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Von vorne LXXV

Von vorne LXXV,

kann man am Aufkommen der FFF- und XR-Bewegungen das Versagen der Grünen konstatieren? Würden die Grünen eine plausible Ökopolitik anbieten: hätte es ihnen nicht gelingen müssen, auch die nachfolgenden Generationen anzusprechen und zu überzeugen? So war die Jugend gezwungen, ihr kollektives Erwachen allein und unabhängig zu erarbeiten und der Öffentlichkeit zu vermitteln.

Das Dilemma der Grünen ist das Dilemma der SPD und aller Korrekturparteien. Sie bringen ihre Biografie nicht in Ordnung, verdrängen die Probleme ihres Anfangs, weshalb sie nicht wissen, wohin des Weges. CDU und FDP sind keine Korrektur-, sondern Weiter-so-Parteien. Man könnte auch von erblindeten Fortschrittsparteien sprechen.

Ihr Kurs ist klar: vorwärts durch die Tundra jagen die Tscherkessen. Nie zurückschauen, nie die Überprüfungstaste drücken. Was erfolgreich war, muss erfolgreich bleiben. Ziel ist die Zukunft, die lineare Verlängerung alles Tüchtigen und Naturbeherrschenden. Vergangenheit ist perdu, Gegenwart muss in rasender Geschwindigkeit durchfahren und geopfert werden, um die Zukunft, die sich stets verzieht, mit Hurra zu gewinnen.

Was die Zukunft betrifft, unterscheiden sich CDU und FDP.

Die (Neo-)Liberalen folgen dem Kurs der unbarmherzigen Evolution, die den schädlichen Impuls des Altruismus überwinden und einem Kurs amoralischer Mitleidlosigkeit folgen müsse:

„Was uns zu Menschen gemacht hat, war, dass wir jene angeborenen Gefühle, die die kleine Gruppe zusammenhielten und die wir noch gerne die „menschlichen“ nennen, durch abstrakte Verhaltensregeln ersetzten, die uns von der Verpflichtung befreiten, zunächst für den Nachbarn zu sorgen, bevor wir der Welt Leistungen anboten.“ (Hayek)

Das ist die ideologische Grundlage der allgemein geltenden Lösungs-Imperative. Vom erlebten Sinnvollen muss man sich losreißen, um zur emotionslosen Kälte

überzugehen. Das familiär Erarbeitete muss zerstört werden, um den globalen wirtschaftlichen Konkurrenzkampf siegreich zu bestehen.

Christen sind ihrem Credo nach auf die Wiederkehr ihres Herrn festgelegt. Wann aber der Herr kommt, wissen sie nicht und dürfen es nicht wissen.

Wacht beharrlich, denn ihr kennt weder den Tag noch die Stunde.“

Wären die deutschen Christen bibelfest, unberührt von Deutungskünsten ihrer Theologen, wären sie konform mit ihren amerikanischen Brüdern und Schwestern. Sie wären allzeit bereit für das Ungeheure, das jederzeit Ereignis werden könnte.

Wenn eschatologische Glaubensgruppen den Weltuntergang präzis berechnen wollen, um auf den Tag genau einen Berg zu ersteigen und Seine Wiederkehr zu bejubeln, handeln sie schriftwidrig.

In ihrer säkularen Verlotterung tun die Kirchen, als seien sie Bewahrer der Schöpfung. Gleichzeitig verschwenden sie keinen einzigen Gedanken daran, warum derselbe Glaube zu diametral unterschiedlichen Öko-Haltungen führen kann.

Jahrhundertealte Glaubenskriege haben sie darin bestärkt, dass Andersgläubige verdammt werden, sie selbst aber unfehlbar sind. Lutheraner waren überzeugt, dass Katholiken in die Hölle fahren. Papisten vice versa. Und so fort durch alle Gehässigkeiten ihrer zahlreichen Glaubens- und Sektenbildungen.

