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Sofort, Hier und Jetzt XI

Sofort, Hier und Jetzt XI,

„Unser Ziel war, jeden Tag ein Bild von jedem Fleck der Erde machen zu können. Das hat es in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben. Früher gab es eine große Aufregung, als das erste Foto der Erde aus dem Weltall veröffentlicht wurde. Erstmals sah man den Heimatplaneten in seiner ganzen Verletzlichkeit in der Schwärze des Alls. „Overview Effect“ heißt dieser erhabene Anblick, der vielen Betrachtern ein Gefühl davon vermittelte, wie schön und zerbrechlich die Erde ist.“ (Robbie Schingler, Mitgründer des Satellitenbetreibers Planet)

„Noch immer, davon ist jedenfalls auszugehen, schneidet das britische GCHQ in Bude, Cornwall permanent den transatlantischen Internetverkehr mit, vollständig. Noch immer, vermutlich noch weit häufiger, knacken die Geheimdienste der USA, Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands – die „Five Eyes“ eben – routinemäßig verschlüsselte Internetverbindungen, ohne Wissen oder Widerspruchsrecht der Betroffenen. Unter anderem um, so prahlte der ehemalige NSA- und CIA-Chef James Hayden einmal nonchalant, auf Basis solcher Daten bei Bedarf etwa „Leute umzubringen“. In der Regel unter Einsatz von Drohnen und Raketen, oft mit vielen unschuldigen Opfern.“

Die Europäer haben Grund, den afrikanischen Kontinent mit 2,5 Milliarden vornehmlich jungen Einwohnern im Jahr 2050 zu fürchten, wenn es nur noch 450 Millionen zumeist ältere Europäer geben wird„, sagt Smith. Dadurch werde der Migrationsdruck von Afrika nach Europa über die nächsten zwei Generationen erheblich zunehmen.“

„In Atwoods „The Handmaid’s Tale“ (auf Deutsch 1987 erschienen als „Report der Magd“) haben die Vereinigten Staaten sich in einen theokratisch-totalitären Staat namens Gilead verwandelt. Die Bevölkerung ist unfruchtbar, nur wenige Frauen können gebären. Diese werden hochrangigen Mitgliedern der Regierung

zugeführt, von diesen geschwängert und tragen ihre Kinder für die Ehefrauen aus.“ (Gilead – Teil des Gelobten Landes)

Was ist das Gemeinsame der vier Meldungen? Dystopien haben die Utopien eliminiert. Dystopie ist die Übersetzung von Inferno. Wenn Utopien als Illusionen geächtet werden, werden sie ersetzt von Orten des Grauens.

Dreisatz:

Wenn der Himmel auf Erden errichtet werden soll, wird er zur Hölle.

Wenn die Hölle auf Erden errichtet werden soll, wird sie – zur Hölle.

Frage: Was muss der Mensch tun, damit er auf Erden menschlich leben kann?

Wenn alle Menschen in den Weltraum fliegen und die Erde in ihrer Verletzlichkeit und Zerbrechlichkeit sehen könnten, wäre das ökologische Problem im NU gelöst. Da der Mensch aber inmitten seines Zerstörungswerks hausen muss, ist er den Trümmern seines Tuns zu nahe. Die Wunden der Natur kann er nicht wahrnehmen. Weiß er doch nicht einmal, ob es eine Natur gibt. Und gäbe es sie, ob er sie erkennen könnte. Und würde er sie erkennen, ob er den Willen und die Energie hätte, das Überkomplexe zu bewältigen.

Im 21. Jahrhundert hat der deutsche Bundespräsident das von der Aufklärung verriegelte Tor zum Bösen weit aufgestoßen.

