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Von vorne VII

Von vorne VII,

„Schatz, das brauchen wir auch: ein irrsinniges Anwesen etwas südlich vom Starnberger See kurz vor den Alpen mit etwa 4000 Quadratmetern Wohnfläche, erweiterbar auf bis zu etwa 24.000 Quadratmeter, Helikopter-Landeplatz, 360-Grad-Natur- und Alpen-Panorama – einer der schönsten Plätze Bayerns.“

Nein, Schatz doch nicht, ich habe mir sagen lassen, in der Umgebung wohnen Deutsche. Im Winter soll es sogar schneien. Grässlich.

„Da habe ich mir den Polizisten geben lassen und gesagt: Sie, der Mann steht auf der Forbes-Liste und ist einer der reichsten Menschen dieser Erde. Der ist sicherlich alles, aber kein Medikamentenschmuggler. Dann haben sie ihn nach ein paar Stunden weiterfahren lassen mit seinem Pagani-Supersportwagen.“ (SPIEGEL.de)

„Ja, stehen denn Kollektiv-Billionäre über den Gesetzen?“: fragte der SPIEGEL-Interviewer nicht. Zu Billionärs-Gesellschaften gehört eine neutrale Presse. Merkt‘s euch, ihr Kreativen, wenn ihr mal wieder die Schöpfung neu erfindet.

„Wir wollen eine Meinungsseite haben, die verschiedenste Ansichten präsentiert, und unsere Leser sind es gewohnt, dass ihr Standpunkt herausgefordert wird.“ Sagt wer? Der Chef der New York Times. (ZEIT.de)

Für deutsche Verhältnisse wäre es ein Fortschritt, wenn es grundlegend konträre Kommentare gäbe. In vielen Zeitungen gibt’s zu den wichtigsten Themen überhaupt keinen Kommentar mehr. Alles alternativlos, vom Starnberger See bis zum Leben auf Pump der Natur. Was war das für ein Gezeter, als die Kanzlerin vor Jahren versehentlich ausplauderte, wie es in Deutschland zuzugehen hat: keine Alternative zu ihrem gottgesegneten Tun!

Dennoch: auch wenn es gelegentlich diametrale Meinungen der Lohnschreiber gibt, ersetzt das noch lange nicht die Meinung der Chefetagen. Hinter ihren

Untergebenen verstecken sich die Häuptlinge. Wenn die Welt versinkt, werden sie sich ein Raumschiff mieten und neutral, objektiv und äquidistant beschreiben, wer untergeht und wer in letzter Sekunde die Musk-Rakete zum Mars erreicht. Grundsatz der Selektion an der Pforte von Noahs Arche II: kein Menschenmüll im Neuen Paradies. Was sollen die Aliens denken, wenn sie uns einen Besuch abstatten?

Die Forbesliste der Weltbesten zeigt, wohin die Reise gehen wird: Frauen sind Loser. Sie können nicht mal reich werden. Gottlob werden sie bald nicht mehr gebraucht. Fleischlich – also von Frauen geborener Nachwuchs wird in Zukunft systematisch durch KI ersetzt.

„Überlegungen zum Thema Leben im Weltall werden ausschließlich im Denksystem der Technik angestellt werden. Wo Begriffe wie „Überleben, Werte, Lernen, Problemlösen, Individuen, Verhaltensnorm, Ich“ benutzt werden, sind diese – nichttechnischen Worte – nur aus Mangel an verständniserweckenden anderslautenden Vokabeln benutzt und haben nur eine technische Bedeutung. Die ganze „Maschinen-können-nicht…-Literatur“ wird in wenigen Jahrzehnten als Kuriosum registriert.“ (Karl Steinbuch, Automat und Mensch)

Was Steinbuch im Jahre 1971 nicht voraussehen konnte, war die Transformation von fleischlichem Vögeln in erregende Begegnungen mit Robotern.

