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Von vorne XLI

Von vorne XLI,

zu Bayreuths Wagner-Festspielen trifft sich die creme de la creme der deutschen Gesellschaft, von der Sendung mit der Maus bis zu CSU-Söder und seiner gattenfrei auftretenden Kanzlerin:

Allesamt Antisemiten, wenn man dem derzeit gültigen Antisemitismus-Kanon folgt.

Nach diesem gilt als antisemitisch:

wer sich – belanglos wie oft und in welchem Zusammenhang – des Nazi-Vokabulars bedient, selbst wenn es sich um unverdächtige Begriffe des Alltags handelt,

wer sich bedenklich oft in den Umkreis bekannter Antisemiten begibt, etwa unter dem Vorwand, mit ihnen zu debattieren – oder wer zu erkennen gibt, dass er „Mein Kampf“ ohne staatlich genehmigte Kommentare liest,

wer – gemessen am politisch erlaubten Durchschnittswert – die Menschenrechtsverletzungen Israels signifikant auffällig attackiert, viel schlimmere Menschenrechtsverletzungen anderer Länder jedoch ignoriert,

wer den Mossad der Pflichtvergessenheit rügt, dass er just im Land der Täter keine effiziente Lobbyarbeit für Netanjahu treiben würde.

Philosemitisch hingegen muss es sein, wenn fast die gesamte deutsche Presse den rechtswidrigen Abriss palästinensischer Häuser durch Netanjahu unkommentiert passieren lässt – obgleich die europäische Union und eine UN-Organisation heftig protestiert haben.

BILD – das philosemitischste Blatt der BRD – suggerierte wie stets,

Abbas sei der Bösewicht, der erneut den Fehdehandschuh geworfen habe:
„Abbas droht Israel mit Kündigung von Friedensverträgen“.

BILD rechtfertigt Netanjahu: „Israel begründete den Schritt mit Sicherheitserwägungen“. (BILD.de)

Auch Deutschland begründete seinen Militarismus in beiden Weltkriegen mit dem Argument, das Land der Mitte sei von innen und außen bedroht und müsse mit allen Mitteln ums Überleben kämpfen.

Erklärt das oberste Gericht eines Landes die Verletzung des Völkerrechts für rechtens, schließt sich das Land aus den mühsam erkämpften Humanitätsregeln der internationalen Gemeinschaft aus.

Erklärt Deutschlands Machtelite in Person der Kanzlerin und ihrer Wunschnachfolgerin, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsraison, (ergo ungeachtet aller Völkerrechtsnormen), stellt sich das Land der Täter erneut ins Lager universeller Rechtlosigkeit. (BILD.de)

Bayreuth ist der Weihetempel eines der heftigsten, ästhetisch einflussreichsten Antisemiten der deutschen Geschichte – übertroffen nur noch vom Wittenberger Reformator.

Die regierende Pastorentochter bekennt sich zum Christentum, einer Religion, die nur durch Judenhass entstehen konnte. Zudem ist sie Lutheranerin und ausgewiesene Wagner-Verehrerin. Luther ist das blutrünstigste Vorbild der Nationalsozialisten, Wagner das einflussreichste unter Kulturbeflissenen und Musikliebhabern.

„Jawohl, sie halten uns in unserem eigenen Land gefangen, sie lassen uns arbeiten in Nasenschweiß, Geld und Gut gewinnen, sitzen dieweil hinter dem Ofen, faulenzen, pompen und braten Birnen, fressen, sauffen, leben sanft und wohl von unserm erarbeiteten Gut, haben uns und unsere Güter gefangen durch ihren verfluchten Wucher, spotten dazu und speien uns an, das wir arbeiten und sie faule Juncker lassen sein […] sind also unsere Herren, wir ihre Knechte.“ (Luther, Von den Juden und ihren Lügen)

Wagner sprach von der „Verjüdung der modernen Kunst“, vom „instinktmäßigen Widerwillen gegen das jüdische Wesen“. An ihm müsse deutlich werden, „was wir an jenem Wesen hassen“. Nur, wenn wir diesen Widerwillen genau kennen, wären wir fähig, „ihm die Spitze zu bieten. Ja, schon durch seine nackte Aufdeckung dürfen wir hoffen, den Dämon aus dem Felde zu schlagen, auf dem er sich nur im Schutze eines dämmrigen Halbdunkels zu halten vermag, eines Dunkels, das wir gutmütigen Humanisten selbst über ihn warfen, um uns seinen Anblick minder widerwärtig zu halten“. Heine „war das Gewissen des Judentums, wie das Judentum das üble Gewissen unserer modernen Zivilisation ist“. (Das Judentum und die Musik)

