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Sofort, Hier und Jetzt XLIX

Sofort, Hier und Jetzt XLIX,

was bleibt von Merkel? Eigenartige Frage. Was bleibt von DIR? Was bleibt von uns allen – ÜBRIG?

Ein Abgang in Würde. Warum kein Aufgang in Würde? Kein Gang der Menschheit, der Geschichte der Gattung in Würde? Ist Würde ein bloßes Abschiedsgeschenk, ein listiges Fortloben, eine letzte Aufforderung zu gehen?

Nekrolog zu Lebzeiten, die Königsdisziplin schreibender Zeitbeobachter. Mitten im Tumult: der Atem der Geschichte, der uns anhalten lässt – damit wir fortfahren wie bisher, nur fieberhafter und besinnungsloser.

„Was bleibt von“ will sagen: die Zeit der Kritik, der lästigen Auseinandersetzungen ist vorbei. Wir verlassen die demokratische Zone, die civitas terrena und betreten aufatmend den Tempel der Ewigkeit.

Wenn wir tot sind, für tot erklärt werden, nicht mehr präsent sind, keine Bedeutung und Macht mehr haben, fällt alle Erdenschwere und Fehlerhaftigkeit von uns ab. Das Leben ist befleckt, der Tod erst macht uns vollkommen. Wir aber wollen vollkommen sein.

Komm, süßer Tod, komm, selge Ruh!
O Welt, du Marterkammer,
ach! bleib mit deinem Jammer
auf dieser Trauerwelt,
der Himmel mir gefällt,
der Tod bringt mich darzu.
Komm, selge Ruh!

Eine Vorahnung des süßen Todes, einen Abgang in Würde will die Kanzlerin. Demokratie ist für eine Gläubige der lächerliche Versuch, das Irdische mit Würde auszustatten. Das Tal der irdischen Mühen und Anfechtungen hat sie

  durchschritten, nun will sie eine Vorauszahlung des ewigen Lohns.

Heute hält sie die erste ihrer Abschiedsreden. Alle wird sie beschämen. Nicht enden wollender Beifall wird sie umjubeln, Tränen der Rührung, des Zweifels und der Erleichterung werden Fragen aufkommen lassen: waren wir nicht zu voreilig? Wird wirklich Besseres nachkommen? Werden wir unsere Entscheidung nicht bald bereuen?

Und da ist es schon:

„Am Ende gibt es Standing Ovations und Jubelrufe im Publikum, während Merkel sichtlich mit ihrer Rührung kämpft. Im Publikum schwenken manche Delegierte Schilder mit der Aufschrift: „Danke, Chefin!“ So lange wird geklatscht, dass Merkel selbst die Delegierten ermahnt, den Applaus endlich zu beenden.“

Bald wird es die ersten Angela-Verehrungsgruppen geben: sprecht sie heilig, unsre nationale Ikone!

Was wird von Merkel bleiben? Was von Deutschland bleiben wird. Denn Merkel ist, was Deutschland sein will: die Absegnung des Irdischen, die Exkulpation aller Sünden bereits auf Erden. Sie ist der auf Erden wandelnde Traum, den Deutschland geträumt hat. Sie ist die Rose im Kreuz, die Vereinigung von Luther und Hegel:

„Darauf kommt es dann an, im Scheine des Zeitlichen und Vorübergehenden die immanente Substanz und das Ewige, das gegenwärtig ist, zu erkennen. Was vernünftig ist, das ist wirklich, und was wirklich ist, das ist vernünftig.“

Eine politische Magd Gottes „muss am entferntesten davon sein, einen Staat, wie er sein soll, konstruieren zu wollen. Die Belehrung, die in ihr liegen kann, kann nicht darauf gehen, den Staat zu belehren, wie er sein soll, sondern vielmehr, wie das sittliche Universum erkannt werden soll.“

Eine Magd Gottes hat nicht zu belehren – wer ist sie denn? Sie hat die Deutschen mit ihrer Wirklichkeit zu versöhnen. Sie handelt im Auftrag ihres Herrn, des Weltgeistes, der deutschen Übervernunft, die der westlichen Vernunft die rote Karte zeigt.

„Die Vernunft als die Rose im Kreuze der Gegenwart zu erkennen und sich dieser zu erfreuen, diese vernünftige Einsicht ist die Versöhnung mit der Wirklichkeit, welche die Philosophie denen gewährt, an die einmal die innere Aufforderung ergangen ist, zu begreifen.“

Was ist zu begreifen? Dass man im Besonderen und Zufälligen, im Schlechten und Miserablen das, was ist und für sich steht, erkennt und an ihm festhält. Die Kanzlerin ist keine Anhängerin jener halben Philosophie, die von Gott wegführt, weil sie glaubt, es besser zu wissen als der große Weltenlenker.

