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Tanz des Aufruhrs XV

Tanz des Aufruhrs XV,

Amtsenthebungsverfahren für alle Regierungen, die die Menschenrechte verletzen und die Klimakatastrophe verleugnen!

Vor 70 Jahren gab es das Russell-Tribunal, das die amerikanischen Völkerrechtsverletzungen im Vietnam-Krieg untersuchte. Unter den Teilnehmern Jean Paul Sartre und seine Gefährtin Simone de Beauvoir. Ohne dieses Tribunal wäre die Hippiebewegung in Amerika und die 68er-Bewegung in Deutschland kaum möglich gewesen.

Heute steht die Jugend der Welt schon marschbereit auf den Straßen und bringt die Welt ins Wanken. Nun wäre es an den Erwachsenen, den Spuren ihrer Kinder zu folgen.

Dass ein junges Mädchen zur Antipodin des mächtigsten Mannes der Welt werden konnte – wer hätte vor kurzem von diesem Szenario träumen dürfen? Kein Dramatiker hätte ein solches Duell auf die Bühne bringen dürfen, ohne als Phantast verhöhnt zu werden. Das Außerordentliche: es ist geschehen – als Anfang. Noch kann niemand sagen, was daraus werden wird.

„Wir haben viel erreicht! Und: Wir haben (beinahe) nichts erreicht!“ Greta hat die Lage auf den Punkt gebracht.

Das Amtsenthebungsverfahren in Amerika wird nichts bringen. Die Reglements des Verfahrens sind zu politisch, um rechtlich, zu rechtlich, um politisch zu sein. Untauglich zur Katharsis einer Nation, die über Vorzüge und Defekte ihrer Demokratie gründlich mit sich ins Gericht gehen müsste. Keine westliche Nation, die zu einer solch tiefgreifenden kollektiven Selbstbesinnung bereit wäre.

Was man sagen kann: es tut sich was. Auch in den Sesseln der Reichen. Ob aus Angst um den Profit oder aus Überzeugung – fürs erste einerlei. Das

anfängliche Motivationsgewirr kann sich, im Verlauf der Dinge, nur aufhellen.

„Um wie viel Grad würde sich die Erdatmosphäre bis 2050 erwärmen, wenn sich alle Unternehmen so verhielten wie etwa die Deutsche Bank, Siemens oder Volkswagen? Im Falle der Deutschen Bank errechnete Right 2,8 Grad Erwärmung, bei Siemens 4,3 Grad und bei Volkswagen 3,3 Grad. Diese Firmen verstießen damit gegen das Pariser Klimaabkommen, so Right. Auf Anfrage zogen die Deutsche Bank und Siemens die Berechnungen von Right nicht in Zweifel, wiesen aber auf eigene Anstrengungen hin, ihren CO2-Ausstoß zu verringern.“

Das war keine Studie der FFF-Bewegung, sondern der Beratungsfirma Right in Frankfurt am Main: „Die untersuchte kürzlich die Klimapolitik großer deutscher Konzerne, die das WEF (World Economic Forum) als sogenannte strategische Partner unterstützen.“

Allianz-Chef Bäte „hat gerade zusammen mit den Vereinten Nationen und ein paar anderen Großinvestoren die „Netto-Null-Allianz“ gegründet. Bis 2050 wollen die Unternehmen ihre Kapitalanlagen in Höhe von rund 4 Billionen Euro so umstrukturieren, dass sie keinen Kohlendioxidausstoß mehr verursachen.“ (TAZ.de)

„Es war eine handfeste Überraschung: In der vergangenen Woche veröffentlichte ausgerechnet Larry Fink, Chef der mächtigen US-Investmentfirma Blackrock, ein Plädoyer für klimafreundlichere Investments. In einem Brandbrief an zahlreiche Topmanager weltweit führender Konzerne kündigte er an, dass der größte unabhängige Vermögensverwalter der Welt künftig Klimaschutz zum Kern der Unternehmenspolitik machen werde. Bislang war Blackrock vor allem als der weltgrößte Investor bei Kohleprojekten bekannt.“ (SPIEGEL.de)

