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Sofort, Hier und Jetzt XXIX

Sofort, Hier und Jetzt XXIX,

im Finale des Geschlechterkampfes um die Weltherrschaft stehen Milliarden Vulven bereit, um Milliarden Schlappschwänze in die Flucht zu schlagen. Eine Vulva hat Lippen, Schamlippen, hinter denen die Männer grausame Zähne vermuten, die sie zermalmen und – wegen Ungenießbarkeit – ausspucken werden.

Der einen Utopie ist der anderen Dystopie, um die Begriffe Himmel und Hölle dezent zu vermeiden. Das wird nichts mehr mit einem geschlechterübergreifenden Snoezelen am Ende der Geschichte – das ohnehin abgesagt wurde.

Snoezelen? „Das Wort kommt aus den Niederlanden, eine Mischung aus dösen und kuscheln. Ein weißer Raum mit sanft wechselndem Licht. Entspannte Musik und Kuschelkissen.“

Mittelalterliche Kleriker, hervorragende Experten der Vulva, verglichen die weibliche Lustpforte mit dem “gähnenden Schlund der Hölle“, weshalb sie den technischen Fortschritt erfanden, der das Weibliche aus der Evolution verbannen wird. Dabei kannten sie die Vulva noch gar nicht. Evolutionsforscher fanden sie erst vor kurzem auf wagemutigen Expeditionen: geschickt versteckt hinter schambehaarten Scheiden-Eingängen. In Simone de Beauvoirs Feministenkatechismus „Das andere Geschlecht“ suchst Du das Wort vergeblich.

Scheide? „Schmale, längliche, der Form der jeweiligen Klinge angepasste Hülse aus festem Material, in die eine Hieb- oder Stichwaffe bis zum Knauf hineingesteckt wird.“

„Drei Dinge sind unersättlich: die Wüste, das Grab und die Scheide der Frau“, predigen heilige Männer. Mund und Vulva werden von Männern gleichgestellt, weshalb die verführerischen Lippen der Frau bedeckt werden müssen.

Solche Bedeckungen sind natürlich rückständig. Moderne Frauen brauchen keine Burkas, um ihren unwiderstehlichen Liebreiz gierigen Männerblicken zu

  entziehen. Sie dringen in das kapitalistische Reich der Männer ein, das ihre ästhetische Aura durch Konkurrenz von selbst reduziert. Fabrikhallen und Großraumbüros müssen asexuell sein, damit Metoo-Beschwerden nicht das Produktionswachstum gefährden.

„Kümmert euch nicht um euer Aussehen, kümmert euch um euren Verstand“, lautet die Direktive für strebsame Frauen auf der Eingangspforte zur Männerhölle. (SPIEGEL.de)

Die feministische Frau will unabhängig vom Mann werden. Was sie übersieht: der gottgleiche Mann will seit 2000 Jahren unabhängig von der Gebärfähigkeit der Frau werden. Weshalb er Technik und Fortschritt erfand, um die Frau für immer überflüssig zu machen. Wer unter Autonomie völlige Unabhängigkeit versteht, darf sich über eine atomisierte Gesellschaft nicht wundern.

Wenn Frauen wie Männer aussehen, wie Männer auftreten und Macht auf Männerweise ausagieren – was man an erfolgreichen Politikerinnen beobachten kann –, ist die elementarste Waffe des Weibs entschärft. Was nützt es der Frau, dem Mann die Macht abzujagen, wenn diese unverändert maskuline Entfremdungs- und Ausbeutungsmacht bliebe? Wäre es nicht sinnvoller, Männerherrschaft durch Zerstören des Kapitalismus zum Einsturz zu bringen?

Zudem könnte das Leben mit Kindern politisch weitaus effektiver sein als fremdbestimmtes Malochen unter der Knute männlicher Profitgier. Wer erzieherisches Begleiten der Kinder ins Leben nicht als politischen Kampfsport erlebt, hat das Prinzip Erziehung noch nicht verstanden.

Wenn Erwachsene, die ihre Brut inzwischen hassen müssen, die Zukunft der Kinder radikal gefährden, sollte pädagogische Fürsorge im apolitischen Winkel stattfinden können? Never ever.

