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Umwälzung XXXIV

Hello, Freunde der Umwälzung XXXIV,

Putin hat die stolze Nation Russland genau dahin zurückgeführt, was der frühere US-Präsident Ronald Reagan „Reich des Bösen“ nannte.“

Julian Reichelt zittert vor Erregung. Er kann es kaum erwarten, das atheistische Reich des Bösen in Trümmern liegen zu sehen. BILD verkündet die Wiederkehr des Kalten Krieges in triumphaler Feldherrnpose. Das westliche Reich des Guten hat es geschafft, dem östlichen Erzfeind die Heuchel-Maske des Friedens herunterzureißen.

Ein militantes Riesenreich soll in der Lage sein, seine bisherige Machtpolitik ins Gegenteil zu verkehren? Gottlose sollen fähig sein, sich zu „bekehren“, ihre Gewalttätigkeit in Friedenpolitik zu verwandeln? Der Antichrist ist die perfekte Imitation des Christ – um die törichte Menschheit auf seine Seite zu bringen und das eschatologische Finale für sich zu entscheiden. Dann erst wird er sein ganzes diabolischen Wesen enthüllen. Der Teufel ist ein tausendkünstiger und verkleidet sich am liebsten mit den Heilstalaren seines Todfeindes.

Obergefreiter Blome will dem fronterfahrenen Konkurrenten Reichelt in Nichts zurückstehen. Schließlich muss die fallende Quote der Springer‘schen Erweckungs-Postille gestoppt werden. Verschwörungstheorien erfinden nur die Anderen. Theresa Mays Rede gegen – die nicht zweifelsfrei nachgewiesenen – Untaten der Putin‘schen Mordsgesellen, ein Gottesgeschenk für die innenpolitisch geplagte Pastorentochter, ist für Blome ein

Weckruf für Europa und Warnung an Putin: bis hierhin und nicht weiter! Es ist Wladimir Putin persönlich, der keine Grenzen mehr zu kennen scheint – weder geografisch noch moralisch.“

Und wenn doch weiter? Dann muss ultimativ entschieden werden, wer sich auf der richtigen Seite der Geschichte befindet. Die Zeit drängt, die Spannung

steigt, die apokalyptischen Reiter rasseln mit ihren Ketten.

Schier unerträglich, diese nie zu Ende gehen wollende Nachkriegs-Friedenszeit. Es ist nicht gut für den Menschen, in friedlichen Zeiten dahinzusiechen und zu verderben. Das angeborene Böse muss besänftigt werden – indem es von Zeit zu Zeit losgelassen wird. Im Bösen erst zeigt sich der Charakter. Wenn deutsche Armageddon-Schreiber sich gezwungen sehen, das verhasste Wörtchen moralisch zu benutzen, heißt es, in Deckung gehen. Sonst darf es bei ihnen nie um Moral gehen. Wenn es dennoch einmal um Moral geht, dann muss es um Alles oder Nichts gehen.

„Weckruf für Europa“, das ist eine schwache Umschreibung, damit das Original nicht ans Licht komme: Deutschland, erwache. „Weckruf“, die einfallslose Umschreibung für: Erwachet aus dem Schlaf der Sünde. Die Zeit der Entscheidung ist gekommen.

Sturm! Sturm! Sturm! Sturm! Sturm! Sturm!

Läutet die Glocken von Turm zu Turm!

Wehe dem Volk, das heute noch träumt!

Deutschland, erwache! Erwache!

Läutet zum Sturme jetzt oder nie!

Deutschland, erwache! Erwache! 

BILD läutet die Glocke des Herrn. Man glaubt es nicht, im Pfälzischen läuten noch immer Glocken mit Hakenkreuz und dem Namen des Führers. Keine Empörung im Land Luthers, des größten Judenhassers aller Zeiten. BILD und die Kirchen werden von antisemitischen Vorwürfen allemal verschont. Nur der Islam wird als Sündenbock attackiert. Fundamentalistische Christen und Juden schonen sich, damit die christlichen Wurzeln des Antisemitismus nicht ruchbar werden.

BILD steht im Sog ihres mystischen Gründers Axel Springer, der erleuchtet war vom Charisma des schweizerischen Heiligen Nikolaus von der Flüe.

