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Von vorne LXII

Von vorne LXII,

wo aber bleibet die Wissenschaft? Wo verstecken sie sich, die faustischen Talarträger der reinen Erkenntnis? Die hohen Priester der Atome und Quanten, die titanischen Eroberer des Universums, die Urväter aller rattenscharfen Methoden, die Erde platt zu machen und der Natur die Seele herauszureißen?

Pardon, die Erfinder des segenreichsten Fortschritts, den die Geschichte je sah, die ingeniösen Entdecker des atemberaubendsten linearen Aufstiegs in die Elysien der Macht – kurz vor dem Absturz in den Abyssus?

Nun spielen sie die tragischen Propheten, die frühzeitig Alarm riefen, deren Unheilsrufe aber niemand hören wollte. Nun sind sie Opfer ihres vergeblichen Wissens, verzweifelt gestikulierende Seher des herannahenden Unheils.

Oh, sie sahen das Verhängnis, gingen aber nicht auf die Straße, setzten sich nicht vor das Parlament, um Manifeste zu verteilen, gingen nicht in die Schulen, um aufzuklären und zu warnen, blockierten nicht die Kongresse der Reichen und Mächtigen, um deren Betriebe stillzulegen, gründeten keine Agitationsgruppen, die warnend die Faust reckten. Sie streikten nicht und legten nicht den ganzen Wissenschaftsbetrieb lahm.

Sie ähneln jenem Gott, der sein Volk verwarnte, doch das Volk verschloss störrisch seine Ohren. Da ergrimmte der Herr und seine Stimme zitterte vor Erregung:

„Denn als ich rief, gabt ihr keine Antwort, und als ich redete, hörtet ihr nichts. Ihr tatet, was böse ist in meinen Augen, und was mir missfällt, das erwähltet ihr.“

Die Kühnen und Kalten wollten das Volk nicht ängstigen, die Trostbedürftigen nicht beunruhigen, ihren Glauben an die Zukunft nicht zerstören. Nein, von apokalyptischen Weherufen halten sie nichts, Propheten des Untergangs wollen sie nicht sein. Sollen sie ihre Objektivität gefährden, ihre Distanz nach allen 

 Seiten und zeitlose Neutralität auf dem Altar der Tagespolitik opfern?

Oh, sie wissen, dass ihre Erfindungen und Entdeckungen ein Fluch für die Menschheit sein können – aber ist es nicht Sache der Gesellschaft, den Fluch in Segen zu verwandeln?

Waren sie es, die Hiroshima und Nagasaki in Staub auflösten? Es waren Politiker, die den Befehl gaben. Waren sie es, die Tschernobyls Reaktoren zum Schmelzen brachten? Es waren Techniker, die ihre Pflicht vernachlässigten. Waren sie es, die im Vietnamkrieg die Urwälder mit Napalm entlaubten? Es waren wahnwitzige Militaristen, die von der Weltherrschaft Amerikas träumten. Waren sie es, die mit chemischen Giften die Äcker verseuchten und die Vögel zum Verstummen brachten? Es waren Bauernverbände, die mit den Erträgen ihrer Äcker nicht zufrieden waren, den Fortschritt im Naturbeherrschen und Reichwerden nicht den Spekulanten überlassen wollten.

Haben Atomphysiker je die Verantwortung für das Bereitstellen ihrer gefährlichen Erkenntnisse übernommen?