Ausgerechnet der langjährige und fachlich fundierte Umweltaktivist Michael Braungart kritisiert die FFF-Bewegung und Greta Thunberg:

„Für Wirbel sorgte auch zuletzt ein Interview von Greenpeace-Aktivist Michael Braungart (61): Der Umweltpionier kritisierte im „Flensburger Tagblatt“ sowohl die „Fridays For Future“-Bewegung („zu viel Panikmache“, „Es geht weder ums Überleben des Planeten noch der Menschheit“) als auch Greta Thunberg persönlich: „Sie kann nur Schwarz-Weiß sehen …“ (BILD.de)

Greta macht keine Panik, sondern spiegelt sie einer Welt zurück, die ihre Panik verbergen will. Woher weiß Braungart, dass die Menschheit überleben wird? Es wird doch keine Eifersucht des altgedienten Naturschützers sein, der in seinem ganzen Leben nicht einen Bruchteil der internationalen Aufmerksamkeit erringen konnte – wie diese unerfahrene Göre aus Schweden, diese neunmalklugen Jugendlichen aus aller Welt?

Nichts ist unergründlicher als das Geheimnis des öffentlichen Erfolgs. Viele verdienstvolle Avantgardisten mussten sterben, bevor ihre Botschaften publik wurden. Andere wurden berühmt und hatten kaum Nennenswertes vorzuweisen. Doch wer von seiner Sache überzeugt ist, wird sie tun – ob er in den Geschichtsbüchern landen wird oder nicht.

„Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille.“ (Kant)

Ein guter Wille ist keine Gesinnung, die tatenlos sich selbst bewundert und alles Gelingen ihrem Gott überlässt. Ein guter Wille ist die Leidenschaft eines ganzen Lebens, die kein geringeres Ziel hat, als die Welt voranzubringen. Nicht im Sinne eines technischen Fortschritts oder einer endlosen Bereicherung, sondern als einer Annäherung an eine humane Welt.

Nichts ist verheerender als die deutsche Ideologie, alles um eines ominösen Aufstiegs willen zu tun. Kinder und Jugendliche sollen nur lernen, damit sie nach oben kommen. Ihre Pisa-Tests sollen besser werden, damit das sinkende Niveau nicht die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gefährdet. Bildungschancen sollen gerecht werden, damit alle dieselben Aufstiegschancen haben.

Das wäre der geistige Tod der Menschheit, wenn sie alles um des bloßen Erfolgs willen täte.

Wer den Drill über sich ergehen lässt, wird mit Geld und Reputation belohnt. Wer sich weigert, wird bestraft mit Verachtung und Elend. Lohn und Strafe sind die beiden Hauptmotoren der westlichen „Freiheit“, die eine lebenslange Knechtschaft unter außengesteuerter Lenkung ist.

Autonomie, „Selbstgesetzgebung“, ist die Fähigkeit des Menschen, sein Leben unabhängig von äußeren Stimuli und Weisungen zu führen. Ohne autonome Menschen gibt es keine Demokratie.

Als die frühe Moderne die Ethik dem äußerlichen Erfolg unterstellte, war es um ihre Freiheit geschehen. Die äußerliche Freiheit wurde angekettet an das Fundament innerer Unfreiheit.

Gottes Lohn und Strafe, die Peitschen des christlichen Glaubens, konkretisierten sich in gesellschaftlichem Aufstieg zu Macht und Reichtum einerseits und in Abstieg in die Gosse andererseits.

Die Ökonomie begann ihren Siegeslauf durch Spaltung der Gesellschaft in Erfolgreiche und Absteiger. Die Skinner‘sche Verhaltenspsychologie benutzte subkutane Belohnungs- und Bestrafungsstimuli (nicht in direkter Bestrafung, sondern in Abwesenheit von Belohnung). Riesmans Begriffe der außen- und innengeleiteten Gesellschaft wurden zum Klassiker der Soziologie als Beschreibung werbungssüchtiger Konsumnarren.

