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Umwälzung XIX

Hello, Freunde der Umwälzung XIX,

BILD meldet eine epochale Sensation: Elon Musk hebt ab. Seine Superraketen sollen ein für alle mal ein bislang unlösbar scheinendes planetarisches Problem lösen. Alle Milliardäre der Erde will er in den Weltraum evakuieren, um den Masters of Universe eine Rückkehr auf Nimmerwiedersehen in die Heimat ihrer Milch-und-Honigstraße zu ermöglichen. Unersättliche Steuerbehörden und neiderfüllter Hass der Überzähligen dürfen nie mehr eine Chance haben, das hart erarbeitete Monetenglück der EINPROZENT madig zu machen – oder gar zu dezimieren. Lebt wohl, Ihr Unvergleichlichen. Wir werden eurer ewig gedenken und euch gigantische Katafalke errichten, neben denen die Cheopspyramiden erbleichen werden.

Nur eins: HAUT ENDLICH AB!

BILD meldet eine zweite Weltsensation:

„FABRIK ohne AUSBEUTER, gelenkt und geleitet durch eine 4.0-Führungsklasse: Mit Daten gefütterte Maschinen lenken die Industrie der Zukunft. Superintelligente Maschinen, heutigen Managern durch selbstständiges Denken haushoch überlegen, übernehmen Leitungsfunktionen, knüpfen Kontakte rund um den Planeten, kommunizieren und lösen, bestens vertraut mit dem Innenleben ihrer humanoiden Untertanen, die Probleme eines futurischen Produktionsbetriebs mit Hilfe ausgefeilter Gesichts- und psychischer Durchschauungsprogramme. Das Zusammenspiel von automatisierter Menschenführung und perfekter Profitgier – ein Boom-Sektor! Kanzlerin Angela Merkel und Enrique Peña Nieto, Präsident des Partnerlandes Mexiko, eröffnen am 22. April die Hannover-Messe.“ (BILD.de)

Während die Zukunft – ein ander Wort für Parusie-Faschismus – beginnt, die Deutschen ihrem erzwungenen Glück entgegenzuführen, scheinen die Politeliten ihren Ausnahmezustand gaaanz langsam, unter Emittieren hart erarbeiteter

Erschöpfungszustände, zu beenden und zum Stand-by-Modus ihres normalen Politbetriebs zurückzukehren.

Oh wie schön war es in Panama, als sie sich am Lagerfeuer persönlich näher kamen, unbelastet von angeblichen Entscheidungen und Schicksalsfragen. Brüderlich teilten sie ihre Picknickvorräte, schenkten sich geschwisterlich Kaffee ein, forderten sich fürsorglich auf, sich jetzt bei Gott nicht zu übernehmen und sich lieber ein paar Stunden aufs Ohr zu legen, als der Medienmeute entkräftet in die Arme zu laufen.

Ja, sie gestanden es sich: war es nicht wie ein gemeinsames Fronterlebnis, erforderlich geworden durch unvermeidliche Disruptionen und hyperkomplexe Probleme beim Umwandeln paläo-analoger Bio-Menschen in zuverlässig berechenbare Algorithmoide im anbrechenden Anthropozän? Es war wie vor Verdun, als die Erbfeinde gemeinsam Weihnachten feierten. Im Schützengraben, fern von allen Alltagstrivialitäten, fühlten sie ergriffen den Mantel der Geschichte über ihren Köpfen wehen. Einst werden sie sagen können: wir waren dabei gewesen, als wir vor der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken konnten, in nimmermüder Verantwortung die Weichen für Deutschlands Zukunft gestellt und das Beste für die eigene Klientel – pardon für die Menschenaufderstraße – herausgeholt zu haben.

Und nun zur nervigen Alltagsprosa. Wird die deutsche Bevölkerung nicht um das Ergebnis ihrer Wahl betrogen, wenn angelockte Parteimitglieder der SPD – die nicht mal deutsch sind, wie BILD-Reichelt zürnt – über das Wohl und Wehe der deutschen Nation entscheiden dürfen?

Und was, wenn die Basis Nein sagen wird? Wie soll das Land dieses Fiasko überstehen, das bereits jetzt unter Führungsentzugserscheinungen leidet?

„Menschen, die hier nicht wählen dürfen, dürfen darüber entscheiden, ob eine gewählte Mehrheit eine Regierung bilden darf – oder nicht. Das ist unanständig und schadet unserer Demokratie.“ (BILD.de)

„Unanständig“ sagen die Edelschreiber, die dem verhassten Begriff Moral entgehen wollen. Es geht nicht um die wenigen, die keinen deutschen Pass haben – es geht um das gehasste Prinzip Volk. Was nach Masse riecht, muss aussortiert werden. Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen. Es lebe die Minderheit der Erlesenen und Erwählten.

