Kategorien
Tagesmail

Umwälzung LXXXIV

Hello, Freunde der Umwälzung LXXXIV,

Szene 1: Hallo, Grenze!

Wer da? Wohin des Wegs?

Lass mich passieren. Ich muss hinüber.

Ausweis! Biometrische Gesichtskontrolle! Fingerabdrücke!

Ich bin ein Geldschein und für den Freihandel unterwegs. Wer Wohlstand will, muss mich ziehen lassen, wohin ich will.

Pardon, Sir! Betrachten Sie uns als nicht vorhanden. Wir wünschen gute Geschäfte. Kehren Sie mit Zins und Zinseszins zurück. Von Ihrem Erfolg hängt auch unser Gehalt ab.

Szene 2: Hallo Grenze!

Wer da? Wohin des Wegs?

Ich bin ein Mensch und komme aus einem fernen Land, in dem niemand mehr leben kann.

Ausweis! Biometrische Gesichtskontrolle! Fingerabdrücke!

Sei menschlich. Ich fliehe vor Unterdrückung, Not und Tod. Öffne deine Schranken.

Ach so: Asyltouristen, Wohlstandsflüchtlinge! Zurück nach Österreich. Oder ihr kommt in unsere residenzpflichtigen Zentren.

Es gibt Asyltouristen. Es sind jene Millionenheere deutscher Touristen, die die Welt überfluten, mit Flugzeug- und Autoabgasen die Luft verpesten, dass das Klima der

Welt in vielen Ländern allmählich unerträglich wird. Ihr Tourismus schafft Asylsuchende.

Ihren Gastgebern, die sie freundlich aufnehmen, hinterlassen die Touristen beim Abschied die Botschaft: glaubt ja nicht, dass wir uns wiedersehen, ihr als Asylanten, wir als eure Willkommens-Trottel.

Wir könnten auch vom deutschen Sonderweg-Kosmopolitismus sprechen. Draußen in der Welt sind uns alle Fremden lieb und teuer, solange sie uns herzlich aufnehmen – in unsrer Heimat aber wollen wir sie nicht sehen. Da wir all unsere Nächsten lieben, müssen wir dafür sorgen, dass die meisten unsere Fernsten bleiben.

In einer Welt, die zusammenwächst, in der der Mensch dem Menschen – ein Mensch wäre, würden alle Grenzen zwischen Völkern und Nationen verschwinden. Das Geld hat den Menschen längst überwunden, ist ein utopisch Ding geworden und darf über alle Grenzen hinweg fliegen. Der Mensch aber – ein elend unvollkommen Ding – muss sich mächtig kapitalisieren, das Gehirn digitalisieren, bis er den edlen Status des flanierenden Geldes erworben hat.

Unaufhaltsam geht der Mensch seinem geheimnislosen, gläsernen Wesen entgegen. Sein Wert wird ihm, sichtbar für alle, in die Stirn eingebrannt. Vor- und Nachnamen werden überflüssig. Sie begrüßen sich als menschgewordene Zahlen. Sein und Schein, Wesen und Erscheinung werden zusammenfallen.

Es wird sich erweisen, was der Mensch ist: eine exakte Quantität. Er wird sein, was er wert ist. Seinen Gebrauchswert hat er überwunden. Er hat die Spitze der Evolution erreicht: er ist zum lebendigen Tauschwert geworden. Wie Gott Mensch ward, ward der Mensch Zahl. Er wird Alles-oder-Nichts sein. Selbst ist er Nichts, was er zusammenrafft, wird Alles sein.

Der Westen zerbricht. Ein weltgeschichtliches Ereignis. Orient und Okzident „nähern“ sich – durch brandgefährlichen Hass und Streit, der sich endlich zur Sache äußern darf. Bilanzen werden aus dem Keller geholt. Die Stunde der Abrechnung hat begonnen. Alte Rechnungen werden präsentiert. Der Westen stellt sich blind, taub und selbstgerecht. Die Schuld ist immer bei denen, die seine Opfer waren.

Draußen vor der Tür stehen Menschen, die Wiedergutmachung fordern. 500 Jahre kolonialer Völkermord, Unterdrückung und endloses Ausbluten im Namen eines liebenden Gottes nähern sich dem Ende. China wird zum Mittelpunkt der Revanche. Südamerika und Afrika haben es am schwersten. Mexiko ist eine Mafiokratie, in der viele Politiker ihr Leben verlieren, weil sie eine freiheitliche Politik wünschen.

