Kategorien
Tagesmail

Tanz des Aufruhrs XXVI

Tanz des Aufruhrs XXVI,

zuerst durfte das Kind herumtollen, seiner Intelligenz freien Lauf lassen. Dann kamen zwei Damen des Staates und nahmen den Knaben in die Mitte. Kälte breitete sich aus. Zu wirren Zeichnungen sollte er eine Geschichte erfinden. Er verstummte. „Dieses Kind ist nicht schulfähig, es verweigert den Gehorsam“, lautete das Ergebnis des Tests.

Das war der erste Kontakt eines Kindes mit dem Staat.

Kaum ein Kind, das sich nicht auf die Schule freut. Gebt ihnen sechs bis zehn Wochen und die Freude ist verschwunden.

Danach viele Jahre schulischer Angstagentur zur Anpassung an die Anforderungen der Wirtschaft, die keine politischen Eingriffe in ihre Geschäfte duldet, sich aber überall einmischt, was in einer Demokratie das Volk zu entscheiden hätte, aber nicht entscheiden darf, weil die Wirtschaft kein Volk kennt – außer Lohnabhängigen, die zu tun haben, was die Wirtschaft von ihnen will –, sondern nur den „Staat“ der Politiker: der ohne zu murren die Weisungen der Wirtschaft befolgen muss.

Schon Kinder müssen „Geschichte“ erfinden oder – vornehmer – ein Narrativ. Ein Narrativ ist die Lieblingsbeschäftigung sinnstiftender Literaten und Ästheten. Verständlich in der Kultur dreier Erlösergeschichten: was nicht zusammengehört, wird als Wille Gottes zusammengeschweißt, ob es will oder nicht. Wer heilige Geschichten erfinden und erzählen kann, ist ein Religionsgründer.

Die Fähigkeiten eines Kindes werden danach beurteilt, in welchem Maß es sich eine scheinreligiöse Geschichte ausdenken kann. Und das unter dem Vorwand, seine Intelligenz zu prüfen. Zwar weiß niemand, was Intelligenz ist, doch jeder muss

seine Intelligenz als religiöser Märchenerzähler beweisen. Narrativ muss die Steigerung von Narr sein.

Die Wirtschaft hat die vitale Demokratie abgeschafft zugunsten des Staates, der zum Mietling der Bosse geworden ist.

Die Wirtschaft hat die Demokratie zum Staat degradiert, damit sie ihre Aversionen gegen die Mündigkeit des Volkes noch immer – wie vor 300 Jahren – als Freiheitskampf gegen absolutistische Regierungen verklären kann.

Feudalökonomie liebt es, antidemokratische Privilegien als Freiheit zu deklarieren. Dass ihre imperialen Freiheiten die Unfreiheit derer sind, die nicht zum Penunzenadel gehören, ist eine Einsicht: unzumutbar für geborene Siegergehirne.

Worauf achten die Kopfjäger der Karrieresüchtigen am meisten? Dass die Ehrgeizigen keine Blender sind, den richtigen Gang beherrschen, nicht unverschämt auftreten: es muss die rechte Chemie zwischen Prüfern und Geprüften herrschen.

Im Gegensatz zur Schule, wo Gefühle keine Rolle spielen, psychische Chemie unbekannt ist und Blender noch nie gesehen wurden.

Schule und Wirtschaft laufen parallel. Ihr gemeinsames Menschenbild: der Mensch ist von außen dirigierbar, kein innengesteuertes Geistwesen. Er ist nicht Herr über sich selbst – und damit das Gegenteil eines zoon politicon.

Das mechanische Rädchen unter vielen gewaltigen Rädern muss belohnt und bestraft werden. Belohnung ist Geld, Macht und Reputation, Bestrafung das Gegenteil.

Bedingungslose Freiheit, die die Ökonomie für sich fordert – im Geldmachen, in freier Fahrt auf der Autobahn, im Verweigern angemessener Steuern, im Bezahlen von Löhnen, zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig –, ist das Gegenteil dessen, was sie Schulkindern zugesteht.

