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Sofort, Hier und Jetzt XXXI

Sofort, Hier und Jetzt XXXI,

bei Maischberger saß ein 17-jähriger Jugendlicher, der die ungewöhnliche Leistung vollbracht hatte, als 11-Jähriger seiner chronisch-armen Hartz4-Familie zu entrinnen und seine Vergangenheit so zu bewältigen, dass er demnächst das Abitur machen wird – um in Harvard zu studieren. Seinen Werdegang konnte er so plastisch schildern, dass die Runde ihm gebannt zuhörte.

Doch niemand der anwesenden Experten fühlte sich angeregt, auf seine Lernerfahrungen einzugehen, um die Frage nach der Armut nicht nur aus Perspektive der Zahlen zu beleuchten. Wie fühlt sich ein Kind, das in einer armen Familie aufwachsen muss? Welche Blockaden muss es überwinden, um seinen angeborenen Genen, seiner von Natur-aus-vererbten Faulheit und Renitenz gegen die Gesellschaft zu entrinnen? Bestätigte die Leistung des Jeremias Thiel nicht die Meinung der Förderer und Forderer: jeder hat die Chance, seinem Elend zu entkommen und aufzusteigen, wenn er nur will?

„Mir bricht das Herz, wenn ich an meinen Zwillingsbruder denke, der die Flucht nicht geschafft hat und noch heute die Eltern nicht verlassen darf“, sagte Jeremias. Niemand fragte ihn: warum hast du es geschafft, warum nicht dein Zwillingsbruder?

Für Sahra Wagenknecht, bekehrte Marxistin, ist die introspektive Sicht auf das Leben ein Fast-Nichts oder eine Black Box des Bewusstseins, das mit dem Sein nichts zu tun hat.

Für Rainer Hank, gelerntem Theologen und gottesfürchtigem Neoliberalen, ist Armut – getreu dem Gnadendenken seines Lehrers Hayek – jener selbstverschuldete Zustand, der zu Recht mit Ausschluss aus der ehrenwerten Gesellschaft bestraft wird. Der Staat hat keinerlei Verpflichtungen gegen solche Parasiten – außer, sie vor dem

  Verhungern zu bewahren. Reiche Steuerbetrüger hingegen nahm Hank in Schutz, indem er den Staat beschimpfte:

„Manche Menschen seien einfach nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar – und alle anderen würden sich bei der Suche nicht genug anstrengen: „Ihr seid alle faul. Es gibt genug Vollzeit-Jobs“, behauptet er.„Als es später um die Enthüllung der Cum-Ex-Deals geht, poltert Rainer Hank: «Wenn der Staat so blöde Gesetze macht, dann kann man dem Steuerbürger doch nicht vorwerfen, dass er die nutzt!»“ (WELT.de)

Kapitalismus, so Hank, ist jene phänomenale Erfindung des christlichen Abendlands, die unendlich vielen Menschen auf der ganzen Welt zur Flucht aus der Armut verholfen hat. Weniger auf dem schwarzen Kontinent (sollten Afrikaner etwa zu faul sein?), doch besonders in Asien. Was Hank nicht erwähnte: nicht nur die Zahl der Armen verringerte sich, auch die Zahl der Superreichen vergrößerte sich.

„Weltweit gibt es laut einer neuen Studie mehr Superreiche. Das Vermögen der über 2000 Milliardäre wuchs demnach im vergangenen Jahr so stark wie nie zuvor. In China ist die Entwicklung besonders rasant. Kamen alle Milliardäre der Welt 1997 noch auf ein Gesamtvermögen von knapp einer Billion Euro, hat sich die Summe mittlerweile etwa verneunfacht. (SPIEGEL.de)

Wer über Armut spricht, ohne den obszönen Reichtum zu erwähnen, sollte besser schweigen. Maischbergers Runde war so gesehen ein Desaster. Doch seit wann dienen Talkshows dem Erkenntnisgewinn?

Nicht lange her, da entrüsteten sich die Lautsprecher der Reichen, es sei ein Unding, in Deutschland von Armut zu sprechen. Absolute Arme gäbe es ausschließlich in „unterentwickelten“ Ländern. Bei uns gäbe es nur relative Arme, denen es vergleichsweise fürstlich ginge. Glaubt man das? Christliche Eliten eines luxuriösen Landes sind stolz darauf, dass ihre Armen nicht verhungern müssen. 

