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Estragon: Komm, wir demonstrieren gegen den Untergang!
Wladimir: Wir können nicht.
Estragon: Warum nicht?
Wladimir: Wir warten auf den Untergang!
Estragon: Ah!

Die Deutschen spielen ihr Lieblingsspiel: Wir sind dann mal weg.

Sie wollen geräuschlos, diszipliniert und erhobenen Hauptes untergehen – unter Wahrung der Schulpflicht und der grenzenlosen Freiheit, sich ihren Abgang von keinem Verbot vermiesen zu lassen.

Die Gegner der infantilen Alarmisten – ausnahmslos versteinerte Männer und mächtige Pastorentöchter – beharren auf dem Recht der Titanic, unter lieblichen Klängen der Bordkapelle im eiskalten Wasser zu verschwinden.

Wem Revolution verboten ist, weil er den Rasen des Kanzleramts nicht betreten darf, dem ist auch Widerstand gegen das Klippenspringen der Lemminge verboten.

Eine Nation, die Sterbehilfe verbietet, ist vernarrt in das Risiko, durch kollektive Sterbehilfe den Abgang zu machen.

Abtreiben von Ungeborenen ist verboten, Abtreiben von Geborenen aber ein Geschenk Gottes, das niemand ablehnen darf.

Angehörige der Erlöserreligionen finden es ungeheuer, das vorausgesagte Jüngste Gericht abzulehnen. Wer den Untergang verschmäht, wird sich den Aufstieg ins Himmelreich verscherzen.

Bedroht eine fremde Macht die eigene Nation mit Auslöschen, wird sie mit Bundeswehr und NATO zurückbedroht. Wer aber die ganze Welt ausradiert, wird in

grenzenlosem Wohlstand gefördert. Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten gelten als Helden der Nation, doch Naturschützern und Menschheitsrettern wird die Gemeinnützigkeit entzogen.

Neutrale Medien lehnen es ab, sich gemein zu machen mit Überlebensneurotikern oder Untergangssüchtigen. Anne Will stand kühl und neutral über beiden Parteien, um Sein oder Nichtsein zu prüfen.

Deutsche Edelschreiber missbilligen ein dogmatisches Entweder-Oder, ein Schwarz oder Weiß. Sie bevorzugen die Beobachterposition in objektiver Äquidistanz. Zwischen Leben und Tod muss es doch ein Drittes geben. Von niemandem darf man gezwungen werden, die gräuliche Zone der Lauheit und Unentschlossenheit zu verlassen.

Für die Öffentlich-Rechtlichen ist es ohnehin eine Zumutung, sich auf einen apokalyptischen Tag X einzustellen. Wer in permanenter Seichtigkeit des Seins Sport oder Prominenten-Klamauk zeigen muss, damit wir nicht an Langeweile ersticken, darf nicht mit finalen Quisquilien belästigt werden.

Memento mori: wer leben will, muss dem Tod ins Auge schauen.

In Japan haben schon viele Hikikomori mit dem Leben abgeschlossen – durch Rückzug ins einsame Vorlaufen zum Tode. Den Hikikomori folgen die Morituri: ade, Natur, die Todgeweihten grüßen dich ein letztes Mal.

Heidegger, deutscher Denkergigant, ist widerlegt: der je-meinige Tod wird vom je-unsrigen überwältigt. Im Leben eine isolierte Monade, im kollektiven Tod die Allversöhnung mit der Gattung. Im Nichtsein sind wir nie mehr allein.

Tod, wo ist dein Stachel? Sensenmann, wo ist dein Sieg? Wer sehenden Auges in den Tod geht, der hat ihn überwunden: Grenzenlosigkeit hat den Kampf gegen Vergänglichkeit gewonnen. Heil uns, wir werden leben. Unvergänglichkeit, komm, ach komm in unsre Brust.

Wer wird sich denn vor dem Tode ängstigen, wenn er durch künstliche Intelligenz unsterblich werden kann? Der Klimatod scheidet die Geister. Die Angstfreien werden errettet, die anderen vom höllischen Feuer geholt. Wer Silicon Valley und dem Fortschritt vertraut, der lacht über die Apokalypse.

