Kategorien
Tagesmail

Von vorne LXIV

Von vorne LXIV,

die Spannung wächst, der Freitag der Entscheidung rückt näher.

Die Gewaltigen des Westens zucken mit den Augenbrauen. Ihre innerlichen Spannungen delegieren sie an die Kanzlerin – die stellvertretend für alle bebt und zittert.

Steht ein Wechsel des weltweiten „aus mehreren Einzelteilen zusammengesetzten Ganzen“ (= System der Moderne) bevor?

Wird die Menschheit es schaffen, aus ihrem „trägen, immobilen Beschleunigungsrausch“ (= Fortschritt) aufzuschrecken?

Verabschiedet sich die Menschheit von ihrer „blinden Todessehnsucht“
(= Erlösungsreligion)?

Übernimmt die Krone der Schöpfung die Regie über ihr Schicksal und löst sich von ihrer ferngesteuerten Heilsgeschichte (= Knechtschaft der Kreaturen)?

Besinnt sich homo sapiens auf seine Sapientia (= Weisheit)?

Wird homo rationalis rational (= vernünftig)?

Zerbricht homo oeconomicus seinen Frondienst unter dem Joch des Geldes
(= Kapitalismus) – und besinnt sich auf Gerechtigkeit?

Fordert das zoon politicon die Abstimmung aller Völker, nach welchen Vorstellungen sie selbst leben wollen (= Demokratie)?

Beendet der Freie und Gleiche das Diktat höherer Mächte und entscheidet selbstbestimmt über Erfüllung und Glück seines Lebens (= Autonomie)?

Verstehen Anbeter der Maschinen, dass sie selbst keine sind, sondern

geistige Wesen (= moralische Selbstbestimmung)?

Kapieren Männer, dass ihre Tage der Herrschaft (= Patriarchat) gezählt sind?

Begreifen Frauen, dass sie mit niemandem verträglich leben können, der sie und ihre Kinder durch Roboter (= digitale Phallokratie) ersetzen will?

Dämmert es den Siegern der Evolution, dass ihr Triumph über die Natur zugleich ihr Untergang sein wird (= hybride Selbstverblendung)?

Am Freitag wird es zum ersten Mal sein, dass die Völker ihren Veränderungs- und Erneuerungswillen in erdumspannender Verbundenheit feiern werden. Es wird nicht zum letzten Mal sein.

Der Mensch ist fähig, aus seinen Irrtümern zu lernen, in Empathie mit der Natur zu leben und die Zukunft seiner Kinder nicht zu zerstören (= Humanität)

Das gilt bis zum unumkehrbaren Beweis des Gegenteils.

In dieser Woche verschärft sich die Ächtung der Demonstranten in den medialen Organen derer, die jede Veränderung als Angriff gegen ihre versteinerte Macht verstehen – und sich prophylaktisch zur Wehr setzen.

Die FfF scheint in den Schulen zur Zwangsbeglückung zu entarten:

„Was erlaubt sich diese Lehrerin, einen Jungen moralisch derart unter Druck zu setzen? Und ihm vor versammelter Klassengemeinschaft sinngemäß zu drohen: Mach mit beim Klimastreik, oder Du bist ein Außenseiter! Leider ist sie auch nicht der einzige Mensch, der nicht begreift, dass diktatorische Anwandlungen einfach falsch sind. Das wurde spätestens vergangene Woche bei einem Konzert von Herbert Grönemeyer klar, als der Sänger erklärte, unter gewissen Umständen liege es „an uns, zu diktieren, wie ’ne Gesellschaft auszusehen hat“.(Berliner-Zeitung.de)

„Die Gewissheit jedenfalls, mit der Gruppierungen wie Fridays-for-Future, Politiker wie Björn Höcke und Popstars wie Herbert Grönemeyer für sich in Anspruch nehmen, die richtigen Fragen zu stellen und gleich auch noch die richtige Antwort mitzuliefern, führt ins diskursive Nichts und in die Radikalität der Rechthaberei. Es gibt eine Theorie, die besagt, wenn jemals irgendwer genau herausfindet, wozu das Universum da ist und warum es da ist, dann verschwindet es auf der Stelle und wird durch etwas noch Bizarreres und Unbegreiflicheres ersetzt. Und es gibt eine andere Theorie, nach der das schon passiert ist.“ (WELT.de)

Demokratische Klimawarner in einem Atemzug mit einem ultrarechten Politiker zu nennen: das ist Häme und Zynismus in Springerqualität.