Das kapitalismuskritische Buch fand keinen Anklang bei den marxistischen 68ern. Denn es war geeignet, auch den Marxismus zu entblättern – als Herrschaft des materiellen Seins über das Bewusstsein.

Marx rebellierte gegen die Dominanz des Geistes, den er als Erbstück der Religion betrachtete. Er schüttete das Kind mit dem Bade aus. Denn Geist war im deutschen Synthesis- oder Kompromissrausch zur geschlechtslosen Mixtur aus griechischem und christlichem Geist geworden. Indem er Geist einseitig als christlichen definierte, bekämpfte er ihn zugleich als Subjekt der Autonomie.

So kam er zur Formulierung: das Sein bestimmt das Bewusstsein. Damit wurde er zum Urvater der sozialistischen Fernlenkung durch materielle Verhältnisse. Darunter verstand er die unveränderlichen Gesetze der Natur, die durch die Arbeit des Menschen in Kultur verwandelt wurden. Einer Kultur, die so lange ferngelenkt bleibt, bis das Reich der Freiheit seine paradiesischen Pforten öffnen wird.

Marx war in diesen Dingen ein Schüler jener französischen Aufklärer, die den Menschen zur Maschine, zum Rädchen der Natur erklärt hatten. Im Gefolge Newtons war nicht nur die Natur ein determiniertes System, sondern auch der Mensch als Geschöpf der Natur.

Seitdem Demokrit die atomare Struktur der Natur dekretiert hatte, war sie gesetzmäßig festgelegt. Der unveränderliche Strom der Atome bestimmte alle Vorgänge in der Natur, auch die Regeln des menschlichen Lebens. Epikur übernahm die Atomtheorie Demokrits, baute aber einen Zufallsfaktor ein, um den freien Willen des Menschen zu retten. Die kosmische Gläubigkeit der Stoiker hatte kein Problem, die Determiniertheit der Natur mit dem freien Willen des Menschen zu vereinigen.

„Auch die stoische Lebenskunst gründete in der Gewissheit, dass der Mensch sein Leben selbst bestimmen könnte und für sein Handeln verantwortlich war und von jeder höheren Macht absieht, die ihm sein Tun von außen vorschreibt.“ (Pohlenz, Die Stoa)

Den Stoikern folgten die meisten modernen Aufklärer, mit Ausnahme der materiellen Deterministen, die den Menschen zur unfreien Maschine erklärten. Für La Mettrie „ist der Mensch ein wahrer Automat, eine Maschine, die der beständigen Notwendigkeit unterworfen und, wie ein Schiff von der Strömung, von einem ungeahnten Fatum (Fatalismus) getrieben wird.“

Nach Helvetius werden politische und moralische Fragen nicht von Vernunft oder Wahrheit geprägt, sondern von materiellen Interessen. Gut und Böse ist nur, was den Interessen des Menschen dient oder nicht. Gesellschaftlicher Nutzen ist das Prinzip aller menschlichen Tugenden.

„Und diesem Prinzip muss man alle seine Gefühle, sogar das Gefühl der Humanität opfern.“ (Alle Zitate in „Französische Aufklärung“ von mehreren Autoren)

Nachdem Francis Bacon die Erkenntnisse der Naturwissenschaft dem Machttrieb unterworfen hatte, unterwarfen die Materialisten den Menschen seinen materiellen Interessen. Marx verabscheute die Humanität als Heuchelei der Bourgeoisie, die sie nur benutzte, um ihre inhumane Herrschaft zu festigen. Marx gehört zu den europäischen Totengräbern der Moral im Namen einer fremdleitenden Natur.

Die Vernichtung der Moral als Ausdruck einer anti-heuchlerischen, aufrechten Wahrheitsliebe hält sich bis zum heutigen Tag. Wahr ist: der Dritte Stand als Hauptträger der Emanzipation hatte die Menschenrechte proklamiert und in ihrem Namen das feudale Königtum weggefegt.