Arm ist, wer von der Macht der Reichen ausgeschlossen wird. Der innerste Kern des Kapitalismus ist nicht Sündengeld, sondern Macht, die vom Geld gekauft wird.

Demokratien sind ausbalancierte Machtverhältnisse, die dafür sorgen, dass niemand über niemanden bestimmen kann. Nur die Gewählten haben zeitlich begrenzte Machtbefugnisse, die sie im Interesse der WählerInnen auszuüben haben. Wenn die Balance gestört ist, wird aus einer Volksherrschaft die Herrschaft Weniger.

Kapitalismus ist längst keine Wirtschaft mehr. Denn die hätte nur den Zweck, die Bevölkerung sorgenfrei zu ernähren und den Ertrag der Arbeit gerecht zu verteilen. Alles, was darüber ist, ist demokratiefeindliche Klassengesellschaft. Macht-Befugnisse sind hinterrücks erschlichen und dienen politischen Zwecken. Wenn die Würde des Einzelnen nicht beschädigt werden darf, ist jede Gesellschaft mit geächteten Armen ein scheindemokratischer Schwindel.

Einst träumten die östlichen Gesellschaften von der Freiheit des Westens. Als sie endlich die Tyrannei abgeschüttelt hatten, erhielten sie den Kapitalismus – seitdem regredieren sie in ihre frühere Unfreiheit, die sie für erträglicher halten als zügellose Macht des Geldes.

Der Zweck des Lebens besteht nicht im Arbeiten, sondern im Leben. Die einfachsten Wahrheiten jener Urvölker, die man für Wilde hält, weil einige Aufklärer sie für Edle hielten, sind von der Moderne unter den Teppich gekehrt worden. Arbeit ist nur in dem Maße not-wendig, als sie das Überleben garantiert. Nicht-notwendige Arbeiten, welche freien Bedürfnissen der Menschen entspringen wie Philosophieren oder Kunst bestreiben, nannten die Alten scholé, Muße. Bei uns wurde Muße zum Müßiggang, dem Anfang aller Laster.

Die SPD will das BGE verhindern, weil Fronarbeit für sie das A & O des Lebens ist. Die einstige gottlose Partei hat sich vollständig unter die Knute der Priester geduckt, für die Arbeit nichts ist als lebenslange Sündenstrafe.

Ein Herr Müller, Bürgermeister in Berlin, hat den Begriff Grundeinkommen entwendet, um es durch Beifügen des Wörtleins „solidarisch“ in billige Pöbelarbeit zu verfälschen – natürlich zum Wohl der Gesellschaft.

Dabei müsste jede Arbeit im Dienst der Gesellschaft stehen, auch wenn sie egoistischen Zwecken dient. Angeblich ist der Kapitalismus so organisiert, dass Egoismus und Altruismus zusammenfallen. Eine mündige Gesellschaft bräuchte keine unsichtbare Hand, um den Widerspruch zu versöhnen. Das war die Idee von Adam Smith. Der heutige Neoliberalismus denkt gar nicht daran, Eigen- und Fremdinteressen auszugleichen. Auf Smith dürfte er sich nicht berufen.

Endlos darf die Gesellschaft auseinanderdriften und keine SPD erklärt: ohne uns. Im Gegenteil: SPD-Verräter wie Schröder werden von einstigen Gegnern dafür gerühmt, dass er durch Demütigen und Ausplündern der Schwachen die Wirtschaft ankurbelte – damit die Gewinne in die Taschen der Wenigen sprudeln. Sein Motto war nicht Fördern und Fordern – wie man an der Biografie des Jeremias entnehmen kann – sondern Diffamieren und Strafen.

Wenn immer es der Wirtschaft schlecht ging – es ging ihr immer schlecht, denn ihre Gier war grenzenlos und unstillbar – mussten die Schwachen als Sündenböcke herhalten. Das gehört zur Tradition des Kapitalismus seit seinen Anfängen. Für die Herausbildung des freien Marktes war die englische Reform der Armengesetzgebung ausschlaggebend.

„Der Poor Law Act von 1834 hatte schwerwiegende Folgen. Er setzte das Existenzminimum niedriger an als das unterste Lohnniveau und stigmatisierte die Empfänger staatlicher Unterstützung, die nur in besonderen Härtefällen und unter entwürdigenden Bedingungen gewährt wurde. Das wiederum schwächte die Familien.“ (John Gray, Die Falsche Verheißung, Der Globale Kapitalismus und seine Folgen)

Die Schwächung der Familien wird noch heute fanatisch fortgesetzt: auf allen ökonomischen und psychologischen Ebenen. Die Menschen müssen frühzeitig auseinandergerissen werden, sonst machen sie sich des Frevels übermäßiger Bindung schuldig. Die atomisierte Funktionalität muss bereits in den Windeln beginnen.

