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Sofort, Hier und Jetzt XXIII

Sofort, Hier und Jetzt XXIII,

was ist ein Kompromiss aus Leben und Tod? Wachkoma? Nahtoderfahrung? Agonie? Selbstmörderischer Fortschritt?

Der Kompromiss aus Leben und Tod ist die Gegenwart, die Klimax des Fortschritts, der prämortale Neoliberalismus, die suizidale Naturzerstörung, der selbstzerstörende Kern der Moderne.

Media vita            Mitten im Leben
In morte sumus.   Sind wir vom Tod umfangen.

Eine Religion, die in Leiden und Tod die Voraussetzungen zum wahren Leben sieht, hat die Weltpolitik überwältigt. Nie gab es Erfolgreicheres im Leben der Gattung als eine Religion, die das Leben der Menschheit auf Erden verwirft, um es mit einem illusorischen Leben im Jenseits zu beruhigen, zu vertrösten oder – zu betrügen.

Halleluja, entzündet Freudenfeuer, stimmt Jubelchoräle an: Gott hat den Menschen, ein Jenseits das Diesseits, Glauben und Hoffen die sinnliche Erfahrung, Übernatur die menschenfreundliche Natur, Zukunft die pralle Gegenwart ausgelöscht und zunichte gemacht.

Pragmatisten und Realisten, nüchterne Tatsachenmenschen, Anbeter von Fakten, Erfinder von Macht und Herrlichkeit, Produzenten einer neuen Natur entlarven sich als Genies der Selbstverblendung, als Giganten der Selbstüberschätzung, als einfallsreiche Exekuteure der Selbstauslöschung.

„Der Weltklimarat IPCC hat ein entschlossenes Handeln angemahnt, um die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad zu begrenzen. Notwendig seien „schnelle, weitreichende und beispiellose Änderungen in allen gesellschaftlichen Bereichen“, heißt es in einem Sonderbericht des IPCC, der im südkoreanischen Incheon veröffentlicht wurde. Sollte dieses 1,5-Grad-Ziel verfehlt werden, drohen den

  Wissenschaftlern zufolge dramatische Folgen für das Leben auf der Erde.“ (ZEIT.de)

Die reichen Nationen reagieren nicht. Sie verabschieden papierne Ziele und denken nicht daran, sie zu realisieren. Sollen die armen Länder in klimabedrohten Gebieten doch zusehen, wie sie mit ihrem Elend fertig werden:

„Wenn das 1,5-Grad-Ziel für Entwicklungsländer wichtig ist, ein Großteil der Anstrengungen aber von Industrieländern erbracht werden muss, stellt sich die Frage, wie wichtig das den Industrieländern ist. Die Gefahr besteht, dass alle sagen: Ja das finden wir sehr wichtig. Aber bei der Frage „Wer macht’s?“ jeweils auf andere zeigen.“ (Sueddeutsche.de)

Auch die Deutschen sind gefährdet:

Mehr als drei Millionen Menschen in Deutschland leben in Gebieten, die als überflutungsgefährdet gelten. (SPIEGEL)

Alle Alarmzeichen stehen auf Rot. Der Widerstand der Menschen gegen die Rodung des Hambacher Forsts zeige, «dass viele Menschen beim Schutz des Klimas längst weiter sind als die Politik».“ (SPIEGEL.de)

Der SPIEGEL warnt – und wiegelt ab:

„Die Welt gerät aus den Fugen fragt sich nur, wie sehr“. (SPIEGEL.de)

Obwohl das ganze Haus in Flammen steht, wollen sie es genau wissen. Müssen sie sofort die Wohnung verlassen – oder haben sie noch Zeit, sich in aller Ruhe Rosamunde Pilcher anzuschauen? Sind die Feuermeldungen wirklich abgesichert – oder müssen weitere Expertisen eingeholt werden?

Nicht immer ist die Forschungslage eindeutig“.

Welche Forschungslage ist eindeutig? Bei Todesgefahr müssen die Verifizierungen hundert-prozentig sicher sein. Da darf nicht geschlampt werden. Sonst droht die Gefahr der Übertreibung und am Ende käme man fahrlässig – mit dem Leben davon.