„Frank-Walter Steinmeier hat zum Engagement gegen „grundlose Wut“ und „Demokratieverachtung“ aufgerufen. Eine Demokratie benötige „Menschen, die anpacken und nicht nur Schuldige und Sündenböcke suchen“, sagte der Bundespräsident.“ (SPIEGEL.de)

Grundlose Wut ist böse Wut. Das Böse hat keine benennbaren Wurzeln mehr. Es wird zum unbegreiflichen Ereignis aus einer anderen Welt, das nur durch Magie und Religion besiegbar wird.

 

 

Das Böse hat keinen natürlichen Grund. Hätte es einen, wäre Natur eine Erscheinung des Bösen. Natürliche Gründe für das Böse kann es keine geben. Kann das Böse nicht aus der Natur kommen, muss es übernatürliche Gründe haben. Da bietet sich der Satan an – der sich aber nicht selbst erschaffen haben kann. Also muss Gott der Schöpfer des Bösen sein.

Das führt zu logischen Rösselsprüngen der Theologen: „Gott kann infolge seiner Allwirksamkeit nicht an den tatsächlich geschehenden Sünden schuld sein. Dass aber das Böse im Sinn von Übel von Gott kommt, weil Gott alles Geschehene durchwaltet, ist klare Lehre der Schrift, welche gegen den Manichäismus festzuhalten ist – und für die Kinder Gottes überaus tröstlich ist.“ (Lutherische Dogmatik)

Dieser logische Irrsinn ist möglich, weil Gott irdischen Denkgesetzen nicht untertan ist. Je mehr der Westen in akausale Religion zurückfällt, umso weniger ist er fähig, seine bisherige technische Kompetenz – eine Errungenschaft der Aufklärung – zu erhalten.

Die Zivilisationen sind dabei, ihre maroden Strukturen durch Geistesabwesenheit vollends zu zertrümmern. Immer weniger sind die Zauberlehrlinge in der Lage, ihr System technisch und ökonomisch zu beherrschen. Wer grenzenloses Wachstum anbetet, gleichzeitig aber weiß, dass die begrenzte Natur kollabieren wird, ähnelt einem, der zwei und zwei nicht mehr addieren kann.

Für Hayek sind Gesetze des Marktes ohnehin Produkte des Zufalls und vom menschlichen Verstand nicht einsehbar. Wie kann man bändigen, was sich der Einsicht entzieht?

Wäre das Böse eine Naturerscheinung, hätte sie natürliche Gründe. In der Philosophie der Aufklärung ist das Böse ein fehlgeleitetes Gutes, dessen Entstehung man aus den Anfangsgründen des Guten ableiten kann.

Wer das Böse verhindern will, muss seine Entstehung rekonstruieren, um seine Wurzeln im Guten von seinen abgründigen Verfehlungen zu befreien. Das Böse ist ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft – das exakte Gegenteil zu Mephisto. Das Böse ist eine Lernverirrung.

Als man die Natur von allen bösen und himmlischen Geistern befreite, verwandelte sich das Böse in ein kausales Naturereignis. Ist menschliches Tun erkennbar, muss es Ursachen haben, die man rückwärts entschlüsseln kann. Wenn Natur beherrschbar wird, muss auch der Mensch beherrschbar werden. Denn er ist Natur.

„So entspricht der reinen Selbstgesetzlichkeit der Natur die Autonomie des Verstandes. In ein und demselben geistigen Emanzipationsprozess sucht die Philosophie der Aufklärung die Selbstständigkeit der Natur und die Selbstständigkeit des Verstandes zu erweisen. Jede Vermittlung zwischen beiden, die sich auf eine jenseitige Kraft und auf ein jenseitiges Sein beruft, wird damit entbehrlich.“ (Ernst Cassirer, Philosophie der Aufklärung)

Steinmeier hat die politische Debatte dem Teufel übergeben. Denn grundlose Wut ist böse, teuflische Wut. Kann man mit Bösen sprechen? Kann man das Böse verstehen? Das Böse hat keine Gründe, also keine Sprache. Wer keine Sprache hat, mit dem kann man nicht reden. Man kann ihm nur den Schädel einschlagen. Das Böse kann man auch nicht verstehen, denn verstehen kann man nur kausale Ableitungen.