„2014 waren 172 von 1645 Dollar-Milliardären weiblich, wovon die meisten ihr Vermögen geerbt haben. 2010 hatten von 89 Frauen nur 14 (rd. 16 %) ihren Reichtum selbst erwirtschaftet, während 665 von 922 Männern Selfmade-Milliardäre waren (rd. 72 %).“ (Wikipedia.de)

Bereits 1961 entwarf Weltraumpionier Eugen Sänger die zukünftige Menschheitspyramide in sieben Klassen. (Biblische Analogien: sieben Tage, sieben goldene Leuchter, sieben Sterne, sieben Siegel, sieben Plagen, sieben Gemeinden …) Die unterste Stufe „ohne Werksnutzen“ besteht aus:

„Asozialen, Berufslosen, Arbeitsscheuen, Landstreichern, betrügerischen Händlern, Spekulanten, Verbrechern, Geisteskranken, Menschen ohne merkbare Teilnahme an der Gemeinschaftsleistung, meist infolge fehlender Seelenwerte, ohne Trieb zu regelmäßiger Arbeit, oft ohne abgeschlossene Schulbildung.“

Die oberste Stufe besteht aus:

„Übermenschen, Genialen, Schöpfern, Weisen, Unsterblichen, Sehern, Propheten, Menschheitslehrern, großen Wertebringern und Werteschöpfern, Ausnahmemenschen mit hoher seelischer Spannung, die der Menschheit neue Wege weisen, deren Lehren die Menschheitsgeschichte steuern, deren Wertschöpfung Ziel und Zweck der ganzen übrigen Menschheit darstellt und unter 10 Millionen Menschen vielleicht einmal vorkommt.“ (zit. in Ernst Benz, Der Übermensch)

Leicht zu erkennen ist Sängers SS-Rassismus und Judenfeindschaft („betrügerische Händler, Spekulanten“ etc.). Den Rassismus überträgt er nach dem Krieg auf die amerikanische Zukunfts-Selektion, sei sie technischer oder biblischer Herkunft. Diese Erwähltheitsreligion beherrscht heute die gesamte Silicon-Valley-Ideologie. Erwählt ist, wer KI als menschenüberlegene neue Rasse begrüßt, verworfen werden alle, die an demokratische Gleichmacherei glauben.

Heute ist ein entscheidender Tag. Ab heute beginnt das Schnorren der Gattung auf Kosten der Natur:

„Wenn jeder so leben würde wie die Menschen in Deutschland, wären schon am 3. Mai die Ressourcen für das gesamte Jahr verbraucht und alle ökologisch vertretbaren Emissionen ausgestoßen, warnen Umweltorganisationen wie Germanwatch. Aus Modellrechnungen haben sie auch in diesem Jahr einen deutschen Erdüberlastungstag abgeleitet.“ (SPIEGEL.de)

Die Menschheit lebt mehr als die Hälfte des Jahres parasitisch auf Kosten der Natur – pro Jahr. Würde man das jährliche Schmarotzen seit seinem abendländischen Beginn zusammenrechnen, ergäbe sich eine erkleckliche Anzahl von planetarischen Schnorrerjahren. Erstaunlich, wie lange Mutter Natur dieses Aussaugen ertragen hat und erst jetzt die Menschheit mit erdumspannenden Katastrophen zu verwarnen beginnt.

Wer seine Schulden nicht bezahlte, wurde früher in den Schuldenturm geworfen. Heute käme der Gerichtsvollzieher und würde alles pfänden. Die heutige Pfändung müsste damit beginnen, alle schweren Luxuslimousinen und Flugzeuge der Regierung wegzusperren, den motorisierten Innenverkehr der Städte einzustellen, die Plastik-Sintfluten auf der Stelle auszutrocknen.

Jeder Bürger müsste jeden pflichtgemäß auf der Straße begrüßen: He, Schnorrer, heute schon was für die Natur getan? Wer mit Gurken in Plastik erwischt wird, kommt an den Schmarotzer-Pranger und muss Gurke samt Plastik coram publico verzehren. Weitere Foltervorschläge, die selbstredend mit der Würde des Menschen vereinbar sein müssen (ohne Kompromisse geht es nun mal nicht), bitte an die Redaktion.

Dass die Natur bislang so langmütig und freundlich reagierte, deuten Klimaleugner als Beweis, dass es keine menschengemachte Klimaveränderung geben kann. Bevor die Natur – genauer: die für den Menschen zuständige Nische der Natur – nicht vollständig kollabiert, werden sie auf ihrem Beweis beharren. Die unendlichen Wundmale der Mutter Natur, die schon seit Goethes Zeiten zu bluten begannen, blenden die Naturhasser aus.