Kinder dürfen ihre Neugier und ihren Lerneifer nicht selbstbestimmen. Sie müssen dem pädagogischen Fordismus folgen: Bildung als vorgeschriebene Leistung am mechanischen Förderband: gleiche Leistung in gleicher Zeiteinheit.

Individuelle Kinder sind Maschinen, die wie Pawlow‘sche Hunde reagieren: wenn die Glocken läuten, muss das Pensum erfüllt sein. Die Gesellschaft ist eine Riesenmaschine, die von Natur- und Geschichtsgesetzen bestimmt wird.

Gottesgelehrte nennen die Weltmaschine sündige Schöpfung. Sünder sind determiniert vom Räderwerk des Bösen. Schöpfung bedeutet: das Räderwerk kann jederzeit von seinem Erfinder – der seine Kreation höchstselbst als missglückt bezeichnet hat – eingestampft werden zugunsten einer neuen Kreation.

Was Bildung betrifft, beziehen sich die deutschen Dichter- und Denkernachfolger auf einen gewissen Wilhelm von Humboldt, der unter Bildung das Folgende verstand:

„Ein autonomes Individuum soll ein Individuum sein, das Selbstbestimmung (Autonomie) und Mündigkeit durch seinen Vernunft­gebrauch erlangt. Soviel Welt als möglich in die eigene Person zu verwandeln, ist im höheren Sinn des Wortes Leben. Zum Weltbürger werden heißt, sich mit den großen Menschheitsfragen auseinanderzusetzen: sich um Frieden, Gerechtigkeit, um den Austausch der Kulturen, andere Geschlechterverhältnisse oder eine andere Beziehung zur Natur zu bemühen.“ „Die universitäre Bildung soll keine berufsbezogene, sondern eine von wirtschaftlichen Interessen unabhängige Ausbildung sein.“

Heute ist Bildung das Gegenteil von Mündigkeit und Vernunftgebrauch. Sie ist exakt das geworden, wovor Humboldt warnte: sie muss wirtschaftlichen Interessen dienen. Was – in kindlicher Moralsprache – bedeutet: alles Lügen, was gegenwärtige Bildungspolitik betrifft.

Die Lügner selbst würden nicht von Lügen sprechen, sondern von Interessen oder gleichen Aufstiegschancen. Was erst recht Lügen wären, denn gleiche Aufstiegschancen hat es seit Adam und Eva nicht gegeben und wird es in ungerechten Nationen nie geben. In gerechten Nationen erst recht nicht, denn dort kann man weder auf- noch absteigen.

Kinder der unteren Stände verfügen weder über einen richtigen Gang, noch über eine aufstiegsorientierte Chemie. Sind sie ehrgeizig, kommen sie als dreiste Blender daher: glauben sie doch tatsächlich, sie könnten nach Oben kommen.

Was Mündigkeit, Vernunft, Frieden, Gerechtigkeit oder Beziehung zur Natur betrifft, davon haben Ökonomen und sonstige Eliten keine Ahnung, noch schlimmer: sie wollen keine haben.

Solche Dinge nennen sie Gedöns. Synonyme für Gedöns sind: Firlefanz, Getue, Schnickschnack. Humboldt ist demnach ein Firlefanz-Blender, der mit seiner Schnickschnack-Bildung angibt, zum Wohlstand und Fortschritt der Nation aber nichts beiträgt. Alles, was in Berlin den Namen Humboldt trägt, sollte von den fünf Weisen – die ihre Ehrenbezeichnung nur aus Jux und Tollerei tragen – rigoros gesäubert werden.

Da sie über echte – also wirtschaftlich-irrelevante – Bildung nicht verfügen, können die Deutschen nicht wissen, dass die Urdemokratie nur entstehen konnte, weil das Prinzip ausufernder Wirtschaft gebändigt werden konnte. Zugunsten der Gleichwertigkeit aller Demokraten.