Wer nicht nur Fragen stellen, sondern auch Antworten geben, mit wissenschaftlichen Daten und rationalen Argumenten seine Thesen vertreten kann – seit athenischen Tagen die Substanz der Vernunft – wird als radikaler Nihilist verfemt. Eine solche Feindschaft gegen die Vernunft will sich selbst ad absurdum führen. Wer nicht recht haben will, muss allen Rechthabern um Welten überlegen sein.

Das ist der Gipfel der Gegenaufklärung, für die jeder Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit unduldsamer ist als papistische Unfehlbarkeit:

„Die Gesundheit der Vernunft ist der wohlfeilste, eigenmächtigste und unverschämteste Selbstruhm, durch den alles zum voraus gesetzt wird, was eben zu beweisen war, und wodurch alle freye Untersuchung der Wahrheit gewaltthätiger als durch die Unfehlbarkeit der römisch-katholischen Kirche ausgeschlossen wird.“ Johann Georg Hamann, theologischer Urvater der deutschen Gegenaufklärung.

Warum und wozu das Universum da ist, sind keine wissenschaftlichen Fragen, sondern sinnloses metaphysisches Klügeln. Mit der praktischen Vernunft der Jugend, mit empirischen Forschungsergebnissen der Naturwissenschaft haben sie so viel zu tun wie heilige Transsubstantiation mit einem chemischen Experiment.

Befragen und Erforschen des Universums verboten! Widrigenfalls löst es sich in Nichts auf oder verwandelt sich in ein schauderhaftes Gespenst: solch ein Galiamathias fällt nicht einmal Pfaffen und Exorzisten ein. Dieser Amoklauf der Unvernunft ist in Deutschland bislang von niemandem überboten worden.

Die WELT will über ein breites konservativ-liberales Spektrum verfügen. Konservare heißt bewahren. Wenn mutige Menschen die Natur bewahren wollen, werden sie von konservativen WELTschreibern zu Weltverderbern ernannt. Schlimmer kann das Denkvermögen nicht zur Fratze der Unvernunft werden.

Um ihr breites Angebot zu unterstreichen, bringt die WELT auch einen lobenden Beitrag über Popper. Popper war ein Ausnahmephilosoph – der dennoch nicht unfehlbar war. Doch deutsche Gazetten, die sonst das Entweder-Oder verdammen und die Grauzonen bevorzugen, kennen nur Rühmen oder Verdammen. Große Männer verehrt man und behelligt sie nicht mit kleinlicher Kritik. Also wird das Utopieverbot Poppers – wer den Himmel auf die Erde holen will, wird die Hölle errichten – benutzt, um den utopischen Rigorismus der Jugend wortlos zu diskreditieren.

„Auch in Zukunft wird es keinen glücklichen Urzustand geben. Popper schreibt: „Von allen politischen Idealen ist der Wunsch, die Menschen glücklich zu machen, vielleicht der gefährlichste.“ Wir müssen das Unvollkommene akzeptieren. Obwohl, aber auch weil es unvollkommen ist.“ (WELT.de)

Popper hatte den platonischen Urfaschismus als unduldsame Zwangsbeglückung analysiert. Das wird ihm von deutschen Altphilologen in traditioneller Platonverehrung auf ewig verübelt. In Stalin und Hitler sah er – zu Recht – Erben Platons.

Was immer unterschlagen wird – um das Schreckliche des Menschen in ein teuflisch Böses zu verwandeln, das nie ein Mensch verstehen wird: auch Menschenschlächter wollen Menschen beglücken. Allerdings nur die von ihnen Erwählten, wie die Beglücker in ihrer frommen Jugend lernen mussten. Warum nur wollten beide ursprünglich Priester werden? Die Verworfenen mussten eliminiert werden.

Popper, selbst ein Opfer Hitlers, der aus Wien flüchten musste, war so erfüllt von heiligem Zorn gegen die Tyrannen, dass ihm, unter dem Einfluss seines großen Gönners Hayek, ein gravierender Denkfehler unterlief und er seinem geliebten Sokrates untreu wurde. Eine despotische Utopie setzte er gleich mit jeder Utopie – und wenn sie sich friedlicher sokratischer Mittel des Disputierens und Ermahnens bedient.

Seine sozialtechnische Stückwerkpolitik wollte nichts anderes als jede humane Utopie: das Elend und Unglück der Menschen lindern. Seine logischen Fähigkeiten ließen ihn hier im Stich. Denn Unglück lindern heißt Glück befördern. Beides muss mit demokratischen Methoden versucht werden.