Um das deutsche Vaterland ist es nicht gut bestellt. Oder ist es unbemerkt zum Mutterland geworden? Das kann nicht sein, Mütter können nicht gleichgültig oder triumphierend zusehen, wie ihre Geschöpfe vor die Hunde gehen. Nur moderne Mütter, die unter den Vätern arbeiten müssen, werden gezwungen, dem Elend untätig zuzuschauen.

Seit sie Kinder und Beruf vereinbar machen mussten, nehmen sie nicht mehr wahr, was rund um sie geschieht. Sie hören nicht mehr ihre schreienden Kinder, die sie abliefern müssen, damit sie dem Kapitalismus dienen können. Sie trauen sich nicht, den Männern die Folterwerkzeuge der Natur aus der Hand zu reißen. Die Kinder, sie sie gebären, gehören auch ihren Männern, die Löhne ihrer Männer hingegen gehören ihnen nicht. Sie müssen mit Abhängigkeit bestraft werden, damit sie endlich das Haus verlassen.

Die Deutschen jammern, produzieren, mästen ihre Reichen – tun aber nichts. Eine Kanzlerin beten sie an, in deren Regierungszeit alles beschleunigt verdirbt und zerfällt. Sie lassen sich beruhigen mit Demutsgesten, die ihren Untergang biblisch rechtfertigen. Seit 200 Jahren schauen sie zu, wie Natur geschändet wird:

„Aber du wirst richten, heilige Natur! Töten könnt ihr, aber nicht lebendig machen. Ihr entwürdigt, ihr zerreißt, wo sie euch duldet, die geduldige Natur. Es ist auf Erden alles unvollkommen, ist das alte Lied der Deutschen. Wenn doch einmal diesen Gottverlassnen einer sagte, dass bei ihnen nur so unvollkommen alles ist, weil sie nichts Reines unverdorben, nichts Heiliges unbetastet lassen mit den plumpen Händen, dass bei ihnen nichts gedeiht, weil sie die Wurzel des Gedeihns, die göttliche Natur nicht achten, dass bei ihnen das Leben schal und sorgenschwer und übervoll von kalter, stummer Zwietracht ist, weil sie den Genius verschmähn, der Kraft und Adel in ein menschlich Tun, und Heiterkeit ins Leiden und Lieb und Brüderschaft den Städten und den Häusern bringt. Oh! Göttlich muss sie sein, weil ihr zerstören dürft und dennoch sie nicht altert und trotz euch das Schöne bleibt. Ich wollte nun aus Deutschland wieder fort. Ich suchte unter diesem Volke nichts mehr.“ (Hyperion)

200 Jahre sind vergangen, die Beziehungen zur Natur nicht besser geworden. Alles hat sich verschlimmert. Sie nennen es Fortschritt.

Nun beginnt wieder die Barbarei auf den Straßen. Wer seine Vergangenheit nicht aufgearbeitet hat, muss sie wiederholen. Hat nur Markus Feldenkirchen bemerkt, was auf deutschen Straßen wieder möglich ist?

„In Plauen marschierten am Mittwoch rund 300 Rechtsextreme und Neonazis der Partei „Der Dritte Weg“ mit Fackeln, Fahnen und Trommeln durch die Straßen. In bewusster Anlehnung an die als „Braunhemden“ bekannt gewordene Sturmabteilung der NSDAP trugen die Teilnehmer braune Shirts. Einen Nachmittag lang durfte in Plauen ungestört 1933 gespielt werden. Was zur gleichen Zeit in Duisburg geschah, organisiert von der Partei „Die Rechte“, war ebenso verstörend: dass Menschen vor den Augen von Polizisten den Hitlergruß zeigen dürfen und als Hitler-Imitat nationalsozialistische Parolen brüllen dürfen. Oder dass Redner in Anspielung auf Juden von der „internationalistischen Krake“ und dem „alten Parasit“ sprechen und folgendes Nazi-Lied zitieren können: „In die Parlamente schmeißt die Hassgranaten rein. Denn wir sind in unseren Herzen keine Demokraten. In unseren Herzen sind wir, damals wie heute, Hitler-Leute.“ Das ist alles so geschehen. Alles ungestört.“ (SPIEGEL.de)

Warum schweigen alle? Wo sind die Bundes-, Bundesrats- und Bundestagspräsidenten, dass sie die Schande ansprächen? Wo die Kanzlerin, dass sie die beunruhigende Wahrnehmung der Bevölkerung bestätigte? Wo bleibt die geballte Stellungnahme der Schreiber? Kaum, dass Bilder dieser Schande in die TV-Kanäle drangen. Je mehr die Natur vor die Hunde geht, je mehr werden die Menschen übereinander herfallen.

