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Umwälzung LXXXIII

Hello, Freunde der Umwälzung LXXXIII,

Die Wissenschaft hat festgestellt,
Daß Marmelade Fett enthält.
Drum essen wir auf jeder Reise,
Marmelade eimerweise.

Die deutsche Bundeskanzlerin wird an der Macht bleiben, solange es ihr gefällt. Propheten im Dienste des Staates – oder die Vierte Gewalt – haben in die Zukunft geschaut und den Deutschen eine ewige Kanzlerin prophezeit. In jeder Krise erleben die Deutschen, dass Angela unersetzbar ist. Die Wissenschaft hat diesen Eindruck untermauert und festgestellt, dass Merkels Durchwursteln ein unübertrefflicher Führungsstil ist:

Frey: Der Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert Simon hat gezeigt: Das muddling through, also das Durchwurschteln, ist oftmals die einzige Lösung. In Organisationen geht es häufig nicht darum, das Resultat zu maximieren oder zu optimieren, sondern darum, Entscheidungen zu treffen, die alle einigermaßen zufrieden machen. Es geht darum, eine Hürde zu überspringen, ohne zu wissen, wie man die nächste schaffen soll. Merkel versucht beharrlich, Konflikte zu minimieren. Dabei ist ihr Stil stets an Werten orientiert – sowohl Sicherheit als auch Humanität spielen in ihrer Politik eine große Rolle. Und sie sucht nach ganzheitlichen Lösungen, in der sie die verschiedenen europäischen und nationalen Interessen möglichst unter einen Hut bringen will. Für derartig komplexe Probleme gibt es keine einfachen Lösungen, auch wenn Horst Seehofer sich das wünscht. Es kann in einer solchen Situation nicht um ein Entweder-oder gehen, wir brauchen ein Sowohl-als-auch. Und das sieht Merkel sehr klar. Überspitzt gesagt: Sie steht über den Dingen, weil sie die Komplexität kennt. Von außen scheint das manchmal so, als treffe sie keine klaren Entscheidungen.“ (ZEIT.de)

Es scheint nur so, als treffe Merkel keine klaren Entscheidungen. In Wirklichkeit steht sie über den Dingen. Wir unterstellen, dass der EXPERTE kein verdeckter

Influencer der Kanzlerin ist, sondern seine regierungstreuen Meinungen im tiefsten lutherischen Herzen für richtig hält.

Wenn ein amerikanischer Wirtschaftsnobelpreisträger („Das perfekte globale Unternehmen gibt es seit 2000 Jahren. Die katholische Kirche“) mit bestechenden wissenschaftlichen Methoden das Durchwursteln als einzig wahre Lösungsmethode nachgewiesen hat, darf ein deutscher Psychologieprofessor keinen Widerspruch anmelden.

Auch die Wissenschaft ist zur Sekte geworden, wenngleich im wehenden Gewand des Zeitgeistes, den Hegel den Absoluten Geist nennt, der die Welt erkennt, wie sie ist. Merkel steht über den Dingen, deren Komplexität hat sie durchschaut. Was nicht bedeutet, dass sie Methoden kennen würde, das Komplexe so einfach zu lösen. Das wäre zu viel verlangt von einer Sterblichen, auch wenn sie über den Wolken schwebt. Weiß sie doch, dass es nur Minimierungen der Konflikte oder Lösungs-Annäherungen geben kann.

Dass Ökonomen, Psychologen und Kanzlerinnen auch noch etwas von Logik verstehen: das wären irrationale Erwartungen. Sonst wüssten jene, dass es kontradiktorische Widersprüche gibt, bei denen nur ein Entweder-Oder möglich ist – vorausgesetzt, dass man glaubwürdige Lösungen sucht. Will man allerdings im Nebel herumstochern, ist alles erlaubt: heute hü, morgen hott. Heute „wir schaffen das“, morgen: ach nee, wir schaffen es doch nicht, wir müssen den Laden schließen – doch macht nüscht, beides ist das Gleiche.

Logik und Durchwursteln vertragen sich nicht. Deutsche Dialektik ist Durchwursteln auf höchstem philosophischen Niveau, die Gestalt gewann in der Berliner Politik. Ein Entweder-Oder wäre ohnehin nur möglich, wenn man einer begrenzten Klientel nützen wollte. Beispielsweise der Industrie. Will man dem ganzen Volk dienen, müsste man den Gesamtkuchen gerecht unter allen Schichten verteilen. Gerecht?

