Hello, Freunde der Umwälzung V,
a) „Und alle haben gemeinsam, dass sie ihre nationalen Interessen über die der Weltgemeinschaft setzen. Wir Europäer tun das nicht.“ (Der beliebteste Politiker der BRD)
Nach der bigotten TV-Neujahrspredigt seiner geliebten Kanzlerin – nun das bigotte Neujahrsinterview Gabriels im SPIEGEL.
b) „Bisher definieren wir häufig europäische Werte, bei der Definition gemeinsamer Interessen sind wir viel zu schwach. Um einem Missverständnis gleich vorzubeugen: Unsere Werte Freiheit, Demokratie, Menschenrechte dürfen wir nicht kleinmachen. Im Gegenteil. Aber der Politologe Herfried Münkler hat recht: Nur normative Positionen zu beziehen, nur Werte in den Mittelpunkt zu stellen wird in einer Welt von lauter harten Interessenvertretern nicht erfolgreich sein. In einer Welt voller Fleischfresser haben es Vegetarier sehr schwer.“
Gabriel bezieht sich auf den Machiavelli-Bewunderer Herfried Münkler, der über seinen Heros erklärte:
„Machiavelli beschreibt nicht die Metaphysik der Politik, sondern ihre Physik, die Weise, in der sie funktioniert, das Wirken von Kräften. Ihn interessiert nicht, wie die Welt sein sollte, sondern wie sie ist. Das schafft einen klaren Blick. Indem er moralische Verpflichtungen und politische Rationalität voneinander trennt, stellt er das Handeln der politischen Akteure von Intentionalität auf Funktionalität um. Machiavelli ist nicht mehr davon überzeugt, dass die gute Absicht als Königsweg zum guten Ziel führt. Er denkt darüber nach, was die strategischen Voraussetzungen sind, um ein bestimmtes Ziel, etwa inneren Frieden, Stabilität der Republik, Sicherung der Herrschaft, zu erreichen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass möglicherweise auch das Gegenteil des moralisch Geforderten, also Lügen, Grausamkeit, physische Gewalt, die unverzichtbare Voraussetzung sein kann, dieses Ziel zu …
… erreichen. Das Ziel selbst ist moralisch ausgestattet, ein gutes Ziel. Aber der Weg dorthin folgt einer Zweckrationalität, keinen moralischen Erwägungen.“ (brand-eins.de)
Wäre es vertretbar, Trumps Amoralismus als Machiavellismus zu betrachten? Es wäre zwingend notwendig. Wäre Gabriel, der sich auf Münklers Machiavellismus beruft, dann nicht eine deutsche Ausgabe Trumps? Unbedingt. Trumps Motto: zuerst das eigene Land, wäre dann auch Gabriels Motto? Auf jeden Fall. Gleichzeitig behauptet Gabriel, Europa würde nationale Interessen nicht über die der Weltgemeinschaft stellen. Wäre das kein absoluter Widerspruch? Wäre es – na und?
Spricht es nicht für den smarten Außenminister, dass er tut, was er sagt? Er hält Lügen für vertretbar, wenn sie nationalen Interessen dienen – ergo lügt er. Vorausgesetzt, seine Widersprüche sind ihm bewusst. Wären sie es nicht, dürfte man ihm keine Lügen, sondern gespaltenes Irresein bescheinigen. Was keinen offiziellen Krankheitswert haben muss. Noch immer gilt Freuds These: Massenneurose schützt vor Einzelneurose.
Wenn die Deutschen in bester romantischer Tradition in Widersprüche vernarrt sind, wäre ihr Nationalcharakter ebenfalls: gespaltenes Irresein. Gabriel wäre nur ein ordinärer Deutscher. Sie blinken links und fahren rechts und wundern sich, wenn‘s kracht.
In der Gabriel-Münkler-Ideologie wiederholt sich der Werturteilsstreit des frühen letzten Jahrhunderts, in dem Max Weber die These vertrat, Wissenschaftler müssten empirische Fakten feststellen, keine Moral predigen. Auch Journalisten sind Weber-Anhänger, wenn sie nur moralfreie Fakten konstatieren und sich weder mit der guten noch mit der schlechten Sache identifizieren wollen.
„Eine empirische Wissenschaft vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur, was er kann, und – unter Umständen – was er will.“ (Max Weber)
Das ist deckungsgleich mit Münklers These, Politik habe nicht moralisch zu sein, sondern müsse ihre Interessen mit List und Tücke, Hauen und Stechen, Lügen und Betrügen vollstrecken.