Obgleich das Volk keine überdominante Regierung wählte, ignoriert eine Mini-Clique das Ergebnis und will selbst bestimmen, was das Volk „eigentlich wollte“: eine überdominante Regierung. Wird das Volk betrogen, weil 400 000 Mitglieder über die GroKo entscheiden sollen – und nicht eine Handvoll Politprofis?

In der Tat wird das deutsche Volk betrogen. Aber nicht, weil Schulz & Co nicht das letzte Wort hätten. Sondern weil die ganze Wahl in einen kollektiven Betrug umfunktioniert wurde. Schulz hat sein ekstatisches Wort gebrochen und muss als Wahlbetrüger angeklagt werden. Eben kam die Meldung, er wolle Außenminister werden. Dieser Mann schreckt vor nichts zurück. Angriff ist die beste Verteidigung. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

Nur noch seine Parteibasis könnte ihn bremsen. Tut sie das nicht, hat sich die Proletenpartei auf offener Bühne verbrannt. Schon Schröder hatte das Feuer gelegt und die Schwachen zu Schuldigen einer Wirtschaftsflaute degradiert, die von Eliten verursacht worden war.

Hat das Volk eine GroKo gewählt? Eine Jamaika-Koalition? Nichts dergleichen. Trotz Verlusten blieb die CDU die stärkste Kraft, wenngleich ohne absolute Mehrheit. Wo steht geschrieben, dass eine Regierung über eine absolute Mehrheit verfügen muss? Warum standen alle Parteien Schlange, um Muttern eine gut geölte, reibungslos funktionierende Regierungsmaschinerie zur Verfügung zu stellen?

Mutter wollte eine nationale Einheitsregierung mit bedeutungsloser Opposition – und also geschah es. Das ist Wähler-Betrug. Auch die Parteispitze der SPD, anfänglich mit Schulz hadernd, unterstellte sich dem Lügenprinzip einer beliebig veränderbaren Wahrheit. Die Zeiten hätten sich verändert, also dürfe man sein Wort brechen. „Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel gleichbedeutend“, meinte einst ein urdeutscher Denker namens Fichte. Das Gegenteil ist richtig – bis zum heutigen Tag.

Nur in empirischen Wahrnehmungen ist Wahrheit zeitabhängig. Moral ist abhängig von eigener Erkenntnis, Erkenntnis abhängig von zeitloser Wahrheit. Dass man Menschen achten und anerkennen, nicht schädigen und missachten soll, ist ein Gebot zeitloser Humanität. Nicht, als ob dieser Imperativ in allen Epochen als wahr gegolten hätte, aber so, dass er in allen Zeiten hätte gelten sollen.

Moralische Sätze haben sich geltenden Unsitten nicht unterzuordnen, sie haben allein dem eigenen Denken zu folgen. Sollte Deutschland seine Aufklärungsepoche nicht völlig aus dem Gedächtnis getilgt haben, müsste es wissen, dass es den eigenen Kopf benutzen muss – und sich weder dem Zeitgeist, noch selbsternannten Experten, Edelschreibern, Popen oder sonstigen Bläh-Geistern unterordnen darf.

Ein gutes halbes Jahrhundert nach ihrer absoluten Katastrophe sind die Deutschen schon wieder dabei, den neuesten Propheten-Schreihälsen zu folgen. Hätten sie in den 30er-Jahren gelebt, hätten sie, wie ihre Vorfahren, keine Mühe gehabt, ihre demokratischen Bekenntnisse niederzuschlagen mit der Erklärung: die Zeiten haben sich verändert und erlauben es, uns in Unmenschen zu verwandeln.

Ihre wortbrüchige Machtgier kostümieren sie mit der Uneigennützigkeit, sie wollten den Menschen nützen. Wie kann man Menschen nützen, wenn man die Fundamente ihrer demokratischen Gesellschaft in Stücke schlägt? Judas küsste den Herrn – um ihn seinen Henkern auszuliefern.

Die neue Koalition hat sich auf Grundsätze geeinigt, die von niemandem gewählt wurden. Kompromisse müssen sein – aber transparente, vor dem Volk ausgehandelte Kompromisse in Rede und Gegenrede. Stattdessen Geheimdiplomatie mit schäbigen Gruppenspielchen. Und das über mehrere Wochen.