Doch kaum an der Macht, „vergaß“ der Dritte Stand, dass er auch alle anderen Stände hätte befreien müssen: die Frauen, den Vierten Stand, (in Deutschland die Juden). Die Bürger wurden Heuchler im Namen der Menschenrechte.

Woraus Marx messerscharf schloss, die Menschenrechte müssten selbst Inbegriff der Heuchelei sein. Nicht die Bürger waren es, die die Humanität zur politischen Bigotterie deformiert hatten, die Humanität selbst wurde für ihn zum Inbegriff lügenhaften Scheins. Weil Moral den unverzeihlichen Fehler beging, sich in Händen der Menschen amoralisch beschädigen zu lassen, wurde sie selbst zur Mutter aller Heuchelei.

Diese Argumentation hört man bis zum heutigen Tag. Moral wurde zum Pathos bigotter Prediger, die sie zur heuchelnden Selbstanbetung benutzen.  

Was aber wäre echte Moral? Das Abschiednehmen von jeder moralischen Selbstbestimmung, das sich Begnügen mit – Interessen. Mit Interessen der Macht und des Wohlstands. Etwas anderes kennt der moderne Mensch nicht mehr. Geistige Interessen sind dem Menschen unbekannt, denn er ist kein geistiges Wesen mehr. Bei Marx wird der Mensch zur Marionette materieller Interessen – kein Deut anders als im Kapitalismus, wo der Mensch zwanghaft nach äußerem Erfolg strebt.

Im Kapitalismus wird es Herren und Knechte bis zum Jüngsten Tag geben. Im Sozialismus wird es Knechte und Herren geben bis zum Reich der Freiheit, wo die Knechte befreit und die Herren vernichtet werden.

Eben dies ist der Grund, warum nicht nur christliche Parteien die (gottlose) autonome Moral ablehnen, sondern auch die linken Parteien, die noch immer im Sog des Marxismus segeln und sich brüsten, der bürgerlichen Moral überlegen zu sein.

Der atomare Determinismus der Griechen wurde von christlichen Abendländern übernommen und in göttliche Prädestination verwandelt. Wenn Gott der allmächtige Schöpfer der Natur ist, bestimmt er alles im Himmel und auf Erden.

Nicht nur Calvin war ein Prediger der geistlichen Vorherbestimmung, sondern auch Luther. Der benutzte nur andere Begriffe, die nicht ganz so anstößig klangen. Bei Calvin wurde die Schöpfung zur Großmaschine Gottes. Die späteren Materialisten mussten Gott nur durch Natur ersetzen und schon war alles nicht von Gott, sondern von natürlichen Gesetzen vorherbestimmt.

Calvin verwies auf den Satz: „stat pro ratione voluntas“, an Stelle der Vernunft steht der Wille. Gott war niemandem untertan, auch nicht der Vernunft, weshalb sein Wille frei blieb – für das Gute oder Böse. Wirklich frei sein, bedeutet seitdem, frei von aller Moral sein. Im Privileg der Freiheit steht mir alles offen: das Gute wie das Böse.

Auch der Begriff Offenheit ist seitdem „voluntaristisch“: eine wirklich offene Gesellschaft ist an keine Moral gebunden. Auf demselben Boden wuchs auch der Begriff des deutschen Genies, das sich keinen Normen unterwirft, auch nicht den besten und menschenfreundlichsten. Wir sind bei Nietzsches Formel: Jenseits von Gut und Böse gelandet. In diesem Umkreis konnte der Nationalsozialismus zur Ideologie der Deutschen gedeihen.

Freiheit als Ungebundenheit über alle Einschränkungen von Gut und Böse wuchs auf dem Boden göttlicher Allmacht. Wenn Natur ein determiniertes System ohne geringste Möglichkeit der Freiheit war, blieb nur eine übernatürliche Allmacht als Revier der Freiheit.