Was ist ein Antisemit? Ein Mensch, der Juden nicht als Menschen anerkennt, sie für alle Übel dieser Welt verantwortlich macht – und ihnen das erdenklich Schlimmste an den Hals wünscht – und es beim Wünschen nicht belässt. Die uralten religiösen Wurzeln dieses mörderischen Hasses müssen ihm nicht bekannt sein. Unerkannt walten sie in ihm. Er konkretisiert sie durch Ableger des Hasses: Rassismus, gruppenfixierter Antikapitalismus, Unterwanderung und langfristige Zerstörung der eigenen Nation, die selbst das auserwählte Volk Gottes sein will.

Antisemitismus ist das pathologische Maximum deutscher Fremdenfeindlichkeit, einer Feindlichkeit gegen alle Völker, die Deutschlands Überlegenheit über alles in der Welt nicht anerkennen wollen.

Warum kämpft der israelische Journalist Noah Klieger gegen Wagneraufführungen in seinem Land?

„Klieger bekämpft Konzerte in Israel nicht deshalb, weil Wagner ein Antisemit war. Dann müsste er auch gegen Aufführungen von Richard Strauss kämpfen, sagt er. „Wagner war mehr als ein Antisemit, er wollte die Vernichtung aller Juden.“ Als Beleg nennt er einen Brief an Cosima, die ihrem Mann von einem Brand in einem Theater in Wien berichtet hatte. Wagners Antwort: „Es sollten alle Juden in einer Aufführung des ,Nathan‘ verbrennen.“ Wer wolle, könne diesen Wagner zu Hause hören, sagt Klieger, ein öffentliches Konzert finde er unerträglich.“ (SPIEGEL.de)

Das Luthergedenkjahr in Deutschland fand niemand unerträglich. Auf Luthers Rechtfertigungslehre allein durch Glauben sind alle Protestanten stolz – ob sie die Lehre verstehen oder nicht. „Ohne Werke des Gesetzes“ ist eine Absage an alle humanen Werte, eine Haltung, die heute von vielen deutschen Intellektuellen als „rationale Interessenpolitik“ vertreten wird. Dieselben Intellektuellen und Edelschreiber wundern sich, aus welchen Löchern die AfD gekrochen kam. Ein Blick in den Spiegel würde genügen.

Der Protestantismus lebt – als hegelianischer Machiavellismus. Ein bisschen den Wehretat erhöhen, Onkel Trump nicht länger mit zugesagten, aber nicht eingehaltenen Versprechungen ärgern – und wir sind gerüstet gegen die Horden aus dem Osten.

Hitler kannte fast alle Wagneropern auswendig, nicht der kleinste Fehler bei Aufführungen entging ihm. In Bayreuth war er zu Hause. War Wagners Musik eine Quelle des Hitler‘schen Judenhasses?

In seinem Buch „Adolf Hitler, mein Jugendfreund“ schrieb August Kubizek über den künftigen Führer und dessen Beziehung zu Wagner:

„Von der Stunde an, da Richard Wagner in sein Leben trat, ließ ihn der Genius dieses Mannes nicht mehr los. In R. Wagners Leben und Werk sah er nicht nur eine Bestätigung des Weges, den er selbst mit seiner geistigen „Übersiedlung“ in die deutsche Vorzeit eingeschlagen hatte, vielmehr bestärkte ihn das Wirken Wagners in der Ansicht, dass diese längst verflossene Epoche für die Gegenwart nutzbar zu machen sei, ja, dass sie, wie sie für R. Wagner zur Heimat seiner Kunst, für diesen dereinst zur Heimat seines Wollens werden könne.“

Verärgert über die schamlose Selbstbewunderung der Wagner-Sippe in der Nachkriegszeit schrieb Joachim Köhler eine scharfe Kritik an Wagner, den er mitverantwortlich sah an Hitlers Judenhass, ergo an Auschwitz. Doch nach Jahren erlag auch Köhler der Magie des genialen Leipzigers.

„Köhler sitzt jetzt da wie ein Ungläubiger, wie ein Kritiker, der Jünger wurde, und er widerruft in aller Deutlichkeit: „Eine direkte Beeinflussung Hitlers durch Wagner sehe ich nicht mehr. Hitler wurde nicht Hitler, weil er ‚Rienzi‘ hörte.““ (Kurbjuweit)

Vorbild Rienzis ist der römische Volkstribun Cola die Rienzo, ein charismatischer Populist, der sich mit dem Volk gegen den korrupten Adel verbindet und sich zum „Tribun der Freiheit und erlauchter Befreier der römischen Republik dank der Autorität unseres gnädigen Herrn Jesus Christus“ ernennt.