Koalitionen sind vom Grundgesetz nicht verboten. Wenn aber Kompromisse, dann müssen knallharte Argumente und Gegenargumente auf den Tisch. Ein Riesenbetrug an den Wählern, dass die Versprechungen der gewählten Parteien in geheimnisvollen Schachereien verhunzt und verfälscht werden.

Mittlerweilen hat sich in der Demokratie das Prinzip durchgesetzt: es gilt das gebrochene Wort. Das ist der psychische Tod der Demokratie – selbst, wenn es noch Reste demokratischer Kulissen geben sollte.

Politeliten glauben, ihre heiligen Personen seien gewählt worden mit der Lizenz, ihr gesprochenes Wort nach Belieben verraten zu dürfen. Doch nicht ihre charismatische, genialische, demagogische Personen-Aura wurde gewählt, sondern die schlichte Einheit aus Wort und Tat. Die Person spielt nur eine Rolle, wenn zwei dasselbe sagten – dann muss das Volk entscheiden, welche Person zuverlässiger und glaubwürdiger erscheint.

Ansonsten muss die Regel gelten, wer aufgrund seiner Worte gewählt wurde, hat alles zu versuchen, um diese in die Tat umzusetzen. Das kann nicht immer gelingen. Also hat der Gewählte die Pflicht, seinen Wählern zu erklären, welche Widerstände seine Absichten zum Scheitern verurteilten.

In Deutschland hat sich ein verhängnisvoller Personenkult entwickelt. Wer gewählt wurde, glaubt, alles Mögliche tun zu dürfen: das Versprochene und das Gegenteil.

Falsch. Wer eine neue Erkenntnis gewann und sein gegebenes Wort glaubte, brechen zu müssen, der hat sein Mandat zurückzugeben. In einer nächsten Wahl kann er das Volk mit neuer Erkenntnis zu gewinnen suchen. Alles andere wäre Betrug aus Selbstherrlichkeit.

Die Selbstherrlichen berufen sich auf § 38 des Grundgesetzes: „Dort ist garantiert, dass die Abgeordneten „an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind.“ (Berliner-Zeitung.de)

Das Gewissen also. Welches Gewissen? Die Stimme Gottes? Oder die Stimme demokratischer Vernunft? Der Stimme eines Gottes zu folgen, ist in einer toleranten Demokratie nicht verboten – sofern Gott nicht befiehlt, die Gesetze der Demokratie zu brechen. Wessen Gewissen einer biblischen oder mohammedanischen Stimme folgte, die seine bisherigen Grundsätze am Boden zerstörte, der hätte kein Recht, sein Mandat zu behalten.

Was sind Aufträge und Weisungen? Ist Wahl identisch mit dem Auftrag an eine Person, zu tun, was sie in Wahlreden versprach? Dann wäre die Missachtung des Auftrags ein Betrug an den Wählern. Dasselbe gälte für den Begriff Weisung. Ein Gewissen, das sich für befugt hielte, im Auftrag eines Gottes eine Zusage kaltblütig in den Wind zu schlagen, weil es eine Weisung sei, würde den Wähler betrügen.

Eine Person, die sich in einer Demokratie zur Wahl stellt, wird nicht als beliebig veränderbare Person gewählt, sondern als Mensch, dessen Gewissen darin besteht, sein zugesagtes Wort mit aller Kraft zu realisieren.

Die Rede vom Gewissen, das sich keiner demokratisch gewählten Weisung oder Auftrag verpflichtet weiß, wäre eine Totengräberin der Demokratie. Und was ist mit dem Fraktionszwang? Ist Gehorsam unter einen Gruppenwillen – den man für falsch hält – vereinbar mit einem heiligen Gewissen?

Zu Recht erklärt Thomas Vitzhtum in der WELT, die ganze GroKo habe ihr Wort viele Mal gebrochen. Insofern muss sie als multiple GROKO-Betrügerin an den Pranger gestellt werden.