Und schon biegt der nächste Widerspruch um die Ecke. Gabriel hat keine Schwierigkeiten, sich in wenigen Sätzen mehrfach zu widersprechen. Er verleiht sich das Flair des Überfliegers, der sich mit logischen Niederungen nicht gemein machen muss. Wenn man andere belehren kann, was sie wollen, kann man sie auch moralisch belehren. Wer nicht weiß, was er will, weiß auch nicht, was er soll. Wollen kann man Moralisches oder Unmoralisches: was man soll – oder nicht.
„Die Türkei versucht sich derzeit eher unabhängiger von Europa zu machen und wendet sich nach Osten. Ist das in unserem Interesse? Und sichern wir damit westliche Werte in der Türkei oder wenigstens bei uns? Oder machen wir uns insgesamt schwächer? Gleichzeitig verstößt die Türkei gegen unsere europäischen Wertvorstellungen. Das ist ein schwer auszuhaltender Konflikt, der uns in berechtigte Auseinandersetzungen und Debatten bringt. Diese Debatten brauchen wir – der Glaube, sich nur auf Werte zurückziehen zu müssen, um immer auf der sicheren Seite zu sein, ist falsch. Was wir aber dringend brauchen, ist eine aufgeklärte Diskussion darüber. Sich immer nur gegenseitig den Verrat an Werten um die Ohren zu hauen bringt weder jemanden aus dem Gefängnis, noch stärkt uns das.“
Sind Werte moralische Werte? Spricht man von Werten, um Moral negieren zu können, ohne Anstand dementieren zu müssen? Jenen Anstand, der sich in besseren Kreisen von selbst versteht? Sie gehen höflich und anständig miteinander um, wenn sie sich gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen. Es ist eine sophistische Meisterleistung, im Namen der Moral – pardon, des Anstands –, die ganze Moral zu demontieren.
Wenn man sich, etwa in der Auseinandersetzung mit der Türkei, für abendländische Werte einsetzt – zieht man sich damit auf die sichere Seite zurück? Dann hätten alle Widerständler vor Freisler ihre Taten bereuen müssen. Die sichere Seite einer Sache hängt von Machtverhältnissen ab. Sind die „Bösen“ in der Mehrheit, wird es für die „Guten“ brandgefährlich, auf ihren guten Taten zu bestehen. Sich für das Gute einzusetzen, kann Spott und Gefahren nach sich ziehen. Gutmenschen werden heute als realitätsfremde Schwärmer angegriffen, die das Land dem kleinsten Aggressor ausliefern würden.
Gabriel hält es für notwendig, sich in Wertefragen mit der Türkei auseinanderzusetzen – ohne sich den Verrat an Werten gegenseitig um die Ohren zu hauen? Wie kann man um Werte streiten, ohne die für falsch gehaltenen Werte des Anderen anzugreifen?
Es geht nicht um Geschmacksfragen, sondern um das Leben von Menschen. Es geht um die Freiheit des Deniz Yüzel und aller unschuldig eingekerkerten aufrechten Menschen. Jede Debatte um Wahrheit und Moral haut dem anderen Unwahrheit und Amoral um die Ohren – auch wenn der Ton der Debatte noch so höflich ist.
Wissenschaftler, Journalisten und machiavellistische Politiker können nur vertreten, was ist. Und nicht dazu aufrufen, die Welt zu verändern, wie sie sein soll?
Das ist Stuss. Denn die Welt ist nicht, wie sie zu sein scheint. Dem einen ist sie ein vollendeter Kosmos, dessen Schwächen nur vorübergehend oder trügerisch sind. Dem anderen ist sie die Hölle, die sich mit guten Taten nur tarnt. Die Frage: was ist, kann objektiv durch rein empirische Fakten nicht beantwortet werden.
Empirisch heißt durch Erfahrung. Erfahrung aber ist von subjektiver Wahrnehmung und Deutung der Welt durchzogen. Es ist eine der trügerischsten Selbsteinschätzungen, wenn Medien durch bloße Faktenaufzählung glauben, objektiv zu sein. Welche Fakten selektieren sie, welche halten sie für berichtenswert?
Jede Auswahl der Fakten ist moralgeleitet. Wie ich Welt deute, so nehme ich sie wahr. Für Priester ist die Welt eine Spielwiese des Teufels, und wenn noch so viel Gutes auf ihr geschieht. Für Sokratiker bleibt der Mensch ein gutes Wesen, auch wenn er sich noch so unmenschlich verhält. Glaubt der Sokratiker doch zu wissen, dass Böses nur ein verirrtes Gutes ist, das lernen kann, seine Irrtümer zu erkennen und zu verändern.
Gibt es dann keine Objektivität? Objektiv heißt wahrheitsgemäß. Wer Wahrheit leugnet, wie kann der objektive Wahrheit für möglich halten? Objektivität gibt es nur als Suchen nach der Wahrheit, indem man seine subjektive Sicht der Dinge offenlegt. Objektives Wahrnehmen ist Ringen um die Wahrheit.