Gerecht wäre ein Entweder-Oder, kein Sowohl als auch. Entweder gerecht oder ungerecht. Sowohl gerecht als auch ungerecht – das können nur Zauberkünstler, die den Benachteiligten vorgaukeln könnten, sie seien gerecht behandelt worden. Solche Zauberkünstler und Gaukler gibt es allerdings. Sie nennen sich Professoren, Edelschreiber, Intellektuelle oder sonstige Stützen der ehrenwerten Gesellschaft.

In komplexen Systemen gibt es keine einfachen Lösungen. Weshalb moderne Systeme komplex sein müssen, damit es keine Lösungen gibt. Unter einfachen Lösungen werden keine leichten verstanden, sondern solche, die das Problem zum Verschwinden bringen. Einfache Lösungen wären utopische Lösungen. Utopien im Bereich des Nichttechnischen aber sind verboten. Nur im Bereich der Technik darf man, nein, muss man, das bislang Unvorstellbare und Grenzenlose für möglich halten. An technische Utopien muss man glauben wie der Fromme an seinen Erlöser.

Über eine Hürde springen, ohne zu wissen, wie man die nächste meistern soll, zeugt von mangelnder Zielstrebigkeit. Die kann es aber in anti-utopischen Zeiten nicht geben. Denn jedes Ziel wäre utopieverdächtig. Also wird das Wursteln zum Veitstanz auf der Stelle, noch schlimmer: jedes Tohuwabohu kann in den Abgrund führen.

Dass justament ein Ökonom das muddling through favorisiert, entspringt der Hayek‘schen Zufalls-Philosophie. Der Markt ist rational nicht zu beherrschen, weil die Vernunft des Menschen beim Verstehen und Beherrschen über-komplexer Abläufe überfordert ist. Der Neoliberalismus ist eine Verbotsideologie des Verstehens und Beherrschens, er ist ein aufklärungsfeindliches Va-banque-Spiel.

Der irrationale Staat lässt die Wirtschaft wursteln, bis sie den Habenden alles und den Nichthabenden nichts mehr gibt. Als Gegenleistung liefern die Mandarine des Mammons dem Staat die Denkstrukturen, um das ganze Gemauschel und Gewurstel intellektuell abzusegnen.

Seltsamerweise ist das stets gleiche Ergebnis voraussehbar: wer hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird noch genommen, was er hat. Urbiblische Verhältnisse in der modernsten Zitadelle der unterkomplexen Superschlauen.

Was sagt uns das Ganze über die Wissenschaft? Sie befindet sich schon lange nicht mehr im elfenbeinernen Turm, um in unabhängiger Muße dem Sein als solchem nachzudenken und nachzuforschen. Hinter goldenen Gittern der Begehrlichkeit verrottet sie als Wachhündin der Besitzenden.  

„Schon Eisenhower hielt es für nötig, in seiner Abschiedsrede vor dem Einfluss des militärisch-industriell-wissenschaftlichen Komplexes zu warnen, der die demokratischen Freiheiten, die politische Moral und Gesinnung gefährde. Nicht weniger als 52% von rund 350 000 Ingenieuren und Wissenschaftlern – also rund 180 000 – waren in staatlichen Rüstungs- und Raumfahrtprojekten beschäftigt.“ (Georg Picht, Der Gott der Philosophen und die Wissenschaft der Neuzeit)

Das war bereits im Jahre 1961. Damals gab es noch keine omnipräsenten Überwachungsmethoden per Internet. Picht kommentierte die Wissenschaft im Stand der Abhängigkeit:

„Wissenschaftsfremde Interessen, Zielsetzungen und Mächte bestimmen Rhythmus und Stil der wissenschaftlichen Forschung, bewirken eine gleichsam unterirdische und wenig bemerkte, aber darum nicht weniger wirksame Politisierung der Wissenschaft.“

Das verflachende Denken der Gegenwart hängt auch mit dem Verfall der Wissenschaften zusammen, die sich immer mehr der Wirtschaft, der technischen Gigantomanie und der militärischen Gewalt unterworfen haben. Klägliche Prozessionen genügen nicht, um die Glaubwürdigkeit der scientia wieder zu stärken.

Technische Wissenschaft hat sich in den Dienst der Naturzerstörung, Ökonomie in den der Kleptokratie, Geisteswissenschaft in den der schulischen und universitären Abrichtung der Jugendlichen gestellt.