Würde Popper heute noch leben, wäre er der Erste, der den Versuch der Jugend, ihr zukünftiges Unglück durch Klimaverderbnis zu lindern, mit aller Kraft unterstützen würde. 

Wir leben in außerordentlichen Zeiten. In Zeiten eines drohenden Weltuntergangs ist Utopie keine Luxusausgabe des Wohlstands, sondern die einzige Bedingung des Überlebens.

Das intellektuelle Niveau deutscher Edelschreiber und Intellektueller ist auf das Niveau eines Bergsteigers gesunken, der nur noch Risiken sucht, deren Höhepunkte – im Tode enden:

„Für mich sind Dinge spannend, von denen ich nicht weiß, ob sie überhaupt möglich sind. Der Everest wurde noch nie komplett ohne Sauerstoff und solo im Winter bestiegen, weil es sehr schwierig ist, und ich liebe das Schwierige.
Training in der Todeszone – sind Sie lebensmüde?
Nein, mich reizt nur der Aufbruch ins Unbekannte. Ich wähle Projekte immer so, dass sie auch scheitern können. Sonst sind sie zu einfach. Angst habe ich davor, den Gipfel zu erreichen. Wenn ich den Gipfel geschafft habe, ist mein Projekt tot – und damit alles, worauf ich mich die letzten Monate vorbereitet und hingefiebert habe.“ (SPIEGEL.de)

Die Philosophie des todessüchtigen Bergsteigers ist identisch mit der Philosophie der Moderne. Auch sie hat eine Utopie, die von Gegnern einer humanen Utopie unbehelligt bleibt. Die höchste Utopie der Moderne ist – ihre Selbstauslöschung. Keine Sekunde vorher wird sie ihre Hatz auf das Grenzenlose einstellen.

In diesem Sinn ist die Moderne die gemeinsame Erbin der Konservativen Revolution in Vorkriegsdeutschland und der neovalvinistischen Ideologie Amerikas – mit einer nicht unerheblichen Differenz.

Die Konservative Revolution „bejahte ihre eigene Vernichtung und drehte gläubig am Rad von Geburt und Vernichtung.“ (Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland) 

Damit folgte sie Nietzsches „amor fati“ (Liebe zum Schicksal): „Die Liebe zur Welt, wie sie ist, mit ihrem ewigen Wechsel von Geburt und Vernichtung – zur Welt,, wie sie jetzt ist ohne jede Hoffnung auf eine Besserung in einem Jenseits oder in ferner Zukunft.“

„Die Konservative Revolution sieht alle menschlichen Haltungen im Letzten scheitern.“ Sie ist eine ästhetische, keine moralische Haltung. Seit Ende der Aufklärung war Moral aus der Politik verschwunden und hatte einer ästhetisch-amoralischen Anschauung Platz gemacht. (Diese voyeuristische Beobachterpose ohne Moral ist ein Hauptmoment der WELT.)

Woran erkennt man den konservativen Revolutionär? Daran, „dass er sich mit Lust in die Luft zu sprengen vermag und in diesem Akte noch eine Bestätigung der Ordnung erblickt.“ Sich selbst in die Luft zu sprengen, ist nicht nur ein Akt deutscher Ordnung, sondern – der Freiheit. (Ernst Jünger)

Nun verstehen wir, dass von den gegenwärtigen Gegnern der Klimabewegung jeder Versuch, die Übel der Naturzerstörung einzudämmen, als Eingriff in die „liberale Freiheit“ verflucht wird. Liberale Freiheit wäre demnach nichts anderes als der Versuch des konservativen Revolutionärs, sich „mit Lust in die Luft zu sprengen“.

Auch der – keine Grenzen anerkennende – Fortschrittsgedanke in Amerika kennt nur eine Erfüllung: im Nochnicht, im Irgendwann, im Jenseits von Raum und Zeit. Das Jenseits ist der kleine Unterschied zu den Deutschen, die sich von allen christlichen Glaubensformen befreit hatten (wie sie glaubten). Ihr Untergang des Abendlands war endgültig – sehen wir ab von Nietzsches ewiger Wiederkehr des Gleichen, die allerdings endlos im selben Abgrund verschwindet und deren ewige Geburt und Vernichtung ein grausam-sinnloses Spektakel darstellt.