Im Jahre 1957 kam es zur Erklärung der Göttinger Achtzehn, einer Gruppe deutscher Atomforscher, die die erste deutsche Nachkriegsregierung vor einer atomaren Aufrüstung warnten:

„Unsere Tätigkeit, die der reinen Wissenschaft und ihrer Anwendung gilt und bei der wir viele junge Menschen unserem Gebiet zuführen, belädt uns aber mit einer Verantwortung für die möglichen Folgen dieser Tätigkeit. Deshalb können wir nicht zu allen politischen Fragen schweigen. Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, daß es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen. Gleichzeitig betonen wir, daß es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken.“ (Wikipedia.org)

Dass sie es waren, die die theoretischen Voraussetzungen einer nuklearen Vernichtung sehenden Auges geschaffen hatten, fiel unter den Tisch. Ihre Verantwortung bezog sich nur auf die Zukunft – und auch dies nur halbherzig. An der Entwicklung friedlicher Atomenergie wollten sie sich mit aller Kraft beteiligen, wissend, dass das Problem der Lagerung des Atommülls möglicherweise unlösbar war und Atomkraftwerke jederzeit zur Herstellung atomarer Waffen benutzt werden konnten.

Beispiel aus der Gegenwart: bislang hatte sich der Iran mit dem Herstellen friedlicher Atomenergie begnügt. Nachdem Trump einseitig aus dem Vertrag mehrerer Großmächte ausgestiegen war, droht nun das Ajatollah-Regime mit Umstellung ihrer Anlagen, um selbst Atomwaffen zu entwickeln.

Carl Friedrich von Weizsäcker, Initiator der Erklärung der Göttinger Achtzehn, hatte 1963 in einer kleinen Schrift sein tiefes Misstrauen in das Menschengeschlecht offenbart.

„Für einen Marsmenschen, der ohne Kenntnis dessen, was wir Politik nennen, die letzten 12 Jahre der Erdenmenschheit von außen betrachtet hätte, wären die Atombomben der schlagende Beweis für den infantilen Charakter der technischen Zivilisation auf der Erde: Nicht einmal, wenn es an ihr eigenes Leben geht, können sie das Spielen lassen. Wir Erdenmenschen freilich wissen es besser. Wir sind Realisten. Wir wissen, Außenpolitik und Krieg haben ihre ewigen Gesetze, daran ändern auch die Atomwaffen nichts. Im sicheren Bewusstsein von der Unabänderlichkeit der menschlichen Natur stürmen wir dem dann ebenso über uns verhängten Untergang entgegen. Auch die Verzweiflung ist eine unverantwortliche Handlungsweise; darum ist es auch die Panikmache. Die Verantwortung des Wissenschaftlers und des Bürgers beginnt dort, wo er einem solchen Schicksal gegenüber zum ruhigen und entschiedenen Handeln bereit ist.“ (Die Verantwortung der Wissenschaft im Atomzeitalter)

20 Jahre später unterstrich der Schüler Heisenbergs seine Sätze mit theologischen Grundsätzen:

„Wege aus der Gefahr sind denkbar, sie sind möglich, aber dass wir sie beschreiten, liegt nicht in der Macht eines Menschen oder einer Partei. Sie liegt, in einem präzisen Sinn in Gottes Hand.“ (Der bedrohte Friede)

Antreten zum Gang in die Katastrophe mit ruhigem Schritt und Tritt: so gehen Christen dem Weltuntergang entgegen, wissen sie doch, dass sie der himmlischen Heimat entgegengehen. Das war nicht der erste Weltuntergang, den der adlige Physiker und Philosoph überlebt hatte.

Nicht lange her, dass das Wehen des Heiligen Geistes in deutschen Landen ihn mit 1000-jährigen Erwartungen erfüllt hatte. Kaum war das Desaster vorüber, avancierte der Sohn eines Staatssekretärs bei Ribbentrop zum Vorbild deutscher Studenten und zum begehrten Kandidaten der SPD für das Amt des Bundespräsidenten.