Mit welchen Genieblitzen die Wissenschaft für ihre Disziplin wirbt, kann man den Worten von Alexander Gerst entnehmen, der im Weltraum eine Erleuchtung hatte:

«Es ist relativ klar, dass die Erde uns überleben wird», sagte er weiter. «Die Frage ist, wie wir Menschen das anstellen, dass die Erde weiterhin bewohnbar bleibt.» Gerst macht sich gerade aus der großen Entfernung Sorgen um den Planeten und die Zukunft der Menschen: «Wer da oben ehrlich ist, sieht, wie fragil das Ökosystem der Erde ist, mit einer hauchdünnen Atmosphäre drum herum.»“ (WELT.de)

Muss man in den Weltraum düsen, um solche Offenbarungserlebnisse über die Erde zu erhalten? Wie überflüssig Gersts Aufenthalt im Weltraum ist, kann man seinen Stupiditäten aus dem Orbit entnehmen.

In den Wissenschaftsredaktionen der Gazetten werden die neuesten Ergebnisse der Forschung stets als Sensationen verkauft. Kritik an Inhalt und Methoden der Wissenschaft sucht man vergeblich. Die geisteswissenschaftlichen Ergebnisse sind entweder aufgebauschte Trivialitäten oder systemstützende Pseudoerkenntnisse.

Niemand weiß, was Intelligenz ist. Dennoch präsentieren die Tests, was ihre Erfinder willkürlich selbst definiert haben, als objektive Erkenntnisse über die intellektuelle Leistungsfähigkeit konkurrierender Individuen um den besten Platz an der Sonne. Die blinde Stelle der Intelligenzforschung wird gar nicht verschwiegen:

„Da Intelligenz unterschiedlich definiert wird, gibt es sehr verschiedenartige Intelligenztests. Die Erfassung der Intelligenz kann zum Beispiel für die Vorhersage von Berufserfolg oder Berufseignung (Personalauswahl oder Berufsberatung) oder für Empfehlungen einer Schulausbildung oder einer Studienwahl hilfreich sein. Messgegenstand dieser Tests ist ein nicht direkt messbares Konstrukt. Anders als zum Beispiel bei der Körpergröße ist die Bestimmung der Intelligenz mittels Intelligenztests immer mit einem Messfehler behaftet. Es existiert kein Intelligenztest, der alle Teilbereiche der Intelligenz umfasst. Laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung umfassen die verschiedenen Tests „je nach zugrunde liegender Theorie und je nach Aufgabenzusammenstellung, mehr oder weniger verschiedene Bereiche der Intelligenz. Bei manchen Tests ist das Abschneiden […] zum Beispiel eher vom Vorwissen abhängig, bei anderen ist dieses eher bildungsunabhängig. Manche Tests erfassen nur eine Teilfähigkeit der Intelligenz (z. B. das abstraktlogische Denken), andere erfassen eine Vielzahl verschiedener Fähigkeiten […]. Dennoch wird das Ergebnis bei fast allen Tests als Intelligenzquotient (IQ) ausgedrückt. Oberflächlich gesehen könnte man daher denken, es handele sich um dieselben erfassten Fähigkeiten. Doch Vorsicht: IQ ist nicht gleich IQ, und es gibt auch nicht den IQ-Test!“

Es gibt keinen Intelligenztest. Es kann gar keinen geben, wenn man nicht weiß, was gemessen werden soll. Es handelt sich auch nicht um kleinere Messfehler, die man ruhigen Gewissens vernachlässigen könnte. Es handelt sich um eine wissenschaftliche Scharlatanerie, die sich den Ungleichheitszwängen einer gerechtigkeitslosen Wirtschaft anbiedert – und von dieser benutzt wird, um ihre unfähigen Alphatiere zu legitimieren. Die Spitzenleute verdienen bis zu 200 mal mehr als ihre Abhängigen. Das sei gerecht, erklären sie, denn ihre Leistungsfähigkeit sei auch 200 mal höher als die der Normalos.

Bei den obersten Führungsstellen entscheidet nicht der IQ, sondern der AGQ, der Anpassungsgeschmeidigkeitsquotient, der nicht durch Tests, sondern durch Bücklingsarbeit nachgewiesen werden muss. Letztlich entscheidet das Geruchsorgan: riecht der Kandidat nach dem rechten Stall?

Testerei und ständige Zensurdiktatur – die die „Objektivität“ der IQ-Tests sogar noch unterschreiten, entlarven den Zweck der staatlichen Schulpflicht: die Besten und Gehorsamsten sollen nach oben geschleust werden, der Rest in die Hartz4- und Obdachlosenquartiere.