Den Künsten der Männer ist es gelungen, sich im Geschlechterkampf als aggressiv-überlegene Angreifer zu profilieren. Dabei handeln sie nur nach dem bewährten Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. In Wahrheit ist es nicht der Mann, der die Frau „nimmt“, um sie zu „besitzen“. Ejakulieren war vielmehr der Verlust männlicher Kraft. „Consummatio“ als priesterlicher Ausdruck für den Vollzug der Ehe ist eng verwandt mit „konsumieren, verzehren“: beim Vollzug der Ehe wird der Mann konsumiert und entsorgt.

Umgekehrt wurde kapitalistisches Konsumieren zur sexuellen Ersatzhandlung, erotische Begegnung zu sexuellem Konsumieren degradiert.

Das muss man sich mal vorstellen: „Priesterinnen von Bast, welche die Göttin repräsentierten, hoben während einer religiösen Prozession ihre Röcke hoch, um ihre Genitalien zu entblößen. Für Griechen waren solche Darbietungen erschreckend. Bellerophon floh in höchster Angst vor lykischen Frauen, die sich ihm mit entblößten Genitalien näherten. Selbst Meeresgott Poseidon zog sich zurück aus Angst, dass sie ihn verschlängen.“

Nun verstehen wir die entblößte Weiblichkeit der Gegenwart als allpräsentes Werbemittel. Die Gefahr der überlegenen Frau soll durch endlose Quantität – entschärft und disqualifiziert werden. Was in unbegrenzter Visualität verfügbar scheint, hat seine Macht verloren. Angebot im Übermaß ist Ramschware.

Niemand stellte die Frage: warum wird die Vulva erst jetzt entdeckt? Warum haben Männer – ja in vorauseilendem Gehorsam selbst die Frauen – keine Ahnung von der Lustgrotte, der christlichen Hölle, der platonischen HÖHLE, in der die Männer ein geknechtetes Dasein in Finsternis fristen müssen?

„Platon beschreibt eine unterirdische, höhlenartige Behausung, von der aus ein rauher und steiler Gang nach oben zur Erdoberfläche führt. Der Gang ist ein Schacht, der in Höhe und Breite der Höhle entspricht. In der Höhle leben Menschen, die dort ihr ganzes Leben als Gefangene verbracht haben. Sie sind sitzend an Schenkeln und Nacken so festgebunden, dass sie immer nur nach vorn auf die Höhlenwand blicken und ihre Köpfe nicht drehen können. Die Höhle versinnbildlicht die Welt, die sich den Sinnen darbietet, die normale Umgebung des Menschen, die man gewohnheitsmäßig mit der Gesamtheit des Existierenden gleichsetzt. Der Aufstieg ans Tageslicht entspricht dem Aufstieg der Seele von der Welt der vergänglichen Sinnesobjekte zur „geistigen Stätte“, der intelligiblen Welt, in der sich das nur geistig Erfassbare befindet.“

Erklärung: „Das Hineinschauen, Berühren und Eindringen in die weibliche Geschlechtsöffnung scheint mit geheimen Ängsten befrachtet, die in einer Unzahl von Männerhirnen und -mythen durch Gleichsetzung des Koitus mit dem Tod zum Ausdruck kommen. Seelenkenner sprechen davon, dass viele Männer den Geschlechtsverkehr unbewusst als Sterben empfinden. „Jeder Orgasmus ist ein kleiner Tod, der Tod des „kleinen Mannes, des Penis“.“

Der kleine Mann auf der Straße ist demnach der Kleinschwänzige, der es mit den Riesenphalli der Oberen nicht aufnehmen kann. Trump strotzt vor sexueller Grandiosität, mit der er seine politische Unvergleichlichkeit unterstreichen will.

Die Tabuisierung der Vulva hat den weiblichen Po ersatzweise zum Lustorgan Nummer eins erhoben.

„Das Urbild des verschlingenden weiblichen Genitals scheint in der Moderne noch lebendig. Die Männer unserer Gesellschaft verspüren große Angst vor dem direkten Kontakt mit dem weiblichen Genital. Sie fürchten sich sogar, ihre Lust darauf zu beziehen. Ihre Gefühle übertragen sie auf sekundäre Geschlechtsorgane, auf Hüften, Beine, Brüste, Gesäß, auf die sie eine übersteigerte Lust befällt.“

Nur konsequent, dass eine Männerreligion das Urweibliche zur Unreinheit erklärt. Kinder gebären und Menstruieren werden mit Isolierung bestraft. Mädchen bekommen ist unreiner als Knaben. Der faschistoide brasilianische Präsidentschaftskandidat Bolsonaro, ein fanatischer Christ, erklärte, geschwächelt zu haben, als er ein Mädchen zeugte.