„Neben dem politischen Aspekt des Berichts gibt es auch einen wissenschaftlichen: Denn eine Welt mit einem Plus von anderthalb Grad wäre zwar durchaus aus den Fugen, aber längst nicht so stark beeinträchtigt wie bei zwei Grad mehr im Durchschnitt. „Jedes bisschen mehr an globaler Erwärmung bedeutet auch mehr Schäden“, sagt Forscher Pörtner.“

Neben dem politischen gibt es noch einen wissenschaftlichen Aspekt? Wenn der politische Aspekt das Überleben betrifft, müsste der wissenschaftliche, der sich um das Überleben nicht kümmert, dann nicht wichtiger sein als nacktes Überleben? Das wäre eine transzendente Wissenschaft. Im Himmel würden wir erfahren, ob uns Apokalyptiker mit Schauermärchen reingelegt haben.

Wofür entscheidet sich der SPIEGEL?

„Wie realistisch ist es aber, tatsächlich nur anderthalb Grad Erwärmung zuzulassen? «Das Vorsorgeprinzip ruft drastisch dazu auf, in Aktion zu treten», formuliert es Meeresforscher Pörtner diplomatisch. Die 34-seitige Zusammenfassung des Klimaberichts für politische Entscheidungsträger, die der SPIEGEL für diesen Artikel ausgewertet hat, drückt es so aus: Um überhaupt Chancen zum Erreichen des Ziels zu haben, brauche es «starke Reduktionen» bei den Treibhausgasemissionen in allen Sektoren, dazu eine «breites Portfolio» an Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel sowie «signifikante» zusätzliche Investitionen heißt es.“

Kann das Drastische diplomatisch sein? Selbst beim Weltuntergang lautet die Parole der Beobachter: vor allem nicht nervös machen lassen. Nie die voyeuristische Contenance verlieren. Wenn schon Exitus, dann ruhig in Schritt und Tritt. Keine Panik auf der Titanic.

„Besonders interessant sind dabei für die Forscher all die Szenarien …“

Dann werden einige Forderungen genannt, doch im Stil apolitischer Unbeteiligtheit. Auch der Wissenschaftler wird beim Politischen – privat. Das Politische und das Private waren in der Urdemokratie unverträglich:

„Gefragt nach dem deutschen Tempo bei Kohleausstieg sagt Forscher Pörtner – und zwar dezidiert als „Privatmeinung“: «Der drohende Verlust von 20.000 Arbeitsplätzen kann die nationale Umstellung auf ein nachhaltiges Wirtschaften nicht verzögern.» Also: Der Ausstieg dürfe nicht hinausgeschoben werden. Das Land sei wohlhabend genug, den nötigen Strukturwandel finanziell zu unterstützen.“

Wie kann ein Wissenschaftler dringliche Warnungen aussprechen, im selben Moment die Warnungen als private entschärfen? Der Verlust von Arbeitsplätzen kann sehr wohl die notwendige Umstellung auf ökologische Energie verzögern – man schaue sich das Spektakel bei Anne Will an, die mehr Verzögerer eingeladen hat als Warner und Aktivisten. Seine Quote wird man doch nicht durch Alarmismus verderben lassen!

Die deutsche Sprache wird im komatösen Zustand unbeherrschbar. Der Experte meinte wohl: der Verlust von Arbeitsplätzen darf die Umstellung nicht blockieren. Das ist ein kategorischer Imperativ, der mit Schärfe vorgetragen werden müsste – wenn er ernst gemeint wäre. Doch ein bisschen Spaß beim Untergang muss sein. Welche Generation hatte schon das Privileg, beim selbst-referentiellen Exitus anwesend zu sein? Wer nicht im Kleinen treu ist, riskiert im Großen den Kollaps.

Der SPIEGEL-Artikel beschreibt den drohenden Untergang der Menschheit – als ginge es um ein interessantes Experiment. Morgen könnte es regnen. Wenn du keinen Regenmantel mitnimmst, könntest du nass werden.

Und schon biegt die nächste Entwarnung um die Ecke:

„Unsere Galgenfrist verlängert sich um rund 10 Jahre.“ (SPIEGEL.de)

Ist diese Entwarnung politisch nicht brisant?

„In der Tat. Einige von meinen Kollegen machen sich deshalb schon Sorgen, dass dieses Ergebnis falsch ankommt. Wenn sich das herumspricht, so ihre Befürchtung, legen beim Klimaschutz alle wieder die Hände in den Schoß. Ich sehe aber auch das Umgekehrte: Der unerwartete Zeitgewinn hilft uns gegen den weitverbreiteten Fatalismus, man könne nichts tun, weil sich der Klimawandel ohnehin nicht mehr aufhalten lasse.“

Wissenschaftler schwingen sich zu politischen Pädagogen der Menschheit auf. Dürfen wir das Schreckliche den Kindlein zumuten? Müssen wir es nicht in verträglichen Happen verabreichen? Bei Platon regierten die Weisen in totalitärer Macht. Sie waren im Besitz der untrüglichen Wahrheit. Heute sind Wissenschaftler die Weisen der Menschheit geworden.