„Eines Nachts beschließt Axel Springer, das Atmen einzustellen, in Ruhe zu sterben und dann wiedergeboren aus dem Jenseits als Prediger auf die Erde zurückzukehren. Das war im Jahre des Herrn 1957. Der nächtlichen Todessehnsucht, die naturgemäß nicht zum Ziel führt, folgt beim Frühstück, wie immer Tee und Toast, überraschend die Verkündigung: Siehe, hier steht endlich der so oft schon verheißene Erlöser vor Euch!“ (SPIEGEL.de)

BILD, immer mehr das Sturmgeschütz eines erleuchteten amerikanischen Präsidenten, verschärft von Tag zu Tag den Ton. Düstere Bilder des russischen Bösewichts auf der einen Seite, exkulpierende Hallodrisierung der amerikanischen Lichtgestalt auf der anderen Seite. Alle Schuld liegt im feindlichen Lager, der Westen hat jede Selbstkritik abgeworfen.

Thomas Fricke ist einer der Wenigen, der die Selbstgerechtigkeit des Westens anprangert:

„Auf uns alle kommen schwierige Zeiten zu. Doch in Deutschland macht sich eine erschreckend selbstgerechte Art breit, alle Mitschuld an den Wirren der Welt abzustreiten.“ (SPIEGEL.de)

Das Leid syrischer Kinder wird von BILD zur täglichen Anprangerung Putins instrumentalisiert. Das Leid amerikanischer Schulkinder, hungerleidender afrikanischer Kinder wird mitnichten dem amerikanischen Präsidenten, seiner übermächtigen Waffenlobby oder gar dem selig gesprochenen Kapitalismus angerechnet. Es gibt Opfer erster und zweiter Klasse. Die besten Opfer sind diejenigen, mit denen man beweisen kann, dass die Anderen des Teufels sind. Das ist kein anschwellender Bocksgesang, sondern anschwellender Todesgesang zum Tag des Zorns.

Putins Verhärtung wird geschildert, als ob es nie einen Gorbatschow gegeben hätte, dessen Jahrhunderttat vom Westen mit intriganter List aus dem Gedächtnis der Völker getilgt wurde.

„Gorbatschow bekannte sich zu den politischen Fehlern der Partei seit Stalins Zeiten und den Verbrechen während des Zweiten Weltkrieges. Unter seiner Verantwortung wurde u. a. die Existenz des zuvor hartnäckig geleugneten geheimen Zusatzprotokolls zum deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion von 1939 zugegeben, ebenso wie das daran anschließende Massaker von Katyn sowjetischer Truppen gegen die polnische Führungsschicht 1940. Weiterhin sorgte er für den Rückzug der Sowjetunion aus Afghanistan. Im selben Jahr distanzierte sich Gorbatschow von der Breschnew-Doktrin und ermöglichte damit, dass die Länder des Warschauer Pakts ihre Staatsform fortan selbst bestimmen konnten. Die neue Freiheit führte 1989 zu einer Reihe überwiegend friedlicher Revolutionen in Osteuropa. Dies beendete den Kalten Krieg.“

Zu dieser phänomenalen Selbstkorrektur ist der Westen unfähig. Alle selbstverursachten Katastrophen von der atomaren Bedrohung des Planeten bis zur selbstbedrohenden Klimaveränderung werden verharmlost mit den Losungen Demokratie, Wohlstand und Fortschritt.

Auch der Westen kennt keine Grenzen. Für Blome kein Grund zur Besorgnis. Hauptsache: Putin kennt keine Grenzen. Je bigotter die Selbst-Gerechtigkeit, je stärker steigt das kriegerische Fieber.

Gorbatschow „gründete 1993 die Umweltschutzorganisation Internationales Grünes Kreuz. Er wurde Mitglied im Club of Rome. Vor allem seit Anfang des 21. Jahrhunderts kritisierte Gorbatschow die weltweite Machtpolitik der Regierung um George W. Bush. Innenpolitisch versteht er sich als Sozialdemokrat und ist als Vorsitzender von mehreren russischen Parteien dieser Orientierung tätig gewesen. Er kritisiert in Russland den ungezügelten Kapitalismus und sieht heute die Perestroika als sozialdemokratisches Programm, das jedoch durch die radikalen Marktreformen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht zu Ende geführt wurde. Gorbatschow engagiert sich außerdem für die globale Menschenrechtsbewegung. So war er Mitglied einer Jury von renommierten Persönlichkeiten, die im Jahr 2011 bei der Auswahl des universellen Logos für Menschenrechte beteiligt war.“

Niemand mehr im Westen kennt die Verdienste Gorbis um den Weltfrieden. Der desolate Westen könnte seine Krise überwinden, wenn er bei dem Atheisten in die Lehre ginge. Doch eher legen sie den Planeten in Schutt und Asche, als sich von hergelaufenen Besserwissern belehren zu lassen. Lernen und fromme Unfehlbarkeit: das ist wie Aufklärung und totale Verdunkelung.