Je näher man sich steht, je mehr hasst man sich. Dieses Gesetz galt noch für die marxistischen Splittergruppen der 68-er-Revolte. Als Nachwirkung noch heute in Jutta Ditfurths Fluch gegen die XR zu erkennen. Verwundern kann das niemanden, der den „wissenschaftlichen Charakter“ des Marxismus als Heilsreligion, geschrieben in ökonomischen Metaphern, entlarvt hat.

In seinem Buch „Die Ära der Ökologie, eine Weltgeschichte“ stößt Joachim Radkau auf dieses Phänomen, versteht es aber nicht. Korrekt berichtet er von Lynn Whites scharfer Kritik am Christentum, das die „historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“ gelegt habe.

„Die jüdisch-christliche Tradition habe den Menschen aus dem beseelten Ganzen der Natur herausgelöst und ihm die Natur als Objekt der Herrschaft und Ausbeutung gegenübergestellt; östliche Religionen seien weiser gewesen und hätten den Menschen als Teil der Natur begriffen. Nicht durch mehr Wissenschaft und Technik, sondern nur durch eine spirituelle Wende sei die Umweltkrise, wenn überhaupt, zu bewältigen. Der alte Welthistoriker Arnold Toynbee stimmte aus vollem Herzen zu.“

Nicht aber J. Radkau. Denn „Natur als Ideal“ enthielte ein säkularisiertes religiöses Gedankengut.

„Bereits in der christlichen Tradition gab es nicht nur die sündige, durch den Sündenfall zum Verderben verurteilte Natur, sondern auch die Natur als Schöpfung Gottes. Das hat Lynn White, der amerikanische Mediävist, nicht beachtet. Eine pantheistische Unterströmung durchzieht die Geschichte des Christentums.“

Radkau erzählt von Wilhelm Lienenkämper, „einer charismatischen Gestalt des westfälischen Naturschutzes. In den 1930er Jahren ein begeisterter Nazi, da der Nationalsozialismus ebenso wie der Naturschutz totale Hingabe und Opfer fordere, fand er schließlich einen wertvollen Helfer in der Kirche und erläuterte, das Dominium-terrae-Gebot („Macht euch die Erde untertan“) verpflichte auch zum Schutz der Erde. Die Arche Noah wurde zu einer Ikone der Öko-Bewegung, wobei der Umweltschützer in die Rolle eines von Gott begnadeten Erzvaters rückt.“

Radkaus Thesen müssen zurückgewiesen werden:

A) Das Abendland ist nicht monolithisch religiös, sondern eine trübsinnige Mischung aus griechischen und christlichen Elementen. Wie der mittelalterliche Katholizismus Aristoteles für seine dogmatische Darstellung missbrauchte, so kaperte er auch griechische – und germanische – Naturverehrung für sein Repertoire. Der Sonnengesang des heiligen Franziskus – dem Vorbild des heutigen Papstes – geht sogar auf ägyptische Vorbilder zurück. (Sonnengesang des Echnaton)

B) Es gibt nicht zweierlei Natur in der Schrift, eine teuflische und eine reine. Die Natur – als Gottes Schöpfung – ist als ganze in Ungnade gefallen.
„Denn der Nichtigkeit wurde das Geschaffene unterworfen, nicht freiwillig, sondern um dessen willen, der es ihr unterwarf, auf die Hoffnung hin, dass auch das Geschaffene selbst befreit werden wird von der Knechtschaft des Verderbens zur Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes.“
Wer die Schöpfung bewahren will, kann nur die vorhandene bewahren – und die ist defekt und als Alte zum Untergang bestimmt. Danach erst das Neue.

Radkau betrachtet den Pantheismus als Bestandteil der christlichen Schöpfung. Ein kleiner Blick ins Lexikon hätte ihn belehren können, dass Pan-Theismus die Einheit von Natur und Gott ist. Das aber ist der heidnische Naturbegriff der Stoa, der in der Neuzeit von Spinoza wiederbelebt wurde: deus sive natura, Gott oder Natur. Pantheismus ist eine absolute Blasphemie für Juden und Christen, deren Gott jenseits der von ihm erschaffenen Natur herrscht. Von der jüdischen Gemeinde wurde der Ketzer Spinoza mit der schlimmsten aller Strafen belegt: dem Bann.