Hätten demokratische Wissenschaftler nicht die Pflicht und Schuldigkeit, zu sagen, was sie zu sagen haben – und mündigen Menschen zu überlassen, wie sie wissenschaftliche Erkenntnisse bewerten und in politische Maßnahmen zu verwandeln gedenken?

Faschistische Volkspädagogik ist nicht mehr das Privileg der Politiker. Auch Wissenschaftler wollen zu den Eliten gehören, die sich genau überlegen, wie und was sie mit der unmündigen Meute reden müssen. Politiker sagen nicht, was sie meinen. Sie überlegen, wie sie ankommen, was ihre Rede mit den Wählern „macht“. Was hat das mit dir gemacht, ist die gegenwärtige Standardfrage in emotionalen Situationen. Macher überlassen die Bewertung ihrer Meinungen nicht dem mündigen Publikum, sondern drehen und wenden ihre Worte, bis sie das erwünschte Ergebnis erzielen.

Sie hätten zu wenig bedacht – so ihre raren Schuldbekenntnisse –, wie ihre Botschaften an der Basis ankommen würden. Alles dreht sich um erwünschte Wirkungen. Nichts um das schlichte Sagen dessen, was man zu sagen hat. Und Punkt. Der Rest speist beim Gouverneur, dem selbstdenkenden Menschen, dem autonomen Citoyen, dem aufrechten Bürger. Das ABC der Demokratie ist verschütt gegangen. Ökonomische und politische Trickser dabei immer vorneweg, die Vierte Gewalt hechelnd hinterher.

Da öffentlich-rechtliche ModeratorInnen sich mit philosophischen Grundsatzfragen nicht abgeben, darf FDP-Lindner den folgenden Satz ablassen, ohne von Anne Will gestört zu werden:

… der Kampf gegen den Klimawandel sei eine Menschheitsaufgabe. Da bringe es nichts, wenn Deutschland Moralweltmeister werde, aber keine anderen Länder folgen würden.“

Versteht sich, dass BILD diese Aussagen übertreffen muss:

„Hochtönende Alibi-Argumente, übermoralische Opferposen, fossile Weltverbesserungsthesen, die wirtschaftliche Vernunft kaum noch mit dem Kopf über Wasser und statt ehrlicher Überzeugungsarbeit oft nur Gebrüll.“ (BILD.de)

Menschheitsaufgaben sind keine moralischen Pflichten – für die eigene Nation. Sonst ruhen sich die anderen aus mit dem Parasitenargument: lasst das die Deutschen machen, die haben den größten Moralkomplex.

Schau an, die Liberalen haben sich marxistisch gehäutet. Die Deutschen fühlen sich anderen Nationen moralisch überlegen – und werden dadurch ausbeutbar. Also müssen sie ihre Moral an der Garderobe abgeben und sich listig-machiavellistisch gebärden.

Die psychische Reihenfolge „erst moralisch, dann machiavellistisch“ ist eine Wiederholung ihrer kollektiven Entwicklung. Das Moralische reichte bis Kant, ab Hegel übernahm die machiavellistische Interessenpolitik.

Marx hasste die Moral und vertraute den Gesetzen der Natur, die er gefunden haben wollte. Auf dem Papier war er Internationalist, in Wirklichkeit hasste er die meisten aller unterentwickelten Länder. Kein Wunder, dass seine sozialistische Internationale bei der ersten Bewährungsprobe versagte:

„Mit Beginn des Ersten Weltkriegs brach die Internationale 1914 auseinander: Die deutsche SPD, die österreichische SDAP, die französische SFIO, die britische Labour Party nahmen mehrheitlich die politischen Positionen ihrer jeweiligen nationalen Regierung an, wodurch die Konzeption der Internationalen Solidarität de facto scheiterte und die Basis für eine weitere Zusammenarbeit auf lange Zeit entzogen war. Insbesondere der mangelnde Protest der SPD gegen den Einmarsch ins neutrale Belgien diskreditierte die deutschen Sozialdemokraten international – verstärkt dadurch, dass das belgische Brüssel Sitz der Internationale war.“ (Wiki)