Schreikinder müssen mit barbarischen Methoden zum Verstummen gebracht werden. Sonst bestünde die Gefahr, „dass Kinder etwas nicht lernten, das in Zukunft möglicherweise noch wichtiger sein wird als in diesen Tagen: Durchhaltevermögen. Andere nennen es Frustrationstoleranz.“ (ZEIT.de)

Nicht das Wohl des Kindes, sondern das einer kalten Gesellschaft ist gefragt, die ihren Herrschaftsbereich über das gesamte Leben der Gattung ausdehnt. Frustrationstoleranz heißt Unempfindlichkeit gegen unverschämteste Kränkungen und Zumutungen.

Neoliberalismus ist der Wahn, wenigen müsse es gut gehen, wenn es vielen schlecht geht. Neoliberale Gesellschaften werden von Grundängsten beherrscht, die nur durch steigende Arbeitswut therapiert werden können.

Die Lösung aller Probleme besteht in der – Lösung aller von allen. Das unbehindert fungible Individuum ist die Goldgrube für eine winzige Clique von Alleinherrschern. Alle Beziehungen, die nicht der Bindung an Geld und Gier dienen, müssen ausgerottet werden. Der Sieg des Neoliberalismus bis in die intimsten Lebensbeziehungen ist vollständig und kann durch nichts mehr überboten werden. 

Nachdem sich der Adel die Allmende, das gemeinsame Eigentum der Bauern, mit Gewalt angeeignet und die Dörfler ins Elend getrieben hatte – dem diese nur entkommen konnten, wenn sie sich den noch schlimmeren Schinderfabriken unterwarfen –, hatten sie es geschafft, die seit Urzeiten bestehende Autarkie der Menschen in kapitalistische Dauerabhängigkeit umzuwandeln. Dauerabhängigkeit ist der blasse Begriff für Knechtschaft, die zum planetarischen Übel wurde. Die bevorstehende Digitalisierung wird dem Übel die Talmikrone des Fortschritts aufsetzen.

Wenn Braunkohle-Malocher gegen Baumbesetzer ihre Arbeitsplätze verteidigen, können sie mit Verständnis und Sympathie rechnen. Ökologischer Fortschritt hingegen wird hierzulande mit scheelen Augen betrachtet. Sinnfreie Parolen wie: „Ist ein Baum mehr wert als ein Mensch?“, sollen die übertriebene, ja menschenfeindliche Politik der Naturschützer desavouieren.

Ein Ministerpräsident namens Laschet meint gar, was nützen erhaltene Bäume, wenn Arbeitsplätze ins Ausland exportiert werden? Da müssten die Techniker über magische Fähigkeiten verfügen, wenn sie die monströse Braunkohlengrube ins Ausland transportieren wollten.

Was wäre, wenn die durch Digitalisierung wegrasierten Arbeitsplatzinhaber gegen ihr Überflüssigwerden genauso demonstrierten wie die Braunkohlearbeiter? Alle Eliten, von der Politik bis zu den flankierenden Medien, würden empört über sie herfallen. Jeder habe die Pflicht, so kreativ zu sein, dass er sich eine neue Arbeit aus dem Ärmel ziehen kann. Wer dazu nicht fähig ist, den bestrafe das Leben mit gerechtem Abstieg.  

Rate, von wem die folgende Aussage ist: „Das Problem der Arbeitslosigkeit als Preis der Automatisierung ist nicht mehr eine Vermutung, sondern eine sehr wesentliche Schwierigkeit der modernen Gesellschaft.“ Schrieb Norbert Wiener, einer der Väter der Kybernetik, bereits in den 60er Jahren des verflossenen Jahrhunderts. („Gott und Golem“)

Fortschritt, so wurde stets geflunkert, stehe im Dienst der Menschen. Was bedeuten würde: entwürdigende und entfremdete Maloche müsste ständig reduziert werden. Denkste. Harte Körperarbeit wurde zwar ausgerottet, dafür aber der Arbeitszwang derart ausgedehnt, dass er heute das ganze Leben mit Angst und Schrecken erfüllt. Weil die Furcht vor Abstieg und Ausschluss zum Arbeitsmotiv aller Abgehängten wurde.