Dass Lienenkämper mühelos Nationalsozialismus und Christentum verbinden konnte, zeigt, dass die beiden Ideologien sich nicht aufs Blut gehasst haben konnten.

Versteht sich, dass die ersten Grünen mit der anrüchigen Symbiose Lienenkämpers nichts zu tun haben wollten, jeden verdächtigen Altnazi aus der Partie warfen – und auf das rettende Schiffchen der just in time gefundenen Schöpfungsbewahrung aufsprangen, um jeden possiblen Verdacht abzuwehren. Völlig überflüssig, denn der Führer war kein Naturverehrer:

„Hitler war für seine Person so wenig am Naturschutz interessiert, dass er ihn in „Mein Kampf“ nicht einmal dort ins Feld führte, wo er ihn hätte brauchen können. Er nannte die Natur „die grausame Königin aller Weisheit.“ Diese Natur brauchte keinen Schutz. (Radkau)

Den typischen Nazi, was Naturverehrung betraf, gab es nicht. In der NS-Bewegung tummelten sich Naturromantiker und begeisterte Technokraten.

Anstatt diese Grundsatzprobleme ernsthaft zu debattieren, giftete jeder Grüne gegen jeden – und die machtgierigsten Realos wie Joschka Fischer und Cohn-Bendit verstanden es, die Grundsatzdenker ins Lächerliche abzuschieben. Fischer wollte so schnell wie möglich an die Macht, die neue Bewegung erschien ihm als schnellster Paternoster nach oben.

Als sie die philosophischen und historischen Grundsatzprobleme verdrängten, indem sie auf die schöpfungsbewahrende Arche Noah aufsprangen, erhielten sie eine gesellschaftlich angepasste Plattform, auf der sie peu à peu ihre Karriere bis zur heutigen Beliebtheit aufbauen konnten.

Nun ein Grundsatzproblem, das für alle Parteien gilt. Wer an die Macht will, muss seine primären Radikalforderungen ins Machbare und Realistische herunterdimmen, um sie – idealerweise – in ferner Zukunft zu realisieren. Doch hier tritt das Utopieverbot der deutschen Eliten in Kraft. Selbst Popper verfiel diesem Irrtum, obgleich seine Stückwerktechnologie auch nichts anderes ist als der utopische Versuch, das Unheil der Menschen zu lindern.

Außer bei Platon und Marx gibt’s ohnehin keine utopische Revolte, die in einem Akt das Paradies schaffen könnte. Alles geht nur Schritt für Schritt im Maße einer nationalen Lernbewegung. Weshalb auch Popper als „Utopist“ betrachtet werden muss, wenngleich im behutsamen Tempo, zu dem sich die Majorität der Einsichtigeren entschließen kann.

Wo aber bleiben die richtungsgebenden Idealforderungen der ersten Stunde, die zur Orientierung auch der pragmatischsten Kompromisspolitiker unerlässlich sind? Sie gehen für immer verloren, wenn man sie nicht ständig wiederbelebt, um sich an ihnen zu messen. Eben dies macht keine deutsche Partei, die Grünen nicht ausgeschlossen.

Glauben sie doch, sie müssten den typischen Nationalcharakter: „deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selber willen tun“, überwinden und sich zu pragmatischen Machiavellisten entwickeln, die sich von Kompromiss zu Kompromiss zur Macht hinaufhangeln.

Seit der Diktatur der Kompromisse ist die Blut- und Gedankenleere der Parteien das Signum der deutschen Demokratie. Natürlich auch der Grünen.

Das zeigt sich an der gegenwärtigen Angst der Grünen, das Problem der Homöopathie auf dem nächsten Parteitag durchzudebattieren. Seit ihrer Flucht vor Grundsatzproblemen sind sie kompromisslerisch verdorben und unfähig, ein Problem rational in den Griff zu kriegen.