Oh doch, Petra Bahr, es gab frühere Zeiten, die besser waren als die heutigen. Dass ausgerechnet Sie als Theologin nichts vom Paradies wissen wollen, mag Ihr zuständiger Bischof beurteilen. Denn wenn es das Paradies nicht gab, werfen Sie Ihrer Heiligen Schrift vor, eine unheilige Lügenschrift zu sein.

„Denn das größte Missverständnis des Konservativen ist der reaktionäre Traum von einer Vergangenheit, die es nie gegeben hat, im Programm einer Retropie.“ (ZEIT.de)

Retropie, vermutlich eine Retro-Utopie, ist ein hinter uns liegendes Paradies. Als Frau könnte das Matriarchat für Sie interessant sein, doch als Theologin müssen Sie solche Kindereien als Blasphemien verurteilen. Da Sie sich mit keiner konkreten Retropie auseinandersetzen, muss man vermuten, dass es für Sie keine besseren Verhältnisse geben darf als die heutigen.

Doch hören Sie. In einer anonym verfassten Schrift aus dem alten Athen (dem Anonymus Iamblichi) kann man eine treffliche Beschreibung der Demokratie finden. Deren Verfassung ist auf den Vorteil der Menge zugeschnitten. Dieser Zustand einer gesetzlichen Ordnung mit seinen Vorzügen für die Allgemeinheit und den Einzelnen ist das Gegenteil der Gesetzlosigkeit, von der nur die Starken oder Herrenmenschen profitieren.

Für die Allgemeinheit ist der Vorteil gesetzlicher Regeln ein blühendes wirtschaftliches Leben. Dieses pulsierende Wirtschaftsleben kommt als Volksvermögen allen zugute. Der Unterschied von Arm und Reich wird ausgeglichen. Die Besitzenden können ihren Wohlstand in Sicherheit genießen, den Unbemittelten wird mit Krediten und sonstigen Unterstützungen geholfen. Der Einzelne hat den Vorteil, dass er in ruhigen und gesicherten Verhältnissen sein politisches, wirtschaftliches und privates Leben in Einklang bringen kann. Dies alles ohne Angst, Sorge und Kummer.

Reißt dagegen Gesetzlosigkeit ein – heute würden wir von Neoliberalismus sprechen –, kommt das Volksvermögen nicht mehr allen zugute. Das Geld verschwindet in den Kassen weniger Leute, die Kredite schwinden, der Handel stockt. Die Besitzenden werden hochmütig, die Not der Armen wächst. Der Einzelne spürt wachsende Unruhe und Sorge, es drohen Revolution und Krieg. Das ist der Boden, auf dem die Tyrannis erwächst. Heute würden wir von Faschismus reden.

„Denn das Aufkommen eines Tyrannen ist niemals Zufall und Willkür. Nur wenn man sich der Schlechtigkeit zuwendet, wenn sich Recht und Gesetz auflösen, schlägt die Stunde der Alleinherrscher.“ (Nestle)

Der Verfasser der Schrift ist weder ein Anhänger der Plutokratie, noch der Herrschaft der Besitzlosen. Er vertritt eine mittlere Linie und erwartet von einer gerechten Wirtschaft die Hebung der Lebensverhältnisse der Armen. Ausgleich der politischen und sozialen Gegensätze ist die wesentliche Forderung der Schrift.

Heute erwarten gewisse Medien, die keine schreienden Ungerechtigkeiten, aber auch keine Revolution wünschen, von der führenden politischen Figur die „Aussöhnung der Gesellschaft“. Aber nicht durch einschneidende Reformen, sondern allein durch die Macht ihrer Verführung. Mit anderen Worten: vom starken Mann – oder der starken Frau – erwarten sie Wunder.

