundsätzlichen Judenfeindschaft. Man hat – Vorsicht: Verschwörung – den Verdacht, die Laborzüchtung dieses indirekten Antisemitismus kann kein Zufall sein. Sie muss die Absicht jener sein, die ihn in erneuter Reaktion benutzen, um die Unterdrückung der Palästinenser verstärkt fortzusetzen.

Kritische Juden gelten nicht als Juden. Ihre Warnungen sollen hierzulande nicht zu Gehör kommen. Weshalb der Bundestag den unglaublichen Schritt unternahm, die Meinungsfreiheit der Kritiker einzuschränken. Solche Restriktionen kannte man bislang nur von autoritären Staaten.

„Der Beschluss vermische «auf gefährliche Weise die BDS-Bewegung und Antisemitismus, während er alle zivilgesellschaftlichen Akteure ins Visier nimmt, die sich für die Grundrechte des palästinensischen Volks» einsetzten, heißt es in einer Stellungnahme verschiedener Dachverbände, denen mehrere hundert NGOs angehören.“ „Mit dem Beschluss verstoße der Bundestag «gegen die Menschenrechte, nämlich gegen das Recht auf Meinungs-, Äußerungs- und Versammlungsfreiheit», heißt es in dem Schreiben der NGOs weiter. Er schränke den «Raum der palästinensischen Zivilgesellschaft weiter ein und bringt sie effektiv zum Schweigen.»“ (TAZ.de)

Antisemiten unterscheiden gewöhnlich nicht zwischen „guten und bösen“ Juden. Alle sind sie verwerflich und müssen diffamiert werden. Die deutschen Schein-Philosemiten unter Leitung der Kanzlerin selektieren die Juden, ignorieren die regierungskritischen und erhalten – den homogenen Juden. Indem kritische Juden nicht als Juden anerkannt werden, gibt es nur noch eine Spezies der Juden: diejenige, die Netanjahus Theokratie blindlings gehorcht.

Wer Kritikern gnädig das Recht zur Kritik attestiert, selbst aber nicht die leiseste Kritik äußert, macht sich unglaubwürdig. Ist es nicht merkwürdig, dass nur regimetreue Juden sich das Recht anmaßen, allein über Antisemitismus zu entscheiden? Dabei gibt es Stimmen aus Israel zuhauf, die den deutschen Heuchelkurs als gefährlichen Irrweg attackieren:

„In Israel selbst regt sich Protest gegen den bevorstehenden Bundestagsbeschluss. In einem gemeinsamen Aufruf warnen mehr als 60 jüdische und israelische Wissenschaftler mit scharfen Worten davor, BDS mit Antisemitismus gleichzusetzen, wie es die Bundestagsresolution nun täte. Diese Vermischung sei „inakzeptabel und eine Bedrohung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland“. Amos Goldberg, Professor für die Geschichte des Holocausts an der Hebräischen Universität in Jerusalem hat den Appell initiiert, zu den bekanntesten Unterzeichnern gehören die Soziologin Eva Illouz und Yair Wallach, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Die Wissenschaftler betonen, dass unter ihnen sowohl Unterstützer als auch Gegner der BDS-Bewegung seien. Sie alle lehnten jedoch „die trügerische Behauptung ab, dass die BDS-Bewegung als solche antisemitisch sei, und wir verteidigen das Recht jeder Person oder Organisation, sie zu unterstützen“, heißt es in dem Aufruf. Die Unterzeichner kritisieren, dass der Bundestag „der am weitesten rechts stehenden Regierung in der Geschichte Israels“ helfe, „jeden Diskurs über palästinensische Rechte und jede internationale Solidarität mit den Palästinensern, die unter militärischer Besatzung und schwerer Diskriminierung leiden, zu delegitimieren.““ (SPIEGEL.de)

Merkels Kurs ist nicht nur moralisch verwerflich, er ist ein Desaster. Sie bringt ihre Nachfolgerin dazu, für eine bigotte Klimapolitik einzustehen, die AKK in keinem Punkt zu verantworten hat. Die Europawahlen waren eine Quittung für Merkels langjährige dominante Brüsselpolitik. Doch sie tut, als ginge sie das alles nichts mehr an. Sie herrscht und entzieht sich. Sie erntet Meriten, die sie nicht verdient hat, und leitet alle Kritik, die sie verdient hätte, an andere weiter. Ihre Schuld müssen andere stellvertretend für sie tragen. Die Deutschen schweigen und bewundern.

Max Weber hat Merkels Verantwortungspolitik schon vor 100 Jahren auf den Punkt gebracht. Ein politischer Führer kann keiner moralischen Gesinnung folgen. Er muss sich verhalten wie alle „Realisten“, die unbeirrt machiavellistischen Konkurrenz- und Kriegspfaden folgen. Die Konsequenzen ihrer Politik prallen von ihr ab. Die liegen in Gottes Hand.

„Herr! Schicke, was du willt, Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, dass Beides aus Deinen Händen quillt.“

 

Fortsetzung folgt.