„Um noch über das Belehren, wie die Welt sein soll, ein Wort zu sagen, so kommt dazu die Philosophie ohnehin zu spät.“

Belehren ist nicht die Gnadengabe jener Magd, die dem Herrn mit kostbaren Salben die Füße salbt, sondern still und sachlich tun, was ihr aufgetragen wird. Anhänger der Magd sprechen von Nüchternheit. Die Schrift nennt es Untertänigkeit, Luther spricht von Gehorsam. Was die Menschen an Gedanken entwickeln, „erscheint erst in der Zeit, nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozess vollendet und sich fertig gemacht hat.“

Die graue Magd des Herrn hält sich fern von großen Worten: das ist die wahre Philosophie des Gehorsams, an der sie sich festhält. Warum wirkt sie oft so grau? Weil grau die demütige Farbe der Wirklichkeit ist:

„Wenn Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“

Grau ist auch die Lieblingsfarbe ihrer schreibenden Schutzkohorten, die Schwarz und Weiß verabscheuen. Wer schwarz und weiß sagt, will es besser wissen als die göttliche Realität. Er spaltet, statt zu versöhnen. Was ohne unser Zutun geschieht, ist klüger als unsere hochnäsige Weisheit. Wer weiß sagt, will dem Düsteren und Schwarzen ein Besseres entgegenstellen. Das ist Blasphemie. Er will es besser wissen als der Herr der Geschichte. Seine hybride Gesinnung stellt er über den Gedanken oder das Erkennen dessen, was ist:

„Es ist ein großer Eigensinn, der Eigensinn, der dem Menschen Ehre macht, nichts in der Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt ist – und dieser Eigensinn ist das Charakteristische der neueren Zeit, ohnehin das eigentümliche Prinzip des Protestantismus. Was Luther als Glauben im Gefühl und im Zeugnis des Geistes begonnen, es ist dasselbe, was der weiterhin gereifte Geist im Begriffe zu fassen … bestrebt ist.“

Hegels Denken ist in Begriffe verwandeltes Luthertum: begriffener Glaube, Erkennen des Übernatürlichen mitten im Natürlichen. Schon Hegels Philosophie war nichts als die Abschaffung ihrer selbst, sein Schüler Marx hatte nur noch Hohn für sie übrig.

Denkendes Erfassen der Wirklichkeit, um sie weiterzubilden und zu humanisieren: dafür hegt eine marxistische Lutheranerin nur stille Verachtung. Moralische Gesinnung als Voraussetzung eines humanen Fortschritts: das ist Jenseits von Eden.

Hegel will die Wirklichkeit erkennen, nicht, um sie zu verändern, sondern, um sie zu segnen, wie sie ist. Das ist Merkels Palliativ, die Botschaft an ihr Volk: alles ist gut, ihr seid gut, wir schaffen es, weil es nichts gibt, was wir nicht schaffen können. Denn alles ist bereits geschafft und vollendet durch sich selbst. Der Mensch kommt immer hinterdrein, um festzustellen: es ist vollbracht. Luftschlösser bauen kann jeder, mit der Wirklichkeit aber, die sich durch sich selbst entwickelt, haben sie nichts zu schaffen.

Kants Gesinnung, der gute Wille ist abgeschafft.

„Staatsgesetze können sich nicht auf die Gesinnung erstrecken, denn im Moralischen bin ich für mich selbst.“

Eine universelle Moral gibt es nicht. Hier ist der Ursprung der Postmoderne. Der objektiven Realität müssen wir uns wortlos unterwerfen, moralisch aber handelt jeder nach subjektivem Gutdünken.

Warum hatte Merkel keine Schwierigkeiten, vom christlichen Sozialismus ihres pastoralen Elternhauses schnörkellos umzuschwenken auf den Neoliberalismus des vereinten Deutschlands? Weil jede Realität für sie gleichgültig ist. Die Realität mag sein, wie sie will: stets ist sie von Gott gesandt. Seid untertan der Obrigkeit, es gibt keine, die nicht von Gott wäre.