In vielen afrikanischen Ländern regieren Despoten, mit denen Europa kungelt, um die fliehende Bevölkerung außen vor zu halten. Die Gaben der Entwicklungshilfe waren caritative Almosen, die an den despotischen Strukturen nichts änderten. Deutsche und Europäer kennen nur machiavellistische Machtpolitik ohne Moral – und caritative Tropfen auf den heißen Stein – ohne den Stein abzukühlen. Sie wollen nur ihr schlechtes Gewissen betäuben und religiöse Seligkeitspunkte sammeln.

Ändern wollen sie nichts. Ihre externe Wirtschaftspolitik zieht noch immer jene Völker über den Tisch, die sie mit Gnadengaben abspeisen. Das Ende der internationalen Bigotterie ist noch nicht gekommen. In Deutschland, der führenden Macht Europas, will man keine Moral als Politik. Nur in wenigen Allergiepunkten wie der Flüchtlingspolitik werden sie hypermoralisch, wenn die Regierung keinen Anstand mehr zu kennen scheint. Bei Putin verurteilen sie alles, bei Israel verteidigen sie alles.

„Die internationale Arbeitsteilung besteht darin, dass einige Länder sich im Gewinnen und andere im Verlieren spezialisieren. Jährlich explodieren ohne jeden Lärm drei Hiroshima-Bomben über diesen Völkern, die ihr Leid mit zusammengepressten Zähnen ertragen. Was sonst ist die Absicht der Erben von Malthus, als alle kommenden Bettler zu töten, ehe sie geboren werden. McNamara, einstmals Verteidigungsminister Amerikas und Präsident der Weltbank, stellte einst fest, dass die Gehirne der Armen um 25% weniger denken als die Reichen. Und seine Genies der Weltbank bewiesen mit komplexen Rechnungen, wie vorteilhaft es sei, nicht geboren zu werden.“ (Eduardo Galeano, Die offenen Adern Lateinamerikas)

Nun verstehen wir den Sinn der Überkomplexität, die den Massen fast täglich – mit Hilfe willfähriger Medien – verschrieben wird. Wer keinen Erfolg vorzuweisen hat, dessen IQ hat sich erwiesen.

„Es sind die Länder der NATO, der größten Militärallianz der Welt, welche angeführt von den USA in den letzten Jahren am meisten illegale Kriege vom Zaum gebrochen haben, aber immer völlig straflos davon gekommen sind. Die NATO und die USA sind eine Gefahr für den Weltfrieden, sie haben das Kriegsverbot wiederholt missachtet. Die NATO hat wiederholt Länder ins Chaos gestürzt; Menschen getötet und Flüchtlingsströme ausgelöst. Deutschland sollte aus der NATO austreten und in Erinnerung der eigenen Geschichte keine Truppen ins Ausland schicken und sich als neutrales Land für das Völkerrecht und friedliche Konfliktlösung einsetzen. Auch der laufende „Krieg gegen den Terror“ zielt nicht primär gegen den Terror, sondern ist ein Kampf um Rohstoffe und globale Vorherrschaft. Er schwächt die Menschenrechte und die UNO-Charta; er muss beendet werden, weil er gescheitert ist.“ Schreibt der exzellente Schweizer Historiker Daniele Ganser in seinem Buch „Illegale Kriege“.

Merkel unterstützte den USA-Krieg gegen den Irak und erhöht momentan den Militäretat der Deutschen, um irgendwann die versprochenen 2% zu erreichen. Warum haben sie die 2% überhaupt zugesagt? Sie denken nicht daran, ihre Zusagen einzuhalten – und denken noch weniger daran, ihre verblendete Zusage zurückzunehmen.

Wollen sie, im Falle eines russischen Angriffs, sich mit klapprigen Panzern gegen Atomwaffen wehren? Selbst, wer kein Pazifist ist, und seinen Menschenverstand nicht vollständig verloren hat, kann sich an zwei Händen die Vergeblichkeit eines solchen Wahnunternehmens ausrechnen.

Wie immer fährt Merkel synchron auf zwei Ufern des Flusses. Sie will nicht aussteigen und versteckt sich hinter dem Schutzschirm der USA. Gleichzeitig kokettiert sie mit der lässigen Ansage: wir müssen ja nicht überall dabei sein. Das ist weder Fisch noch Fleisch.

Der Westen zerfällt – und braucht keine NATO mehr. Das wäre ein gutes Zeichen. Doch die NATO ist zur automatischen Selbstverteidigung verkommen. Trotz mündlicher Zusagen an Gorbatschow hält sie sich nicht an den Wortlaut ihrer Zusagen und expandiert unaufhörlich gen Osten.