Die vornehmsten Tätigkeiten der Gesellschaft wie Pflege der Alten, Arbeiten als Krankenschwester oder Kita-Erzieherin werden mit lächerlichen Löhnen diffamiert. Es geht auch nicht mehr um körperliche Anstrengungen, es geht um ein allpräsentes Unsicherheits- und Bedrohungsklima: wehe, du fällst zurück und kannst nicht mehr Schritt halten mit dem Fortschritt, dann wirst du geächtet. Hartz4-Ämter sind Würde-Entzugsämter.

Der Fortschritt hat sein Geheimnis längst an der Börse entlarvt: es geht allein um wachsende Gewinne der Reichen. Die Welt wird schon jetzt von einer EINPROZENT-Klasse beherrscht, die ihren Einflussbereich ununterbrochen erweitern muss. Noch ist diese Führungsklasse durch nationale Schwellen teilweise gespalten. Doch sie unterlassen keine Anstrengung, um die lästigen Behinderungen durch Freihandel zu überwinden. Der ganze Planet soll ungehindert den Superreichen zur rücksichtslosen Verfügung stehen.

Indem sie ständig neue Geldmassen drucken, die in keinem Verhältnis mehr zu ihrer Produktion von Dingen stehen, müssen sie ihre gigantischen Spekulationsgelder auf der ganzen Welt anlegen. Wenn es nichts Lukrativeres mehr gibt, dann eben in Wohnungen, die deshalb in Ballungsgebieten unerschwinglich werden. Der unbehauste Mensch – siehe, er wird zur Realität.

Merkel, neoliberale Jüngerin bis auf die Knochen, und ihre Groko-Kohorten schauen dem Treiben wohlwollend zu. Sie kennen nur Wohlstand als Index von Erfolg. Wem das nicht genügt, könne sich ja an die vorhandenen Erlöserreligionen halten. Nein, sie wollen nicht? Pech für sie, dann haben sie nichts Besseres verdient als Leben in der Angst vor Leistungsverlust und Abstieg, den beiden exzellentesten Pädagogen des Neoliberalismus.

Als es in der Frühzeit des Kapitalismus gelang, die Landbewohner ihrer Autarkie zu berauben und rundum abhängig zu machen, glaubten die Mächtigen dennoch, jeder Mensch habe für sich selbst zu sorgen.

„Die Meinung der mittelständischen Ökonomen war, dass alle Leute die Arbeit akzeptieren müssten, die der Markt anbot und jeder für Unfall, Krankheit und Alter selbst Vorsorge treffen müsste. Der Restbestand der Versager konnte zwar nicht dem Hungertod ausgesetzt werden, aber man sollte ihnen nicht mehr als das absolute Minimum zukommen lassen. Die Armengesetze dienten nicht dazu, den Unglücklichen zu helfen, als vielmehr dazu, die sich selbst schuldig bekennenden Versager zu brandmarken. Es hat kaum jemals unmenschlichere Gesetze gegeben als das Armengesetz von 1834, welches jedwede Hilfe weniger erstrebenswert machte als den niedrigsten Lohn, sie auf das gefängnisartige Armenhaus beschränkte, dabei Männer, Frauen und Kinder zwang, sich voneinander zu trennen und die Armen für ihr Elend bestrafte. Die Reform des Armenrechts zielte darauf, die Verantwortung für Sicherheit und Absicherung im Unglücksfall vom Staat fernzuhalten, auf den Einzelnen zu übertragen und Arbeiter dazu zu zwingen, Arbeit zu jedem Lohn anzunehmen, den der Markt bestimmte. Das gleiche Prinzip erkennen wir in den vielen „Reformen“ des modernen „Sozialstaats“. (Gray)

Das gefängnisartige Armenhaus aus dem vorletzten Jahrhundert ist das Vorbild der Schröder‘schen Hartz4-Gesetze. Das Gefängnis ist heute die eingeschränkte Mobilität, Residenzpflicht genannt, und das Damoklesschwert drohender Strafen bei geringsten Nachlässigkeiten.