„Union und SPD haben zahlreiche Beschlüsse gefasst, die ihre Politik vergangener Jahre revidieren sollen. Das könnte man souverän nennen – würde es nicht das Vertrauen in die Politik untergraben. Die Halbwertszeit schwarz-roter Gesetze ist nicht besonders hoch. Was soll man davon halten? Sind die Maßnahmen nun besonders souverän? Ergebnis einer Evaluation? Oder einfach nur Willkürakte, um die Interessen einzelner Wählergruppen zu befriedigen? Man weiß es nicht.Denn Union und SPD haben bisher nicht erklärt, warum sich ihre früheren Beschlüsse nun als nicht mehr tragfähig erweisen sollen. Sie verfahren eher nach dem Bonmot von Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU): „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.“ Das Fehlen von Erklärungen untergräbt das Vertrauen in die Politik. Das wusste schon Adenauer, dessen Zitat ja deshalb auch noch weitergeht: „Nichts hindert mich, weiser zu werden.“ (WELT.de)

Jeder kann weiser werden – aber nicht durch Wortbruch. Ändert sich eine Meinung, hat der Gewählte sein Mandat zurückzugeben und mit neuer Weisheit einen neuen Versuch zu wagen.

Verhängnisvoll die Verrohung demokratischer Sitten, stets zu versprechen, was man glaubt, als Wunsch des Volkes vernommen zu haben. Wer gewählt werden will, hat dem Volk nicht in den Arsch zu schlüpfen, sondern die verdammte Pflicht, seine Meinung dem Volk anzubieten. Hält das Volk diese Meinung für sinnvoll, wird es den Vertreter der Meinung wählen.

Das ist die Reihenfolge: sich mit Argumenten und Versprechungen zur Wahl stellen. Dann prüft das Volk die Meinungen und wählt diejenigen, die es für richtig hält.

Wortbruch ist im politischen Deutschland zur Regel geworden. Niemand tritt zurück, wenn er glaubt, sein Mandat durch neue Weisung nicht mehr erfüllen zu können. Kleben an der Macht, bis man mit Schimpf und Schande von seinem Amt abgekratzt wird. Auch die fromme Kanzlerin wechselt ihre Meinungen im Takt ihrer schillernden Uniform-Jacken.

Die Berliner Regierung ist zu einer Horde Betrüger geworden. Ihren verwerflichen Opportunismus rechtfertigen sie mit windigen Wahrheitstheorien. Wahrheiten, die sich im Takt der Dekaden verändern, sind keine. In immer schnellerem Tempo rast die Moderne eitlen Einfällen hinterher, die sie als Wahrheiten verkauft. Gestern ökologisch, heute: ach was soll‘s, versauen wir die Welt, langfristig sind wir alle tot. Das ist nicht nur nihilistischer Zynismus, das ist Ausliefern der Jugend an die absehbare Katastrophe.

Christen haben keine Probleme mit dem Trug wechselnder Meinungen. Ihr Gewissen hat auf Gott zu hören, der seine Meinungen so oft wechselt, wie es ihm beliebt. Gott, dessen Handlungsbreite alles Gute und alles Böse umfasst, muss sich an keine bestimmte Moral halten, in der das Gute gilt und das Böse verworfen wird. Desgleichen Gottes Knechte und Mägde, die ihr Gewissen an Gott ausgeliefert haben. Warum brodelt es zunehmend in der Bevölkerung? Weil sie ihr Vertrauen in die Regierenden verloren hat – und sich dennoch an sie gebunden fühlt, da es nirgendwo Alternativen gibt.

Gut und Böse sind für die meisten Zeitgenossen Märchen aus 1000und einer Nacht. Simplizistisch ist die Welt nicht, sie besteht aus unendlichen Widersprüchen. Eine autonome Moral aber ist keine sklavische Widerspiegelung dessen, was ist. Sie ist eine Auskunft über die Welt, wie sie sein sollte. Sie will die Welt verändern, sofern sie unmoralisch ist und nur jene Elemente bewahren, die sie für richtig hält.

Moralische Wahrheiten dürfen sich nicht widersprechen. Der Satz vom Widerspruch ist die elementarste Überprüfungsmethode, mit der man die Welt beurteilen und verändern kann. Wer in antinomischer Allmacht Gutes mit Bösem wechselt, widerspricht sich. Wer sich im Widerspruch mit sich selbst befindet, zerstört seine Persönlichkeit. Er sieht eine Gefahr, will ihr ausweichen und weicht ihr dennoch nicht aus. Wenn Wahrheit die Chance eines geglückten Lebens ist, ist Widerspruch die Negation dieser Chance.

Es gibt Widersprüche, die sich ausschließen und Widersprüche, die sich nicht ausschließen. Die letzteren sind keine Widersprüche, sondern Polaritäten, die man im dialektischen Abendland stets miteinander verwechselt. Polaritäten sind Tag und Nacht, Winter und Sommer, heiß und kalt. Sie hängen voneinander ab, bedingen sich gegenseitig – schließen sich aber nicht aus.