„Er forderte die Souveränität des römischen Volkes gegenüber Papst- und Kaisertum sowie die Einigung Italiens. Damit machte er sich sowohl bei Papst Clemens als auch beim römisch-deutschen König (und zukünftigen Kaiser) Karl IV. verdächtig. Schließlich wurde ihm jedoch sein offenbar beginnender Größenwahn zum Verhängnis“. (Wiki)

Seinen alten Feinden Adel und Klerus gelingt es endlich, den Tribun beim Volk verdächtig zu machen, sodass es ihn fallen lässt. Abgesehen vom Ende des Dramas (der Untreue des Volkes), gibt es nur Übereinstimmungen zwischen Tribun und Führer. Dort der Aufstieg und die Selbsternennung zum Gesandten Christi, hier die gegenseitige Verführungskraft zwischen Volk und Führer und dessen Aufstieg zum Sohn der Vorsehung.

„Im Vorfeld der Revolution von 1848 beschäftigte sich auch der junge Richard Wagner mit dem nationalen Stoff. Rienzi. Er ist für ihn der Held, der das Volk erlöst und befreit, ein, so Wagner, „hochbegeisterter Schwärmer, der wie ein blitzender Lichtstrahl unter einem tiefgesunkenen, entarteten Volk erschien, welches zu erleuchten und emporzuheben er sich berufen hielt“. Der 16jährige Hitler sei nach der Oper im „Zustand völliger Entrückung“ bis in die Morgenstunden zum Linzer Freinberg gewandert, schreibt Kubizek : „In großartigen, mitreißenden Bildern entwickelte er mir die Zukunft des deutschen Volkes.“ Ausführlich zitiert Kubizek Verse, die ihm „zu Herzen“ gegangen seien. So wenn Rienzi singt: „…doch wählet ihr zum Schützer mich / der Rechte, die dem Volk erkannt, / so blickt auf eure Ahnen hin: / Und nennt mich euren Volkstribun! (Kulturzentrum-Toblach.eu)

Stopp, das alles ist doch nur Text. Heute muss die Musik vom Inhalt getrennt werden, erklären die Verehrer Wagners unermüdlich.

Kann man Bachs Musik von seinem Glauben, Goethes Werke von seiner fürstenknechtlichen Volksverachtung, Kleists Dramen von seinem Franzosenhass, Marxens Verbundenheit mit den Elenden von seiner Verachtung des Lumpenproletariats und der außereuropäischen Völker trennen?

„Kann eine Oper als Kunstwerk für sich alleine stehen oder braucht es den Hintergrund, dass Wagner Antisemit war und in menschenverachtender Weise von Juden sprach, schrieb und dachte? In der Figur der Mime in der Oper „Siegfried“ beispielsweise hätten etwa Gustav Mahler oder Theodor W. Adorno „die Quintessenz des Juden“ gesehen, wie der israelische Historiker Saul Friedländer schreibt. Die entsprechend um Mime gestaltete Handlung – er wurde zu Siegfrieds Todfeind, strebte nach Gold und wurde schließlich wegen seiner düsteren Pläne von Siegfried ermordet – ließen ihn „als Personifikation des Juden schlechthin“ erscheinen. Ebenso würden im „Parsifal“ viele Interpreten Kundry als jüdische Gestalt verstehen – in Taufe und Tod habe sie Erlösung finden können.“ (FOCUS.de)

Musik ist Musik – und Text ist Text. Beides muss man trennen, einen Zusammenhang gibt es nicht, erklären Kunstexperten der Postmoderne. Einen außer-ästhetischen Auftrag, sei es die Verbreitung von Humanität oder die Stiftung von Frieden unter den Völkern, weisen die Künstler der Gegenwart empört zurück.