Dem linken Kandidaten Sanders in Amerika wirft der SPIEGEL Spaltung der Gesellschaft vor. Wie aber? Die Spaltung liegt doch längst vor und weitet sich immer mehr aus. Linke Reformer wollen die Gesellschaft dadurch miteinander „versöhnen“, dass sie den Gedanken des Anonymus Iamblichi folgen. Wenn niemand zu reich ist, um illegitime Macht einzusetzen, und niemand zu arm, um in die Röhre zu gucken, dann besteht die Chance der Zusammenführung der Gesellschaft.

In der Moderne ist alles auf den Kopf gestellt. Die Reichen wollen unermesslich reich werden mit der Begründung, ihr Reichtum würde durch die Wolken tröpfeln, um den Armen ein wenig unter die Arme zu greifen. Doch das Volksvermögen wurde vom ganzen Volk erarbeitet und muss dem ganzen Volk zugutekommen. Eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich darf gar nicht entstehen. Entsteht sie dennoch, kann das nur bedeuten, dass die wirtschaftlichen Muskelmänner sich ununterbrochen einen viel zu hohen Anteil am gemeinsamen Reichtum eingesteckt haben.

Mehr als 2000 Jahre Kapitalismus haben die Starken benutzt, um mit Hilfe legitim scheinender Gesetze den größten Anteil des Kuchens auf ihre Seite zu bringen. Wer hat diese Gesetze am meisten beeinflusst? Die Reichen und ihre intellektuellen Bodyguards.

Kapitalismus entstand als Wirtschaftsform der Freiheit in der Urdemokratie, die allerdings die Freiheit benutzte, um sich über die Polis hinaus zu dehnen und mit der neu erworbenen außerdemokratischen Macht die Urdemokratie zu schwächen und zu verderben.

Die damalige Globalisierung des Hellenismus verlieh den Griechen die Möglichkeit, überall in ihrem neuen Weltreich – das sie mit Waffen erobert hatten – ihre überlegene Wirtschaftskompetenz in Macht zu übersetzen. Seitdem hat jede Globalisierung zwei Seiten: sie ist sinnvoller Austausch zwischen den Völkern, die sie miteinander in Berührung bringt, um sich besser kennen zu lernen. Gleichzeitig dient der Austausch den überlegenen Mächten dazu, die unterlegenen Völker in den Griff zu kriegen – und die Natur rings um den Planeten auszurauben.

Das sehen wir heute, wenn fremde Mogule Häuser und Wohnungen in Berlin aufkaufen und die Not der Einheimischen nach Belieben vergrößern. Die Macht globaler Eliten nimmt rasend zu und vergrößert die Kluft zu den Armen, die keine Chance haben, ihre lebensnotwendigen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Ausweitung der Wirtschaft ins Internationale ist die Ausweitung der elitären Vormacht über den Planeten. Die Armen einer Nation werden zu Armen der ganzen Welt.

Trumps Widerstand gegen die Globalisierung ist zwiespältig und bigott. Die Macht Amerikas über den Planeten soll erhalten und ausgeweitet, die Macht ausländischer Konkurrenten im Inland aber zurückgedrängt werden. In München sagte der amerikanische Außenminister Pompeo: wir werden gewinnen, der Westen – oder die Guten – werden die bösen Rivalen besiegen.

Kein Deutscher widersprach, denn Berlin hat Angst vor den Herren der Welt. Zudem haben deutsche Politiker keine Ahnung von demokratischer Haltung. Noch heute merkt man ihnen an: Demokratie erhielten sie als Zwangsgeschenk, vor dem sie noch immer dubiose Gefühle hegen. Ihr amoralischer Widerstand gegen politische Inkorrektheit oder Moral ist ein unbewusster Dauer-Widerstand gegen ihre ehemaligen Befreier, die sie noch immer als Zwangsbeglücker erleben. Vor Jahren wollten sie demokratische Musterschüler Amerikas werden, heute haben sie sich ins räudige Gegenteil zurückgezogen, das wunderbarerweise identisch ist mit der Wendung Amerikas ins theokratisch Rücksichtslose.