Es gibt zwei grundlegend verschiedene Vorstellungen von Widersprüchen, ergo von Dialektik. Heraklits Dialektik ist eine der Polaritäten. Seine Harmonie der Widersprüche ist keine Synthese unvereinbarer Widersprüche – wie bei Hegel. Hegel wollte unvereinbare Widersprüche wie Griechentum und Christentum miteinander zur Versöhnung bringen. Heraklit sah überall Kampf der Polaritäten, aber keinen Kampf unversöhnlicher Todfeinde wie zwischen einem allmächtigen Gott und seinem teuflischen Widersacher. Der Kampf der Widersprüche bei Heraklit spaltet die Welt nicht in zwei unversöhnliche Gegensätze wie im christlichen Credo:

„Die Welt ist eine Einheit, ein ewig lebendiger Prozess des Werdens und Vergehens und steter Wandlung seiner innersten Substanz, des vernunftbegabten Feuers. Über diese Einheit dürfen auch die sich der Wahrnehmung aufdrängenden Gegensätze nicht hinwegtäuschen, die nur scheinbar und relativ, in einem fortwährend fließenden Übergang ineinander begriffen sind und die „unsichtbare Harmonie“ der Welt dem kurzsichtigen Blick des oberflächlichen Beobachters verhüllen, während das tiefer blickende Auge des Denkers ihre Auflösung im absoluten Geiste erkennt. Und so verläuft alles Geschehen streng notwendig nach dem Gesetz der Entzweiung der Einheit und der Vereinigung des Entzweiten.“ (Wilhelm Nestle)

Freilich könnte man einwenden, auch der christliche Gott sei letztlich die Einheit aus Schöpfer und Diabolo, aus Bewahrer und Vernichter. Und doch gibt es einen gewaltigen Unterschied. Am Ende der Tage besiegt Gott seinen Widersacher endgültig. Das müsste der Tag der Großen Synthese sein. Doch für den Menschen, der sich Gott nie unterworfen hat, gibt es keine Allversöhnung, wie der östliche Kirchenvater Origenes (beeinflusst von griechischem Geist) es lehrte. Seine Allversöhnung wurde verworfen, mitsamt seinem allzu weichmütigen Erfinder. Wie sieht hingegen das christliche Ende aus? Ewige Pein für den Verdammten, ewige Seligkeit für den Erwählten. Von dialektischer Versöhnung keine Spur.

Die Realität ist voller Widersprüche, der Mensch ein Teil dieser Widersprüche. Moral will solche Widersprüche, da sie Leid und Schmerz verursachen, reduzieren. Widersprüche sind, sollen aber nicht sein.

Unvereinbare Widersprüche sind keine Erfindungen der Natur. Was in der Natur unvereinbar wäre mit seinem kontradiktorischen Widerspruch, das wäre nicht existenzfähig.

Unvereinbare Widersprüche sind Setzungen und Irrtümer des Menschen. Was der Mensch machte, kann er auch widerrufen. Die Lerngeschichte des Menschen besteht im allmählichen Erkennen seiner selbstfabrizierten Widersprüche, um sie aus dem Weg zu räumen. Eine Utopie ist das Reich überwundener Widersprüche.

Das Unglück des Menschen besteht im vergeblichen Kampf, seine Widersprüche auszuräumen, um zu sich zu kommen. Muss er sich als Sünder betrachten, hat er keine Chancen, seine vitale Einheit zu finden. Sünde ist der zwanghafte Glaube an einen unversöhnlichen Widerspruch. Was ich glaube, muss ich selbst herstellen. Wer mit sich ins Reine kommen will, darf nicht akzeptieren, ein unverbesserlicher Sünder zu sein. Seine Widersprüche muss er aufdecken, um sie zu beenden.

Die deutsche Regierung befindet sich auf dem Siedepunkt ihrer Verstrickungen in selbst produzierte Widersprüche – die sie glaubt, mit zeitlich veränderlichen Wahrheiten rechtfertigen zu können. Das ist der Sinn moderner Ideologie, sich täglich neu erfinden zu müssen.

Was aber, wenn das täglich Neue nichts wäre als das uralte Verhängnis, das sich täglich nur neu kostümiert, um seine desolate Wirkung zu verschleiern?

Durch Wortbruch und Lügen zum Erfolg: der deutsche Weg zum Trumpismus beschleunigt sich. Deutschlands Eliten sind dabei, die Grundlagen der Demokratie zu zerstören. Es wäre nötig, ihnen das Handwerk zu legen.

Wir müssen uns verändern.

 

Fortsetzung folgt.