In kürzester Zeit gelang dem Gelehrten eine verblüffende Assimilation an die veränderte Situation einer westlichen Demokratie. Eben noch überzeugt von einer totalitären Eschatologie, verwandelte er sich wendig in den Bewunderer des Liberalismus und eines gottgewollten Kapitalismus:

„Der Liberalismus durfte sehr wohl für sich in Anspruch nehmen, dass er mit christlichen Überzeugungen ernst machte, wenn er den Respekt vor der Nation, oft gegen den Widerstand konservativer Christen, im politischen Raum durchsetzte. Sogar der technische Fortschritt kann an das Christentum angeknüpft werden; die Technik kann ihr Tun als Erfüllung des Gebots „macht euch die Erde untertan“ verstehen. (Die Tragweite der Wissenschaft)

Als aus Amerika die Ökobewegung herüberflutete, dauerte es nicht lange, bis evangelische Thinktanks aus dem unerschöpflichen Reservoir biblischer Sätze das Motto herausfischten: Schöpfung bewahren.

Als Jahre später die Grünen – aus Furcht, sie könnten als nationalsozialistische Naturschwärmer missverstanden werden – das alttestamentliche Motto übernahmen, ignorierten sie den fatalistischen Geschichtsgehorsam der Kirchen. Biblische Gehorsame gibt es zum Abwinken, doch das ändert nichts daran, dass Gott selbst die Haupt- und Staatsprobleme der Menschheit lösen wird.

Warum sind die Grünen so lau und matt? Weil sie, ob wissentlich oder nicht, darauf vertrauen, dass nicht sie für die Rettung der Natur zuständig sind, sondern der Gott der Geschichte das Heft nicht aus den Händen legen will. Schöpfung bewahren heißt streng genommen: alles Gott überlassen und ihn um ständigen Verzug zu bitten.

Die Verbindung christlichen Glaubens mit dem Beherrschen der Erde ist bis heute unverändert geblieben. Nichts, was in Politik und Wissenschaft geschieht, das mit dem Erwählungsglauben nichts zu tun hätte. Civitas diaboli und civitas dei des modernen Staates sind aus einem Guss.

Säkularisierung – ein Begriff, der spurlos verschwand – ist keine Abwendung vom Glauben, sondern Umwandlung biblischer Elemente in technische und wissenschaftliche Elemente. Es gibt nichts, was nicht von Gott wäre; in Ihm leben, weben und sind wir.

Deshalb darf es nicht verwundern, dass es zarte Beziehungen zwischen dem US-Verteidigungsministerium und der Ludwig-Maximilian-Universität in München gibt:

„Größter Nutznießer der Millionen des US-Verteidigungsministeriums ist demnach bei den deutschen Universitäten – sowohl bei der Anzahl der Projekte als auch bei der Fördersumme – die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Sie kassierte beim Pentagon seit 2008 insgesamt fast 3,7 Millionen US-Dollar in 23 Einzelsummen.“ (SPIEGEL.de)

Es kann nur Zufall sein, dass dieselbe Universität im Uni-Ranking auf Platz 32 der besten Unis der Welt landet. Deutschen Edelschreibern hüpft das Herz ob solcher Spitzenleistungen im Wettbewerb der Genialsten. Inzwischen besteht der Wettbewerb der Unis im Abkassieren großer Fördergelder der Industrie. Eine Wissenschaft, die sich in den Dienst von Geldgebern stellt, ist ein Autodafé des Geistes.

Wer erfindet Listen nationaler Eitelkeit und nach welchen Kriterien? Wie ick den Laden hier kenne, kann es nur mit Zahlen zu tun haben, die Hierarchien aus dem Boden stampfen. Wie viel Geld, wie viele Nobelpreisträger, wie viele Veröffentlichungen, wie viele wie viele?

Versteht sich, dass Inhalte nicht zur Debatte stehen. Inhalte sind Haschen nach Wind und jenseits aller Zahlenobjektivität. Versteht sich, dass pädagogische Leistungen der Uni-Dozenten so wenig zählen wie der politische Geist, der von solchen efeu-umrankten Tempeln der Wissenschaft ausgeht. Wie könnte man auch solche Duftwolken mit Algorithmen zählen und berechnen?