Der amerikanische Journalist Studs Terkel porträtierte seine Zeit unter der Überschrift: „Onward and Upward“. „Alle erreichbaren Ziele sind schal. Deshalb gilt es, einen überhistorischen Zustand herbeizuführen, keinem System mehr anzugehören, „out of touch“ mit der Wirklichkeit zu sein.“

„Move beyond life“ (alles Lebendige hinter sich lassen) heißt die Parole in allen Variationen. „Im nordamerikanischen Kulturkreis besitzt das Wörtchen „beyond“ eine magische Faszination.“ (Raeithel, Geschichte der Nordamerikanischen Kultur)

Was waren die Traumberufe erfolgreicher Amerikaner? Sie hatten mit der Lust an endloser Bewegung und grenzenlosen Abenteuern zu tun:

„Bomberpiloten, Bergsteiger, Marathonläufer, Kapitän, Seeräuber, Entdecker, Kreuzzügler, Kavalleriegeneral.“ Sie alle wussten, dass der Amerikanische Traum an Kraft verliert, wenn er in Erfüllung geht. „Der Erfolg muss wie eine Fata Morgana ständig vor einem bleiben. Sich von materiellen Werten und vertrauten Dingen zu lösen, gehört zu den Grunderfordernissen des amerikanischen Lebensstils.“ Das Vernichten von Objekten und Verschwenden von Ressourcen hat in den USA Tradition. Das Kapitel Umweltzerstörung ist dort eines der fürchterlichsten und destruktivsten, das in der langen Geschichte der Kultur jemals geschrieben wurde.

Sich von Dingen und Menschen kalt und problemlos lösen: das ist die wichtigste Charakterqualität des puritanischen Amerikaners, der nur als Einzelner, selbst unter Zurücklassen der eigenen Familie und aller Freunde, ins Himmelreich eingelassen wird.

„Personen, die materiellen Dingen keine große Bedeutung beimessen, wollen auch keine engen oder dauerhaften Beziehungen. Als Henry Kissinger nach alten Freunden befragt wurde, antwortete er ungeniert: „Das Geheimnis meines Erfolgs ist, dass ich alte Freunde vergesse.“ Und die Folksängerin Joan Baez bekannte, am leichtesten könne sie mit 10 000 Menschen in Beziehung treten, am schwersten mit einem.“

Ein bekannter Literat, Ken Kesey, formulierte das amerikanische Grundgefühl: „Unsere Bestimmung liegt nicht auf diesem Planeten.“ Ein Vorgeschmack dieser Unstetheit war das ewige Umziehen, das Abkehren vom Alten – immer der Frontier entgegen ins horizontal Unbegrenzte.

In Herman Melvilles „Moby Dick“ ist das Leben an Land ein trügerisches Unterfangen. „Sichere Häfen gibt es nicht, man muss in Bewegung bleiben, nur die See ist heilig, in ihrer Uferlosigkeit ist sie unendlich wie Gott.“

Ralph Waldo Emerson, der sich „Transzendentalist“ nannte (einer, der sich mit einem begrenzten Leben nicht zufrieden gibt, sondern sich „nach Oben“ orientiert), fühlte sich nur wohl im unbegrenzten Raum des Möglichen. Alles Leben befände sich im Status des Übergangs. Stabile Beziehungen auf Erden könne es nicht geben. Der Stabilität fehle das Moment des Risikos; nur das Risiko vermag den Menschen in einen erhöhten Zustand zu versetzen.

Die Technik wurde zum unerlässlichen Stimulans dieser Beyond-Bewegung. Ohne rasenden Fortschritt der Maschinen wäre das transzendentale Lebensgefühl der Amerikaner bald erloschen. Nur die Maschine gewährte die alle Horizonte sprengende, rasende Bewegung ins Himmelreich.

Urvater all dieser Weiter-ins-Unbekannte-Beschleunigung war kein Geringerer als der Amerika-Entdecker Kolumbus. Dessen Hauptdevise stammte aus Jesaja:

„Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen.“

Die neue Erde schwankte auf amerikanischem Boden ständig zwischen irdischer und himmlischer Utopie, die man später den „amerikanischen Traum“ nannte. Auch gegen diese Traumutopie haben deutsche Utopiehasser merkwürdigerweise nichts einzuwenden.

Der Seeweg nach Indien war keineswegs die letzte Vision des Kolumbus. Nachdem er Christus in die Neue Welt exportiert hatte, wollte er auch das Heilige Land befreien, Jerusalem und ein neues Zion errichten.