„Rede mit den Kindern Israel und sprich: Wenn ein Weib empfängt und gebiert ein Knäblein, so soll sie sieben Tage unrein sein, wie wenn sie ihre Krankheit leidet. Und am achten Tage soll man das Fleisch seiner Vorhaut beschneiden. Und sie soll daheimbleiben dreiunddreißig Tage im Blut ihrer Reinigung. Kein Heiliges soll sie anrühren, und zum Heiligtum soll sie nicht kommen, bis daß die Tage ihrer Reinigung aus sind. Gebiert sie aber ein Mägdlein, so soll sie zwei Wochen unrein sein, wie wenn sie ihre Krankheit leidet, und soll sechsundsechzig Tage daheimbleiben in dem Blut ihrer Reinigung.“

Wenn eine Frau ihre Regel hat, ist sie krank. Ebenso, wenn sie Kinder zur Welt bringt. Mädchen gelten als doppelt so befleckt wie Knaben. Natürliche Vorgänge sind unrein und müssen von krankhaften Befleckungen gesäubert werden. Besonders von jenen, die Frauen eigentümlich sind. Der Neid der Männer muss die überlegenen Fähigkeiten der Frau in Nachteile umwandeln. Alles, was mit weiblichen Lust- und Gebärorganen zusammenhängt, hat abscheulich und abstoßend zu sein.

Die Degradierung des Natürlichen, besonders des weiblichen, ist Grund der ökologischen Naturverwüstungen. Was minderwertig, abscheulich und vergänglich ist, muss langfristig vernichtet werden. Naturverwüstung ist prophylaktische Apokalypse:

„Auf einer theologischen Tagung, die 1970 in Kalifornien stattfand, waren sich praktisch alle Gelehrten einig, dass die christliche Haltung zur Natur die Ausbeutung der Umwelt durch Wissenschaft und Technik sanktioniert und so zu Luft- und Wasserverschmutzung und anderen ökologischen Bedrohungen beigetragen hat. Lynn White schrieb: Eine der Ursachen für unsere gegenwärtige Krise ist in den jüdisch-christlichen Traditionen zu suchen die von der Herrschaft des Menschen über die Natur sprechen. Mit der Zerstörung des heidnischen Animismus hat es das Christentum möglich gemacht, die Natur in einer Haltung der Gleichgültigkeit gegen die Gefühle natürlicher Objekte auszubeuten.“

Die ganze Natur ist eine Vulva: ergo muss sie überflüssig gemacht werden. Den heidnisch-femininen Kern der Ökologie haben die Grünen längst an der Garderobe der Kirchen abgegeben.

„Das weibliche Geschlecht wurde lange totgeschwiegen, weil es dem Schöpfer angeblich Konkurrenz machte. Im 5. Jahrhundert wurde in Kirchenkreisen darüber diskutiert, ob eine Frau mit ihrem Geschlechtsorgan überhaupt in den Himmel kommen könne, da sie Gott damit Konkurrenz mache. Man einigte sich darauf, dass sie schon in den Himmel kommen könne – sie müsse aber ihr Genital vorher abgeben. Einen der Hauptgründe, warum die Vulva so radikal aus der Geschichtsschreibung entfernt wurde, vor allem durch Religionen und männliche Ärzteschaft, sieht die Autorin Sanyal darin, dass das Organ die Schöpfung per se symbolisiert und damit „der ultimativ dem Gottvater zugeschriebenen Fähigkeit, Leben zu schaffen, Konkurrenz“ macht. Die Vulva im Widerstreit zu Gott – und all seinen Vertretern auf Erden. Ein Machtkampf.“ Schreibt Jana Petersen in der ZEIT. (ZEIT.de)

Ein selbstbewusster Feminismus wäre antikapitalistisch, religionskritisch und ökologisch. Verbotenes Grapschen und Vergewaltigen bezieht sich nicht nur auf individuelle Frauen, sondern auf die gesamte weibliche Natur.