Den Sinn solcher Listen kann man erkennen, wenn man die Liste der 100 bedeutendsten Männer aller Zeiten, pardon, Menschen der Welt es gibt tatsächlich auch Frauen – durchgeht. Nun, wer ist die Nummer eins? Falsch, es ist nicht Trump. (Watson.ch)

Nicht subjektive Wertschätzung (das wäre ja Vorteilnahme), sondern coole Zahlen entscheiden über die ewigen Matadore, beileibe kein Framing bestimmter Nationen, die ihre Bedeutung für die Weltgeschichte mit indirekten Methoden à la Bernays unter Beweis stellen wollen.

Die Wissenschaften solcher triumphalen Kulturen – geboren im augustinischen Geist einer ecclesia miltans – können unmöglich im Büßergewand daherkommen. Was aber, wenn sie am meisten dazu beigetragen hätten, die heutigen Klimagefahren über die Welt zu bringen?

In einem aufschlussreichen ZEIT-Beitrag schildert ein Klimageograph seine ethische Zerrissenheit. Er spricht nur von Klimawandel, nicht von Krise oder gar Zusammenbruch:

„Ob der Klimawandel zu einer Krise wird, ist ein politischer oder soziologischer Begriff, den ich nicht brauche. Ich versuche, objektiv zu sagen: Wir beobachten eine sehr starke Veränderung des Klimas. Die wird sich, nach allem was wir wissen, verstärkt fortsetzen. Die Auswirkungen davon sind voraussichtlich krisenhaft, sie könnten auch katastrophal werden. Aber da ich das nicht weiß, versuche ich zu vermeiden, es in Begrifflichkeiten zu fassen.“ (ZEIT.de)

Wissenschaftler haben mit Politik nichts zu tun. Sie bewerten nicht, sie stellen fest. Das wäre die Konkordanz mit medialen Chronisten des faktischen „was ist“.

Zum Mitlesen: Wissenschaft beobachtet nur, will nichts, bewertet nichts, kennt keine praktischen Ziele und weltpolitischen Zwecke?

Waren die ersten Ökowissenschaftler aus dem englisch-amerikanischen Raum nur szientistische Amokläufer? Nach den ersten Alarmwellen in den 60er und 70ern flaute der Aktivismus der Wissenschaftler merkwürdigerweise ab. James Lovelock, Erfinder der Gaia-Theorie, hat Mühe, diese enttäuschende Entwicklung zu erklären:

„Aber irgendwie verblasste in den 90-Jahren das Gespür für die Dringlichkeit, etwas gegen die globale Erwärmung zu tun, und der Pioniergeist derjenigen, die Alarm geschlagen hatten, fand beim geistlosen mittleren Wissenschaftsmanagement wenig Widerhall. Doch das war nicht allein dessen Schuld, denn die Wissenschaft selbst war in den letzten zwei Jahrhunderten durch ihre Aufspitterung in viele verschiedene Disziplinen gehandikapt: Jede kümmerte sich nur um eine winzige Facette des Planeten, ein Gesamtbild der Erde gab es nicht.“

Dann folgt ein wahres Liebesgeständnis an die Wissenschaft von dem sonst so kritischen Liebhaber der Mutter Gaia:

„Die Wissenschaft ist ein gemütlicher, liebenswerter Klub von Spezialisten, die alle ihre zahllosen unterschiedlichen Interessen verfolgen; sie sind stolz und wunderbar produktiv, sich ihrer Sache aber niemals ganz sicher, und stets hemmt sie ein unvollständiges Weltbild.“ (Gaias Rache, Warum die Erde sich wehrt)

Lovelock verniedlicht die Naturwissenschaftler zu einem Klub skurriler, liebenswerter Einsteins, die aus der Perspektive einer ständig wachsenden arbeitsteiligen Fachidiotie nicht mehr wissen, was sie tun. Das hindert sie aber keineswegs, sich als stolze Mitglieder der umfassenden abendländischen Wissenschaft zu verstehen.