Die Rechten sind gefährlich, denn auch sie glauben an das Böse, das man nicht verstehen kann. Wen man nicht verstehen kann, mit dem kann man nicht reden. Hier kann nur Gewalt weiterhelfen. Es bleibt nur eine Möglichkeit, die bösen Rechten zu bekämpfen: man muss sie mit Gewalt vor sich hertreiben. In totalitären Staaten würde man sie aussortieren und töten.

In der ökonomischen und politischen Gegenwart triumphiert das wiedererstandene Böse. Die Epoche der Aufklärung ist vorbei. Da das Böse die Welt regieren soll, muss das Gute als moralische Politik weichen.

Auf eine Merkwürdigkeit muss hingewiesen werden. Die Schlechtmenschenfront geifert zunehmend gegen das Gute – weil es böse Folgen nach sich ziehen würde. Kann es denn gut sein, wenn es böse Konsequenzen nach sich zieht?

Wäre es nur scheinbar gut, wäre der Vorwurf berechtigt. Ein scheinbares Gutes aber ist nicht gut. Das lässt nur den Schluss zu: die Schlechtmenschenfront kann das Moralische nur angreifen, weil es ihr moralisch nicht gut genug ist.

Das zeigt den Stand der Debatte: wenn selbst die Schlechten die Guten nur angreifen können unter dem Vorwand, sie seien nicht moralisch genug, wären selbst die Schlechten schon so weit vom Guten infiziert, dass sie sich selbst widersprächen, wenn sie das Moralische in Bausch und Bogen verwerfen würden.

Das Böse als Unerklärliches, nur mit dem Schwert Auszurottendes, war Einfallstor des Übernatürlichen oder Göttlichen. Nur den Griechen gelang es, das Reich des Mythischen so weit zu besiegen, dass das Böse zum natürlichen Fehlvorgang entmystifiziert werden konnte. Erst wenn das Böse zu einem Irrweg des Menschlichen rationalisiert werden kann, können autonome Menschen sich die Frage stellen: In welcher Gesellschaft können wir uns als irrende, aber nicht irreversibel böse Wesen begegnen, um soziale Konflikte als lösbare zu betrachten?

Erst, wenn das Böse als geheimnisvolle Kraft beseitigt ist, kann sich eine Demokratie behaupten. Was sagt das über unsere Demokratie, wenn eine Krise genügt, das theologische Böse wieder zurückzurufen?

„Es liegt auf der Hand, dass der streng gesetzlich verlaufende Weltmechanismus für einen Eingriff von Göttern nicht die geringste Möglichkeit bot.“ (Nestle über Demokrit)

Auf ein Problem muss noch hingewiesen werden. Im Banne der neu entdeckten Kausalität der Natur waren auch die modernen Aufklärer von der mechanischen Struktur des Menschen – zumeist im Symbol der Uhr – überzeugt. Gleichzeitig waren sie glühende Anhänger der Freiheit. Wie reimt sich das?

Freiheit, so Kants Antwort, könne man nicht objektiv beweisen. Denn alles Objektive beruhe auf kausalen Gesetzen. Subjektiv aber könne man beweisen, dass man ein freies Wesen sei, indem man – frei handelt. Freiheit muss man sich beweisen, indem man als freier Mensch tätig ist.

Naturgötter sind mit kausalen Gesetzen vereinbar. Zumeist sind sie nur deren Personifizierungen. Nur ein übernatürlicher Gott – zumal ein Schöpfer – empfindet es als Zumutung, Gesetzen untertan zu sein, die er selbst geschaffen haben will. Für einen solchen Gott gilt die Formel: Statt eines Grundes gelte mein Wille (sit pro ratione voluntas).