Heute nicht anders. Kaum gibt es weltweite Probleme mit Flüchtlingen aus vielen Völkern: schon verlässt Sahra Wagenknecht die internationale Spur und will höhere Renten und Löhne nicht mit fremden Mitessern teilen – und handelt sich das Problem ein, in die Nähe von AfD-Gauland gerückt zu werden. Dabei folgt sie nur dem nationalen Egotrip Merkels, zwar nicht auf der großkapitalistischen, aber auf der sozialen Spur:

Da scheinen sich Donald Trump und Sahra Wagenknecht einig: Das Globale ist ein Problem, wir brauchen nationale Lösungen. Alexander Gauland will sogar lieber deutsch als „Mensch“ sein. Vor der Uno-Vollversammlung sagte der US-Präsident diese Woche den Satz: „Wir lehnen die Ideologie des Globalismus ab und akzeptieren die Doktrin des Patriotismus. Interessanterweise ist, im klaren Widerspruch zu Karl Marx, auch bei Teilen der heutigen Linken das Thema Internationalismus eher nicht so positiv besetzt. Sahra Wagenknecht zum Beispiel hat der „Frankfurter Allgemeinen“ im August gesagt: „Sozialer Ausgleich und Demokratie funktionieren aktuell nur innerhalb einzelner Staaten, auf globaler Ebene gibt es gar keine Hebel dafür.“ Da scheint sie ganz auf einer Wellenlänge mit Trump, der internationale Organisationen wie die Uno, die genau so einen Hebel darstellen könnten, ja auch für irrelevant erklären möchte.“ (SPIEGEL.de)

Stöcker hat recht. Nur in einem Punkt irrt er. Marx war nur auf dem Papier Internationalist (siehe oben). Im Jacobin, dem linken Organ der Amerikaner, lesen wir:

„Im Kommunistischen Manifest erklärten Marx und Engels, der Kampf sei zwar international in der Substanz (das, was die Arbeiter im Inland tun, wirkt sich indirekt auf die Arbeiter im Ausland aus), aber national in der Form: die Arbeiterklassen müssen zunächst ihre heimische Bourgeoisie überwinden. Die größte Niederlage in den vergangenen drei Jahrzehnten bestand im Rückzug der sozialistischen Linken und der daraus folgenden Verringerung der sozialen und politischen Erwartungen. Die sozialistische Idee ist als Luftschloss gebrandmarkt und an den Rand gedrängt worden.“

Als Olof Palme, Willy Brandt, Bruno Kreisky noch Vorsitzende der Sozialistischen Internationalen waren, gab es erkennbare Schubbewegungen in globaler Politik. Heute ist alles erstorben. Seitdem Gregor Gysi Vorsitzender der Europäischen Linken wurde, hört man nichts mehr von ihm. Schröders Abkupfern des „Dritten Wegs“ von Tony Blair führte zur Hartz4-Katastrophe.

Während das erdbeherrschende EINPROZENT fast zur Einheit verschmolz – ihre Konkurrenz ist Kooperation gegen die Abgehängten –, bleiben die Ungebildeten und Genügsamen der Völker auf ihre Heimatscholle reduziert. OBEN expandiert der Reichtum ins Unermessliche, UNTEN zerteilt der Satz: „Teile und herrsche“ die Völker.  

Die Gewerkschaften spielen eine verhängnisvolle Rolle. Auch bei Anne Will war ein Gewerkschaftler, dem nichts über das Wohl seiner Klientel ging.

„Wenn durch das Urteil jetzt einer der größten Tagebaue zum Stillstand kommt, werden 4600 Leute ihre Arbeit verlieren“, warnt der Gewerkschafter. „Das sind Leute, die machen einen ordentlichen Job für Deutschland!“

Wäre es nicht besser, 4600 Leute verlören ihren Job, als dass Milliarden Menschen Heimat und Leben riskierten? Werden Jobverluste durch Roboterisierung nicht mit Leichtigkeit durch „kreative neue Jobs“ ersetzt – wie Berlin unisono tönt? Warum nicht im Falle der Braunkohle-Arbeiter? Fragen, die eine Moderatorin sofort hätte stellen müssen, aber nicht stellte. Durch Denken darf das Publikum nicht abgestoßen werden.

Wie Medien mit ethischen Fragen umgehen, besonders in ökologischer Hinsicht, zeigt erneut der SPIEGEL. In einem Interview mit Airbus-Chef Enders, der die Naturausbeutung ausdehnen will auf Asteroiden, stellt Christoph Seidler die Frage:

„Herr Enders, der Abbau von Ressourcen auf Asteroiden im Sonnensystem ist ein viel diskutiertes Thema. Ist so etwas ethisch zu verantworten? Und wenn ja, baut Airbus bald Gerätschaften, mit denen das möglich ist?