In diesem Sinn verharrt die Kunst noch immer auf dem Standpunkt des späten Schiller, der die „Bühne als moralische Anstalt“ aufgegeben hatte. Unter dem frischen Eindruck der Französischen Revolution hatte Schiller noch geschrieben:

„Alle Verbesserungen im Politischen soll von Veredelung des Charakters ausgehen.“ Dazu bedürfe es des Instruments der Kunst. Das Ergebnis wird der „schöne Staat“ sein, in dem das Schöne für Geselligkeit bürge. „Wenn schon das Bedürfnis den Menschen in die Gesellschaft nötigt und die Vernunft gesellige Grundsätze in ihm pflanzt, so kann die Schönheit allein ihm einen geselligen Charakter erteilen. Der Geschmack allein bringt Harmonie in die Gesellschaft.“

„Wer auf diese Art der Kunst einen demokratischen Bildungsauftrag erteilt“, schreibt Werner Hofmann in seinem Werk „Grundlagen der modernen Kunst“, der „gibt sie jedem in die Hand und liefert sie schließlich den Ordnungshütern aus, die über Anstand, Sitte und politische Moral zu wachen haben. Wenn Kunst alle anzugehen hat, dann wird sie zu einer öffentlichen Angelegenheit. Sie muss, wie Schiller prophezeite, die Beistimmung der duldenden Masse einholen. Alle dürfen über sie urteilen und nach ihrem Nutzen fragen; der Steuerzahler verlangt Rechenschaft, der Zensor waltet seines Amtes.“

Elitärer, arroganter, demokratiefeindlicher geht’s nicht. Noch heute ist das die Einstellung vieler Edelschreiber, die sich als Künstler fühlen und nicht als Büttel der Moral. Kommt ein Thema auf wie das Zittern der Kanzlerin, scharen sich ihre Kohorten sofort um sie und zeigen „Jedermann“ die rote Karte: jeder wolle sich heute zu allem äußern. Wie wär‘s mit Klappe halten?

Deutsche Kunst wollte nicht länger die Magd der Vernunft, des Glücks oder der Moral sein. Sie wollte eine eigenständige Sprache entwickeln, die nicht von jedem Spießer verstanden werden konnte, denn sie war die Sprache des Genies.

Apolitische Ästhetik hat Deutschland seit 200 Jahren geprägt. Ohne Schillers Wendung, ohne romantischen Geniekult, ohne Erhebung der Deutschen zu Erlösern (oder Verderbern) der Völker wäre Wagner nicht möglich, ohne Wagner und seine nationalistischen Bewunderer wäre Hitler nicht möglich gewesen. Nationalsozialismus ist nicht das Ergebnis von 20, nicht mal von 200 Jahren deutscher Wahnentwicklung. Die Wurzeln des Antisemitismus, sie reichen 2000 Jahre zurück.

Solche Erkenntnisse tangieren die Deutschen nicht. Einige wollen ihren alten Kaiser Willem, andere das Schöne und Gute der Dichter und Denker zurück:

„Die Nazi-Jahre liegen wie ein Sperrriegel vor der Erinnerung an das gute Deutschland, an die Komponisten, Dichter und Philosophen, die der Welt im 18. und 19. Jahrhundert so viel Schönheit und Erkenntnis beschert haben, Kant, Hegel, Goethe, Schiller, Beethoven, Wagner, die Romantiker. Trotzdem haben sich die Deutschen einen Hitler erwählt und haben unter seiner Führung ein Inferno entfesselt.“ (Kurbjuweit)

Wären die Deutschen nur böse gewesen (Teufel gibt es nicht), wäre alles kinderleicht gewesen: jedermann hätte erkennen können, wes Ungeistes Kind der Nationalsozialismus war. Das Vertrackte liegt in der undurchschaubaren Mixtur aus Gutem und Bösem. Das Christentum enthält eine in sich widersprüchliche oder antinomische Moral. Handle gut oder böse: im Auftrag von Oben ist alles gut.

Dem Volke wurde gepredigt, das Gute schließe das Böse aus. Doch das galt nur fürs Kleine und Private. In großen Dingen hingegen – im Wirtschaftlichen, Politischen und Fortschrittlichen – galt das Gegenteil.

Wenn Gutes und Böses durch faule Kompromisse verkettet werden, gibt es weder ein Gutes noch ein Böses. Das Gute kann böse, das Böse als Gutes auftreten. Erst bei Kriegsende verstanden viele Deutsche, warum Führer und Judenvernichtung böse gewesen sein sollten. Waren sie doch stolz darauf, im Blute ihrer Feinde gewatet zu haben – und dennoch anständig geblieben zu sein. Gipfelpunkt des Guten ist das absolute Böse: im Bann dieser grauenhaftesten aller Formeln ging Deutschland unter.