Was sind die Grundsatzprobleme der Grünen, die gelöst werden müssten?

Die Beantwortung der Fragen: Was ist Natur?

Ist der Mensch ein Teil der Natur oder eine unsterbliche Seele, die von außerhalb in die Natur fiel – wie bei Platon und im Christentum? Ist der Mensch eine Krone der Schöpfung mit Sonderrechten – oder gleichberechtigt mit allen Tieren und Pflanzen? Ist Natur eine in sich ruhende autarke Mutter allen Seins – oder die Magd einer Heilsgeschichte, die sie rücksichtslos zu naturfeindlichen Zwecken missbraucht?

Das Abendland ist eine Mischung aus zwei unverträglichen Naturbegriffen: der gefallenen Schöpfung eines naturfeindlichen Gottes – und der mütterlichen Natur der Griechen und fast aller Naturreligionen.

Jedes seriöse Buch über Naturphilosophie beginnt bei den Griechen, um festzustellen, dass ein heidnischer Kosmos und eine gefallene Schöpfung abendländisch verkoppelt wurden, ohne tatsächlich zueinander zu finden. Im Gegenteil: die beiden Intimfeinde tun nichts anderes als sich gegenseitig die Augen auszukratzen.

Schaut man bei Radkau nach, sucht man vergeblich nach den Grundlagen der griechischen Naturphilosophie, weshalb das ganze Buch letztlich ein Kotau vor dem dominium terrae ist. Im Zweifel sind deutsche Gelehrte stets auf der richtigen, der frommen Seite.

Radkau beginnt bei Rousseau und Goethe, von dem die Zeilen über die Natur stammen: „Man gehorcht ihren Gesetzen, auch wenn man ihnen widerstrebt, man wirkt mit ihr, auch wenn man gegen sie wirken will“. Von Gottes Schöpfung ist hier keine Rede.  

„Süße, heilige Natur/ Lass mich gehen auf Deiner Spur,/ Leite mich an Deiner Hand/ Wie ein Kind am Gängelband.“ So beginnt das Gedicht „An die Natur“ des Romantikers Stolberg.

Es war Marx, der diese Lust am Gegängeltwerden als „patriarchalische Naturfaselei“ lächerlich machte. Georg Friedrich Daumer hatte ein Buch über die Natur mit folgenden Thesen geschrieben: „Natur und Weib sind das wahrhaft Göttliche, im Unterschied von Mensch und Mann Hingebung des Menschlichen an das Natürliche, des Männlichen an das Weibliche ist die einzige Tugend, die es gibt.“

Diese Sätze wurden von Marx, dem Anbeter des maskulinen Sensationskapitalismus, platt gemacht:

„Wir sehen hier, wie die seichte Unwissenheit des spekulierenden Religionsstifters sich in eine sehr prononzierte Feigheit verwandelt. Herr Daumer flüchtet sich vor der geschichtlichen Tragödie, die ihm drohend zu nahe rückt, in die angebliche Natur, d.h. in die blöde Bauernidylle und predigt den Kultus des Weibes, um seine eigene weibische Resignation zu bemänteln. Daumer versucht, die alte, vorchristliche Naturreligion in modernisierter Form herzustellen. Von der modernen Naturwissenschaft, die in Verbindung mit der modernen Industrie die ganze Natur revolutioniert und neben anderen Kindereien auch dem kindlichen Verhalten der Menschen zur Natur ein Ende macht, ist natürlich keine Rede … Es wäre übrigens zu wünschen, dass die träge Bauernwirtschaft Bayerns, der Boden, worauf die Pfaffen und die Daumers gleichmäßig wachsen, endlich einmal durch modernen Ackerbau und moderne Maschinen umgewühlt würde.“ (in: Alfred Schmitt, Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx)

Gewiss, vom jungen Marx – als er noch im Banne des jungen Schelling stand – gibt es die hölzernen Naturphrasen: „Dieser Kommunismus ist als vollendeter Naturalismus Humanismus, als vollendeter Humanismus Naturalismus, er ist die wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen.“

Doch, wie 68er-Revoluzzer und junge Grüne sich in perfekte neoliberale Manager verwandelten, so wurde Marx zu einem glühenden Bewunderer des Kapitalismus, der mehr Weltwunder hervorgebracht habe als die ganze Antike.