Die deutschen Trump-Sympathisanten trafen sich in intimer BILD-Bier-Runde in München. Schaut sie euch an, wie Döpfner, Reichelt & Co in der berückenden Nähe ihrer amerikanischen Freunde vor Weltbedeutung glänzen. Das ist nicht obszön, das ist machtgeile Selbstkorrumpierung. Diese Medien wollen noch die nötige Distanz besitzen, um ihre Idole prüfen zu können? (BILD.de)

In München kam eine politische Weltelite zusammen, um über internationale Probleme zu reden. Reden ist besser als schießen. Der Westen – außer Amerika – befürchtet einen Verlust an Weltgeltung, Amerika strotzt von christlich auserwählten Supergefühlen bei gleichzeitiger Isolierung: lasst uns in Ruhe mit euren lächerlichen Klimaproblemen. Wir wollen ungestört unseren kommenden Herrn erwarten.

Nachdem Trump schon zum Kaiserpapst der Welt aufgestiegen ist, will seine mediale Dependance in Deutschland nicht länger zurückstehen.

BILD-Schreiber Franz Josef Wagner sieht nur noch eine Möglichkeit, die deutschen Probleme in den Griff zu kriegen: durch Beten und Hoffen auf den neuen Führer mit Charisma:

„Das Wort Charisma kommt aus dem Griechischen. Es bedeutet Gottes Gnade und Erleuchtung.“ (BILD.de)

Im Dritten Reich nannte man den charismatischen Führer den Sohn der Vorsehung.

Die Verhältnisse in Amerika werden immer theokratisch-faschistischer. „The Family“, die hintergründig-mächtige Christenlobby, in der sich alle relevanten Politiker treffen, macht nicht nur inneramerikanische Politik, sondern unterstützt jeden Diktator in der Welt, der sein Land religiös indoktriniert. Auch Trump darf in diesem Club der Erwählten nicht fehlen, der ihm den Glorienschein eines Gesandten Gottes verleiht.

Im Dritten Reich hatte der deutsche Charismatiker sein Credo abgelegt:

„In grenzenloser Liebe lese ich als Christ und Mensch die Stelle durch, die uns verkündet, wie der Herr sich endlich aufraffte und zur Peitsche griff, um die Wucherer, das Nattern- und Otterngezücht hinauszutreiben aus dem Tempel. So glaube ich heute im Sinne des allmächtigen Schöpfers zu handeln: Indem ich mich des Juden erwehre, kämpfe ich für das Werk des Herrn.“

Und welch ein Zufall, auch der amerikanische Erwählte des Herrn beginnt, die Juden, denen er angeblich so nahe steht, völlig enthemmt zu beschimpfen:

„In seiner Ansprache beim Israeli American Council in Hollywood, Florida, am Samstagabend hat Trump all seine liebsten antisemitischen Stereotype in einem Raum voller Juden benutzt. Er begann mit dem uralten Klischee der ,gespaltenen Loyalität‘ und sagte, es gäbe Juden, die ‚Israel nicht genug lieben‘. Nach dieser Aufwärm-Übung tauchte er direkt in die beliebte Klischeevorstellung vom Juden und vom Geld ab: ‚Viele von euch sind im Immobiliengeschäft, denn ich kenne euch sehr gut. Ihr seid brutale Mörder und überhaupt keine netten Menschen‘, so Trump. ‚Aber ihr müsst für mich stimmen – ihr habt gar keine Wahl. Ihr werdet nicht für Pocahontas stimmen, das kann ich euch jetzt schon sagen. Ihr werdet nicht für die Vermögenssteuer stimmen. Yeah, wie wäre es, wenn wir euch 100 Prozent eures Vermögens wegnähmen?‘ Er fuhr fort: ‚Manche von euch mögen mich nicht. Manche von euch mag ich überhaupt nicht, um ehrlich zu sein. Aber ihr werdet meine größten Unterstützer sein, denn ihr seid in etwa 15 Minuten arbeitslos, wenn sie die Vermögenssteuer durchbringen. Also muss ich nicht viel Zeit darauf verwenden.‘“ (der-Freitag.de)

Ausgerechnet mit diesem judenhassenden Trump – dessen Unterstützung Israels auf ambivalenten biblischen Gründen beruht – sympathisiert der philosemitische Springerverlag. Versteht sich, dass diese ungeheure Anklage gegen die Juden („Ihr seid brutale Mörder“) in keiner BILD-Ausgabe erschien.