Hitlerfanatische Kirchen bläuten den Deutschen ein, dass sie – durch Ausrottung der Juden – das wahre auserwählte Volk seien, die den Endsieg Gottes in der Heilsgeschichte garantieren würden:

„Die alte Utopie vom Tausendjährigen Reich des Heils, das schon der Volkstribun Rienzi verwirklichen wollte, war untrennbar verknüpft mit der „Endschlacht“ gegen den Antichrist. Nur der in neuer Gestalt wiederkehrende Heiland konnte den Widersacher besiegen. In vielen religiösen Traktaten führte deshalb der Weg ins Friedensreich über „Gemetzel und Terror“ – ein neues Kreuzritterheer, angeführt vom sagenhaften Kaiser Friedrich, so versprachen die Weissagungen, werde ein „Blutbad“ unter der Judenschaft, diesem menschgewordenen Antichrist, anrichten, das «zur Reinigung der Welt am Vorabend des 1000-jährigen Reiches, diene.»“ (Köhler)

Dasselbe auf hitler-wagnerianerisch: „«Im deutschen Volke hat sich das älteste urberechtigte Königsgeschlecht der Welt erhalten: es stammt von einem Sohne Gottes her, der seinem Volke Siegfried, den übrigen Völkern der Erde aber Christus heißt» – wodurch der herrschende Fürst der Deutschen, schon vom Blute her, in seiner Nachfolge des arischen Messias trete.“ Nach Niederwerfung des Moskauer Antichrist wollte er mit seiner Heeresmacht nach Indien ziehen. „Wann kommst du wieder, Friedrich, du herrlicher Siegfried! und schlägst den bösen nagenden Wurm der Menschheit?“ (Köhler)

Im Führer waren alle in Personalunion auferstanden: Christus, Friedrich, Siegfried, der Sohn der Vorsehung, der Messias am Ende der Geschichte. Es war ein rauschendes Finale ins Heil oder ins ewige Verderben. Wahre Helden werden erst im Tod zu Lichtfiguren der Geschichte.

Können Bayreuth-Pilger den antisemitischen Inhalt der Wagnermusik ignorieren oder ausblenden? Nein, können sie nicht. Sie können sich aber einbilden, dem deutsch-christlichen Wahn entkommen zu sein. Eben dies behaupten sie selbst:

„Käbisch liebt die Musik Wagners, aber er könnte sie „nicht jeden Tag ertragen“. Sie sei „extrem vereinnahmend, beim Zuhören löst sich das Ich auf, das Individuum, man kommt in einen Rausch, in einen ekstatischen Zustand“. Es sei „Überwältigungsmusik“, sagt Käbisch. „Das ist das Gefährliche, deshalb war diese Musik für die Politik im ,Dritten Reich‘ so gut geeignet.“ Wenn es um Wagner geht, ist man recht schnell wieder bei der Politik. Wagner selbst hat seine Musik politisch gedacht. Er wollte nicht nur Künstler sein, sondern auch eine neue Gesellschaft bauen, eine Gesellschaft der Ergriffenen, die nicht nach Geld und Macht streben, sondern nach Liebe. Seine Musik war auch ein Propagandainstrument für diese Idee. Den Nazis passte das gut, da sie selbst mit Rausch, Ekstase und Überwältigung arbeiteten, zum Beispiel auf den Reichsparteitagen in Nürnberg. Bei den Deutschen trafen sie damit auf einen besonders ausgeprägten Hang zur Ergriffenheit und zum Pathos, man findet das unter anderem in der Romantik, bei Friedrich Schiller oder in der Philosophie Martin Heideggers. In Wagners Musik erfüllt sich eine urdeutsche Sehnsucht.“

Überwältigt – wovon? Das Ich löst sich auf – in was? Berauscht – von welcher Macht? Ekstase – in welche irrationale Entrückheit? Die Ehrlichen unter den Berauschten stehen vor der Tür der Ernüchterung, aber wissen wollen sie nicht, was sich dahinter verbirgt. Und nun die niederschmetternden Sätze der Verharmloser, Entwarner und Beschöniger:

„In der deutschen Politik ist dieses Pathos seit Hitler nicht mehr möglich, anders als in den USA oder in Frankreich. In der Musik Wagners können es auch Deutsche noch genießen, wenn sie den Standpunkt einnehmen, dass diese Musik unschuldig ist oder ihnen politische Kontexte von Kunst egal sind. Dann ist es ein unschuldiges Pathos. Das ist das deutsche Vergnügen an Wagner, unter anderem. Nike Wagner, die Urenkelin, antwortet auf ihre eigene Frage so: «Ja, der Komponist des ‚Tristan‘ war Antisemit und hätte auch Paris gerne mal niedergebrannt. Wagner bleibt ein moralisches Problem. Dennoch: Niemand hört Wagner heute mehr ‚ideologisch‘. Deshalb muss es erlaubt sein, das Werk vom Charakter seines 200 Jahre alten Schöpfers zu trennen. Antisemitismus ist im Werk manifest nicht nachzuweisen.»“

Er war Antisemit, aber sein Antisemitismus ist nicht mehr nachzuweisen? Wie soll man Musik in Sprache übersetzen? Wie kann man mit ihr etwas beweisen? Bleiben Warnungen vor dem Wagner’schen Gesamtkunstwerk im Nebulösen? Nicht ganz.