Unabhängig von der Wahrheitsfrage gibt es keine objektiven empirischen Fakten. Jeder sieht nur, was sein innerlicher Wahrheitsfilter zu sehen erlaubt. Für seine Anhänger ist Trump ein Befreier Amerikas; für seine Gegner ein Verderber Amerikas. Dieselben Fakten dienen dem einen zur Kritik, dem andern zur Lobrede. Warum scheint das Gespräch zwischen Linken und Rechten so oft unmöglich? Nicht, weil sie sich auf Fakten nicht einigen könnten, sondern weil ihre Deutungen der Fakten unüberbrückbar scheinen.
Der Glaube an Fakten, die unabhängig von der Wahrheitsfrage wahr-genommen werden können, entstammt den Tiefen verdrängter Philosophie. Im Kampf gegen den klerikalen Glauben definierten Aufklärer sinnliche Wahr-nehmungen als Feld glaubens-unabhängiger Wahrheiten. Alle Wahrheitsartikel mussten den Test sinnlicher Wahrnehmungen bestehen. Wahrheit war zwar mehr als die Summe aller Empirie, aber ohne Empirie waren sie nichts.
Gott und alle metaphysischen Wahrheiten waren damit erledigt – glaubten die neuen Empiriker. Doch sie übersahen, dass alle Theorien – und nicht nur die religiösen Dogmen – mehr als die Summe aller sinnlichen Erfahrungen waren. Denken übersteigt alle Sinnlichkeit. Ist Welt die Schöpfung eines Gottes – oder das Werk einer ewig unerschaffenen Natur? Solche Fragen übersteigen die Aussagekraft aller empirischen Fakten.
Wenn Naturwissenschaftler den Urknall nicht als der Wahrheit letzter Schluss akzeptieren und seine weiteren Ursachen erkunden, um doch noch einen Gott zu erkennen, so entlarven sie ihre philosophische Dummheit.
„Als Münchhausen-Trilemma wird ein von Hans Albert formuliertes philosophisches Problem bezeichnet. Es geht um die Frage, ob es möglich sei, einen „letzten Grund“ (im Sinne einer letzten Ursache bzw. eines unhintergehbaren ersten Anfangs) zu finden bzw. wissenschaftlich zu beweisen. Hans Albert behauptet, dass jegliche Versuche für eine Letztbegründung scheitern müssen bzw. ins Münchhausen-Trilemma führen. Das Münchhausen-Trilemma bedeutet, dass jeder Versuch des Beweises eines letzten Grundes zu einem von drei möglichen Ergebnissen führt:
1. zu einem Zirkelschluss, (die Conclusio soll die Prämisse beweisen, benötigt diese aber, um die Conclusio zu formulieren)
2. zu einem infiniten Regress (es wird immer wieder eine neue Hypothese über die Begründbarkeit eines letzten Grundes formuliert, die sich jedoch wiederum als unzureichend erweist oder wieder in einen Zirkel führt)
3. zum Abbruch des Verfahrens.“
Nie wird die Menschheit durch empirische Forschung den Ursprung der Welt erkennen. Denn jeder Ursprung wird die Fragen nach sich ziehen: Was war vor dem Ursprung? Was ist der Ursprung des Ursprungs?
Dass Wissenschaft unbeantwortbare „Glaubensfragen“ mit Hilfe empirischer Wahrnehmungen beantworten will, zeigt ihre gedankliche Verwahrlosung.
Es ist nicht nur ordinäre Interessenpolitik, die alle Zeichen der Degeneration aufweist – der Verfall hat die höchste Ebene der Theoriebildung durchdrungen. Da man heute nicht mehr zurückblickt, sich jeden Tag neu erfindet, verdrängt man alle Erkenntnisse der Vergangenheit.
Schon Popper klagte, Studenten der Naturwissenschaft würden über die Geschichte ihres Fachs und über Wissenschaftstheorie – das Nachdenken über die Methoden exakter Wissenschaften – nichts mehr erfahren. Der Creationismus hat die „objektive Naturwissenschaft“ kontaminiert und zur Bestätigung seines Kinderglaubens erniedrigt.
Glaubensfragen sind nicht Glaubensfragen. Ein rationaler Glauben muss nicht blind geglaubt werden wie die Mythen einer Heiligen Schrift. Er ist offen für alle Argumente, die für oder gegen ihn sprechen. Er geht von experimentell überprüften Fakten aus – und zieht seine hypothetischen Schlussfolgerungen aus diesen Fakten, von denen er weiß, dass es in letzten Fragen keine absolute Gewissheit geben kann. Vom biblischen Glauben, der alles autonome Denken und Fühlen Gott opfern muss, ist rationaler Glaube weltenweit entfernt.