An die Stelle der ratio tritt der irrationale Wille: das war die Abgrenzungsformel der Scholastik von der Logik der Griechen, das war der Abgesang der Romantik von der modernen Aufklärung. Das ist der heutige Abschied von der Kausalität menschlicher Beweggründe, die man nicht mehr verstehen darf, um nicht der Kumpanei mit dem Verwerflichen verdächtigt zu werden.

Grundlose Wut kann man nicht verstehen, man kann nur Gründe verstehen. Seien es gradlinige Gründe der Vernunft, seien es verzwickte Gründe irrationaler Emotionen. Der freie rationale Wille ist immer verstehbar. Denn Vernunft ist eine transparente Angelegenheit. Für ästhetische Genießer des schillernden Bösen ist Vernunft langweilig, weil sie immer dasselbe sagt und tut.

„Denn die Philosophie sagt immer dasselbe, nämlich die Wahrheit, dass es nur wirkliches Unglück gibt, schlecht oder ungerecht zu handeln, und nur ein wirkliches Glück, gut oder gerecht zu handeln.“ Sagte Sokrates.

Auch der unfreie Wille ist verstehbar, sofern man gewillt ist, unbewussten Gesetzen der Gefühle zu folgen, die so irrational nie sind, dass man den Anderen nicht als Mensch anerkennen könnte – wenn auch gelegentlich in schrecklichen Fehlentwicklungen. Auch Bruder Hitler ist verstehbar – nach der Devise: ich bin ein Mensch, nichts Menschliches ist mir fremd.

Die Hitlerei werden wir niemals besiegen, wenn wir den Hitler in uns nicht verstehen – und durch Verstehen überwinden. Verstehen ist kein distanzloser Akt der Überidentifikation, sondern ein aufmerksames Nachvollziehen und ein strenges Bewerten. Nachvollziehen des Werdens eines Charakters und unbestechliches Kritisieren der Handlungen desselben.

Interessant, dass ausgerechnet die Gegner der Moral sich dem Verstehen der Bösen verweigern. Sie spielen sich als die Guten auf, die es unter ihrer Würde empfinden, Verbrecher und Gewalttäter anzuerkennen, deren Biographie die schrecklichsten Beschädigungen aufweisen, die sie mit Zins und Zinseszins an Unschuldige weitergegeben haben.

Voluntarismus als Wille zur Macht wurde zur Ideologie aller modernen Totalitarismen. Der allmächtige Wille will, was immer er will. Gründe gibt es keine. Wer diesem Willen widersteht, kann die besten Argumente dieser Welt ins Feld führen: sprach- und tonlos wird er vom unfehlbaren Willen zur Macht zunichte gemacht werden.

Gegenwärtig wird die Vernunft der UN-Charta aus allen Richtungen beschossen und demontiert. Das Aufatmen der Völker in der humanen Luft der Menschenrechte – nach unausdenkbaren Völkerverbrechen – hat seinen Zenit überschritten. Die Pendelbewegungen der Geschichte sind Trotz- und Rachebewegungen der Vielen, die sich vom Ideal der Humanität ausgeschlossen fühlten und sich nun an allen rächen wollen, die sie als Lieblinge und Nutznießer der Geschichte empfinden.

Für Eliten war Humanität ohnehin nie etwas anderes als eine bequeme Absicherung ihrer inhumanen Geschäfte. Wie die Moralpredigt der Kirche einst nichts anderes war als ein Disziplinierungsmittel fürs störrische Volk, um es mit geringem Aufwand zum Gehorsam zu nötigen.