Enders: So eine Frage stellt wohl nur ein deutscher Journalist.

SPIEGEL ONLINE: Wieso?

Enders: Nun, während andere große Nationen solche Themen angehen und sich anschicken, daraus ein Geschäft zu machen, müssen in Deutschland immer erst Ethikkommissionen eingesetzt werden. Ich kann beim besten Willen nicht erkennen, was daran unethisch sein soll, auf irgendwelchen Felsbrocken, die im Weltall rumtaumeln, Bodenschätze zu nutzen.“ (SPIEGEL.de)

Die Deutschen in ihrem ethischen Fimmel lassen sich von unmoralischen Konkurrenten wie Volltrottel überrunden. Merkwürdig nur, dass der moralische Über-Ich-Zwang im Innern kaum zu entdecken ist. Hier dominiert unbehelligt die Schlechtmenschenfront. Politiker und Wissenschaftler lassen sich von niemandem in bigottem Eigennutz übertreffen. Das reicht von Habeck über Gabriel bis Nahles. Von der Kanzlerin gar nicht zu reden, die die israelische Besatzungs- und Iranpolitik zwar grundsätzlich kritisiert – das lästige kleine Palästinenserdörfchen aber, das dem imperialen Hunger der Mächtigen im Wege steht, darf natürlich dem Erdboden gleichgemacht werden. (WELT.de)

Woran erkennt man die Glaubwürdigkeit eines Menschen? Dass er tut, was er sagt. Für deutsche Politiker ist Integrität ein Luxus, den sie sich nicht erlauben können.

Der SPIEGEL-Interviewer stellt eine Frage, die er nicht formulieren oder begründen kann. Entweder hat er keine Meinung oder er darf sie nicht einbringen. Zynischer und hohler kann Journalismus nicht sein.

Auch Enders‘ Bemerkungen über Felsbrocken im Weltall könnten verächtlicher kaum klingen. Macht euch die Erde untertan, wird zum grenzenlosen Gebot erweitert: macht euch das ganze Universum untertan. Zu welchem Zweck? Damit die Gewinne auf Erden nicht zu sprudeln aufhören. Ob die Energieaufwendungen zur Produktion neuer Weltraumraketen ökologisch vertretbar sind? Welch realitätsvergessene Sentimentalitäten.

Wenn die Menschheit untergeht, gibt es keine Schuldigen. Die christliche Moderne mit erbsündigen Kreaturen hat sich für immer exkulpiert. Das Schicksal ist es, das dem Menschen keine Chance lässt, meint CDU-Schäuble. Gewiss, man hat einen freien Willen, aber nur, um der Obrigkeit zu gehorchen, die dem Herrn der Geschichte zu gehorchen hat.

Wir können nicht schuldig werden, denn wir sind genetisch fast vollständig programmiert. Eltern sollten die Sache mit der Erziehung endlich mal sein lassen. Wieder einmal hat ein Genetiker die biologische Prädestination – eine erbberechtigte Tochter der calvinistischen – entdeckt und in der ZEIT propagiert:

„In der Gesamtschau kann man also sagen: Vererbte DNA-Differenzen sind die wichtigste Bedingung dafür, zu dem zu werden, was wir sind. Noch einmal: Wir wären im Großen und Ganzen dieselbe Person, wenn wir bei der Geburt adoptiert und bei anderen Eltern aufgewachsen wären, eine unterschiedliche Schule besucht und andere Freunde hätten. Anstatt zu versuchen, unsere Kinder nach unserem Bild zu formen, können wir ihnen helfen herauszufinden, was sie gern tun und was sie gut können. Mit anderen Worten: Wir können ihnen helfen, zu werden, wer sie sind. Ich hoffe, dies ist eine befreiende Botschaft. Eine, die Eltern Ängste und Schuldgefühle nimmt, die Erziehungstheorien auslösen können. Ich hoffe, dass ich Eltern von der Illusion befreien kann, dass der zukünftige Erfolg eines Kindes davon abhängt, wie sehr sie es antreiben. Stattdessen sollten sich die Eltern entspannen und das Leben mit ihren Kindern genießen. Ein Teil dieses Vergnügens ist es, zuzusehen, wie Kinder zu dem werden, was sie sind.“ (ZEIT.de)

Diese „Wissenschaft“ verdient es nicht, Wissenschaft genannt zu werden. Sie ist biologischer Calvinismus, Theologie in szientiver Maskerade.

