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Umwälzung C

Hello, Freunde der Umwälzung C,

Entwarnung.

Lasst die Erde untergehen. Der Mensch wird den Kosmos in Besitz nehmen.

Entwarnung.

Lasst den Menschen untergehen. Die Maschine – um ein Millionenfaches intelligenter – wird seine Stelle einnehmen. Und unsterblich werden.

Und zum dritten Male sage ich euch: entspannt euch.

Die unsterbliche Maschine, das Geschöpf des sterblichen Menschen, wird sich vermählen mit dem unsterblichen Kosmos.

Das wird zum Omega der Geschichte werden. Ich bin Alpha und Omega, spricht Christus, der finale Herrscher über alles.

„Die Welt schaffen, vollenden und entsühnen, so lesen wir bereits bei Paulus und Johannes, ist für Gott die Einigung der Welt in einer organischen Vereinigung mit sich selbst. Auf welche Weise eint er sie? Indem er zu einem gewissen Teil in die Dinge eintaucht, indem er sich zum ‚Element‘ macht, und indem er dann, kraft des im Herzen der Materie gefundenen Stützpunktes, die Führung und den Plan dessen übernimmt, was wir heute Evolution nennen. Indem er als Mensch unter Menschen erstanden ist, hat Christus als Prinzip universeller Lebenskraft seine Stellung eingenommen, und er ist seit je dabei, den allgemeinen Aufstieg des Bewusstseins, in den er sich hineingestellt hat, unter sich zu beugen, zu reinigen, zu leiten und aufs höchste zu beseelen. Weil Christus Omega ist, ist das Universum physisch bis in sein materielles Mark durchdrungen vom Einfluss seiner übermenschlichen Natur.“ (Der französische Jesuit und Paläontologe Teilhard de Chardin)

Die Schöpfung ist nicht abgeschlossen. Geschichte ist creatio continua, die Zeit der unaufhaltsamen Vollendung des Geschaffenen, das sich am Ende mit dem

Schöpfer vereinigt. Der unvollkommene Mensch erschafft ein Geschöpf, das ihn überholen wird. Gelingt es dem Menschen, sich mit seinem gigantischen Sprössling zu verbinden, wird die entstehende Mensch-Maschine zum Gott des Universums werden.

Trump will ein zweiter Mose werden, der seinem Volk das endgültige Reich Gottes zeigt: das Universum. Mit militärischer Gewalt soll das dritte Land Kanaan erobert werden. Er selbst wird es nicht mehr erleben:

„Dazu hat der HERR zu mir gesagt: Du sollst nicht über diesen Jordan gehen. Der HERR, dein Gott, wird selber vor dir her gehen; er wird selber diese Völker vor dir her vertilgen, daß du ihr Land einnehmest.“

Josua, sein Nachfolger, wird die Eroberung des Universums durchführen. Er wird das Land einnehmen, wo Milch und Honig fließt:

„Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, also will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Ein jeder, der sich deinem Befehle widersetzt und deinen Worten nicht gehorcht in allem, was du ihm gebietest, der soll sterben, nun sei fest und unentwegt.“

Krieg gegen alle Gottlosen und Ungehorsamen ist das Gesetz des Universums, das die Erde überflüssig machen wird. Was Glauben war, wird sich in Wissen verwandeln.