Wie alt ist die Frage: was entscheidet über die Intelligenz des Einzelnen: Natur oder Erziehung? Erstens eine Idiotenfrage, zweitens ein Anschlag auf die Demokratie, zu der Freiheit und Gleichheit gehören. Gleichheit wird von Neoliberalen mit dem – an Dummheit kaum zu überbietenden – Argument zurückgewiesen, kein Mensch sei gleich dem anderen.

Es gibt keine Individuen, die nicht einmalig wären. Das demokratische Prinzip der Gleichheit soll Menschen nicht klonen und uniformieren, sondern die Gleichwertigkeit jedes Einzelnen verteidigen. Jeder ist unterschiedlich. Alle Unterschiedlichen aber besitzen die gleiche Würde, den gleichen unantastbaren Wert.

Warum sollen dubiose Aufstiegs- und Erfolgsmöglichkeiten vorhergesagt werden? Die Vorhersage hat nur den Zweck, die Kinder so früh wie möglich voneinander zu trennen und in „gentrifizierte“ Schullaufbahnen einzusortieren.

Eine seriöse Untersuchung muss eine Kontrollgruppe haben, um die Wirkung des gesuchten Merkmals im positiven und negativen Modus zu messen. Bewirkt ein neues Medikament den versprochenen Gesundheitseffekt? Dazu brauche ich eine Gruppe von Menschen, die mit dem Medikament behandelt – und eine Kontrollgruppe, die mit diesem nicht behandelt wird. Nach vielen Versuchsreihen könnte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit – nie mit absoluter Sicherheit – die Qualität des Medikaments als bewiesen ansehen  oder nicht.

Wie soll nun, bei der Frage nach Natur oder Erziehung, die Kontrollgruppe aussehen? Eine Gruppe von Kindern, die der menschenlosen Natur überlassen wird?

Schon der mittelalterliche Kaiser Friedrich II ließ ein solches Experiment in Süditalien durchführen. Er wollte wissen: welche Ursprache sprechen Kinder, die keine spezifische Sprache hören? Die Gruppe durfte nur von stummen Dienern ernährt werden. Was war das Ergebnis dieser ersten wissenschaftlichen Untersuchung zur Prägung der Kinder? Nach wenigen Wochen starben die „Versuchsobjekte“.

Da es keine kulturunabhängigen, „natürlichen“ Erziehungsverhältnisse geben kann, ist die Frage ein Haschen nach Wind. Was ist der Sinn dieser inhumanen Scharlatanerie? Antworten erhalten wir von den neuesten IQ-Erkenntnissen der Wissenschaft:

„Schon bald dürfte sich die volle Macht der „neuen Genetik“ entfalten. IQ-Vorhersagen sollen nicht mehr nur auf Erbgut-Profilen beruhen, sondern auf komplett entschlüsselten Genomen. Die EU hat zu diesem Zweck die „One Million Genomes“-Initiative gestartet. Eine Million entschlüsselter Genome, so lautet die Hoffnung, würden weitaus treffsicherere IQ-Prognosen erlauben. Zwangsläufig wird die „neue Genetik“ die alten Fragen neu stellen: Was will man über die Anlagen des einzelnen Menschen wissen? Welche Kinder soll man besonders fördern? Was ist Bildungsgerechtigkeit? Es dürfte sinnvoll sein, heute damit anzufangen, sich über die Antworten Gedanken zu machen.“ (ZEIT.de)

Philosophische Grundfragen werden nicht einmal gestellt. Bestimmt das Sein das Bewusstsein – oder ist es sein Geist, der den Menschen bestimmt? Sind Gene verantwortlich für die Entwicklung des Menschen – oder werden diese durch Geist und Pädagogik geprägt?

Sind wir noch immer bei Descartes und de la Mettrie? Für den ersten war der Körper des Menschen eine Maschine, für den zweiten der komplette Mensch. Marx stand in der Tradition de la Mettries, wenngleich mit gelegentlichen Bemerkungen, die den starren Materialismus seiner Ideologie ein wenig aufweichen sollten.

„Die materialistische Lehre, daß die Menschen Produkte der Umstände und der Erziehung, veränderte Menschen also Produkte anderer Umstände und geänderter Erziehung sind, vergißt, daß die Umstände eben von den Menschen verändert werden und daß der Erzieher selbst erzogen werden muß.“ (Thesen über Feuerbach)

Wer erzieht denn nun den Erzieher? Die Praxis der sozialistischen Staaten hat die Frage beantwortet: die allmächtige Geschichte, die von prophetischen Parteiführern entschlüsselt wird.