500 Jahre nach Luther leben wir noch immer in lutherischem Gehorsam gegen die Obrigkeit, die bei Hegel zum Weltgeist, bei Marx zum materiellen Sein wurde. Wenn Geist und Materie als totalitäre Herren identisch werden, gibt es kein Schlupfloch mehr für die Autonomie des Menschen, der seine eigenen Vorstellungen verwirklichen will: wider alle Obrigkeit und sonstige Geschichtsdespotien.

Nicht mal Kants Autonomie ist so autonom, dass sie imstande wäre, einen globalen Frieden aus eigener Kraft herzustellen.

Selbst in der Pädagogik der Gegenwart feiert die deutsche Antinomie in moralischen Fragen fröhliche Urständ. Sogenannte Helikoptereltern lassen ihre Kinder nie aus den Augen – und induzieren sie dennoch mit moralischem Chaos:

„Mein Sohn bekommt von mir keine Anweisungen, was richtig oder falsch ist. Kinder räumen Regale aus oder bemalen Hotelwände – und deren Helikopter-Eltern finden das ganz normal. Wehe jedoch, jemand rügt den Nachwuchs. Nur sie allein können und dürfen das Verhalten ihres Kindes beurteilen und kommentieren – und zwar völlig unabhängig davon, wie unmöglich sich ihr Nachwuchs benimmt und ob sie es überhaupt selbst mitkriegen.“ (SPIEGEL.de)

Adam Müller, führender Theoretiker der Romantik, die von Kant Abschied nahm, wollte keine Republik, sondern eine europäische civitas dei. Von einer Friedenskonstruktion auf rationaler Basis hielt er nichts.

„Treibt nur immer, ihr Staatsverbesserer, euer abgesondertes hoffnungsloses Geschäft fort: ihr werdet nichts bauen, als was ihr morgen wieder einreißen müsst.“

Wie Novalis verlangte er, dass Religion die Basis und der Garant der europäischen Einheit werden müsse. Das will auch Merkel, wenngleich mit verschämten Hinweisen auf abendländisch-christliche Werte. Doch in frommen Konventikeln kann sie gelegentlich deutlich werden und ihre Mitchristen ermahnen, sich mehr für ihre Religion einzusetzen.

Kann man sich eine größere Tragödie vorstellen als die Spaltung der Deutschen in handlungsunfähigen Geist – und geistloses Befolgen historisch-materieller Verhältnisse? Besessen von Dichten und Denken waren sie unfähig, die Früchte ihres Geistes in politische Taten zu verwandeln.

Um diesen nationalen Skandal zu überdecken, hüllen sie sich noch heute in geistige Dunkelheiten und verstecken sich hinter blindem Gehorsam. Heute spricht man von komplexen und überkomplexen Fragen, für die es „keine einfachen Antworten“ gibt. Wer seine „kognitive Dissonanz reduziert“, um vor lauter Bäumen den Wald nicht zu übersehen, ist Populist und Verschwörer.

Schrieb eine brillante Französin:

„Die Deutschen gefallen sich in Dunkelheiten: oft hüllen sie, was klar am Tage lag, in Nacht, bloß um den geraden Weg zu meiden. Die deutschen Schriftsteller geniren sich nicht mit ihren Lesern; da ihre Werke wie Orakelsprüche aufgenommen werden, können sie sie in soviel Wolken hüllen, als ihnen gefällt. Die Deutschen streiten gerne miteinander um die Herrschaft im Gebiet im Gebiet der Spekulation. Hier leiden sie keinen Widerspruch, überlassen aber den Mächtigen der Erde alles Reelle im Leben. Der Geist der Deutschen scheint mit ihrem Charakter in keiner Verbindung zu stehen: jener leidet keine Schranken, dieser unterwirft sich jedem Joche; jener ist unternehmend, dieser blöde. Die größte Kühnheit im Denken verbindet sich mit dem folgsamsten Charakter.“ (Mme de Staël)

Selbst der SPIEGEL gebärdet sich gelegentlich wie ein Mystagogenblatt. Man kann Sarrazin für einen nicht ungefährlichen Wirrkopf halten: dass er aber den Koran las, um sich ein Bild vom Islam zu machen, ist wohl die erste Voraussetzung aller Beurteilungen. Für Sebastian Hammelehle hingegen ist das Lesen des heiligen Buches eine blasphemische Anmaßung:

„Sarrazin hat den Koran Wort für Wort gelesen. In einer deutschen Übersetzung. Er spricht kein Arabisch, hat weder Islamwissenschaften noch Theologie studiert, er ist Volkswirt, ein Mann der Empirie, des Nachprüfbaren. Doch die Empirie muss versagen, wenn es um das Wunder des Glaubens geht, um das Unsichtbare.“ (SPIEGEL.de)

Religionen, die sich heilig geben, sind auch heilig, geheimnisvoll und dem schnöden glaubensfeindlichen Verstand unzugänglich. Wer nicht mit heiligem Geist gesalbt ist, dem bleiben Offenbarungen verschlossen. Wörtliche Auslegungen wie bei säkularen Büchern sind Frevel.