„Menschen wollen sich nicht länger dem Unwissbaren, Zufälligen und Geheimnisvollen, unterwerfen. Hartnäckig bestehen sie auf dem Standpunkt, das menschliche Tier könne mit fortschreitendem Wissen seine menschliche Bedingtheit überwinden. Das zeitgenössische Beispiel ist der amerikanische Visionär Ray Kurzweil. In seinem Buch: „Singularität, wenn Menschen die Grenzen der Biologie überwinden“, behauptet Kurzweil, dass eine weltverändernde Zunahme von Wissen unmittelbar bevorsteht. Die menschliche Erfindungsgabe hat Maschinen mit exponentiell wachsenden Kapazitäten für die Verarbeitung von Informationen hervorgebracht. Dem Gesetz der beschleunigten Erträge zufolge kann es nicht mehr lange dauern, bis die KI ihre menschlichen Erfinder überholt. Die unmittelbare Wirkung wird in einer plötzlichen Beschleunigung des wissenschaftlichen Fortschritts bestehen. Die Menschheit wird ihre eigenen Denkprozesse verändern, um sie noch schneller zu machen. Wenn die Wissenschaftler eine Million Mal intelligenter geworden sind und eine Million Mal schneller handeln, wird der Fortschritt eines heutigen Jahrhunderts in nur einer Stunde stattfinden. „Die Menschen nennen das Verliebtsein“, so Kurzweil. Die Maschinen werden einen Schritt weiter gehen und ihre Intelligenzen und Gedächtnisse zusammenschalten. Indem sie sich mit Maschinen paaren, können Menschen die Launenhaftigkeit des Fleisches überwinden. Schon jetzt, so Kurzweil, könnten Menschen ihr Leben hinreichend verlängern, um dem Tod zu entgehen. In seinem Buch „Schritt über die Schwelle: Neun Stufen zum ewigen guten Leben“ legt er einen Plan vor, der Diät, Fitnessprogramm, Vitaminzusätze und medizinische Vorsorge umfasst und – wie er glaubt – lebensverlängernd wirkt bis zum Zeitpunkt, wo die Technologie die Sterblichkeit überwunden haben wird. „Wir werden fähig sein, alle Organe und Systeme in unseren biologischen Körpern und Hirnen neu einzurichten. Die Nano-Technologie wird zur Erfindung von Nanobots führen – winzigen Robotern, die auf Molekularniveau arbeiten und die Gehirnfunktionen verbessern. Eine Fusion menschlichen und technischen Denkvermögens wird die Folge sein, bei welcher der „nicht-biologische Teil unserer Intelligenz letztlich beherrschend sein wird. Diese Nanobots werden auch die Verschmutzungen früherer Epochen der Industrialisierung rückgängig machen. Post-Humane können alles sein, was immer sie zu sein wünschen – auf ewig. Die technologische Singularität ist ein Endzeitszenario, in dem die Welt aufhört zu sein, wie sie bisher war: Letzten Endes wird sich das ganze Universum mit unserer Intelligenz füllen. Das ist das Schicksal des Universums. Nach seiner Expansion mittels bewusster Maschinen schluckt der menschliche Geist den Kosmos. Diese Entwicklung ermöglichte es, dass das Tempo, mit dem die biologische Evolution einsetzte, sich ständig beschleunigte. Und es wird sich weiter nach oben schrauben, bis das ganze Universum in unseren Fingerspitzen versammelt ist. Am besten lässt sich die technologische Singularität als Variante der Prozesstheologie beschreiben. Für viele Theologen – vor allem Amerikaner – ist Gott keine ewige Realität, sondern stellt den Endpunkt einer Entwicklung dar. Die Menschheit verkörpert den werdenden Gott.“ (John Gray, Wir werden sein wie Gott)

Das lange Zitat soll verdeutlichen, warum die westliche Welt auf die Gefahr ihrer Selbstgefährdung nicht reagiert. Grenzenlose Fortschrittsphantasmen sollen die Gefahren des Untergangs ungeschehen machen. Was schon bedeutet das Ende des Menschen, wenn sein Ende die Voraussetzung seiner Überwindung durch KI ist?

Singularität bedeutet nicht nur das Außerordentliche, sondern das Vereinzelte. Die Epoche des zoon politicon, des demokratischen Gemeinschaftswesens, ist vorbei. Pöbelmassen werden untergehen. Die singuläre Exzellenz einzelner Maschinen entscheidet über die Zukunftsfähigkeit der Genies.

Singularität ist ein anderes Wort für das unvergleichliche und gottähnliche Genie. Die Überwindung des Fleisches oder der Materie (des Mütterlichen) ist das vorprogrammierte Ende alles Weiblichen. Der theologische Satz: Das Wort ward Fleisch, wird rückgängig gemacht. Das Wort – als Inbegriff digitaler Zahlen – stößt alles Fleischliche und Weibliche ab und zieht sich zurück aufs pure Männliche, das sich als überlegener reiner Geist darstellt.

Alles Solidarische und Gemeinschaftliche wird durch technische Singularität vernichtet. Die Spaltung der Menschheit in Erwählte und Verworfene, siehe: hier wird sie Realität. „Singularität“ ist fest verbunden mit Transhumanismus und Posthumanismus:

„Dem Transhumanismus wird vorgeworfen, auf technologische Entwicklungen zu setzen, ohne die damit einhergehenden ethischen Aspekte hinreichend zu berücksichtigen. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama meint, dass Transhumanismus die progressiven Ideale der liberalen Demokratie auf kritische Weise unterminieren könne. Dies geschehe durch eine fundamentale Veränderung der menschlichen Natur und der menschlichen Gleichheit.“

„Der Posthumanismus beschreibt ein Entwicklungszeitalter nach der Menschheit.“

Die um sich greifende Moralanimosität hat den Hintersinn, die Überwindung des Menschen zu beschleunigen und ethische Warnungen vor der Transformation des Menschen zur Maschine aus dem Weg zu räumen. Die Entwicklung zur KI-Utopia ist ein automatischer Prozess, der durch Klügeleien über Gut und Böse nicht behindert werden darf. Alles aus dem Weg: die Zukunft der gottgewordenen Intelligenz darf durch Nichts gehemmt werden.