Die heutige IQ-Forschung an Genen – wie die gesamte Hirnforschung über den unfreien Willen – beruht, ob sie es weiß oder nicht, auf einem biologischen Materialismus. Wenn Biologen Untersuchungen durchführen, wird aus ihrem naturwissenschaftlichen Materialismus ganz schnell ein IQ-Rassismus.

Die ersten IQ-Tests wurden von Amerikanern im Ersten Weltkrieg durchgeführt, um die Überlegenheit der weißen über die schwarzen Soldaten zu beweisen.

Noch nie gab es Intelligenzforschungen, die einen anderen Sinn gehabt hätten, als die Überlegenheit der weißen und christlichen Rassen zu „beweisen“. Dass Natur den Menschen prägt und nicht Erziehung, hat den Sinn, die eigene Kultur so unangreifbar zu machen, dass alle erzieherischen Künste konkurrierender Kulturen für vergeblich erklärt werden können.

Der moderne Geschichtsgewinner will nicht mehr zuständig sein. Erziehung als intellektuelle und moralische Bemühung der Erwachsenen lehnt er ab. Sonst wird Natur verteufelt und zerstört: hier soll sie allein verantwortlich sein für die Prägung der Kinder, besonders für ihre Konkurrenzfähigkeit. Wie Gott nicht verantwortlich ist für seine Geschöpfe, will der Mensch nicht verantwortlich sein für seine Kinder.

„Das familiäre Umfeld und das Verhalten von Eltern unterliegen genauso deutlich der Macht der Gene. Rechnet man diese „genetische Umwelt“ hinzu, dann schrumpft die Einwirkungsmacht der sozialen Umgebung wie etwa der Schule auf wenige Prozent. Angesichts dieser Tatsachen ist es nicht völlig verwunderlich (oder skandalös), dass nach vielen Jahren ähnlichen Unterrichts nicht alle Schüler es bis zum Abitur schaffen.“

Blind und taub unterstützt eine Wissenschaft die Legitimationen für eine hierarchische Gesellschaft, die aus der Ungleichheit der Intelligenz – die sie nicht mal definieren kann – auf die Ungleichwertigkeit der Menschen schließt. Nicht mit offenen Worten, aber in der politischen Praxis einer sich immer mehr spreizenden Schichten-Pyramide.

Auf dem Papier sind alle gleich, in Wirklichkeit aber ist die Würde des Menschen abhängig von seiner Stellung in der Gesellschaft. Wer nach den Ursachen der momentanen Krise des Westens forscht, darf die Wissenschaft nicht der Aura der Unantastbarkeit überlassen.

Warum wird immer nur technische Intelligenz gefördert und getestet? Warum nicht jene Formen der Intelligenz, die für den Aufbau der Demokratie lebensnotwendig sind: emotionale, kritische Intelligenz, gepaart mit Selbstbewusstsein und Aufrichtigkeit? Demokratie lebt von der Kompetenz moralischer Solidarität. Diese Werte werden hierzulande verhöhnt, von der Wissenschaft gar nicht zur Kenntnis genommen.

Es sind nicht einzelne Populisten, die die Gesellschaft ins Wanken bringen, sondern „populistische Wissenschaften“, die den nationalen und „identitären“ Hochmut einer Gesellschaft prägen.

Warum sind, in den Augen der Medien, Seehofer, Merkel & Co keine Populisten? Populisten der gewählten Macht, die den Menschen mit Lug und Trug einbläuen, sie würden das Wohl des ganzen Volkes vertreten? Populisten sind immer nur jene, die mit losen Sprüchen die Macht erringen wollen. Wer an der Macht ist, kann kein Populist mehr sein. Vor allem: warum ist der Erlöser des christlichen Abendlands kein Populist, der den Menschen seit 1000en von Jahren das Blaue vom Himmel verspricht – und nichts einhält?

Gedankenloses Durchwursteln klingt nicht ganz zu Unrecht nach der anti-utopischen Stückwerktechnologie Poppers. Poppers Utopie-Allergie beruhte auf der Unfähigkeit, seine Bewunderung für Sokrates in demokratische Praxis zu übersetzen. Eine vorsichtige step by step-Methode ist nur sinnvoll, wenn die Einzelschritte einem rationalen Ziel folgen.