Warum nur klingt Gorbatschows Rückschau auf den Westen anders als die Selbstbeweihräucherung der westlichen Erwählten?

„Michail Gorbatschows Bilanz fiel 15 Jahre nach dem „großen Umbruch“ eher negativ aus: Nirgendwo im Westen habe es damals einen echten Partner für ihn gegeben; wahrscheinlich habe keiner im anderen Lager auch nur annähernd begriffen, welches Risiko er, der damals mächtigste Mann jenseits des Eisernen Vorhangs, mit dem politischen Konzept „Glasnost und Perestroika“ eingegangen sei; kein einziger Staatsmann im Westen habe verstanden, dass das von ihm angestrebte gemeinsame „Haus Europa“ auch eine tiefgreifende Erneuerung der westlichen Strukturen, Institutionen und Denkweisen erfordert hätte, um eine völlig neue einmalige Zukunftsperspektive für den ganzen Kontinent zu eröffnen. Im gesamten westlichen Staatensystem, so müsse er rückblickend feststellen, habe nur ein „Triumphalismus ohnegleichen“ und „reine Siegermentalität“ geherrscht. Das sei am Ende der Grund gewesen, warum Russland, nach dem „politischen Ausverkauf“ und der „ökonomisch-politischen Anarchie“ der Jelzin-Jahre, einen „Machtmenschen“ wie Wladimir Putin geradezu gebraucht hätte, wollte es nicht gänzlich aus der Weltpolitik verschwinden.“

Bei den älteren Generationen seines Landes gilt Gorbatschow als Zerstörer des großen russischen Reiches. Viele junge Russen aber inspirierte er zum Geist der Freiheit und Demokratie, der noch heute sichtbar ist, obgleich Putin alles unternimmt, um ihn einzuschüchtern und auszurotten.

Für deutsche Journalisten aber sind Russen verstockte Anhänger zarenähnlicher Obrigkeiten:

„Rowdytum kommt in Russland gut an, denn es steht für Russlands neue Stärke. Es gibt in Russland kein Verständnis für internationale Regeln. Intuitiv wertet man das Völkerrecht als selektiv angewandtes Instrument des Westens. Die einzig gültige Kategorie für die Russen ist Stärke.“ (WirtschaftsWoche.de)

Natürlich scharen sich viele Russen hinter ihrem Präsidenten zusammen, weil sie den Eindruck haben, ihr Land werde vom Westen zur zweitrangigen Regionalmacht gedemütigt. Auch der vielgerühmte Obama hat sich in diesem Punkt unrühmlich hervorgetan. Was noch lange nicht heißt, dass die Russen intern alles billigen würden, was aus dem Kreml kommt.

Die psychologischen Fähigkeiten westlicher Journalisten lassen zu wünschen übrig. Wenn sie einer Sache auf den Grund gehen, machen sie sich auf Spurensuche, befragen Menschen, die ihnen zufällig begegnen, mit oberflächlichsten Fragen, verstärken dabei – rein zufällig – die Ressentiments ihrer nationalen Redaktionen. Selbstkritik – unerwünscht. Wer sein Land kritisiert, gilt als Deutschenhasser. (Nicht anders als in Israel, wo Regimekritiker als Selbsthasser aussortiert werden.)

Überflüssig zu erwähnen, dass der Name Gerhard Schröder nirgendwo fällt, wenn BILD dessen besten Freund im Kreml als Menschenfeind angreift. Dass Merkel und Putin sich gelegentlich gute Dinge zukommen lassen, war geradezu ein Staatsgeheimnis:

„Gestern erfuhren wir von eurer außenpolitischen Affäre. Heimlich schickt ihr euch Geschenke. Wie romantisch. „Radeberger Pilsner“ gehen nach Moskau. Putin schickt einen geräucherten Fisch zurück. Wahrscheinlich einen Sibirischen Stör, über Erlenholz geräuchert. Es gibt keine bessere Delikatesse. Offiziell ist Putin ein böser Mann. Er hat die Krim gestohlen. Er ist ein Dieb. Er hat sich mit Syriens Assad verbündet, der sein Volk ermordet. Normalerweise würde kein Mensch mit Putin ein Bier trinken. Und jeder normale Mensch würde den geräucherten Stör zurückschicken. Was mich wütend macht, ist, dass wir für dumm gehalten werden. Wir wissen nicht mehr, was Gut und Böse ist. Kann Putin böse sein, wenn er ein Radeberger Pils trinkt und seine Raketen auf Syrien knallen.“ (BILD.de)

Gut und Böse sind moralische Bewertungen. Auch bei BILD-Wagner fällt der Name Schröder nicht, der Name der Kanzlerin wird nur notgedrungen erwähnt. Die Anderen werden zu Bösen erklärt, die eigenen in Schutz genommen.

Wenn Trump atomar nachrüsten lässt, ist es notwendiger Selbstschutz. Wenn Putin dasselbe tut, ist es ein weiterer Schritt zur Aggression gegen den Westen. Wenn Trump Nordkorea mit fürchterlichen Konsequenzen bedroht, muss das als vorbeugender Schutz gegen Tyrannen verstanden werden. Wenn Putin mit unfehlbaren Fernraketen hausieren geht, ist er ein planetarischer Hasardeur.

Trump zündelt international, wo er kann. Wirtschaftlich werden die eigenen „Freunde“ bedroht, militärisch heizt er das Klima in Nahost an, indem er die amerikanische Botschaft nach Jerusalem verlegen lässt – und den Vertrag mit dem Iran zur Entspannung der Lage in Frage stellt.

Im Westen herrschen die unberechenbaren Kerle. Im Vatikan ist es ein unfehlbarer Gottesvertreter, der seine Religion werbetechnisch humanisieren will – aber am Protest deutscher Bischöfe scheitert. In Berlin sitzt eine endlos regierende Magd Gottes, die Politik nach dem Stand ihrer wechselnden Tageserleuchtungen betreibt. In Washington ein Rowdy des Herrn, dessen täglich wechselnde Inspirationen die bad-news-gierigen Medien entzücken.

(In einer selbstkritisch sein sollenden Talk-Show bei Maischberger wischte Tom Buhrow alle Kritik am öffentlich-rechtlichen System mit einer Handbewegung vom Tisch. „Man wirft uns allzu negative Berichterstattung vor – das mag ja sein.“ Das war die Rechtfertigung zweier moralfreier Devisen der Medien: a) Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. Dann wundern sie sich, wenn der Pöbel täglich nervöser wird beim moralischen Niedergang der Welt. b) Ein guter Journalist macht sich weder mit der schlechten noch mit der guten Sache gemein.)

Ein gewisser Mr. Trump hat sich dieses Motto zu eigen gemacht: ein guter Politiker macht sich weder mit der guten noch mit der schlechten Sache gemein – und wenn er noch so gemein ist. Wo bitte ist die Überlegenheit der Journalisten über den Moralverächter im Weißen Haus? Oh, pardon, sie wollen ja moralisch niemandem überlegen sein. Nur im Unmoralischen.

Henryk M. Broder hält von der moralisch begründeten Flüchtlingspolitik der Deutschen ohnehin fast nichts:

„Es gibt offenbar ein Bedürfnis, an den Flüchtlingen wieder gutzumachen, was Deutschland einst an den Juden verbrochen hat. Aber das ist eine falsche Analogie. Wir werden uns am Unmöglichen verheben. Die historische Formel, die unausgesprochen, aber unüberhörbar das Geschehen begleitet und begründet, lautet: „Wir machen an den Flüchtlingen wieder gut, was wir an den Juden verbrochen haben. Wir sind es uns und der Welt schuldig.“ Was bedeuten würde, dass Deutschland sechs Millionen Flüchtlinge aufnimmt, um sich von der Last der Geschichte zu befreien. Nüchtern betrachtet, eine „missionimpossible“. Geschichte ist keine Geschäftsbilanz, in der man die Posten gegeneinander verrechnen kann. Aber man kann es versuchen. Sich am Unmöglichen zu verheben ist ohnehin eine Spezialität dieser Regierung und dieser Kanzlerin.“ (WELT.de)

Man muss nicht die überhebliche Meinung der von Broder zitierten Abgeordneten teilen, dass Deutsche „höhere moralische Maßstäbe als andere Nationen“ hätten. Schon gar nicht, wenn die einmalige Rettungsaktion längst einer brutalen Einmauerungspolitik gewichen ist. Dennoch muss die Frage gestellt werden: wie können die Deutschen besser beweisen, dass sie die Mordgesinnung ihrer Vorfahren überwunden haben als durch eine humane Politik?