Der Humanismus der Menschenrechte, der Gleichheit und Freiheit ist vorbei. Wir werden sein wie Gott. Der Kreis schließt sich. Was für Eva Todsünde war, ist für die geistgewordene männliche Singularität die Rückkehr zur Allmacht und Allwissenheit.

Es sind Männereliten, die sich um die Gefährdungen der Menge nicht kümmern. Sind sie doch überzeugt, zu den Wenigen zu gehören, die als Singularitäten den Kosmos um den Finger wickeln werden. Überschwänglicher kann der Traum nicht sein.

Hier liegen die Wurzeln jener Grandiosität, die von Psychiatern als Diagnosen von Wahnsinnigen eingesetzt werden. Es handelt sich nicht um private Psychodefekte, von denen niemand weiß, wie sie entstanden sind, sondern um psychische Stigmata einer Allmachtsreligion. Der Mensch entledigt sich im Verlauf seiner Geschichte seiner sündhaften Defekte, um sich seine verloren gegangene göttliche Vollkommenheit zurückzuerobern.

Wesen, die sich ihre Gottähnlichkeit nicht ausreden lassen, sind durch meteorologische Petitessen von ihrem Siegeskurs nicht abzulenken. Deutschland verleugnet die religiösen Ursachen des heroischen Futurismus, der die Gefahren der Gattung überdecken soll – ja, es verleugnet die Gefahren selbst.

Von hysterischer Reaktion der Öffentlichkeit zu reden, wenn einzelne Stimmen vor der Katastrophe warnen: das ist ein komplettes Wahrnehmungsverbot. Der SPIEGEL kennt Experten, die den Weltuntergang experimentell durchexerzierten und genau wissen, wie man am besten auf ihn reagieren sollte: keine Hektik, keine Hysterie. In geschlossener Marschkolonne, ein fröhlich Vagabundenlied trällernd, dem Abgrund entgegen.

Ja, wir sind Piraten und fahren zu Meere
und fürchten nicht Tod und Teufel dazu!
Wir lachen der Feinde und aller Gefahren
,
im Grunde des Meeres erst finden wir Ruh!
Refrain: Heio, heio, heio.

Eine seltene Ausnahme unter prominenten Wahrnehmungsverweigerern ist der Physiker Harald Lesch, dessen Warnungsbuch den Titel trägt: „Wann dann, wenn nicht jetzt?“ Bei Markus Lanz explodierte er geradezu bei einer Philippika gegen das deutsch-ökologische Duckmäusertum. Er wetterte gegen Politiker, „die weder den Ausbau erneuerbarer Energien noch die E-Mobilität vorangebracht, geschweige denn die Kohlekraftwerke abgeschaltet haben. „Menschen, in wichtigen Positionen, die uns ständig verarschen und glauben, immer nur die nächsten drei Monate wären wichtig. Und da sind all die vielen Bürger, die den Klimawandel nicht abstreiten und dennoch nicht tun, was sie tun sollten, obwohl sie wissen, was zu tun wäre: Fahrrad fahren statt SUV, nicht mit dem Flugzeug reisen, weniger Fleisch essen, Ökostrom beziehen, effiziente Elektrogeräte kaufen und das Licht ausschalten.“

Sein gnadenloses, zutreffendes Fazit: „Meine Generation hat vollständig versagt.“ (WEB.de)

Das Versagen setzt sich munter fort. Was Lesch von sich gab, hätte kein Grüner artikulieren können. Wer, wie Weichzeichner Habeck, eine moralfreie Politik fordert, spielt das Spiel der Klimaleugner. Wer die Möglichkeit der Katastrophe diskreditiert, verschärft die Gefahr. Wer allergisch ist gegen apokalyptische Warnungen, ist indirekter Unterstützer eines möglichen Infernos. Wer schrille Warnungen als unsachlich diffamiert, will quietistische Schicksalsergebenheit.

Das Versagen der deutschen Nation verschlägt einem den Atem. Am selben Tag, als Lesch die Deutschen aufforderte, zu tun, was sie angeblich für richtig halten, und nicht auf die gelähmte Politik zu warten, gab die Kanzlerin eine Audienz. Pünktlich zur Wiedereröffnung der politischen Jagdsaison: über Ökologie lähmendes Schweigen. Das brennendste Thema der Menschheit wurde zum gespenstischen Tabu.