Seit wie vielen Jahrhunderten stellen angelsächsische Neocalvinisten die Frage: Natur – oder Erziehung? Genauer: heidnische Natur oder fromme Erziehung? Nach Calvin und seinen genetischen Schülern kann es keine Zweifel geben: Gott, der später zur Natur wurde, bestimmt alles, irdische Erziehung ist Schall und Rauch.

Wenn der Mensch versagt, wer trägt Schuld an seinem Versagen? Kein Mensch – nur Gott und der ist schuldlos. Nur er weiß, was er mit seinem vorherbestimmenden Willen wollte. Dem Menschen bleibt dieses Wissen verborgen – also glaubet und unterwerft euch: Gott oder den Genen. Nicht der Mensch bestimmt sein Schicksal, sondern die göttliche DNA. Ende der Debatte.

Auch Deutschland, Land der endlosen Kompromisse, vegetiert im Leben-Tod-Kompromiss. Seit den 80er-Jahren wissen wir alle: wir müssen uns ändern, wenn wir überleben wollen. Anfänglich gab es vorbildliche Alibi-Taten wie Merkels Abschalten der Atomanlagen. Dann der Absturz in die Sucht des Größenwahns: die siegreiche Wirtschaft auf Kurs halten – und durch keine ökologische Maßnahme behindern. Seitdem wurden Groko-Regierungen zu Untergangssündern.

Immer wenn die Kanzlerin tot gesagt wird, treten FürsprecherInnen auf die Bühne, um sie mit Lust zu retten. Beispielsweise Dagmar Rosenfeld in der WELT:

„Der Deutschlandtag der Jungen Union hätte die ideale Kulisse sein können, um frische Aufbruchstimmung mit einer müden Kanzlerin zu kontrastieren. Doch Angela Merkel hat mehr Modernität versprüht als die versammelte Parteijugend. Mögen die nachts von einem wie Jens Spahn an der Parteispitze träumen, bei Tageslicht betrachtet, steht da immer noch Angela Merkel.“ (WELT.de)

Es soll bereits ein Startup-Unternehmen geben, das den Modernitätssprayer der Kanzlerin auf den Markt werfen will. Beim CDU-Nachwuchs erscheint sie frisch und munter, spießt einige Dummheiten der Jüngelchen auf – und hat gewonnen. Immer, wenn die Männer glauben gewonnen zu haben, steht Angela hinter ihnen und räumt sie mit sanfter Hand aus dem Weg.

Nicht anders bei Christiane Hoffmann im SPIEGEL. Immer, wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her – und rettet die Magd Gottes:

„Das hat sie nicht schlecht gemacht: Bei allem, was man in den vergangenen Monaten an Kanzlerin Angela Merkel kritisieren konnte, ihr Auftritt am Wochenende bei der Jungen Union – Chapeau. Das war kämpferisch, aber nicht verbissen, und mit sicherem Instinkt nahm sie die Schwachstelle der jungen Konservativen aufs Korn: Es handelt sich um einen Männerverein. Merkel spießte das auf, augenzwinkernd „Schön männlich“, sei der geschäftsführende Vorstand, sagte sie, dabei bereicherten doch Frauen das Leben, „nicht nur im Privaten, auch im Politischen. Sie wissen gar nicht, was Ihnen entgeht.“ – „Das war cool“, meinen meine beiden Teenager-Töchter.“ (SPIEGEL.de)

Ausgerechnet Merkel kritisiert die mangelhafte Frauenquote bei der Jungen Union. Vor kurzem wusste sie nicht einmal, ob sie Feministin ist. Von der Frauenquote in der Union gar nicht zu reden.

Dass Merkel den komatösen Zustand der deutschen Politik in den letzten Jahren zu verantworten hat: darüber kein einziges kritisches Wörtchen bei den Lobrednerinnen Merkels.

Warum sind die Deutschen so fixiert auf ihr Alter Ego namens Angela?

Wer den Tod vor Augen hat – der sehnt sich nach den segnenden Händen der Mutter.

Mütterlein, Mütterlein,

könnt‘ es nochmal so wie früher sein,
als du mich mit deiner lieben Hand
geführt durchs Kinderland.
Tag für Tag, Nacht für Nacht

hat dein gutes Auge mich bewacht.
Alles Böse hieltst du fern von mir

und dafür dank ich dir.   



Fortsetzung folgt.