Die Frage ist, warum Frauen sich nur in zaghaften Schritten gegen die Vorherrschaft der Männer wehren. „Vergewaltigte Frauen zögern oft, ihre Angreifer zu verletzen – indem sie ihnen etwa in die Augen stechen oder in die Hoden treten –, selbst wenn sie die Möglichkeit gehabt hätten.“

Frauen als Mütter der Menschheit fühlen sich für alles verantwortlich, selbst für die Untaten der Männer, von denen sie drangsaliert werden. Versagten sie nicht als Hüterinnen des Lebens, wenn Männer, die auch ihre Kinder waren, sie als Beute behandeln?

Versteht sich, dass Frauen immer selbst schuld sind, wenn Männer sich an ihnen vergreifen. Warum sind sie so verführerisch, warum machen sie den Männern schöne Augen? Warum mussten sie im nächtlichen Park joggen, warum müssen sie Karriere machen und alle hilflosen Weinsteins dieser Welt beschlafen?

Müssten nicht auch Männer die Frauen für alles irdische Elend anklagen?

Tun sie doch: „Kirchenväter gaben der Mutter die Schuld, dass jedes Leben dem Tod geweiht ist. Denn sie war es, die nur endliches Leben schenkte. Anstatt Gott für die Vertreibung Adams und Evas verantwortlich zu machen, beschuldigten die Kirchenväter nur die Eva. In Jesus Sirach steht: „Ihretwegen sterben wir alle“. Eva, so die frommen Herrn, wurde von der teuflischen Schlange geschwängert und gebar den Tod. Paulus gab Eva die alleinige Schuld am Sündenfall und sprach Adam frei: „Nicht Adam wurde verführt, sondern die Frau ließ sich verführen und übertrat das Gebot.“ Für Tertullian war Eva sogar am Tode Jesu schuld. Für Eva gab es keine Vergebung.“

Dem scheint zu widersprechen, dass männliche Kommentatoren die politische Mutter der Deutschen zwischenzeitlich zwar heftig attackieren, ihre Regierungskünste im Allgemeinen aber mit Nachsicht betrachten. Am Ende überwiegt der patriarchalische Gnadenakt: für eine Frau ganz ordentlich, hätten wir nicht erwartet.

Das Lob der fleißigen, aber konzeptlosen Durchwurstlerin ist vergiftet. Als es Deutschland gut zu gehen schien, war die Rolle einer gestaltenden Politik überflüssig. Aktivistische Politik konnte die Vorherrschaft der Wirtschaft nur stören. Deshalb war zurückhaltendes Wirtschaftsbewundern seitens der Regierung das Beste, was Deutschland passieren konnte. Erst jetzt, wo das Vaterland ins Trudeln kommt, werden einige Herren nervös über die Passivität der Magd Gottes. Wenn in Not-zeiten Politik not-wendig wird, sollte die Kanzlerin erkennen, dass sie überfordert ist. Und Tschüss.

Wenn die Gebärfähigkeit der Frau minderwertig ist, kommen die Herren der Schöpfung durchaus auf die Idee, das Gebären selbst zu übernehmen. Gesagt, getan: Geburt wird zur Wiedergeburt, Gebären zum genialen Kreieren, Produzieren, zum täglichen Neuerfinden – durch Wissenschaft und Technik.

Gebären durch den Mann ist so alt wie die Genesis oder das Gebären der Athene durch Zeus. Natürlich musste das weibliche Zeugen übertroffen werden, indem der Mann seine Kreation erst tötete, um sie am dritten Tage auferstehen zu lassen. Gebären war Sterben und Wiedergeboren werden. Das Musterexemplar des göttlichen Wunderknaben musste der Welt beweisen: quält mich, martert mich, wetten, dass ihr meine Göttlichkeit nicht unterkriegt?

Da dem Mann alle Gebärkompetenzen fehlten, musste er die Vulva durch – den Mund ersetzen. Gott sprach – und es wurde. Am Anfang war das Wort. Die Sprache des Mannes wurde zum Geist, der der abstoßenden Sinnlichkeit der Vulva um Welten überlegen war. Der Geist machte sich unabhängig von der Natur und erfand mit einer künstlichen zweiten Natur die eschatologische Siegerin der Heilsgeschichte.

Prinzip des Werdens in der Natur ist Kausalität: nichts ohne Ursache.

Prinzip der neuen Übernatur ist Gnade: nichts ohne wunderhaftes und unverdientes Eingreifen von Oben.