Zur Abwechslung nun eine wissenschaftliche Untersuchung mit einem sinnvollen Inhalt, der allerdings niemanden überraschen kann, der seinen gesunden Menschenverstand noch nicht an der Garderobe des technischen Fortschritts abgegeben hat. Wer ist das glücklichste Volk der Erde? Die Finnen. Warum? Weil sie wissen, dass Glück nicht von Genen frei Haus geliefert wird. Man muss wissen, wie man miteinander umgehen muss, um überzufällig glücklich zu werden. Was ist das Geheimnis des Glücks?

„Zahlreichen Studien zufolge wohnen sie im politisch stabilsten, sichersten, am besten regierten Land der Welt, einem Land mit hoher Lebensqualität, sauberer Natur und fast frei von Korruption. Gerade erst kam wieder ein Spitzenergebnis heraus, in einer Auswertung des Eurobarometers: Die Finnen haben unter allen Befragten in der EU das größte Vertrauen in ihre Mitbürger. Finnland und die anderen Spitzenreiter legen nach den Ergebnissen der Studie großen Wert auf gesellschaftlichen Zusammenhalt. US-Ökonom Sachs fasst zusammen: „Diese Länder sind von der Überzeugung geprägt, dass das Glück der Menschen auf einem soliden System sozialer Unterstützung beruht, auf guten öffentlichen Dienstleistungen, auch wenn dafür ziemlich hohe Steuern zu zahlen sind.“ (SPIEGEL.de)

Hier hören wir von jenen Faktoren, die für eine humane Gesellschaft entscheidend wichtig sind: vom Vertrauen in die Mitbürger, vom gesellschaftlichen Zusammenhalt, von solider und nichtdiskriminierender sozialer Unterstützung, vom Gefühl der Menschen, dass ihre hohen Steuern im Interesse aller eingesetz werden. Dieses von allen erarbeitete Glück produziert keine Parasiten, die sich vom Staat durchfüttern lassen:

„Der weit verbreitete Pragmatismus beruht auf dem Selbstverständnis der Menschen als ehrliche, harte Arbeiter. Mit „Dolce Vita“ hat die finnische Vorstellung von Glück nichts zu tun.“

Ein entscheidender Faktor ist die Schule, in der Lehrer wirken, die sich nicht nur als karrieristische Weichensteller verstehen, sondern an der Entwicklung ihrer Zöglinge wirklich interessiert sind:

„Genauso entlastend für die Familien ist: Sie können sich darauf verlassen, dass die Lehrer wirklich am Lernerfolg der Kinder interessiert sind. Schule findet in der Schule statt und nicht als bezahlte Nachhilfe oder durch die Hausaufgabenbetreuung der Eltern. Ein finnischer Lehrer versteht sich als Dienstleister an der Gesellschaft, der für die Ergebnisse seiner Schüler verantwortlich ist.“

Deutsche haben es nicht nötig, von anderen Nationen zu lernen. Besserwisser hassen sie wie die Pest, doch sie sind die Besserwisser Europas mit erhobenem Zeigefinger. Ihre schwarze Null und ihre Exporttriumphe halten sie für die Bestätigung ihrer alt-neuen Herrenrasse.

In dieser Republik der Reputierlichen gibt es keinen Dialog mit benachbarten Nationen. Das Vertrauen in die Verbündeten lässt zu wünschen übrig. Der Zusammenhalt mit allen EU-Ländern schwindet. Selbst die traditionelle Verbundenheit mit Italien verwandelt sich über Nacht in hochnäsige Verurteilung.

Gab es je eine Talkshow mit der Frage: Wie müssen wir unseren deutschen Lebensstil verändern, um ein zufriedenes, ja glückliches Volk zu werden? Zufrieden und glücklich nicht wegen wachsenden Wohlstands, der erkauft wurde mit steigendem Misstrauen in unsere Mitmenschen, sondern als ursprüngliche Glücksfaktoren, die erarbeitet wurden in sozialer Kompetenz und menschenverbindender Vernunft?

Eine Gesellschaft, die den Verfall ihrer Demokratie nicht duldet und mit gelassener Zuversicht in die Zukunft blicken will, kann sich weder auf wirtschaftliche Fähigkeiten, noch auf inhumane Pseudowissenschaften verlassen, die nichts anderes können, als trügerische Erkenntnisse in den Dienst einer immer kälter werdenden Gesellschaft zu stellen.

Was brauchen wir? Aufgeklärte Demokraten, die die Gesellschaft verändern, um sich von ihr verändern zu lassen.

 

Fortsetzung folgt.