(Als die bekannten Politgesichter zwei Wochen lang vom Bildschirm verschwunden waren, gab es tatsächlich – man glaubt es nicht – sachliche Beiträge zu aktuellen Problemen. Wie erholsam, nicht immer die ewig gleichen, abgeblätterten Konterfeis der Mächtigen zu hören.)

Wer wählte das Publikum aus? Wer entschärfte es zur lammfrommen Herde, die sich wie gebauchpinselt fühlt, wenn sie die Kanzlerin aus der Nähe erleben darf? Erneut zeigte sich das obszöne Inzestverhältnis zwischen Politik und Medien.

„Die Teilnehmenden sitzen überpünktlich in kleinen Gruppen an runden Tischen, sie hatten sich bereits für einen Workshop zusammengefunden. Es ist still, Filzstifte quietschen über bunte Pappkartons – eine konzentrierte, freundliche Arbeitsatmosphäre. Eine Moderatorin will von ihren Gästen wissen, welche Rolle die EU in ihrem Alltag spiele, viele schreiben eifrig eine Antwort auf. Dann ein paar Abstimmungen per Karte: Wer hat sich schon mal über die EU geärgert? Fast jeder im Raum. Überwiegen die Vorteile? Bis auf drei heben alle den Arm.“ (ZEIT.de)

Die merkel-kompatible Einstimmung der BürgerInnen zu Untertanen sollte Kritikaster und Nörgler herausfiltern und aussortieren. Medien folgen unaufgefordert ihrer selbstgewählten Funktion, die Mündigkeit der Demokraten nicht allzu sehr zu strapazieren.

Robin Alexanders Eindrücke: „Kritik an Merkel wird nicht geäußert. Eigentlich kann hier nichts Spannendes passieren. Das Publikum ist noch braver als im Vorbereitungsworkshop. Merkel verspricht nie einfache Lösungen, sondern beschreibt, in welchen Zwängen Verwaltungen steckten. Aber sie wird nie politisch. Das Format kommt der Kanzlerin entgegen, denn sie kann sich als überparteiliche Kümmerin inszenieren, der es nicht um Parteipolitik, sondern um die Lösung konkreter Probleme gehe. Mit jeder Minute wirkt das politische Berlin ferner.“ (WELT.de)

Parteipolitik ist das Gegenteil von Problemlösen? Lösungen sind immer zu einfach? Das Ritual Merkels ähnelt einer Bibelstunde der Zeltmission. Keinerlei Kritik an der mächtigsten Frau der Republik, die im Verlauf ihrer Kanzlerschaft – von Anfangsbemühungen abgesehen – nichts unterließ, um die ökologische Vorbildrolle Deutschlands ins Gegenteil zu verkehren.

Was ist ihre europäische Hauptsorge? „Die letzte Frage stellt eine pensionierte Lehrerin. Sie will wissen, wie ein europäischer Patriotismus aussehen kann: «Europa wird nur gelingen, wenn wir sagen, wir sind stolz darauf, verschieden zu sein», sagt Merkel. «Ich will den Unterschied merken, ob ich in Spanien bin oder in Deutschland. Ich möchte spüren, ob ich in Mecklenburg bin oder in Thüringen.»“ (ZEIT.de)

Angela will sich spüren. Nicht mehr das Gemeinsame verbindet, sondern das Singuläre jeder Nation. Ist es nicht das Signum der Rechten, das je Besondere oder Identitäre als Grenzzaun gegen das Andere zu errichten?

Das Identitäre „strebt die kulturelle „Reinhaltung“ der Gesellschaft von äußeren Einflüssen an, die als „fremd“ oder gar „feindlich“ definiert werden. Jedes „Volk“… habe eine separate gemeinschaftliche Kultur und einen je „eigenen Charakter“, die gegen Bedrohungen und Vermischungen zu schützen seien.“

Während Rivale Macron größere Gemeinsamkeiten in der Europapolitik fordert, begibt sich Merkel auf den nationalistischen Sonderweg. Híer wiederholt sich der Weg Herders, der die gleichwertige Individualität aller Nationen solange herausarbeitete, bis die Besonderheit zur Überlegenheit über andere Nationen ausartete.