Die Presse lernt nichts. Einen Märchenerzähler aus ihren Reihen enttarnten sie, um neue Märchenerzähler auszuzeichnen:

„Gerade in diesem Jahr, in dem der Fall Relotius auch das Image von Journalistenpreisen beschädigt hat, ist es wichtig, ein Zeichen für Qualitätsjournalismus zu setzen. Unsere toll besetzte Jury hat es sich nicht leicht gemacht, zusätzlich haben wir Fakten gecheckt und machen auf der Preisverleihung die Geschichten hinter den preisgekrönten Arbeiten transparent.“ (WELT.de)

Berichten und Bewerten müssen getrennt werden, wie die Deutschen von der New York Times lernen könnten. Erzählen allein, und seien die Fälle noch so betrüblich, genügt nicht. Es müssen Ursache und Schuldige gefunden, es muss präzis angeklagt werden. Bloße Geschichten erzählen ist, Matthias Döpfner und Stefan Aust zu erschüttern, ohne sie in ihrer blasierten Koketterie mit der Amoral aufzuschrecken. Es geht nicht um schöne und eindrucksvolle Geschichten, es geht um Rebellion. Es geht um Attackieren, Anprangern, Ross und Reiter nennen.

Stefan Aust will sich vor keinen Karren spannen lassen und sei er noch so edel:

„Zu den wichtigsten Prinzipien der journalistischen Freiheit der Berichterstattung gehört, seine Quellen sorgfältig abzuklären und sich nicht zum publizistischen Handlanger von Interessengruppen zu machen, die zumeist ihre eigene Agenda haben, auch wenn sie noch so edel daherkommen. Pressefreiheit ist auch die Freiheit, dagegenzuhalten, nicht im Chor der Mehrheitsmeinung mitzusingen: unbequem zu sein. Und das ist manchmal durchaus unbequem.“ (WELT.de)

Auch hier könnten die deutschen Edelschreiber von der New York Times lernen. Sie haben weder bequem noch unbequem zu sein, sie haben der Wahrheit zu dienen. Ist Wahrheit bequem, dürfen sich ihre Anhänger zurücklehnen. Ist sie unbequem, müssen sie auf den Putz hauen. Was aber, wenn die Schreiber Wahrheit verleugnen? Dann werden sie zu Handlangern eigensüchtiger Machtinteressen, ob sie wollen oder nicht. Eine demokratische Presse kann niemals unabhängig sein. Sie ist abhängig von der Wahrheit, von demokratischer Humanität. Wer, bei gefährdeter Pressefreiheit, Solidarität einfordert, ist selbst zu Solidarität verpflichtet. Aust propagiert ein postpubertäres, flippiges noli me tangere: wir stehen über allem, jenseits von gut und böse.

Eine preiswürdige Geschichte muss den Bildschirm sprengen, die Leserschaft in Wallung bringen – aber nur mit bloßer Wahrheit. Wie lange schon werden Preise verliehen und alles blieb beim Alten?

Die Presse stirbt in selbstverliebter Belanglosigkeit. Ihre Berichte wollen seelisch rühren, ohne politisch aufzurütteln, alles soll weitergehen wie bisher. Noch schlimmer. Wer etwas verändern will wie die demonstrierende Jugend, wird von Status-quo-anbetern der WELT mit Hohn übergossen.

Da niemand auf die Idee käme, die Vierte Gewalt auszuzeichnen, zeichnet sie sich sicherheitshalber selber aus. Das ist wie eitles Posieren vor dem Spiegel, weil kein anderer die eigene Schönheit erkannt hat.

Alles muss von Grund auf bedacht, das Wahre festgehalten, das Unwahre verändert werden. Kommt aber ein neuer Vorschlag, der zudem uralt ist – was geschieht? Der Vorschlag wird gerädert. Ein junger SPDler erinnert an das eigene Programm und seine Genossen empfehlen, ihn aus der Partei auszuschließen. Das wäre, als ob AKK an die christlichen Werte der CDU erinnerte und die Partei würde sie erbost aus dem Amte jagen. Gab es je eine blamablere Selbstdenunziation?