Das Prinzip Ursache ist längst dabei, sich leise weinend aus dem Staub zu machen. Das Böse hat keine Ursachen: es ist grundlos böse. Bei Katholiken lässt das Schicksal nur einen kleinen Spielraum zu; bei Lutheranern und Calvinisten ist alles vorherbestimmt. Das Überkomplexe ist ohnehin weder verständlich noch beherrschbar, selbst die Eliten müssen sich damit begnügen:

„Uns bleibt nichts,als mutig gefaßt die Zügel festzuhalten und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da, die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich doch kaum, woher er kam.“ (Goethe, Egmont)

Die Roboterisierung hat den langfristigen Zweck, jedwede Form von Sexualität und Fortzeugen der Paarung mit dem Weib zu beenden. Ohnehin ist die Frau von der Schwangerschaft überfordert und reagiert mit postnataler Depression. Ihre sündige Leibesfrucht ist in übersehbarer Vielfalt imperfekt, begabungsmäßig unbestimmt und gefährlich unberechenbar. Das muss der geniale Mann verändern: das Kind muss wunschgemäß berechenbar und zuverlässig funktionierbar sein.

„Wissenschaftler können aus den Genen so viel vorhersagen wie noch nie, sogar schon bei Neugeborenen – Intelligenz, Gewicht, Gesundheit. Es ist eine Zukunft, die schon dem Säugling vorhersagen kann, wer er dereinst sein wird in einem Leben, das doch gerade erst begonnen hat. Welche Merkmale sein Körper besitzen wird und welche Eigenschaften seine Psyche. Wie gut er in der Schule lernen kann. Ob er Persönlichkeitsstörungen entwickeln wird. Ob er aufgeschlossen und kontaktfreudig sein wird. Oder still und zurückhaltend. Ob er eher vorsichtig und ängstlich sein wird. Oder risikobereit. Wie groß er werden wird und wie schwer. Ob er Angst vor Diabetes und Übergewicht haben muss oder vor Geisteskrankheiten. Sogar wie attraktiv sein Gesicht sein wird, können seine Eltern erfahren. All diese Dinge machen jeden Menschen einzigartig und individuell. Unsere Persönlichkeit bildet sich aus Hunderten Eigenschaften. Doch jetzt kann man sie ausrechnen. Vieles, was vor Kurzem noch unzugänglich und rätselhaft erschien, lässt sich schon heute einfach, billig und automatisiert auslesen. Und sehr bald werden Wissenschaftler noch bessere Analysen nutzen, um das Schicksal von Körper und Psyche vorherzusagen. In der Alltagsmedizin werden Daten eingesetzt werden, um den Ausbruch von Krankheiten von vornherein zu verhindern. Denn die Forscher wissen: Wir sind, was wir sind, vor allem durch die Macht der Gene. Diese Macht lässt sich jetzt messen. Die nächste Generation entsteht bereits in den Laboren dieser Welt. Es sind Vorhersagen, die nicht mehr bloß aus den SNPs-Daten stammen. Sie werden das gesamte entzifferte Erbgut der Menschen nutzen und die genetischen Blaupausen vollständig abgreifen. Spätestens dann ist die Welt der neuen Genetik eine Realität, in der wir und unsere Kinder leben werden.“ (ZEIT.de)

Fortpflanzen ist kein Va-banque-Spiel mehr. Das Lotteriespiel mit einem unberechenbaren Nachwuchs muss aufhören. Es entspricht nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. Der Mann ist dabei, die Frau überflüssig zu machen, indem er das Geschäft des Zeugens der kühlen Berechenbarkeit des Labors unterwirft. Seid fruchtbar und mehret euch? Gewiss, aber unter alleiniger männlicher Regie und Exklusion aller weiblichen Mitwirkung.

In der Riege der Übermänner darf WELT-Chef Döpfner nicht fehlen. In einem wahnwitzigen, aber aufschlussreichen Gespräch mit dem israelischen Historiker Harari übernimmt er die vakante Stelle Frank Schirrmachers als Prophet algorithmischer Unsterblichkeit.