Hier ist der Urpunkt der amerikanisch-zionistischen Glaubensverbindung. Doch hier lauert auch eine Gefahr. Sollten die Juden in Israel sich in nächster Zukunft nicht dem christlichen Erlöser zuwenden, könnte es zum Bruch des Bible Belt, der treuesten Klientel Trumps, mit dem Heiligen Land kommen. Erste Risse im bislang makellosen Bündnis Trump-Netanjahu sind schon jetzt zu erkennen.

„US-Präsident Donald Trump gilt als kompromissloser Unterstützer der israelischen Regierung. Nun berichten US-Medien, Israels Geheimdienst habe Trumps Handy abgehört.“ (SPIEGEL.de)

Jedes Sehnen ins Ungefähre und Grenzenlose aber wird zerstört, wenn die schnöde Wirklichkeit dieses Sehnen permanent widerlegt. Und hier liegt ein wesentliches Problem der Amerikaner.

Früher war die Frontier immer in ungeheurer Entfernung. Heute sind diese Entfernungen verschwunden. Alles ist geschrumpft und zusammengerückt. Die technische Mobilität verkleinert das Land in ein bis zur Öde bekanntes Gebilde. Die ganze Dimension des Unbegrenzten geht verloren – und kann durch Abwanderungspläne von Jeff Bezos ins Universum nicht kompensiert werden.

Hinzu kommt: immer mehr Einwanderer fluten das Land, weshalb Trump riesige Mauern errichten lassen will. Vergeblich: das erstickende Gefühl der Einschnürung wächst. Nimmt man hinzu, dass Amerikas Weltbedeutung sinkt, kann man die Popularität des wild um sich schlagenden Präsidenten nachvollziehen. Da ist einer, der es der Welt noch immer zeigt, wenn auch nur in moralfreien Gesten. 

Amerikas Lebensgefühl hat den ganzen Westen infiziert. In Deutschland verstärkt durch eigene Traditionen, die man längst entsorgt glaubte. Doch weder sind sie entsorgt noch bearbeitet, sondern waren nur verdrängt und kehren in der jetzigen „Rechtswende“ putzmunter zurück.

Die Deutschen geben sich bieder und bodenständig. Doch schaut man genauer hin, wächst die Zahl derer, die sich von allem losreißen und den Zurückgebliebenen zurufen: wir sind dann mal weg. Die Zahl der Auswanderer steigt, immer mehr Rentner verbringen ihren Lebensabend in südlichen Ländern.

Dem äußeren Lösen entspricht das innere: Kinder sollen sich von ihren Eltern, Partner von ihren Partnern, Angestellte von ihren Jobs, Freunde von ihren Freunden, lösen.

„Ich fürchte, wir lernen einander kennen“, der Satz eines amerikanischen Psychoanalytikers entlarvt schlagartig das moderne Gefühl der Enthausten: da, wo du nicht bist, da ist das Glück. „Letting go“ und „moving away“ sind die Standardformeln des modernen Vagantenlebens.

Im Vergleich mit Amerikanern glauben die Deutschen bodenständig zu sein und an ihrer Heimat zu hängen. Werch ein Illtum. Seit der Romantik ging das Sehnen der Deutschen ins Unendliche, zur Blauen Blume.

Wäre Deutschland, ja die ganze Welt wirklich ihre Heimat, würden sie alles unternehmen, um sie zu retten und zu erhalten. Denn schnelle Rettung tut not. Was aber nicht dazu berechtigt, mutlos das Handtuch zu werfen.

„Defätismus ist so wie die Leugnung des Problems nichts weiter als eine Ausrede fürs Nichtstun. Er ist eine verantwortungslose Haltung. Unsere Kinder und Enkel verdienen etwas Besseres, als dass wir die Hände in den Schoß legen und den Kampf gegen die Erderhitzung aufgeben, bevor wir ihn überhaupt ernsthaft begonnen haben.“ (SPIEGEL.de)

Am Freitag werden wir sehen, wie kostbar den Deutschen die Heimat Erde ist. Oder ob das Abschiedslied vom Vertrauten noch immer die Herzen der Ruhelosen und Flüchtigen bewegt:

Nun ade, du mein lieb Heimatland,
lieb Heimatland, ade.

Gott weiß, zu dir, da steht mein Sinn,
doch nun zieht’s mich zu der Ferne hin,
lieb Heimatland, ade.

Fortsetzung folgt.

NB: Am Freitag gibt es keine Tagesmail. Wir sehen uns auf der Straße der Mündigen.