Noch immer heißt es in allen Gazetten, die Wirtschaft müsse wachsen. Eine wachsende Wirtschaft aber ruiniert zunehmend die Natur. Kaum fällt die Wachstumsquote um ein Geringes, schon kann man überall die Schlagzeile lesen: Die fetten Jahre sind vorbei.

Was hingegen wäre notwendig? Eine globale Wirtschaft, die die Menschheit zuverlässig ernährt, ohne die Natur zu zerlegen und die Reichen noch reicher zu machen. Der jetzige Kapitalismus ist das selbst unterschriebene Todesurteil der Menschheit. Die Grenzenlosigkeit des Begehrens sprengt alle Grenzen der Natur. Es gibt nicht mal eine sinnvolle Naturphilosophie, mit der man eine naturgemäße Ökonomie entwickeln könnte.

Die Grünen lähmen sich mit einer verlogenen Blümchen-Ökologie. Wer eine Schöpfung bewahren will, will nichts bewahren. Denn Natur, die die Schöpfung eines allgewaltigen Mannes sein soll, ist ein nicht existentes Ungetüm.

Für Habeck ist der Mensch noch immer ein unverbesserlicher Sünder, im Gegenteil zur omnipotenten Politik.

„Wir brauchen nicht bessere Menschen, wir brauchen eine bessere Politik“, sagte er in einer Talkshow bei Illner. Bessere Politik können nur Menschen machen, die besser werden. Alles andere wäre Magie. (BILD.de)

Zuerst muss die Natur rehabilitiert werden. Sie ist es, die schon immer war, ist und sein wird. Kein Phantasievater im Himmelreich. Sie ist es, die alles aus sich geboren und unendlichen Geschöpfen das Leben gegeben hat. Sie ist es, die der Menschheit ein freudiges Leben ermöglicht, wenn, ja wenn die Menschheit die Möglichkeit auch verwirklichen würde.

„Irgendwann in ferner Vergangenheit entwickelten die Menschen das Bedürfnis, sich von der Natur abzugrenzen. Zu diesem Zweck erschufen sie einen Gott der Macht, zu dessen Ebenbildern sie sich erklärten. Der Mensch als Mann war der Natur entrückt, dass er, wie sein Gott, die Macht über alle Lebewesen besaß. Das Resultat dieses Prozesses ist heute die Gefährdung der menschlichen Existenz.“ (Marylin French, Jenseits der Macht)

Bevor wir die Wirtschaft verändern, müssen wir über Natur reden. Ob die riesigen Industrien vergemeinschaftet werden oder nicht: solange eine naturzerstörende Arbeit das Zentrum der Industrie ist, bleibt das Leben des Menschen gefährdet. Denn im Hintergrund der Maloche steht die potentielle Todesdrohung: wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.

Das war eine paulinische Kampfansage an die heidnische Demokratie, die nicht vom Brot allein lebte, sondern von jeglicher Beteiligung an der Volksherrschaft. Zudem ist Arbeiten, nach Hegel, „die Welt vernichten oder fluchen“. Je mehr gearbeitet wird, umso mehr wird die Welt vernichtet.

In der Polis gab es viel zu beraten, zu streiten und in der Volksversammlung abzustimmen. Da gab es Gericht zu halten. Da musste vor allem gründlich wahrgenommen, erforscht und nachgedacht werden, wie die Welt ist und wie sie sein sollte. Wenn sie nicht war, wie sie sein sollte, war sie ungerecht. Was aber war Gerechtigkeit, Humanität und kosmopolitische Verbundenheit? Wie vertrug sich all diese Leidenschaft im Erkennen, Streiten und Selbstbestimmen mit dem Zwang, sich zu ernähren?

Das war eine erste Arbeitsteilung, die keine bleiben durfte. Arbeiten, Denken und Entscheiden dürfen in einer Demokratie nicht auseinanderfallen. Jeder Demokrat muss sich über alles in der Polis eine eigene Meinung bilden. Er kann nicht sagen: ich pflüge und ernte, du gehst für mich zur Volksversammlung. Ohnehin verstehe ich nichts mehr von der komplizierten Macht. Das ist heute der schleichende Tod der Demokratie. Ständig wird den Untertanen signalisiert, sie sollten das Denken den großen Köpfen überlassen, von komplexen Dingen hätten sie keine Ahnung.