Wie befreiten sich die Menschen von ihrer Determiniertheit? Indem sie sich über die Natur hinwegschwangen in die phantastische Allmacht eines Gottes. In dieser allmächtigen Freiheit konnte es keine kleinbürgerliche Beschränkung durch Moral geben. Die nietzeanischen Übermenschen mit Willen zur (All)-Macht waren die freiesten Wesen im Universum.

Die Grenzenlosigkeit des Fortschritts und Machterwerbs sind die späten Erben der göttlichen Allmacht in der Ideologie der Gegenwart. Calvins Prädestination berief die Menschen ohne Rücksicht auf ihre guten oder bösen Taten:

„Die absolute Macht Gottes ist es, die den größten Teil der Menschheit verwirft, während sie einen kleinen Kreis von Auserwählten errettet; beides geschieht ohne jeden „Grund“ im menschlichen Sinne des Wortes, ohne jede Rücksicht auf Würdigkeit oder sittliches Verdienst.“ (Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung)

Totschlag der Moral ist Voraussetzung des Aufstiegs ins Grenzenlose. Hier zeigt sich die Doppelmoral der abendländischen Pädagogik. In jungen Jahren kindlicher Unschuld gilt die Moral des Guten und Vermeidung des Bösen. Ab der Pubertät ahnen die Heranwachsenden die Doppelmoral ihres zukünftigen Aufstiegs in die Erwachsenenwelt – und beginnen zu rebellieren.

Doch die Rebellion muss unterdrückt werden im Namen der Karriere. Könnten sie philosophisch präzis formulieren, müssten die Pubertierenden sagen: ohne amoralische Freiheit kein Erfolg in der Wirtschaft oder im technischen Fortschritt. Wie Gott ohne seinen missratenen teuflischen Sohn nichts ausrichten kann: so kann sein Geschöpf ohne Mephisto nicht zum master of universe werden.

Die Notwendigkeit eines moralfreien Ehrgeizes beschreibt WELT-Korrespondent Dirk Schümer. Ein ehrgeizloses Leben als bequemes Leben ist zwar nachvollziehbar, aber selbstmörderisch:

„Freizeit, Familie, Freundschaft, Kindererziehung, Urlaub, Party und Chillen. Kein Wunder, wenn beispielsweise in Frankreich eine Mehrheit der Jugendlichen eine Laufbahn im Staatsdienst als höchstes Lebensziel anstrebt. Einen ruhigen, sicheren Job ohne große Ambitionen, aber auch ohne Risiken, ohne hohen Zeitaufwand im rundum versorgten Mittelfeld der Gesellschaft – das ist die Utopie der Millennials, die nicht zu Unrecht fürchten, unruhige Zeiten vor sich zu haben.“ (WELT.de)

Nicht nur Schümer, die ganze WELT zittert vor dem Abstieg Deutschlands, wenn es so weitergeht mit faulen Schülern und beschämenden Pisa-Tests. Also, Deutsche, schauet nach China. Da es mit Amerika, dem bisherigen Idol der Deutschen, abwärts geht, brauchen wir ein neues.

Die Idolisierung eines überwachten Tyrannenstaates allerdings muss auf Umwegen erfolgen. Sonst gäbe es Zoff wegen undemokratischer Umtriebe. Versuchen wir‘s mit indirekten Methoden à la Bernays: es geht nicht um Idolisierung eines totalitären Staates, sondern nur um Nachahmung seiner effektiven Drillmethoden:

„Insofern können wir zwar den Kopf schütteln über die unfassbar kreative Zerstörungskraft des undemokratischen Staatskapitalismus in China oder Vietnam, über unbarmherzige Tigermütter, die dort ihre Brut zu Höchstleistungen treiben, über unsoziale Verdrängungswettbewerbe in mafiosen Sektoren, über Baubooms auf dem Rücken zurückgebliebener Vorbesitzer – all dies wird von den Bürgern dort letztendlich bejaht, weil die Älteren bitterste Armut und Rückständigkeit am eigenen Leib kennengelernt haben.“