Wenn die machtlüsternen Augen der USA auf strategisch oder rohstoffmäßig interessante Weltgegenden fallen, ist es für Widerstand zu spät. Mit der bewährten Taktik „teile und herrsche“ werden feindliche Bürgerkriegsparteien gegeneinander aufgehetzt. In den beginnenden Krieg kann Amerika nach Belieben eintreten, um der erwünschten Partei den Sieg zu erringen. So im Falle Serbien, Ukraine und Syrien.

Im Falle Serbien beteiligten sich auch die Deutschen, Joschka Fischer allen voran mit der Kampfparole: nie wieder Auschwitz. Sonst wird jeder Vergleich mit dem Holocaust verurteilt, doch in diesem Fall zog man vor, nichts zu hören und nichts zu sehen. Die Liste deutscher und westlicher Doppelmoral ist kaum zu überschauen.

„General Heinz Loquai, der als OSZE-Beobachter die Lage im Kosovo aus erster Hand kannte, stuft die Lügen von Fischer und Scharping über die Konzentrationslager zu Recht als unerträglich ein. «Man muss sich als Deutscher schämen, dass deutsche Minister so etwas getan haben, denn ein normaler Mensch wird vor Gericht zitiert, wenn er in derartigem Maße Auschwitz verharmlost. Auf Serbien 1999, dem illegalen Angriff auf Afghanistan 2001 und dem illegalen Angriff auf Syrien 2015 hat Deutschland unter dem Druck der USA und anderer NATO-Partner wieder das Kriegsbeil ausgegraben. Indem auch Merkel den Regime Change in Syrien forderte, stellte sie sich hinter die Kriegstreiber USA, Großbritannien, Türkei, Saudi-Arabien und Katar. Das ist illegal. Kein Land darf die Regierung eines anderen Landes stürzen.»“ (Ganser)

Wie immer wurden die Deutschen nicht gefragt, ob sie den Eintritt in den Krieg bejahten. Selbst der frühere CDU-Politiker Wimmer mahnte: „Es interessiert die Bundesregierung weder, was in der eignen Verfassung im Zusammenhang mit dem Verbot des Angriffskrieges steht, noch interessiert sie die der Vereinten Nationen und das Gewaltmonopol. Man muss davon ausgehen, dass der Einsatz der Bundeswehr in Syrien nur das Ziel hat, die Charta der Vereinten Nationen in Grund und Boden zu stampfen.“ (zitiert bei Ganser)

Nachdem Merkel keine nationale Borniertheit ausließ, um die EU zu schwächen, beginnt die nächste Destabilisierung mit Hilfe eines geradezu schwachsinnigen Tschindarassabums. Nach christlicher Rechnungsart hat sie eine gute Tat vollbracht, die alle bösen Taten ungeschehen macht.

Auch Merkel schwächt die UNO, nicht anders als Trump. Auch Merkel betreibt eine internationale Wirtschaftspolitik unter Deklassierung schwächerer Partner – wie Trump. Auch Merkel singt jeden Tag eine neue Melodie, die oft das krasse Gegenteil der gestrigen ist – wie Trump. Auch Merkel negiert jede logische Verlässlichkeit – wie Trump. Von ihrem feuerspeienden Partner Seehofer haben wir noch gar nicht gesprochen. Die deutschen Inszenierungskünste bevorzugen Demut und pubertären Trotz vor unbesiegbaren Mütterfiguren: die Substanz bleibt dieselbe. Es geht um Religion und Kapitalismus, stupid.

Zeit für Friedensgesänge. Erste Voraussetzung: der Westen muss zerfallen. Er war ein Machtblock, der gegen Deutschlands NS-Schergen eine eminent positive Rolle spielte, danach langsam und unauffällig sein demokratisches Niveau verspielte. Wir brauchen keine NATO mehr. Sie hatte nur den Zweck, dem Reich des Bösen im Kalten Krieg Paroli zu bieten.

Es war nicht der Westen, es war Gorbatschow, der den Beweis erbrachte, einen riesigen Machtblock mit friedlichen Mitteln auflösen zu können. Eine ungeheure Tat, die der Westen in seinem inferioren Neid nicht anders beantworten konnte als durch Ungeschehenmachen der russischen Friedensaktion durch Wortbruch, Einkesseln und Demütigen Russlands. Selbst Lichtgestalt Obama lästerte gegen die bedeutungslose „Regionalmacht“, um seine eigene Wortbrüchigkeit zu überdecken.

Es ist notwendig, dass der Westen zerbricht. Er war ein hohles und verlogenes Gebilde. Deutschland, bislang an der Schürze der USA, kann nicht länger bei Mommy wohnen, sich auf ihre Umhegungsbemühungen verlassen, sie aber hintenrum bei Kumpanen verlästern.