Slavoj Zizek verteidigt Gideon Levy, einen der konsequentesten Kritiker der Netanjahu-Politik, der davor warnt, die Kritik an der Israelpolitik als verkappten Antisemitismus zu diffamieren:

„Ich halte Levy für einen wahren „patriotischen Israeli“, und so hat er sich auch selbst einmal bezeichnet. Er sagt ganz richtig voraus, dass die Verschmelzung einer Kritik an der israelischen Politik mit Antisemitismus eine neue Welle des Antisemitismus erst auslösen wird. Aber auf welche Art und Weise? Um seine zionistische Politik zu rechtfertigen, macht der Staat Israel einen katastrophalen Fehler: Er hat beschlossen, den sogenannten „alten“ (traditionell europäischen) Antisemitismus herunterzuspielen und sich stattdessen auf den „neuen“ und vorgeblich „progressiven“ Antisemitismus in der Maske der Kritik an seiner zionistischen Politik zu konzentrieren.“

Einer der wesentlichsten Gründe des Niedergangs des Westens ist die Heuchelei Amerikas und Deutschlands. Menschenrechtsverletzungen aus dem Reich des Bösen werden verurteilt, dieselben Verbrechen aus dem Reich des Guten werden nicht einmal erwähnt. Innerjüdische Kritik an der Israelpolitik, auch der mangelhaften Kritik Europas an Jerusalem, erscheint in keiner Gazette des Edelmanns Döpfner:

„Seit 50 Jahren hat die internationale Gemeinschaft fast alle diplomatischen Maßnahmen in Reaktion auf den Ausbau der Siedlungen vermieden – im krassen Gegensatz zu ihrem Handeln in vielen anderen Konfliktsituationen weltweit. Angesichts des fehlgeleiteten Plans von US-Präsident Trump, der die Grundlage für die israelische Annexion der Siedlungen legt, ist es für die internationale Gemeinschaft wichtiger denn je, eine Grenze zwischen dem Staat Israel in seinen Grenzen vor 1967 und seinem illegalen Siedlungsprojekt zu ziehen. Dementsprechend bringt die UN-Datenbank keinen Boykott des Staates Israel mit sich, sondern bezieht sich nur auf die Siedlungen in den besetzten Gebieten. Als Menschen, denen die Zukunft Israels am Herzen liegt und die sich wünschen, dass unser Land in Frieden mit seinen Nachbarn lebt, applaudieren wir der Hochkommissarin Michelle Bachelet für diesen Schritt und fordern die Vereinten Nationen auf, die kontinuierliche Aktualisierung der Liste sicherzustellen.“ (Frankfurter-Rundschau.de)

Als der EU-Außenbeauftragte Borrell eine Kritik an der israelischen Politik wagte: wer unterlief, wie gewohnt, die milde Attacke?

„Deutschland machte sich diese Erklärung nicht zu eigen. Der Spanier habe als EU-Außenbeauftragter gesprochen, nicht im Namen aller 27 EU-Staaten, heißt es in Brüssel. Deutschland und einige andere Mitgliedsländer befürchten offenkundig, es sich mit Israel und den USA zu verderben. Borrells Statement blieb prompt ohne praktische Folgen. Es landete in der Schublade, wie so viele EU-Erklärungen zur Nahostpolitik der vergangenen Jahre.“

Versteht man, warum Merkel der Münchner Konferenz ferne blieb? Sie hat nichts zu sagen. Immer deutlicher wird ihre augustinisch-lutherische Mitläuferpsyche: den sündigen Staat, die civitas diaboli kann kein Mensch retten. Also lasset uns beten. Merkel ist ein Verhängnis für Deutschland. Doch die Deutschen vertrauen ihr. Also sind die Deutschen ein Verhängnis – für sich selbst. (der-Freitag.de)