Ist es nicht höchst possierlich, wie die Eintagsfliegen an ihrem bisschen Leben hängen? Hier zeigt sich, wer an das Genie der Menschen glaubt – und wer im Unglauben untergehen muss.

„Sollte ich sie aus der Gewalt der Unterwelt loskaufen? Her mit deinen Seuchen, Tod! Her, Unterwelt, mit deiner Pest! Mitleid kenne ich nicht mehr.“ (Hosea)

Wer sich seines Lebens freuen und lachen kann, kann sich auch zu Tode lachen: wovor sollte er Angst haben?

„Die Redensarten: sich kranklachen, buckelig lachen, vor Lachen bersten wollen etc., sind nicht ganz aus der Luft gegriffen. Das Blut dringt beim Lachen nach Hals, Kopf, den Lungen und dem Herzen, und wenn dieses im Uebermaß und zu gewaltsam geschieht, so können schlimme Folgen daraus entstehen.“

Freuen wir uns auf die letzte Epoche der Menschheit. Endlich wird Schluss sein mit der ganzen Mühe und Plackerei.

„Der Tod ist das Tor zum Licht nach einem mühsamen Leben“, sprach der Heilige. Der bevorstehende Gattungstod wird den Weizen von der Spreu scheiden. Nun kommt es an den Tag, wes Geistes Kind du bist: zitterst du schon oder freust du dich?

Warum sollten sie sich vor dem Tod ängstigen, wenn sie ihn mit Hilfe ihres Heilands besiegt haben? Mitten im Leben sind sie vom Tod umfangen? Umgekehrt wird ein Schuh draus: Mitten im Tod sind sie vom Leben umfangen.

Der drohende Gattungstod ist das Schibboleth, an dem die Geister sich zur Kenntlichkeit entlarven. Er ist das vorweggenommene, selbst produzierte Jüngste Gericht: nun endlich soll das letzte Wort gesprochen werden. Schluss mit dem Verzug bis zum Sankt Nimmerleinstag.

Die Kultur der Moderne ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Sie glauben zu glauben, allein, sie müssen herstellen, was sie glauben, weil sie nicht ertragen, immer nur blind zu vertrauen. Sehen wollen sie, was sie glauben. Also sind sie genötigt, ihren Glauben in Kultur und Zivilisation zu verwandeln.

Nun zeigt sich, wer an die Todlosigkeit glaubt: er wird kein Risiko scheuen, das Leben in Stücke zu hauen, um zu erleben, woran er immer geglaubt.

Kein Grund zur Beunruhigung. Spotten wir der Klimakatastrophe: lachen wir uns zu Tode.

Apokalypsen nerven. Selbst Experten, die sie durch Verleugnen verhindern wollen:

„Politische Kraft erwächst nicht aus Fatalismus, schon gar nicht aus der Kombination von historischem Maximalkomfort und Sich-doof-Stellen. Und nicht aus diesem saudummen Reden über Welt- und Planetenretten. Man kann auch vieles wieder gutmachen, was ruiniert worden ist. – Warum reden wir eigentlich so wenig über die erfolgreiche Renaturierung von Flüssen, die Wiedervernässung von Sümpfen, die Erholung von Tierpopulationen? Kann es sein, dass die routiniert negative Zukunftssicht, dieses anheimelnd Apokalyptische unserer Gegenwartskultur nur Zynismus ist, weil man nicht einzugestehen bereit ist, auf welchen Fehlern, Lügen, Ungerechtigkeiten und Anachronismen die eigene Existenzweise beruht? Und dass man höchsten Aufwand in das Wieder-und-wieder-Erzählen steckt, dass das alles ja nicht gutgehen kann und das Ende nah ist? Alles wird gut. Niemand sagt, es sei einfach, dafür zu sorgen, dass alles gut wird. Aber es ist der Anfang eines politisch Neuen, das für möglich zu halten.“ (TAZ.de)

Alles wird gut? Das ist wahre Prophetie als Beruhigungsdroge, nicht mal Merkel spricht in solcher Vermessenheit. Sie weiß nur: alles wird, wie der Himmel es will. Der teuflische Staat muss eines Tages zugrunde gehen. Bis dahin muss ihm gedient werden. Für Gläubige ein Triumphtag, für andere das Gegenteil.