Die Lehren aus dem Holocaust sind: strikte Taten im Geist der Menschenrechte. Mit historisch begründeten Quantitäten hat das so wenig zu tun wie mit der Absicht, an Flüchtlingen gut zu machen, was man an Juden schlecht gemacht hat. Das kann ohnehin niemand.

Selbst wenn die Deutschen keine Völkerverbrecher gewesen wären, wäre eine humane Flüchtlingspolitik ein kategorischer Imperativ. Man kann sich darüber streiten – ja, man muss es –, ob man sich beim Helfen nicht übernimmt. Denn mit hybrider Erlöserpose würde man nur beiden Populationen schaden: den Flüchtlingen und den Deutschen. Völlig unstreitig aber muss es sein, sich nicht erneut einem Barbarismus zu ergeben, indem man sich Hilfesuchenden verweigert. Unstreitig für – Moralisten. Wer hingegen Moral für überflüssig hält, wie will der deutsche Politik moralisch disqualifizieren?

Möglich, dass man sich bei einer Aufgabe überhebt, viel wahrscheinlicher ist es, dass man sich die Sache zu leicht macht. Ein unmögliches Ziel anvisieren, wohl wissend, dass man nur ein mögliches erreichen kann, ist eine psychologische Notwendigkeit. Es soll schon vorgekommen sein – selbst unter Neugermanen – dass man erstaunt war über seine Fähigkeiten, weil man unbemerkt über sich hinausgewachsen war.

Wozu man fähig ist, hängt vor allem von der selbsterfüllenden Prophezeiung ab – man könnte auch von Selbstzuversicht oder vom Glauben an seine eigenen Fähigkeiten reden –, die man sich zuvor gegeben hat. Wer missmutig an die Arbeit geht, wird missmutige Ergebnisse bringen.

Als Gorbatschow die Sowjetunion, das einstige Reich des Bösen, innerhalb einer Generation in ein Reich des Guten verwandelt hatte, ruhten die Evangelikalen in Gottes eigenem Land nicht, bis sich das vorbildlich gewordene Reich der Atheisten erneut in ein Reich des Bösen zurückverwandelte. Das Reich des Bösen: das ist keine Aussage über eine säkulare Moral. Es war das selbst-erschaffene Privileg der Puritaner, ihr erwähltes Land als Reich der Guten auszuzeichnen.

Gut war nicht moralisch gut, sondern religiös auserwählt. Das Reich des Bösen wurde von Reagan strategisch benutzt, um zum Religionskrieg gegen alle Kräfte in der Welt aufzurufen, die es wagten, sich amerikanischen Interessen zu widersetzen – oder gar einer antichristlichen Weltanschauung anzuhängen.

1983 attackierte Reagan „vor einem Predigerkongress die Sowjetunion in einer dramatischen Verschärfung des Tons als „Reich des Bösen“, mit dem es keine Koexistenz geben könne, rief zu einem weltweiten „Kreuzzug“ gegen den Kommunismus auf.“

Im Mittelalter wurde das Motto „Deus lo volt“ (Gott will es) zum Vorbild der modernen Kreuzzugshetze gegen die nichtchristliche Welt.

„Die Dämonisierung anderer Staaten war in der Reagan-Administration keine neue Erscheinung der US-Politik. Die Bezeichnung der Sowjetunion als „evil empire“ wie auch die als „totalitarian evil“ gilt jedoch als Beispiel dafür, dass unter Reagan außenpolitische Themen deutlicher als Kampf zwischen „Gut und Böse“ in einer dichotomischen Welt betrachtet wurden, als es unter den vorherigen US-Regierungen der Fall gewesen war.“

Das Reich des Bösen beruht auf der „ausgeprägten Harmagedon-Theologie, zu deren Vertretern beispielsweise Hal Lindsey gehört. Diese Theologie, in der die Apokalyptik eine große Rolle spielt, sieht im gegenwärtigen Zeitgeschehen Anzeichen für einen bevorstehenden endgültigen Kampf zwischen Gut und Böse.“

Schon seit den 70er Jahren hatten amerikanische Biblizisten begonnen, ihre religiöse Spaltung der Welt in Gute und Böse in die Politik zu übertragen. Permanent sprachen sie von „Soldaten Gottes“, von der „Armee moralischer Aktivisten“ oder von der „Tempelvertreibung“. Jesus hatte die jüdischen Händler mit Gewalt aus dem Tempel gejagt: das ewige Vorbild aller Welteroberer im Auftrag des Herrn. Auch Hitler berief sich auf den geißelnden Messias, um seine historische Mission zu rechtfertigen.