Diese konfuzianischen Chinesen sind so weise, dass sie ihrer eigenen Unterdrückung und Kasernenhof-Dressur zustimmen. Deutsche, hört die Signale: nichts ist geiler als der Erfolg:

„Tief im Unbewussten wissen selbst noch die relaxtesten Millennials, wie sexy Erfolg ist, wie langweilig und disfunktional eine rundum verbeamtete Gesellschaft aussehen würde. Wir dürfen nicht vergessen: All der soziale und persönliche Wohlstand, den wir derzeit noch genießen, ist das Produkt gigantischer, zuweilen übertriebener, aber immer zielgerichteter Ambition. Ehrgeiz ist geil.“

Nun wissen wir, warum in Berlin nichts mehr klappt. Hier agieren Beamte, die keinen mehr hoch kriegen. Wir stehen auf solidem deutschen Boden. Hinter Schümers Preislied auf erfolgreiche Geilheit stehen Faust und Mephisto, dahinter die Theologie der pia fraus: der fromme Betrug oder der Erfolg mit Hilfe des Bösen. Das abendländische Gute, das steht fest: es ist stets das Böse, das man auf keinen Fall lässt. Oder: Gott ohne Teufel ist ein armer Teufel.

Weil Gutes und Böses zusammen gehören wie Pat und Patachon, gibt es im Kampf zwischen Greta und Donald keinen wahrhaft Guten. Der Gute ist genauso böse wie der Böse gut:

„Ihre Sprache ist einfach und klar, die Botschaften, die sie verkünden, klingen manichäisch. Es gibt die Guten und die Bösen, das Licht und die Dunkelheit, die Wahrheit und die „fake news“. Das Establishment verkennt die Zeichen der Zeit, die Elite ist abgehoben, die Medien sind ignorant. Da schwingen auch biblische Motive mit. Von Noah über Jesus bis Martin Luther geht von dem Topos, dass ein Einzelner mit viel Mut und edler Gesinnung, der vom Gros einer ungläubigen Masse verspottet und verachtet wird, enorm starke Attraktivität aus. Das wirkt auf Öko-Evangelikale, die Thunberg als Erlöserin feiern, nicht minder anziehend als auf konservative Evangelikale, die in Trump den Erfüller ihrer Hoffnungen sehen, weil er Bundesrichter nominiert, die die Bibel und die Verfassung wörtlich auslegen und nicht etwa historisch-kritisch. In beiden Fällen ist der Unterschied zwischen Zustimmung und Verehrung der jeweiligen Anhänger minimal. Was verraten die Gemeinsamkeiten von Thunberg und Trump über uns, die Menschen in den Industrienationen im Jahr 2020? In dem Maße, wie beide Typen Erfolg haben, ja glorifiziert werden, manifestiert sich offenbar ein gewisses Maß an Erlösungssehnsucht. Wir wollen ge- und errettet werden.“ (TAGESSPIEGEL.de)

Auf den ersten Blick mögen sie meilenweit voneinander entfernt sein. Genau besehen aber schwinden ihre Gegensätze:

„Was verraten die Gemeinsamkeiten von Thunberg und Trump über uns, die Menschen in den Industrienationen im Jahr 2020? In dem Maße, wie beide Typen Erfolg haben, ja glorifiziert werden, manifestiert sich offenbar ein gewisses Maß an Erlösungssehnsucht. Wir wollen ge- und errettet werden.“

Prophete links, Prophete rechts, das erlösungsbedürftige Weltkind in der Mitte. Wir wollen erlöst werden. Das nutzen diese Visionäre skrupellos aus. Visionäre aber, das weiß man seit Helmut Schmidt, sollte man in die Psychiatrie, pardon, zum Arzt schicken. Und welch ein Zufall:

„Von 1989 bis 1991 arbeitete Malte Lehming als Persönlicher Referent und Redenschreiber für den ehemaligen deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt.“

Wenn deutsche Edelschreiber in Wir-Form reden, meinen sie die anderen, dürfen es in angeborener Demut aber nicht sagen. Da Religion tabu ist, sind sie begierig darauf, in feierlichen Momenten das Tabu zu durchbrechen. Dann nämlich, wenn sie im Untergrund der christlichen Nation – unglaublich, aber wahr – Christliches erblicken. Ist es möglich, dass ein christliches Volk – christlich sein könnte? Seid stille, wir betreten heiligen Boden.