Döpfner: „Glauben Sie an Ray Kurzweils Theorie der Singularität?“    

Harari: „An eine Variation, ja. Aber ich glaube nicht an seinen Zeitrahmen, ich denke nicht, dass es schon so bald kommt.“ 

Döpfner: „Denken Sie, dass es früher oder später eine bestimmte Form ewigen Lebens für Menschen geben wird?“     

Harari: „Ich würde nicht „ewig“ sagen, aber unbestimmt/unbefristet. „Ewig“ heißt, dass man, egal was auch passiert, niemals sterben wird, und das ist eine äußerst radikale Forderung.“ (WELT.de)

Übermenschen unter sich – mit Ausblick auf die Unsterblichkeit. Mit welch kirchenväterlicher Delikatesse sie zwischen ewig und unbefristet zu differenzieren wissen.

Da sitzen potentiell Unsterbliche beisammen und werfen Brosamen ihrer überirdischen Visionen den vor Staunen erstarrten Sterblichen vor die Füße. Bewundernswert, wie Harari die griechische Mutter aller Demokratien mit links schreddert:

„Man kennt all diese Reden über die altgriechische Demokratie und über die europäische Zivilisation, als ob die europäische Zivilisation jahrtausendelang auf den Fundamenten von Freiheit, Demokratie und Menschenrechten aufgebaut worden wäre. Das ist Unsinn. In der Antike gab es einige wenige Orte, an denen man für ein paar Jahrzehnte oder ein oder zwei Jahrhunderte, wie im alten Athen, eine Art Demokratie für zehn Prozent der Bevölkerung, für die Elite pflegte.“

Wie müsste er da erst die zeitgenössischen Demokratien in Staub und Asche treten! Das griechische Copyright auf Demokratie war dem christlichen Abendland schon immer ein Ärgernis. Zuerst wurde die athenische Volksherrschaft mit Feuer und Schwert bekämpft. Nachdem die Kirche sich anpassen musste, wurde Demokratie indirekt bekämpft: die klerikale Feindin der Polis wurde über Nacht zu ihrer Erfinderin. Die Verachtung des solonischen und perikleischen Athens ist eines Universalhistorikers in Untergangszeiten wahrhaft angemessen.

Döpfner übertrifft noch seinen bewunderten Gast, indem er das weibliche Geschlecht für überflüssig erklärt:

„Ich habe einen Freund, der ein Unternehmen gegründet hat, das sich im Wesentlichen mit der In-vitro-Fertilisation beschäftigt. Er versucht so, Sexualität und Reproduktion zu entkoppeln. Er hat viel Erfahrung auf verschiedenen Märkten und sagt, der beste Markt für sein Unternehmen ist China, denn in China kann man tun, was man will. Eltern können wählen, ob ein Baby ein Junge ist, ob es groß ist, ob es blond ist, ob es blaue Augen hat. Und eines Tages kann man sogar den EQ und den IQ manipulieren. In Kombination mit der größten Bevölkerung der Welt könnte das die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass China eine Art überlegene Menschenklasse schaffen wird.“

Eine überlegene Menschenklasse züchten, das wollte auch Nietzsche, der Vordenker der Nationalsozialisten.

„Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe! Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad – einen Schaffenden sollst du schaffen!“

Nietzsche glaubte noch an die Ehe als Garten der Höherentwicklung. Heute genügen digitale Kommandos, um die Kommandeure des Seins zu erschaffen.

Wie viel unterschwellige Bewunderung Döpfners für das totalitäre China, das keinerlei Hemmungen kennt, um seine futuristische Weltherrenklasse im Labor zu züchten.

Harari will diese Welt retten und warnt vor Eskapismus in den Weltraum. Wer die Gefahren des Klimawandels ignoriere mit dem Argument, wir könnten doch der Erde Lebewohl sagen, der irre gewaltig:

„Das ist jedoch eine sehr gefährliche Geisteshaltung, vor allem wegen des explosiven Potenzials, das mit den Klassenunterschieden zwischen den Menschen, die auf der Erde festsitzen, und den Menschen, die davon träumen können, andere Planeten zu kolonisieren, einhergeht.“

Gleichzeitig ist Harari von der potentiellen Unsterblichkeit des Menschen fest überzeugt. Wie viele Menschen aber würden in den zweifelhaften Genuss der Unsterblichkeit kommen? Milliarden Menschen würden sterben, während winzige Gruppen von steinreichen, atomar beschützten, mitten in klimatischen Verwüstungen ewig lebenden Geschichtssiegern die Erde zur Hölle machten.

Die Religion der Erwählung wäre endgültig in Technik verwandelt. Eine bemerkenswerte Vorstellung von gleicher und freier Menschenwürde.

 

Fortsetzung folgt.