Auch Henrik Müller ist ein Geschichten-Erzähler. Wenn die großen religiösen Sinngeschichten pleite gingen, muss ein seriöser Ersatz her. Wie geht das? Man suche ein geheimnisvolles Fremdwort, erkläre es nicht – und schon ist alles erklärt:

„Wenn die großen religiösen oder ideologischen Wir-Geschichten an Überzeugungskraft verlieren, verschwimmen auch die Ich-Geschichten. Umso größer wird das Bedürfnis, die Leerstellen in der Identität zu füllen. Und da kommt die Politik ins Spiel: Es geht um die Vergewisserung des eigenen Selbst, und es geht darum, von anderen geachtet und überhaupt beachtet zu werden – um „Thymos„, wie der US-Politologe Francis Fukuyama dieses Gefühl nennt.“

Nicht Fukuyama erfand den Thymos, sondern Platon. Bei Platon geht es nicht um Wert oder Würde des Menschen, sondern um „den leidenschaftlich-zornigen Affekt (Wut, Jähzorn) und die Entschlossenheit zum Kampf.“ (Historisches Wörterbuch der Philosophie)

Thymos ist – ohne Zusammenhang mit der leitenden Vernunft – der Wille zur Macht. Schaltet euren Verstand aus und wollet Kampf, blindwütigen Kampf.

Wie sähe bei Henrik Müller eine wahre Demokratie aus?

„Eigentlich sollte die Demokratie auf Vernunft gebaut sein. Das heißt nicht zuletzt: auf das aufgeklärte materielle Eigeninteresse der Bürger. Wenn dieses Eigeninteresse aber nicht mehr wahlentscheidend ist, wird es schwierig. Dann besteht die Gefahr, dass ganze Gesellschaften sich in Unvernunft verirren.“ (SPIEGEL.de)

Als Adam Smith in seinem zweiten Buch seine stoische Ethik des Mitgefühls hintansetzte und auf das materielle Eigeninteresse baute, verfing er sich in der Frage, wie das Gesamtinteresse einer Nation gelingen kann, wenn alle Individuen egoistisch sind. Smith war so ehrlich, sein Nichtwissen einzugestehen und Zuflucht zu suchen im höheren Bereich. Er regredierte zur unsichtbaren Hand, dem Rest seines Kinderglaubens an den christlichen Gott.

Mit anderen Worten: er verriet die Vernunft und suchte Zuflucht – in einer höheren Geschichte. An dieser Stelle kam Hayek des Weges und fühlte sich in seinem neoliberalen Paläokatholizismus bestätigt: die Vernunft des Menschen taugt nichts. Wir müssen uns dem Zufall einer höheren Geschichte überlassen. Nennen wir sie Evolution, nennen wir sie Gott.

In München zeichnete sich die akkumulierende Kriegsgefahr der Weltnationen ab.
Wenn Globalisierung unerbittlicher Wettbewerb um die führende Stellung der Nationen ist,
wenn dieser Wettbewerb mit grenzenlosem Fortschritt potenziert wird,
wenn dieser Fortschritt grenzenlose Übermächtigung der Feinde anstrebt,
dann will Wettbewerb in globalem Ausmaß den Sieg der Guten über die Bösen. Eben das ist der Sinn der christlichen Heilsgeschichte. Am Ende siegen wenige Erwählte über die Masse der Verdammten.

Liebes Kind: wenn du jetzt ins Leben trittst, denke daran, dass du den höllischen Himmelsgeschichten der Erwachsenen niemals Glauben schenken darfst.

Die Erwachsenen sind dabei, eure Zukunft, die Zukunft aller Kinder auf Erden zu löschen, nachdem sie bereits euren Start ins Leben gründlich ruiniert haben. Sie nennen es Liebe.

 

Fortsetzung folgt.