Von medialen Propheten in ekstatischer Ergriffenheit können wir keine exakten Begriffe erwarten. Greta beispielsweise kann keine Visionärin sein, denn sie beruft sich nicht auf Zukünftiges, sondern auf das, was ist. Auf knallharte Erkenntnisse der Naturwissenschaft, die sie nur hochrechnen muss. Die Zukunft, vor der sie warnt, ist nichts als die verlängerte Gegenwart, die sie konstatiert. Sie ist weder Prophetin noch Visionärin, sondern eine Prognostikerin.

Sind Edelschreiber stolz auf ihre analytischen Erkenntnisse, müssen diese christlich sein. Denn von Bethlehem kann nur Gutes kommen. Sind die Erkenntnisse aber böse, müssen sie – manichäisch sein. Der Manichäismus muss seit erdenklichen Zeiten dafür herhalten, vom Versagen des Christentums abzulenken. Als ob es im christlichen Credo keine „Guten und Bösen, Licht und Dunkelheit, Wahrheit und ‹fake news›“ gäbe.

„Manis Lehre ist durch die Unterscheidung von zwei Naturen oder Prinzipien und drei Epochen der Heilsgeschichte gekennzeichnet. Die zwei Naturen sind die des Lichts und die der Finsternis. Die drei Epochen sind die vergangene Zeit, in der die beiden Naturen vollständig getrennt waren, dann die (noch andauernde) Zeit, in welcher der Bereich der Finsternis mit Lichtelementen vermischt ist, und schließlich eine künftige Zeit, in der sie wieder (endgültig) getrennt sein werden. Wegen der Unterscheidung zweier absolut verschiedener und gegensätzlicher Naturen und der ihnen zugeordneten Reiche wird der Manichäismus zu den dualistischen Modellen gezählt.“

Alles klar auf der Andrea Doria? Fast alles ist gleich in beiden Religionen, nur am Ende erweist sich das Christentum als Einheit von Gut und Böse, von Gott und Teufel, während bei Mani ein Dualismus herrscht: Gut und Böse bleiben für immer getrennt.

Durch diese Abgrenzung entlarvt sich das Christentum als unauflösliches Gemisch aus Gut und Böse. Wenn sie gut sind, können sie nach Herzenslust böse sein. Das Dritte Reich ist rehabilitiert. Was aber geschieht mit den Bösen in ewiger Unseligkeit, die für immer getrennt bleiben von den Guten in ewiger Seligkeit? Hauptsache, der himmlische Vater segnet alles Böse als Gutes.

Der Kirchenvater Origenes wurde verfemt, weil er an die „Wiederbringung aller“ glaubte. Welch bodenlose Frechheit, an einen Gott zu glauben, der am Ende aller Tage all seine Schäfchen in finaler Versöhnung bei sich haben wollte.

„Diese als Apokatastasis panton bezeichnete Lehre wurde 553 auf dem fünften ökumenischen Konzil, dem zweiten Konzil von Konstantinopel, verworfen.“

Wer war hier dualistisch? Der verworfene Kirchenvater oder die verwerflich-verwerfende Kirche, die heute alle Christen regiert?

Der Schreiber merkt nicht, dass er die deutsche Demokratie im Meer der Erlösungswilligen versenkt. Wer erlöst werden will, hat seine Autonomie an den Nagel gehängt. Während Trump unbeirrt optimistisch sein kann, also sein bübisches Spiel bis zum Erbrechen weitertreiben darf, weil Gott das Böse so liebt wie das Gute, appelliert Greta an die moralische Selbstbestimmung des Menschen:

Mensch, kein Gott wird dir helfen, wenn du dir nicht selber hilfst.

 

Fortsetzung folgt.