Die wurde vor allem von Francis Bacon geprägt – und vielen gleich tickenden Gelehrten und Denkern. Sollte von Weizsäcker recht haben, stand ohnehin die gesamte abendländische Technik und Wissenschaft unter der Herrschaftsdevise: Macht euch die Erde untertan. Zwar wird die Wissenschaft immer arbeitsteiliger und fachbornierter, was aber nichts daran ändert, dass der gefühlte Gesamtzustand ein umfassend-einziger ist.

Den hat John Locke unmissverständlich zu Papier gebracht:

„Die Negation der Natur ist der Weg zum Glück. Die Menschen müssen sich vollständig von der Natur emanzipieren.“

Locke ging auf dem Pfad, den Francis Bacon dem Abendland in Fleisch und Geist geschnitten hatte.

Bacons Grundlegung der abendländischen Wissenschaft begann mit einem rücksichtslosen Bruch mit den Griechen, deren Denken bis dahin das Abendland geprägt hatte – wenn auch in blutenden Kompromissen mit christlicher Dogmatik.

„Die Griechen benehmen sich wie Kinder, stets bereit zu schwatzen, unfähig, etwas zu schaffen, ihre Weisheit besteht aus Worten, ist aber arm an Taten.“

Bacon wollte nicht müßig schauen, sondern die Natur am Kragen packen und vollständig der Kontrolle des Menschen unterwerfen. Die Grenzen des menschlichen Herrschaftsbereiches sollten endlos ausgeweitet und alles, was machbar ist, auch gemacht werden. Bacons Ziel war nichts Geringeres als die Wiederherstellung des Garten Edens. Nur Wissenschaft sei fähig, den Sündenfall rückgängig zu machen:

„Das Ziel der Wissenschaft ist die Wiederherstellung der Macht des Menschen und seine Wiedereinsetzung in die Vorherrschaft … die er im ersten Stadium seiner Schöpfung einmal innehatte.“

Das war kein klinischer Akt in Keuschheit und Reinheit, das war das jus primae noctis des Gläubigen über die abgefallene „Hure“ Natur. „Man muss die Natur bei der Stirnlocke packen.“ „Der Schoß der Natur birgt Geheimnisse, die man ihr zum Besten der Menschen durch Technik entreißen muss.“

Wie geht das? „Durch Einsperren der Natur im Laboratorium, Sezieren mit Geist und Hand und Eindringen in ihre verborgenen Geheimnisse.“ Noch heute hört man von Wissenschaftlern von „harten Fakten“, einem „durchdringenden Geist“ oder der Stoßkraft der Argumentation.“

Auch Medien haben ihren Männerspaß am harten Eindringen mit stoßkräftigen Fakten. Zum Wohle der Menschen soll Natur „ausgebeutet und vergewaltigt“ werden. Foltern ist das mechanische Hilfsmittel zur Unterjochung des Chaos. „All dies ist grundlegend für die wissenschaftliche Methode als Ausübung von Gewalt und Macht.“ (Merchant)

Die Vergewaltigungs-Wissenschaft will das höchste Ziel erreichen, das für Christen erstrebenswert ist: die Wiederherstellung des ungetrübten Zusammenseins mit Gott im Paradies. Das ist noch heute das verschwiegene Ziel aller Algorithmen-Frömmler.

Wenn „Idealisten“ das friedliche Zusammensein der Menschheit als Ziel betrachten, werden sie als utopische Träumer geächtet. Wenn Silicon-Valley-Tüftler alle Probleme dieser Welt mit technischen Mitteln lösen und die Unsterblichkeit des Menschen digitalisieren wollen, gelten sie als knallharte Realisten.

Hie Vollkommenheit des Menschen durch technische Mechanik ohne jegliches moralisch-politische Bemühen, da der Versuch der Herstellung einer glücklichen Menschheit durch humanes Bemühen jedes Einzelnen und aller zusammen: das ist die unüberbrückbare Kluft der Moderne quer durch alle Disziplinen.