Das Ressentiment von Aufsteigern, die ihre Herkunftsschicht hassen, ist zum Markenzeichen einer sozialen Gesellschaft geworden. Schröder, Clement, Müntefering und wie sie alle heißen, entsprechen dem altrömischen homo novus, dem Emporkömmling in der Oberschicht:

Homo novus (neuer Mensch) bedeutet sinngemäß übersetzt Emporkömmling, auch Neuling (Aufsteiger). Gemeint war damit im antiken Rom, insbesondere während der Zeit der römischen Republik, ein Mann, der als Erster aus seiner Familie das Konsulat bekleidete oder in ein höheres Amt eintrat. Die Senatorenfamilien verstanden sich als geschlossene Gemeinschaft. Deshalb wurde es auch nicht gerne gesehen, dass jemand, der aus einer unbekannten Plebejerfamilie stammte, plötzlich öffentliche Ämter bekleidete. Besonders ablehnend waren diejenigen Senatorenfamilien, die der winzigen Gruppe der Nobilität angehörten, die während der Republik quasi sämtliche Konsuln und Zensoren stellten.“

Die SPD verrät alle denkbaren Arten von Gerechtigkeit (mit Ausnahme der platonischen, die die Herrschaft der Besten für naturgemäß hielt), die sie im Laufe ihrer Geschichte je gefordert hat. Sie ist komplett übergelaufen auf die Seite derjenigen, die den Pöbel als negativen Kontrast ihrer Selbstherrlichkeit benutzen, um ihre Moraldefekte als Gesetze des Seins zu zementieren.

Natürlich sind sie nur äußerlich aufgestiegen, die Neuen Männer. In Wirklichkeit werden sie von den Mächtigsten und Einflussreichsten der Oberschichten emotional geschnitten. Heimlich rümpft man die Nase über die Prahlhänse. Schröder mimt den Proleten-Berlusconi mit Armani, Zigarren und ständig neuen Liebschaften, die er als Spießer immer noch zum Traualter führen muss.

Am Sonntag soll sich Entscheidendes ereignen, sagen die Auguren. Sollten die Groko-Parteien ihr Gesicht verlieren, könnten sich Merkel und Nahles nicht mehr halten.

Rechtzeitig zur Wahl gibt Merkel die Energische, um ihr Image als führungsunfähige Nachbereiterin zu korrigieren. Sie will die ökologischen Fahrverbote aufheben und telefonierte mit dem saudischen Despoten, um ihm energisch den Marsch zu blasen.

Nichts wird sich tun, selbst, wenn sie gehen müsste. Welcher potentielle Nachfolger sollte wirkliche Alternativen zur Verfügung haben? Dasselbe trifft auf Nahles zu.

„Wenn wir uns für den Rest des Jahrzehnts damit beschäftigen wollen, was 2015 vielleicht so oder so gelaufen ist, und damit die ganze Zeit verplempern, dann werden wir unseren Rang als Volkspartei verlieren“, rief die Kanzlerin aus. „Deshalb fordere ich, dass wir uns jetzt um die Zukunft kümmern.“ (Merkel)

„Ich bin entschlossen, den Rücken gerade zu machen, die Ärmel hochzukrempeln, zu kämpfen.“ (Nahles)

Merkel fährt komplett auf der Schiene neoliberaler Vergangenheitsverdrängung, die keine Fehler wahrnehmen will. Besinnungslos durch die Nacht himmlischer Herausforderungen. Sie ist geschützt in Gottes Hand. Der heidnische Rest ist ihr vertragsgemäß schnuppe. Merkels Leitdevise ist jesajanisch:

„Gedenkt nicht an das Alte und achtet nicht auf das Vorige! Denn siehe, ich will ein Neues machen; jetzt soll es aufwachsen, und ihr werdet’s erfahren, daß ich Weg in der Wüste mache und Wasserströme in der Einöde.“

Nahles Zaubermotto ist das einer energischen Proletin und Marktschreierin. Nicht nachdenken, keine Muße der Selbstbesinnung, sondern ranklotzen, ohne das Gehirn mit exzentrischen Gedanken zu belasten.

Beide Damen wollen nichts lernen. Lernen erforderte nämlich Anamnese, Erinnerung. Nur wenn ich weiß, warum ich irrte, kann ich alternative Schlussfolgerungen ziehen.

Lernen durch Versuch und Irrtum ist nicht die trefflichste Bezeichnung für erkennende Selbstkorrektur. Denn Versuch und Irrtum orientieren sich allein am Erfolg. Erfolg aber ist zweischneidig und kann reine Anpassungsleistung an Falsches sein – wenn das Falsche die Norm der Gesellschaft ist.