Zur Regression des Rationalen gehört die Dreistigkeit der Frommen, die historischen Sünden der Kirchen zu verharmlosen. Hexenprozesse, Inquisition? Alles aufgebauschte Lügenmärchen der Gottlosen. So Jens Jessen in der ZEIT:

„Noch immer gehen viele Menschen fraglos davon aus, dass die Hexenverfolgungen, um nur ein Beispiel zu nennen, kirchlich veranlasst waren, obwohl ihnen die höhere Geistlichkeit, viele Bischöfe und Päpste entgegentraten; unter anderem mit dem schlagenden Argument, dass allein schon die Annahme, es könne Hexen geben, schlimmer Aberglaube sei. Ähnliches gilt für das stereotyp angenommene Wüten der Inquisition, dem keine realen Zahlen entsprechen. Für Rom sind kaum Hinrichtungen nachweisbar, in Spanien, immerhin dem Mutterland der Inquisition, endete nur ein Bruchteil der in der Tat zahllosen Verfahren mit Todesurteilen. Die meisten Gewalttaten, die man der Kirche anlastet, waren spontane Pogrome oder Übergriffe der weltlichen Mächte, einschließlich der Exzesse während der Kreuzzüge.“ (ZEIT.de)

Der amerikanische Historiker Henry Charles Lea nannte die Inquisition eine „einzigartige Verhöhnung der Gerechtigkeit – vielleicht die frevelhafteste, die je von Menschen mit willkürlicher Grausamkeit ersonnen wurde. … Fanatischer Eifer, unersättliche Habgier wetteiferten miteinander beim Aufbau eines Systems von unaussprechlicher Scheußlichkeit.“

Schon früh begann die Kirche, ihre Menschheitsverbrechen zu verteidigen, ja zu verharmlosen. Heutige Verteidiger der Inquisition behaupten, sie hätte auch guten Zwecken gedient, indem sie den weltlichen Mächten geholfen hätten, Kriminelle der Justiz zu überstellen. „Noch vor wenigen Jahren fand sich in katholischen Handbüchern die lügenhafte Behauptung, die Inquisition sei ein reines Zivilgericht gewesen.“

Lea: „Es liegt etwas fürchterlich Groteskes darin, ehrbare fleißige Menschen zu Tausenden ihrem Heim zu entreißen, sie in Verliesen dem Hunger und der Verwesung preiszugeben und sich den Unterhaltskosten für sie zu entziehen, indem man sie den Gläubigen als Objekte der Nächstenliebe vorführt. Die Proklamation Gregors im Jahre 1376 ist vielleicht das schamloseste Zeugnis einer schamlosen Zeit.“

Niemand wurde je frei gesprochen. Hätte ein Opfer der Folter widerstanden und sie überlebt – was unmöglich war – hätte es nie die Freiheit erlangt. Wegen Verstocktheit wäre es zu lebenslangem Kerker verurteilt worden. Jeder Prozess war geheim. Den Angeklagten wurde weder die Art der Anschuldigung mitgeteilt, noch wurde ihnen Rechtsbeistand gestattet. Zeugen blieben anonym. Entlastende Aussagen wurden nicht zugelassen. Wer Fürsprache einlegte, wurde als Mittäter festgenommen. Folter war obligatorisch – ohne Begrenzung ihrer Dauer und Brutalität. Keine angeklagte Person wurde je für unschuldig befunden.

Die Mär von der unschuldigen Kirche wurde 1521 durch eine Bulle Papst Leos X. aufgebracht. Nicht selten wurden Protokolle gefälscht. Zudem hatten die Inquisitoren für jeden Vorgang einen besonderen Ausdruck, vergleichbar den Lügenbegriffen der heutigen Werbung, Industrie und anderer Mächte. Von Opfern der Folter hieß es, sie würden „lachen“, wenn die Qual ihr Gesicht entstellte. Sie würden schlafen, wenn sie ohnmächtig wurden. Wer unter der Folter starb, hatte „Selbstmord“ begangen oder sei vom Teufel höchst selbst erschlagen worden.