Das mechanistische Weltbild, nur mathematischen Messungen zugänglich, wird zum herrschenden Weltbild der Moderne. „Es war ein Weltbild, zugeschnitten auf Maschinen, nicht auf Menschen. Weil sie Qualitäten aus Quantitäten herausschnitten, schufen Maschinendenker ein kaltes, gefühlloses Universum, das nur aus toter Materie besteht.“ (Rifkin, Entropie)

Die Ökonomie wurde zur Paradedisziplin einer toten mechanischen Wissenschaft, die alle Probleme mit Zählen und Rechnen, ohne den Anhauch einer autonomen Moral, lösen will. Kein Zufall, dass die Krönung der Technik im Herstellen von KI-Robotern bestehen soll.

Im Grunde macht der Mensch nur, wozu er sich durch Mechanisierung selbst gemacht hat. Da der Mensch sich in einen Roboter verwandelt hat, kann er Roboter herstellen, die wie Menschen agieren. Kann KI ihre Schöpfer übertrumpfen? Mit links – wenn die Schöpfer sich zu mechanischer KI erniedrigt haben.

„Nach den Gesetzen der Natur – Ökonomie gilt als Naturwissenschaft – ist jedes Individuum aufgerufen, seine Rolle als soziales Atom zu spielen, im Leben erfolgreich zu sein und Reichtum anzuhäufen. Moralische Werturteile sind überflüssig, das Prinzip Eigennutz ist der einzige Mechanismus, nach dem die Gesellschaft funktioniert.“ (Rifkin)

„Mit Bacon schlug die Naturwissenschaft einen Kurs ein, den sie bis in unsre Zeit unhinterfragt verfolgen sollte: Beherrschung, nicht harmonische Kooperation und Verständnis der Natur, war das Ziel. Bacon betrachtete Frau und Kinder als „Pfandleistungen an das Glück“, als Wesen, die dem Mann die freie Entfaltung seiner Fähigkeiten und freie Beweglichkeit verwehrten. Dem stimmte Freud zu mit seiner Feststellung, emotionale Bindungen seien die unverlässlichsten aller Beziehungen.“ (Marilyn French)

Die Folgen männlichen Sich-Belästigt-Fühlens durch Weib und Kind erleben wir zurzeit als Grundsätze der Politik aller Parteien: die Frau muss unter das Joch des Männer-Kapitalismus, das Kind wird kaserniert im mechanischen Aufstiegsschacht von der Kita bis zum Beruf, der keine Zeit und Muße lässt, um sich mit Menschen und Bürgerpflichten einzulassen.

All dies bezieht sich nicht nur auf den Kapitalismus. Auch der bolschewistische Marxismus war überzeugt, dass der „Mensch zur Herrschaft über die Natur“ bestimmt sei.

„Der russische Philosoph Nikolai Fjodorov sah die Natur als Feindin, weil sie die Persönlichkeit des Menschen mit dem Tod auslöschen wolle. Die einzige Aufgabe des Menschen bestehe im titanenhaften Ringen um die Unsterblichkeit. Nur die Technik könne die Menschheit von der Erde unabhängig machen.“ (John Gray, Von Menschen und Affen)

Mumford soll den Sack zusammenbinden:

„Die Auffassung, die Wissenschaft sei nur Streben nach Wissen um des Wissens willen, ist eine bloße Selbstbeweihräucherung und Selbsttäuschung der Wissenschaftler. Die wissenschaftliche Ideologie diente ausschließlich der Rechtfertigung für das Streben nach Herrschaft über Mensch und Natur.“ (Mythos der Maschine)

Fast alle zitierten Bücher stammen aus Amerika. Ihr Erkenntnisfuror und politischer Veränderungswille ist in Deutschland kaum zu finden. Bei uns beherrschen Weizsäckers christliche Nachfolger und grüne Schöpfungsbewahrer das Feld.

Wenn wir unsere realen Verhältnisse umstülpen wollen, müssen wir die Wissenschaften vor den Gerichtshof der Vernunft nötigen. Ein Freispruch ist nicht in Sicht.

 

Fortsetzung folgt.