Man muss schon die ganze Gesellschaft betrachten und sich die Frage stellen: in welche Richtung hat sie sich entwickelt? Wo liegen die Zentren ihrer ideologischen und ästhetischen Alphatiere? Worüber wird mit blinder Begeisterung geschrieben, was unterdrückt und verschwiegen? Aus welchen „Filter- und Echoräumen“ stammen jene, die die Deutschen wieder zu Herrenmenschen erheben wollen und alles Fremde und Andersgläubige als feindlich stigmatisieren? Wie ist es möglich, dass Merkel, Söder & Co auf ihre Ekstasis nicht einmal befragt werden?

Wird ein solches Massiv an historischer Bedeutung auf ein bloßes Gesellschaftsereignis reduziert, muss das Gründe und Folgen haben. Den Deutschen Unbefangenheit bei ihren verstrahlten Altlasten zu attestieren, grenzt an Geistesabwesenheit.

Nicht dieser oder jener ist der gefährlichste Antisemit. Am verhängnisvollsten sind historische Verdrängungen, Zeitgeistideologien, die die Wahrheit leugnen und das Zurückschauen in die Vergangenheit verbieten. Wie kann es die Wahrheit der Shoa geben, wenn es keine Wahrheit gibt? Wie soll man Vergangenheit bewältigen, wenn man sie nicht erkennen kann? Wenn man immerzu nach vorne schauen muss?

An Gedenktagen plötzlich gilt in allen Dingen das Gegenteil: wir dürfen nicht vergessen, wir müssen Erinnerungen wach halten. All dies ginge nur mit wehrhafter Demokratie und standhaftem Verteidigen humaner Werte. Luther und Wagner, die antisemitischen Vorreiter des Dritten Reiches, werden zu nationalen Helden stilisiert, Kirchen, die fanatischen Fürbeter des Messias, als Stützen der Eliten hochgehalten.

Heuchelpolitik gegen Israel honoriert die staatsfrommen Juden und brandmarkt die Kritiker Jerusalems als „Selbsthasser“. Täglich wird Antisemitismus künstlich neu erzeugt durch das Verbot der Israelkritik. Viele würden gern einen Beitrag leisten zur Überwindung der Doppelmoral, zittern aber vor dem Fallbeil einer Antisemiten-Ächtung. Trotz, Scham und Ärger gegen diese Heuchelkette sorgen für ständigen Zufluss von Unmuts- und Hassgefühlen.

Die herrschende Politik will gar nicht, dass der Antisemitismus schwinde. Netanjahu und seine ultraorthodoxen Verbündeten brauchen eine feindliche Gojim-Welt, um ihre auftrumpfende Machtpolitik zu verteidigen. Die Deutschen brauchen die rituelle Bußprozession in die Knesseth, um ihre unaufgearbeitete Vergangenheit mit Sündenbekenntnissen aufzubessern.

Der „Philosemitismus“ der Springerpresse, die alles rechtlose Handeln Jerusalems mit der Waffe des Antisemitismus-Vorwurfs verteidigt, zeichnet das jüdische Volk als theokratische Nation, die unfähig ist, sich selbstkritisch zu betrachten. Sich im Spiegel anderer Nationen zu betrachten, widerspricht dem Status ihrer Auserwähltheit.

Handelt BILD mit Bewusstsein? Dazu fehlt dem Blatt alles. Es agiert im unbewussten Zwang, seine Lektion der Geschichte gelernt zu haben und dennoch durchdrungen zu sein von antijüdischen Reflexen. Wer solche philosemitischen Freunde hat, braucht für Antisemitismus nicht mehr zu sorgen.

Bayreuth ist die ästhetische Chiffre all dieser „rechts abdriftenden“ Regressionen. Wenn Wittenberg nach Bayreuth pilgert, wird es brandgefährlich.

 

Fortsetzung folgt.