Massenneurose schützt vor Einzelneurose. Erfolg in einer kranken Gesellschaft ist krank. Nur bedingungsloses Forschen nach Wahrheit kann von gesellschaftlichen Anpassungszwängen befreien. Das aber erforderte ein Moratorium der Muße. Spätestens hier wiehern alle fremdbestimmten Leistungs-Neurotiker.

Die CDU will sich nicht erneuern. Sie hat sich das Monopol der Macht erobert, welches sie weiterhin konservieren will. Schein-Erneuerungen wären höchstens nötig, um traditionelle Machtstrukturen aufrechtzuerhalten. Echte Erneuerung wäre für eine Christenpartei ohnehin das Privileg klerikaler Sakramente oder des Erlösers. Menschen sind zur Erneuerung nicht fähig.

Die SPD will sich erneuern – sagt sie. Aber sie hat keine Ahnung, was Erneuerung sein soll. Hat sie nicht ausreichend gearbeitet, nicht genügend die Ärmel hochgekrempelt? Was anderes fällt ihr zum Thema Erneuerung nicht ein.

Besinnungslose Arbeit ist ihr Lebenszweck. Geistige Arbeit wurde den Proleten von Urvater Marx verboten, der jede philosophische Betätigung – außer der seinen – als sinnlos abtat. Er hatte die Gesetze des Seins und der Geschichte gefunden. Seine Parteigänger hatten nur noch das Recht, an diese Gesetze zu glauben. Die SPD wird sich nicht erneuern. Möglicherweise wird sie einige Charakterdarsteller austauschen.

Was aber, wenn die Krise der Gegenwart eine denkerische wäre? Wenn die Menschen tief im Innern ahnten und spürten, dass unser Denken nicht mehr übereinstimmte mit unserem Tun? Wenn unsere Linke nicht wüsste, was die Rechte tut?

Hauptgrund für die Unfähigkeit, sich zu erneuern, ist der von allen Seiten geforderte Glaube: der Mensch ist nicht Herr seines Schicksals. Bildet er sich ein, Schöpfer seiner Geschichte zu sein, ist er bereits verloren. Seine gott-verneinende Überheblichkeit wird ihn Kopf und Kragen kosten.

Merkel und Nahles sind gläubige Frauen. Ihr kapitalistischer Ehrgeiz entspricht ihrer Ambition, persönlich den Himmel zu erringen. Voraussetzung der individuellen Seligkeit ist die Bereitschaft zur Kapitulation. Je umtriebiger und hektischer das kapitalistische ADHS-Syndrom, je demütiger und selbstverneinender muss ihre konträre Seite sein.

Ein schweizerischer Jesuit sieht Christentum und Kapitalismus als untrennbare Einheit:

„Ich vertrete die Auffassung, dass aus christlicher Sicht nicht nur nichts Verwerfliches am Kapitalismus ist, sondern dass er im Gegenteil eine Wirtschaftsordnung darstellt, die tatsächlich am ehesten den Prinzipien christlicher Ethik und Soziallehre entspricht. Kapitalismus und Marktwirtschaft entsprechen auch aus erkenntnistheoretischen Gründen der menschlichen Natur. Sie lösen auf optimale Weise das sogenannte Wissensproblem, wie es vor allem von dem Ökonomen und Sozialphilosophen Friedrich August von Hayek analysiert worden ist. Es gründet in der Natur des Menschen und seiner Endlichkeit: Die Anmaßung, vollständiges Wissen und dadurch völlige Beherrschung der Welt zu erlangen, heißt, menschlichen Kräften zuzuschreiben und zuzumuten, was allein göttlichem Allwissen zusteht. Sozialismus und „social engineering“ stellen Formen dieser Anmaßung dar – die aufgrund der Schwäche seiner Natur für den Menschen immer eine Versuchung bleiben werden. (Marin RhonheimerMises-Institut)

Der pietistische Liederdichter Gerhard Tersteegen hat den gelehrten Slang in schlichten Versen wiedergegeben:

Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten
und in Ehrfurcht vor ihn treten.
Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige
und sich innigst vor ihm beuge.
Wer ihn kennt,
wer ihn nennt,
schlag die Augen nieder;
kommt, ergebt euch wieder.          

Wie können sie sich erneuern, wenn sie sich beugen und ergeben sollen?

 

Fortsetzung folgt.