Es geht nicht nur um Merkel. Letztlich ist sie nur das ausführende Organ der deutschen Nation, die nicht mehr weiß, dass Politik nicht nur aus Malochen, Raffen und Prahlen bei schwächeren Nachbarn besteht. Merkel tut nur, was sie als Ausdünstungen der Menge zu schnuppern meint. Sie würde von Gottes Willen sprechen. Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes. (F. J. Strauß sprach von der vox populi als vox rindvieh. Doch auch er tat nichts anderes, als der Stimme des Rindviehs zu folgen.)

Die Schwäche der gesamten deutschen Politik ist die Ununterschiedenheit des Volkes mit den in die Jahre gekommenen Parteien. Auch die AfD ist keine neue Partei, sondern versammelt Dissidenten der etablierten Parteien unter ihren Trumpismen: zuerst Wir, dann Wir, zuletzt Wir. Es entspricht der Selbstgerechtigkeit der Deutschen, bei Trump nur niedere Instinkte am Werk zu sehen, während sie selbst – nein, keine Moral – aber Anstand und Haltung bewahrten. Oder auch nicht.

Gäbe es keine Merkel, gäbe es noch lange keine Anti-Merkel-Politik. Deutschland ist wirtschaftlich verfettet und gedanklich abgetreten. Merkels „ich bin fest davon überzeugt“-Glaubensbekenntnisse sind Manna für eine Nation, die auf keinem Gebiet weiß, wo sie steht, stehen soll und stehen will.

So weit sind wir gekommen: die Deutschen schämen sich. Nicht wegen Ertapptwerdens beim Huren, Saufen oder sonstigem Schweinkram. Sondern beim deutlichen und klaren Bekennen zum Frieden, zu Gleichheit, Freiheit und geschwisterlicher Verbundenheit. Lieber hassen sie Moralisten, als sich selbst zum Frieden zu bekennen. Lieber marschieren sie in fremden Ländern ein, als anzustimmen: Frieden sei ihr erst Geläute.

So weit haben wir‘s gebracht: wir schämen uns – nicht wegen verächtlicher Taten, sondern wegen Anstiftens zur Humanität. Nichts abstoßender als flammende Aufrufe zu Frieden, Freude, Eierkuchen. Doch wie glühen ihre Berichte über Theaterstücke, in denen keine Sauerei außen vor bleibt. Die Ästhetik des Hässlichen und Verabscheuenswerten macht uns die Leichtigkeit des Seins gerade noch erträglich. Noch einige Jahrzehnte ereignislosen Exportierens von Dingen – und wir beginnen, uns nicht länger zu tätowieren, sondern zu ritzen oder gar zu amputieren. Von irgendeiner Sensation muss das gelangweilte Herz doch leben.

Besonders eines Denkers wegen sollten sich die Deutschen schämen. Er war ein unerträglicher moralischer Rigorist, der es mit seiner Würde vereinbar hielt, die Welt zum ewigen Frieden aufzurufen. Man sollte ihn aus dem Kanon der deutschen Dichter und Denker streichen.

Den ewigen Frieden, „das letzte Ziel des Völkerrechts“, hielt er zwar für eine unausführbare Idee, doch mit aller Kraft solle man sich ihr annähern. Durch „allmähliche Reform“ könne uns diese Leitidee zum ewigen Frieden führen.

Von diesen Gedanken hätte Popper lernen können. Man muss – in theologischer Tradition – keine Utopie als Himmel auf Erden bezeichnen und als satanische List verwerfen. Ja, man kann sie sogar für unausführbar halten und dennoch mit aller Kraft versuchen, sie anzustreben.

In einem seiner Punkte heißt es bei Kant: „Stehende Heere sollen mit der Zeit ganz aufhören“. Das wäre heute, wenn Merkel den Namen Kant schon gehört hätte, das Ende der NATO. Die Welt starrt vor Waffen. Deutschland gehört zu den wichtigsten Waffenexporteuren der Welt. Das sollen Friedenssignale sein?

Wenn es wirklich zum Krieg käme, wären wir alle verloren. Selbst diejenigen, die einige Wochen in ihren privaten Bunkern überleben würden, wären nach wenigen weiteren Wochen mausetot.