Mit solchen Aufblähungen mussten sich bereits die ersten Aufklärer in Europa herumschlagen. Wir fahren mit Lichtgeschwindigkeit zurück ins theokratische Mittelalter. Es muss Dinge in dieser Gesellschaft geben, die direkt vom Himmel fielen, zu denen auch fromme Kanzlerinnen gehören müssen. Der respektlose Verstand kann sie nicht verstehen, er sollte sich in gebührender Entfernung halten.

Das dem Verstand unzugängliche Geheimnis ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Merkel‘schen Politik:

„Sie hat mal gesagt, sie fahre auf Sicht in einem nebligen Umfeld.“ (Sueddeutsche.de)

Was sie aber nicht gesagt hat: den Nebel stellt sie selber her oder lässt ihn von ihren professionellen Nebelbildnern herstellen. Auf Sicht fahren heißt, ohne Karte und langfristige Orientierung fahren. Sie fährt, wohin die zufällige Nebelabwesenheit sie führt. Das ist die unsichtbare Hand als GPS, als Gottes Private Stimme.

Vernunft hingegen denkt bis an die Grenzen der reinen Vernunft, jenseits derer nur belanglose Götter ihr Unwesen treiben. Die Grenzen der reinen Vernunft fallen zusammen mit den Grenzen der praktischen. Alles, was der Mensch praktisch und politisch zu bewältigen hat, muss durchdacht, durchstritten und von Menschen entschieden werden.

Das ist also der sachliche, nüchterne, analytische Politstil der Kanzlerin: wer nicht im Kleinen treu ist, ist es auch nicht im Großen. Das Große aber ist das Geschäft Gottes. Bleibt ihr nur der Gehorsam im Kleingedruckten, weshalb sie unfähig ist, eine rationale Politik zu entwerfen, die auf allgeneinen oder universellen Prinzipien beruht. Sie folgt Erleuchtungen und göttlichen Sonderfällen.

Nie ist sie es selbst, die anderen etwas zumutet, stets sind es anonyme Mächte: „Ich habe euch einiges zugemutet. Weil die Zeiten insgesamt uns einiges zugemutet haben.“ Die Zeit ist es, der Kairos, der Ruf aus der Höhe. Merkels Politik kennt kein Subjekt. Ihr Ich versteckt sie hinter dem Gott der Geschichte.

In einer Demokratie gelten Gesetze für alle. Staatliche Hilfen sind für alle da, die sie benötigen. Der Nächste, den man „lieben“ soll, ist jeder, der sich nicht selbst helfen kann. Der Staat hat nicht dem Prinzip Zufall zu folgen, nur einem Nächsten zu helfen, den Gott einem vor die Füße warf, sondern jedem, der es nötig hat. Der Nächste kann auch nicht beim ersten Besten abgeliefert werden, in der Meinung, man könne sich seiner Pflicht gegen Cash elegant entledigen.

Hilfe des Staates kommt vom Volk und nicht von einem kalten Staats-Ungeheuer. Sie ist – abstrakt und gilt allen, die auf sie angewiesen sind. Demokratische Abstraktheit ist konkrete Gleichheit vor dem Gesetz. Das Abstrakte und Konkrete sind keine Gegensätze.

Warum ist der klassische Liberalismus unter die Räder gekommen? Weil das Individuum nicht nur frei sein, sondern seine Freiheit auf Kosten der Freiheit aller andern ausdehnen wollte. In konkreten Dingen ist Freiheit ein knappes Gut und muss gerecht verteilt werden. Niemand darf so frei sein, dass er andere schädigen kann, um seine Freiheit ins Grenzenlose auszudehnen.

Merkels beste Entscheidungen waren situative Erleuchtungsentscheidungen. Auf geringe Sicht, mitten im Nebel Europas oder der Deutschen, die rechtzeitig aufzuklären und zu informieren sie nicht nötig hatte. Von Debattieren gar nicht zu reden. Der umstrittene Migrationspakt, unterschrieben von vielen Völkern, wurde erst wenige Tage vor der fälligen Unterschrift an die Öffentlichkeit gebracht.