Die öffentlichen Verbrennungen waren nur die Spitze des Eisbergs. Hunderttausende, wenn nicht Millionen, fielen den päpstlichen Kreuzzügen gegen die Ketzer zum Opfer. Das deutsche Reich war um 1500 „nahezu vollständig mit dem Anlegen von Scheiterhaufen beschäftigt. 1524 starben in Como 1000 Hexen. Straßburg verbrannte 5000 Hexen innerhalb von 20 Jahren. Im 15. Jahrhundert sollen mehr als 30 000 Hexen hingerichtet worden sein. Das ganze christliche Europa war für gut 500 Jahre mit diesem Morden beschäftigt. Der Henker von Neisse in Schlesien erfand einen Ofen, in dem er während eines Jahres 42 Frauen und Mädchen zu Tode röstete, innerhalb von neun Jahren tötete er mehr als 1000 Menschen, darunter zwei- bis vierjährige Kinder.

Sexuelle Sadismen waren die Hauptantriebskraft der Hexenjagd. Die Folterknechte traktierten mit rotglühenden Eisen und Zangen Brüste und Genitalien der Frauen.

Selbst im letzten Jahrhundert versuchten katholische Würdenträger, die Inquisition in ein mildes Licht zu stellen. Kardinal Lepicier erklärte mit ausdrücklicher Unterstützung Papst Pius X. die kirchliche Schreckensherrschaft für rechtmäßig, weil sie von der unfehlbaren Kirche ausgeübt wurde.

Der Historiker Klaus Vetter schrieb: „Mussolini, Franco, Salazar, Hitler, Perron und nahezu alle lateinamerikanischen Diktatoren waren oder sind römische Katholiken – zumindest, was ihre Herkunft und Erziehung betrifft. Stalin hatte eine gründliche Ausbildung für das Priesteramt einer vergleichbar diktatorischen Kirche genossen. Sowohl im Islam als auch im Christentum wurde den naiven Gläubigen über lange Zeit gepredigt, es sei ihre Pflicht, die Ungläubigen umzubringen.“

Es ist eine beunruhigende Vorstellung, diese unheilvolle Macht könnte wieder belebt werden. Die Erlasse, auf die man die Inquisition gründete, sind nie aufgehoben worden.

Lea: „Man sollte es kaum für möglich halten, dass es in dem aufgeklärten 19. Jahrhundert noch Menschen gibt, die kühn genug sind, das Verfahren der Kirche gegen die Ketzer zu verteidigen – indem man sie dreist leugnet.“

Man sollte es kaum für möglich halten, dass es in Deutschland einflussreiche Stimmen in den Medien gibt, die die Menschheitsverbrechen der Kirche bagatellisieren. Zu ihnen gehört Jens Jessen in der seriösen ZEIT, der seinen Artikel mit dem Satz krönt:

„Sündenfreiheit ist nie behauptet worden.“

Nur sein Kollege Bernd Ulrich bringt es fertig, die Lügenorgie Jessens mit den Aussagen zu übertreffen:

„Deutschland insbesondere ist zurzeit ein moralisch aufgedunsenes Land. Mit gewaltigen moralischen Ansprüchen und gegenseitigen Vorwürfen werden öffentliche Debatten bestritten. Wie lässt sich nun der öffentliche Raum entmoralisieren, wie bekommt man wieder mehr Luft, gar neue Lässigkeit?“ (ZEIT.de)

Ein moralisch aufgedunsenes Land, das zugleich entpolitisiert ist, sich den Forderungen der Vernunft entzieht, Verbrechen der Religion verharmlost, kann weder moralisch noch politisch sein.

Deutschland ist dabei, den von Novalis gezeigten Weg ins Mittelalter erneut zu gehen. Das Leitbild der Scholastiker hieß, alles Elend der Welt gründe in demselben Laster: der Anmaßung und Arroganz der Vernunft. Menschliche Vernunft dürfe nie Richter und Herr sein. Nur die Einfalt des Glaubens könne uns vor Fallstricken und Täuschungen der Vernunft bewahren; Gott sei an Regeln der menschlichen Logik nicht gebunden.

Gerüstet mit himmlischen Weisheiten, gehören die Deutschen zu den klugen Jungfrauen, die, mit der Lampe in der Hand, ihrem Erlöser entgegen gehen: Maranatha, Herr, komm, ach komme bald.

 

Fortsetzung folgt.