Nicht aus blauäugigen, sondern aus knallharten militärstrategischen Gründen haben wir nur eine Überlebenschance: wenn wir unbewaffnet etwaigen Panzern entgegen gingen. Woher wollen wir wissen, dass russische Soldaten nichts Besseres zu tun hätten, als Waffenlose, die sie eben noch als Fußballfreunde erlebten, mir nichts dir nichts zu zersieben? Wissen sie nicht, dass sie selbst keine Überlebenschance hätten, wenn westliche Atomstaaten ihre Raketenarsenale öffnen würden?

Es gibt amerikanische Schlauberger, die darauf spekulieren, dass Russland sich mit der Beute Europa begnügen würde. Washington und Moskau könnten sich über den ruinierten und verstrahlten Landschaften des Alten Kontinents die apokalyptischen Hände reichen.

Wer diese Kalkulation für möglich hält, muss zu viele futuristische Hollywoodfilme gesehen haben. In einem atomaren Weltbrand könnten zunächst eine Handvoll Eskimos überleben – aber wie lange, wenn die atomaren Wolkengebirge die Erde lange Zeit in Dunkelheit hüllen würden? Wie immer man sich diese Höllenperspektiven ausmalen soll: mit der Menschheit wäre es aus. Nicht nur mit blauäugigen Pazifisten.

„Kein Staat soll sich in die Verfassung und Regierung eines anderen Staats gewalttätig einmischen. Der Friedenzustand unter Menschen ist kein Naturzustand. Er muss gestiftet werden.“

Frieden ist weder ein Gottesgeschenk noch ein Zufall des Marktes. Der Mensch muss sich selber ins Zeug legen. Marx hat diese Selbstverantwortlichkeit des Menschen seiner Heilsgeschichte geopfert.

„Himmlische Einflüsse in sich wahrnehmen zu wollen, ist eine Art Wahnsinn. Alles, was, außer dem guten Lebenswandel, der Mensch noch tun zu können vermeint, um Gott wohlgefällig zu werden, ist bloßer Religionswahn und Afterdienst Gottes.“ (Kant, Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft)

„Es sollen keine Staatsschulden in Beziehung auf äußere Staatshändel gemacht werden.“

Kant, der seinen „schottischen Landsmann“ Adam Smith kannte (seine Vorfahren stammten aus Schottland), war kein Gegner des Freihandels. Im Gegenteil. Internationaler Handel bedeutete für ihn das Ende aller Kriege. Wer Handel treibt, kann friedlich miteinander konkurrieren. Auf bewaffnete Kriege würden handeltreibende Nationen verzichten:

„Es ist der Handelsgeist, der mit dem Krieg nicht zusammen bestehen kann und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt. Weil nämlich unter allen der Staatsmacht untergeordneten Mächten die Geldmacht wohl die zuverlässigste sein möchte.“  

Man muss dem Königsberger zugute halten, dass er sich von den Dimensionen der heutigen Geldmächte keine Vorstellungen machen konnte. Nicht auszuschließen, dass ökonomische Konkurrenz die militärische ersetzen oder verhindern könnte. Was Kant aber auf keinen Fall voraussehen konnte, war die unheilvolle Verknüpfung der wirtschaftlichen mit der technischen Konkurrenz – im Zusammenhang mit einer drohenden ökologischen Apokalypse.

Im Gegensatz zu den meisten Deutschen hatte Kant keine eschatologische oder gar apokalyptische Sicht der Geschichte. Dass der Wettkampf der christlichen Völker letztendlich ein Triumph vor dem Jüngsten Gericht sein sollte: solche heilsgeschichtlichen Elemente sind in seinem Denken kaum zu finden. Genau dies aber, die Verknüpfung der Konkurrenz auf allen erdenklichen Gebieten des menschlichen Tuns, Hoffens und Glaubens, schafft heute die Brisanz jeder Konkurrenz.

Ist Frieden mit moralischen Methoden zu schaffen?

„Wo Moral als Theorie der Rechte und Pflichten eines jeden verstanden wird, sind Politik und Staatslehre als Anwendung und Umsetzung der Moral zu verstehen. Also muss sie a priori in „Einhelligkeit“ dazu stehen, ohne dass die Moral unmögliche Forderungen an die Politik erhebt.“

Gegenwärtig wird „abstrakter Moralismus“ abgelehnt. Er fordere, was niemand leisten könne. Doch nicht einmal Kant war so realitätsfremd, dass er die Menschen zu etwas verpflichtet hätte, was ihre Kräfte überstiegen.

Solange Deutsche sich ihrer Friedenssehnsucht schämen, haben sie ihre barbarische Vergangenheit noch nicht überwunden.

Zeit für Friedensgesänge.

„An den Frieden denken heißt, an die Kinder denken.“ (Gorbatschow)

 

Fortsetzung folgt.