Marx wütet gegen die Pfaffen, gleichzeitig attackiert er seinen Gegner mit pfäffischer Heilsgeschichte, die er nicht in hebräisch-griechischen, sondern in ökonomischen Lettern beschreibt. Marxens Heilsgeschichte ist vollständig identisch mit der biblischen.

Jutta Ditfurth, die der XR-Bewegung vorwirft, eine esoterische Bewegung zu sein: was will sie?

„Jutta Ditfurth strebt einen ökologischen Sozialismus als globales politisches Ziel an. Für sie ist „die soziale nicht von der ökologischen Frage zu trennen […], weil die Wurzel der Ausbeutung des Menschen und der Natur dieselbe ist: die kapitalistische Produktionsweise mit ihrer Profitlogik und ihrem Verwertungszwang.“ Sie verweist darauf, dass schon Karl Marx (seit 1844) und Friedrich Engels (1883) wiederholt auf die naturzerstörenden Folgen des Kapitalismus hingewiesen hatten.“ (Wiki)

Ditfurth verfälscht und idealisiert den verehrten Marx zu einem Vorläufer der Ökologie. Das blanke Gegenteil ist richtig. Marx betet den Fortschritt des Menschen in Form einer brutalen Naturzerstörung an. Erst am „Tag des Jüngsten Gerichts“, wenn das Reich der Freiheit anbricht, wird das große Wunder der Harmonie von allem mit allem geschehen. Vorher müssten alle Ausbeuter ins Gras beißen, von der Harmonie sollen sie nichts mitkriegen.

So etwa erzählt der Pfarrer seinen Konfirmanden das Ende der Geschichte: die Frommen kommen in den Himmel, die Bösen ins Gegenteil.

Wenn irgendetwas esoterisch – also nur für Auserwählte und Eingeweihte – sein soll, so ist es der marxistische Geschichtsglaube, dass das gottgeweihte Proletariat am Ende selig würde, seine Peiniger unselig.

Wie man journalistisch mit der causa Ditfurth umgeht: hier ein gänzlich inhaltsloses Interview mit der ehemaligen Grünen. (Frankfurter-Rundschau.de)

Von verschiedenen Seiten wird der XR-Bewegung apokalyptische Panikmache vorgeworfen:

„Geschichte wiederholt sich nicht. Aber manchmal kehrt etwas wieder. Zum Beispiel die Absolutheit, mit der eine Bewegung weiß, was die Zukunft bringt. „Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber es geht ums Überleben“, war auf einem Transparent zu lesen, mit dem Aktivisten von „Extinction Rebellion“ in der vergangene Woche die Berliner Wilhelmstraße sperrten. Sie haben die Apokalypse vor Augen.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Es habe doch schon so oft apokalyptischen Alarmismus gegeben, der sang- und klanglos unterging, dass man doch endlich Lehren daraus ziehen sollte. Schon in den 70er Jahren hätten die Grünen sich auf einen CDU-Mann (!) namens Gruhl berufen, dessen Buch hieß: „Ein Planet wird geplündert.“ Oder auf den Club of Rome: „Die Grenzen des Wachstums“. Und? Hätten sich die Unheilsmeldungen bewahrheitet? Also!

Im gleichen Sinne hätten Unheilspropheten der 80er-Jahre einen Dritten Weltkrieg mit atomarer Total-Zerstörung vorausgesehen! Und? Leben wir noch oder sind wir schon tot? Siehste!

Was also wird den Angst- und Panikmachern empfohlen?