„Wenn man Frau Merkel etwas vorwerfen kann, dann ist es, dass sie oft einsame Entscheidungen trifft. Entscheidungen, die weder im Parlament ausführlich debattiert noch mit europäischen Nachbarn abgestimmt werden. Man kann in der Sache immer der Meinung sein, dass sie das richtige getan hat. Trotzdem finde ich das Vorgehen falsch. Dazu gehört, dass die Fakten rechtzeitig auf den Tisch gelegt werden, dass die unterschiedlichen Interessen benannt werden, dass dann eine Diskussion ermöglicht wird – und erst dann eine Entscheidung getroffen und begründet wird. Das ist Demokratie. Wir brauchen keine Partei, keine Kanzlerin, keine Regierung, die so etwas alleine entscheidet, womöglich noch als Coup, von dem alle überrascht werden.“ (Rogall, SZ)

Merkel fährt auf Sicht: das ist unpolitisches Selektionsverfahren. Eben noch an der Spitze der Ökologiebewegung, gehört Deutschland heute zu den schlimmsten Klimasündern. Ähnliche Brüche und Ungereimtheiten treffen auf viele Punkte zu, die Merkel in begnadeter Fahrlässigkeit mit Hü und Hott zuschanden reitet.

Das Neue Testament ist keine politische Agenda. Es „weiß nichts von einer prinzipiellen Fragestellung, im Mittelpunkt stehen rein die Fragen des Seelenheils.“ Nirgendwo gibt es Aussichten auf stehende Verbesserungen der sozialen Lage oder Heilung der sozialen Schäden.“ Jesu Verheißungen beziehen sich nirgendwo „auf ein glückliches, ausgleichendes oder umkehrendes Jenseits, das den Besitzlosen durch das Evangelium gesichert würde; sondern es ist überall der ethische und religiöse Idealzustand einer rein von Gott beherrschten Welt.“ (Ernst Troeltsch, Die christlichen Soziallehren)

Der klaffende Gegensatz von theokratischer Situationsethik und genereller Demokratie gehört zu den Hauptwurzeln der sozialen Schieflage des kapitalistischen Westens. Das Matthäusprinzip lautet: Wer hat, dem wir gegeben, wer nichts hat, dem wird noch genommen, was er hat. Von Nächstenliebe keine Spur, nicht mal als erleuchtete Ausnahme.

Wenn es in der Schrift zu jedem Wort einen inkompatiblen Widerspruch gibt, kann man von folgerichtig-universellen Menschenrechten nicht mehr reden. Freie Fahrt den subjektiven Augenblickseingebungen, die am Ende alle miteinander kollidieren und sich gegenseitig aufheben. Das sind keine Nullsummenspiele, das sind Minus-unendliche-Selbstvernichtungen.

Was bleibt von Merkel? In prästabilierter Harmonie mit Beruhigungswünschen der Deutschen exekutiert sie mit schein-rationalen Methoden das irrationale Destruktionsbegehren der Deutschen. Ihr Stil ist nüchtern, ihr Ziel im Nebel der Abgrund.

Die suizidale Methode betrifft nicht nur die Deutschen. Trump, das Ehrlichkeitsgenie, ist der erste Weltpolitiker seit den Faschisten, der die rationalen Fassaden des Stils einstürzt und die irrationalen Inhalte unverblümt in Taten verwandelt.

Seit Merkels Amtsantritt tragen alle Fortschritte dazu bei, das finale Inferno unvermeidlich zu machen.

Wirtschaftswettbewerb vergrößert die Kluft zwischen Superreichen und Abgehängten ins Unermessliche, Millionen von Flüchtlingen finden keine Zuflucht, Länder und Reviere verbrennen unter der Hitze, Klimaveränderungen machen Menschen krank, das Meer wird zur Müllhalde, Wasser wird knapp, eine unfassliche Anzahl von Kindern verhungert, Demokratien werden zugrunde gerichtet, die UNO verliert an Einfluss, Mauern und militärische Abgrenzungen spalten die Völker. Jede Nation denkt an ihren Vorteil, ohne wahrzunehmen, dass sie ihr eigenes Wohl gefährdet. Die Kriegsgefahr steigt.

Wenn alle Menschen in einem Boot sitzen, werden sie es nur gemeinsam schaffen – oder gemeinsam untergehen.

All dies soll ausgerechnet mit jener Politikerin, in deren Amtszeit die Verschärfung aller Weltprobleme eskalierte, nichts zu tun haben?

Indem wir Merkel exkulpieren, sprechen wir uns selber frei.

 

Fortsetzung folgt.