Ein Demokrat muss nichts wissen, aber fähig sein, sich in alle Dinge hineinzuarbeiten. Bildungsministerin Karliczek gilt als Fehlbesetzung. Warum?

„Anja Karliczek kennt den universitären Betrieb nicht von innen. Nach dem Abitur machte sie eine Banklehre und dann die Ausbildung zur Hotelfachfrau. In einem Interview erzählte sie freimütig, sie habe in einer Fernsehzeitschrift eine hilfreiche Erklärung darüber gefunden, was ein Algorithmus sei. „Viele Forscher und Akademiker gebrauchen ständig Begrifflichkeiten, von denen sie sich nicht vorstellen können, dass sie für andere eben nicht Alltag sind.“ Sie spricht von Werten, von Menschenwürde, davon, den Leuten die Angst vor der Technologie zu nehmen. „Maschinen können nicht entscheiden, was Gesellschaften wollen“, sagt sie. Schon bei ihrer Rede zur künstlichen Intelligenz im Bundestag hatte sie betont, man lasse sich vom christlichen Menschenbild leiten. Fortschritt müsse sich dahinter einreihen. Bei ihrem Besuch in Potsdam bringt es die Ministerin nicht fertig, das Wort „Klimaursachenforschung“ auszusprechen, ohne sich zu verhaspeln. Sie gibt, wie so oft, biblische Phrasen zum Besten, spricht von der „Bewahrung der Schöpfung“. (SPIEGEL.de)

Wenn eine CDU-Frau biblisch spricht, gibt sie Phrasen zum Besten? Etwa die von der Bewahrung der Schöpfung? Dann müssten die Kanzlerin, ihre gesamte Partei und die Grünen voller Phrasen stecken. Was wäre die Alternative für den SPIEGEL? Keine Frage, keine Antwort.

Das Politmagazin erweckt den Eindruck, Naturwissenschaft und Glauben seien unvereinbar. Dabei brachte das Magazin vor kurzem ein Interview mit dem Astrophysiker Heino Falcke:

SPIEGEL ONLINE: Sie sind gläubiger Christ und predigen sogar gelegentlich in der Kirche. Wie passt das mit dem Wissenschaftler Heino Falcke zusammen?

Falcke: Es gibt zwischen Glaube und Wissenschaft mehr Parallelen, als man denken könnte. Beide suchen nach dem Grund von allem. Nur traut sich die Physik nicht, einen Schritt weiter zu gehen und die Frage nach Gott zu stellen. Ich glaube aber, dass der Mensch nicht nur aus Naturgesetzen besteht. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass da noch mehr ist.“

Gott also soll die „Antwort auf die ganz großen Fragen des Lebens sein“? Das war keine Phrase, aber bei einer Ministerin, die kein Hehl aus ihrer Ignoranz macht, soll es eine sein?

Wir wissen nicht, ob Karliczek ihr Nichtwissen nutzt, um in kritischer Neugierde die richtigen Fragen zu stellen. Das erst bewiese, dass sie in der Lage ist, sich ein unabhängiges Urteil zu bilden. Dass Maschinen nicht entscheiden können und Fortschritt den Menschen nicht unterjochen darf: dies sind ungewöhnliche, aber richtige Töne.

Hier meint es jemand ehrlich, aber in einer unehrlichen Partei, die nicht daran denkt, den Fortschritt dem Menschen unterzuordnen. Karliczek müsste einen Riesenstreit mit ihrer Partei beginnen. Hier liegt ihre Schwäche, dass sie ihrer Meinung kein Gewicht verleiht und das Dummerchen spielt, welches niemand ernst nehmen muss. Ihre Kanzlerin konnte, ohne mit der Wimper zu zucken, die Ökologin und Pastorentochter spielen. Da gab es keine Einwände.