„Es geht bloß um Vorsicht im Umgang mit denen, die genau wissen, was die Zukunft bringt. Es geht darum, dass das Zweifeln angebracht ist im Umgang mit denen, die Zweifel nicht kennen.“

Warnrufe wollen etwas verhindern, nicht zur Passivität verleiten. Ein Warnruf vor der Apokalypse ist das Gegenteil einer apokalyptischen Prophetie, die mit unfehlbarer Sicherheit eintreten werde. Alle Warnrufe der 70- und 80er Jahre waren berechtigt, wie wir heute mit Erschrecken feststellen müssen.

Warnrufe, die mit unbekannten Fakten und neuen Erkenntnissen die Menschheit bewahren wollen, können nie anders als radikal und aufschreckend klingen. Gleichwohl war die Grundtendenz der primären Ökowelle weder pessimistisch noch untergangssüchtig – wie etwa Spenglers Untergang des Abendlandes. Die Menschheit sollte aus ihrer bewusstseinlosen Naturverstümmelung aufwachen. Das geht nicht anders als mit drastischen Mitteln – die ganz und gar nicht übertrieben sein müssen.

Das ist der psychische Dämmerzustand der Deutschen: sie können reale Warnungen nicht von biblisch-unfehlbaren Unheilsprophetien unterscheiden. Was nichts anderes bedeuten kann, als dass die religiöse Grundverfassung des Lutherlandes noch immer intakt sein muss.

Da darf die WELT nicht fehlen, wenn es um Alarm gegen Alarmisten geht:

„Es ist mir ein wenig peinlich, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Geschichte der Menschheit eine Geschichte der Weltuntergänge ist, die nicht stattgefunden haben. Aber es ist so. Jedes Mal, wenn ein neuer Weltuntergang bevorsteht, tauchen die apokalyptischen Reiter am Horizont auf und verkünden: „Diesmal wird es passieren!“  Ja-Stimmen: 1334, Nein-Stimmen: 27   (WELT.de

Müsste Ditfurth in diesem Fall nicht von einer WELT-Sekte sprechen?

Broders Logik ist bestechend. Er sucht einen Vorgang in der Vergangenheit, der dem prophezeiten ähnlich ist und folgert haarscharf: einmal da gewesen, kann sich auf keinen Fall wiederholen.

Zwischen Glaubensprophezeiungen und wissenschaftlich basierten Realprognosen kann Broder nicht unterscheiden. Unbekannt scheint ihm zu sein, dass fromme Prophezeiungen sich in selbsterfüllende verwandeln. Je intensiver die Menschheit an ihre Träume glaubt, je wahrscheinlicher ist es, dass die untrüglich geltenden Vorhersagen durch technischen Fortschritt in Tatsachen verwandelt werden.

Es ist wie beim Placebo-Charakter homöopathischer Null-Pillen. Wer daran glaubt, heilt sich selbst, obgleich er überzeugt ist, die Pillen seien es gewesen.

Wenn Silicon Valley Unsterblichkeit oder eine Reise zum Mars vorhersagt – wo bleiben da die Skeptiker aller Prophetien? Lächerliche Visionen werden wortwörtlich geglaubt. Geht es aber um Unheilprophetien, gibt man sich felsenfest überzeugt: das können nur Träume von Geistersehern sein.

Die biblischen Prophetien des Weltuntergangs haben zwei Ausgänge: einen guten für wenige Erwählte und einen schlechten für die Massen der Verlorenen.

Merkwürdig. Genau diesen doppelten Ausgang nehmen die apokalyptischen Ereignisse der Gegenwart: eine Handvoll superreicher Milliardäre und Spezialisten werden ins Weltall abdüsen und sich retten können, die Massen der Übriggebliebenen verbrennen in den Hitzewellen des tödlichen Klimas.

Die Boten der Katastrophe werden geprügelt, weil niemand ihre Botschaft ertragen kann. All diese erschütternden Tatsachen und Gedanken müssten die Grünen dem neurotischen Publikum vor den Latz knallen. Bis jetzt sind sie dazu unfähig.

Sollten wir nicht froh sein, dass es Jugendliche gibt, die in unbestechlicher Klarheit zu dieser menschheitsrettenden Tat fähig sind?

 

Fortsetzung folgt.