Gordon A. Craig hat in seinem Buch: „Über die Deutschen“, diese anfänglich harmlose, aber letztlich fürchterliche Entwicklung der Deutschen präzis eingefangen:

„Herder war Pluralist, der an die Gleichheit aller Kulturen vor Gottes Angesicht glaubte. Er wies aufklärerische Vorstellungen von einem idealen Menschen und einer idealen Gesellschaft zurück. Für ihn war keine Person einer anderen, kein Volk einem anderen gleich. Alle waren Teile der Menschheit, des unendlich reichen Panoramas des Lebens, zudem jedes Individuum und jedes Volk seinen charakteristischen Beitrag leistete.“

Es war wie heute: zuerst werden Normen humaner Moral verneint. Jede Ethik muss der andern ebenbürtig sein – und sei sie noch so inhuman. Weil niemand wegen seiner Amoral als schlechter Mensch gelten darf, müssen alle Moralen dieser Welt als gleichwertig betrachtet werden. Was gegenwärtig bedeuten würde, Putins Völkerrechtsverletzungen oder Trumps Lügenmethoden genau so wert zu schätzen wie vertrauensvolle und zuverlässige Menschenrechtspolitik.

Herders Ablehnung universeller Moral der kantischen oder französischen Aufklärung war die Eingangspforte ins Verhängnis:

„Die Idee von der Einzigartigkeit der einzelnen Völker degenerierte zur Vorstellung, manche Völker seien überlegen und das eigene rangiere an erster Stelle. Es war Herders Tragödie, dass die grundlegende Humanität seiner Philosophie durch Patrioten wie Görres, Jahn, und Arndt zu einem engstirnigen deutschen Nationalismus pervertiert wurde und dass seine Anschauungen von der Individualität des Volkes durch Philosophen wie Fichte und Hegel zu einer Idealisierung des Staates als einer Art Überperson umgewandelt wurden, welcher der einzelne Bürger absolute Treue schuldete.“

Da war der Weg zum Antisemitismus, das Dritte Reich war nicht mehr weit.

Die Deutschen bewundern die nüchterne Objektivität ihrer Kanzlerin, die sie aus ihrem Beruf der Physikerin ableiten. Naturwissenschaftler mögen sachlich sein in ihrem Fach, als Bürger und politisch Denkende sind sie nicht weniger subjektiv als andere.

Wie viele Naturwissenschaftler haben den Bau der Atombombe aus moralischen Skrupeln abgelehnt? Der militärisch-technische Komplex in Amerika, vor dem schon Eisenhower warnte, ist zu einem Staat im Staate geworden, der sich mit keinem Wort dem Befehl Trumps widersetzte, das Universum zum Kriegsschauplatz zu verwüsten. Die Wissenschaften sind zu Handlangern der verhängnisvollsten Mächte der Welt geworden.

Merkel – ohne erkennbare philosophische und historische Bildung – ist unfähig zur Konturierung einer eigenständigen Politik. Sie ist abhängig von der Bandbreite nationaler Befindlichkeiten. Sie markiert die Extremwerte der gesellschaftlichen Debatte und zieht die Diagonale, um den Weg des geringsten Widerstands zu wählen. Es ist eine Politik der gaußschen Glockenkurve. Getan wird, was die Glocke der Mehrheit zu verkündigen hat.

Warum sollte man auf Besonderes stolz sein – und nicht auf gemeinsame Problemlösungen? Soll jede Nation sich brüsten, ihr eigenes ökologisches Süppchen zu kochen? Ist es sinnvoll, dass Franzosen noch immer auf Atomkraft setzen, Deutschland hingegen auf umweltverträgliche Stromerzeugung?

Einen Schritt weiter auf den Spuren Herders, und Merkel befindet sich in der roten Verbotszone. Orbanismus ist die zweite Stufe der herderschen Selbstauszeichnung: belehrt uns nicht moralisch, ihr besserwisserischen Deutschen oder EU-Behörden. Auch in der Puszta walten die Götter.

Was heutige Moralverächter propagieren, ist identisch mit Hegels Machtpolitik.

„Hegel vertrat den Standpunkt, der Staat als Verkörperung des kollektiven Lebens könne nicht durch Einzelpersonen kontrolliert werden. Er gehe seinen eigenen Weg und erfülle sein Schicksal mittels der Macht, die sein Wesen sei. Beim Zusammenprall mehrerer politischer Mächte gab es für die Aktivitäten des Staates keine moralische Beschränkung.“

Die Vermeidung des Weltuntergangs wäre eine existentielle moralisch-politische Entscheidung. Wie sollte sie getroffen werden, wenn Moral als politischer Wille verfemt wird?

Deutschland geht erneut in die Irre. Diesmal vernichtet es nicht Andere, um selbst davonzukommen. Diesmal vernichtet es die gemeinsame Existenzgrundlage der gesamten Gattung – und gibt sich harmlos und unschuldig.

“O gebt euch der Natur, eh sie euch nimmt.“ Hölderlins Klageruf ist nirgendwo angekommen.

 

Fortsetzung folgt.