Experten wurden einst Fachidioten genannt. Das hat sich in hohem Maße erwiesen. Die Wissenschaft ist dabei, ihre einstige Reputation zu verspielen. In der Klimadebatte werden die Jungen angegriffen, wenn sie nichts anderes tun, als sich auf Erkenntnisse der Wissenschaft zu beziehen, um politische Folgerungen daraus zu ziehen.

Wenn FDP-Lindner und WELT-Schreiber sich auf die Demonstranten stürzen, ignorieren sie die Erkenntnisse der Wissenschaft. Nicht lange und der amerikanische Kreationismus, die Negierung aller Naturwissenschaft zur Bekräftigung des Glaubens, wird auch bei uns Triumphe feiern. Bewahrung des Lebens und Fortschritt schließen sich mittlerweilen aus, hier kann der Ministerin nicht widersprochen werden.

Ein makabres Schauspiel. Über demokratischen Sozialismus wird gestritten, ohne den Begriff auch nur oberflächlich zu klären. Er stamme aus der DDR, obgleich er sich explizit vom Marxismus abgrenzte. Gibt es den geringsten Unterschied zwischen sozialer Marktwirtschaft und demokratischem Sozialismus?

Alexander Rüstow war einer der profiliertesten Mitbegünder der sozialen Marktwirtschaft, indem er die Wirtschaft in den Dienst des Menschen stellte. Das war eine revolutionäre Tat, die in keiner deutschen Partei bis heute gewürdigt wurde. Heute ist Wirtschaft zur Despotin der Menschen geworden – in allen Parteien.

„Es ist der eigentliche Zweck der Wirtschaft, überwirtschaftlichen, vitalen Werten zu dienen“. (Rüstow)

Was sind diese Werte? Alles, was das Leben lebenswert macht: freie Zeit, Familie, Sport, alles, was das Herz begehrt. Vor allem aber Nachdenken über Gott und die Welt, um die Ereignisse in der Welt zu verstehen und zu bewerten. Schon damals erkannte Rüstow die Dringlichkeit der Naturbewahrung.

„Man muss sich fragen, ob ein Volk, das eine dauernd zunehmende Verschmutzung seines Wassers und seiner Luft zulässt, überhaupt noch ein Kulturvolk genannt werden kann.“ (ebenda)

Kultur? Vergiss es. Kultur ist zum Rahmenprogramm der Wirtschaft verkommen. Was allein zählt, ist der Rubel. Ein Volk ohne Lebensqualität, voller larvierter Depressionen und Zukunftsängste, flüchtet sich in die Lebenslüge einer paradiesischen Saturiertheit. Und wundert sich, nein, bemerkt es nicht einmal, dass es von einer palliativen Meisterin drogenhaft abhängig wurde.

Bevor über wirtschaftliche Einzelheiten verhandelt werden kann, sollte das Ziel der Wirtschaft geklärt werden. Das Ziel ist, alle Ökonomie dem Leben unterzuordnen. Dem Glück des Lebens.

Wenn klar ist, dass die Despotie einer naturzerstörenden und profitgierigen Wirtschaft ein Ende finden muss, kann über gerechte Verteilung von Arbeit und Wohlstand gestritten werden.

Wem gehört der Profit der Arbeit? Denen, die selbst arbeiten, oder denen, die ihr Geld arbeiten lassen? Geld arbeitet nicht und gehört sich nicht selbst. Dcnen, die ihr Geld arbeiten lassen, damit sie selbst ein freies Leben führen können, muss der Profit der Arbeit der anderen verwehrt werden. Wer nicht arbeiten will, darf zwar nicht getötet werden. Reich werden auf Kosten der Arbeitenden darf er aber auch nicht.

Die Reichen der Polis nutzten ihre Unabhängigkeit, um sich in der Demokratie nützlich zu machen. Oder Philosophie zu betreiben. Solches hat man von den Müßiggängern der Gegenwart noch nie gehört. Sie sind zu Parasiten demokratischer Freiheiten geworden, die sie nutzen, um sich den Reichtum der Gesellschaft unter den Nagel zu reißen. Die riesigen Konzerne müssen zerschlagen und in die Hände derer gelegt werden, von deren Arbeit sie zehren. Sie sind die größten Feinde der Demokratie und Schandmale der Ungerechtigkeit.

Kevin Kühnert war nicht zu kühn mit dem Vorschlag der Vergesellschaftung. Er war zu zaghaft.

 

Fortsetzung folgt.