Christliche Endzeitprediger hatten einen außerordentlichen Erfolg in Amerika, nicht zuletzt dank der neuen TV-Medien. Deren „Geschichtsprophetie zielte auf eine „letzte Schlacht um Gottes Reich“ ab und setzte rhetorisch eine Weltverschwörung durch Kommunisten, säkulare Humanisten, Friedensaktivisten, sogenannte „Perverse“ (besonders Homosexuelle), liberale Christen, Katholiken, UNO, Europa oder später in erster Linie durch den Islam voraus. Im Gründungsmanifest von Moral Majority hieß es, die USA sollten moralisch „sauber“ werden, die „Unreinen“ müssten daher ausgemerzt werden.“ (Alle Zitate aus Wiki)

Das ist die Welt von heute. Trump exekutiert das Programm jener evangelikalen Aufbruchsjahre. Er bekämpft die UNO, die Friedensaktivisten, den Islam, atheistische Humanisten und sonstige Perverse. Nicht zuletzt die Frauen, die es wagen, sich den Männern gleichzusetzen. Fast zwei Drittel aller Amerikaner glaubten bis vor kurzem, die Ankunft des Herrn selbst zu erleben.

Es war dieser Siegeswille einer ecclesia militans, der alles unternahm, um Gorbatschows Nachfolger Putin zu demütigen. Putin, einst ein vorbildlicher Schüler Gorbatschows, der im Bundestag eine von allen Parteien applaudierte Rede hielt, hatte nicht das nötige Format, um die permanenten Kränkungen des Westens an sich abtropfen zu lassen. Er zog sich gekränkt zurück und regredierte in einen überwunden geglaubten Zarismus, der im kollektiven Unbewussten der Russen noch immer präsent war. Die Vergangenheit vieler schrecklicher Repressionen bewältigt man nicht in einer Generation.

Die Apokalyptiker in Amerika haben ihr Ziel erreicht. Sie haben nicht nur das Lager liberaler Humanisten innerhalb ihres Landes an den Rand gedrängt. In der Person Trumps haben sie aller Welt kundgetan, dass ihr Ziel der Politik ist: Amerika zuerst. Amerika zuerst aber bedeutet: Amerika ist das Reich der Guten und Erwählten, das in der gegenwärtigen Endzeit nicht rasten und ruhen wird, um alle Bösen dieser Welt in die Schranken zu verweisen oder zu vernichten.

Und nun die Überraschung: die Deutschen, einstmals ihre befreundeten Musterschüler, verwandelten sich für Trump und seine Anhänger immer mehr in heimliche – Bösewichter. Nicht wegen ihrer wirtschaftlichen Potenz. Das sind nur Vorwände. Sondern wegen ihres mangelnden biblizistischen Glaubens. Deutsche Christen, die sich für aufgeklärt halten, verachten den primitiven Buchstabenglauben ihrer einstigen Retter. Dafür müssen sie jetzt büßen.

BILD unternimmt alles, um die deutschen Massen ins Lager der Trumpisten zu verlocken. Die neue deutsche Regierung denkt gar nicht daran, sich dem eschatologischen Ruf ins Goldene Jerusalem zu verweigern. Ganz im Gegenteil.

„Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnet gegen die listigen Anläufe des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Fürsten und Gewaltigen, nämlich mit den Herren der Welt, die in der Finsternis dieser Welt herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel. Darum ergreifet die ganze Waffenrüstung Gottes. So stehet nun, umgürtet an euren Lenden mit Wahrheit und angezogen mit dem Panzer der Gerechtigkeit und an den Beinen gestiefelt, als fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens. Vor allen Dingen aber ergreifet den Schild des Glaubens, mit welchem ihr auslöschen könnt alle feurigen Pfeile des Bösewichtes; und nehmet den Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes.“

Deutschland erwache. Deus lo volt.  

 

Fortsetzung folgt.