Welzer übertrifft seine Kanzlerin an Palliativwirkung. Die Deutschen hören solches gern. Es beruhigt ihr schlechtes Gewissen, wenn alles – unabhängig von ihrem Einsatz – gut werden wird. Gewiss ist vieles besser geworden, isoliert betrachtet. Gemessen am Maß der Verwüstung aber ist das Gute weit zurückgeblieben: die Katastrophe steht vor der Tür, durch Segenssprüche lässt sie sich nicht wegzaubern.

Wie alle Deutsche kann Welzer zwischen biblischer Apokalypse – und rationalen Warnungen nicht unterscheiden. Die „Apokalypsen“ der Klimawissenschaftler wollen verhindern, wovor sie warnen. Sie wollen die Prophetien der Schrift mit aller Kraft bekämpfen. Sie kennen keine automatischen Geschichtsabläufe. Wozu sollten sie Naturgesetze studieren, wenn nicht als Mittel, um sein Schicksal selbst zu gestalten?

Eine reine Grundsatzwissenschaft hat es im Abendland nie gegeben. Dies blieb der Traum jener Wissenschaftler, die in griechischem Geist nur erkennen wollten. Sonst nichts. Als die Wissenschaft in die Hände mittelalterlicher Mönche fiel, war es um die reine Theorie geschehen. Ab jetzt wollten sie die Natur erforschen, um sie durch Unterwerfung zu besiegen.

Siegen durch Unterliegen, Herrschen durch Gehorsamsein, Macht erkämpfen durch ohnmächtiges Leiden: das ist das Geheimnis des christlichen Siegs über die Welt. Das ist Merkels Machtgeheimnis, die Deutschen wissen es zu schätzen.

Hält Welzer die Ergebnisse der Naturwissenschaft für apokalyptische Zynismen? Was er im Affekt äußert, ähnelt der Desavouierung rationaler Warner in BILD:

„Angstmann Lesch malt dem Publikum die Klima-Apokalypse weiter aus: „Weil wir Stürme hätten, die Zentraleuropa einfach wegrasiert hätten!“ (BILD.de)

Wer nachprüfbare Ergebnisse vorlegt, der soll ein Angstmann sein? Will er nicht im Gegenteil die Ängste bearbeiten, indem er alle auffordert: tut was, noch haben wir eine Chance?

Im selben Geist der Wahrheitsverdrehung schreibt Ansgar Graw in der WELT: „Nur Sekunden nach Habeck tritt Baerbock klagend auf die Bühne“. Der Bote der schlechten Nachrichten wird zu ihrem Urheber gemacht.

Jetzt geht ein Riss durch Deutschland. Einerseits werden die Grünen immer populärer, weil die Deutschen von ihnen die beste Aufklärung erwarten, andererseits werden sie von ihren Gegnern als Unheilspropheten desavouiert.

Da musste Anne Will schlucken, als Greta Thunberg die Frage, wie sie zu ihren Erkenntnissen gekommen sei, mit dem schlichten Satz beantwortete:

„Ich bin Realistin. Ich sehe Fakten.“ So beantwortete die 16-jährige Schwedin Anne Wills Frage nach dem Quell ihrer „radikalen Entschlossenheit“. (SPIEGEL.de)

Die idealistische Schwedin, eine Mischung aus Genie und Asperger, will ausgerechnet eine Realistin sein? Dann wäre sie ja eine Kollegin der Fakten-Medien! Warum haben dann nicht die großen Medien, die Investigativ-Journalisten, den gefährlichen Klimaskandal aufgedeckt, obgleich die Wissenschaft bereits seit 4 Jahrzehnten alarmierende Bücher darüber veröffentlicht? Die Naturwissenschaften hatten die Fakten. Niemand interessierte sich für sie, am wenigsten die Fakten-Medien.

Hier stoßen wir auf dieselben Defekte der Medien, die schon beim Trump-Skandal zu sehen waren. Wer sich nur auf Faktentreue beruft, verrät die Fakten, denn diese wollen bewertet und gewichtet, auf Deutsch, sie wollen durchdacht werden.

Dass Fakten wahr sein müssen, ist trivial. Doch Fakten gibt es wie Sand am Meer. Es kommt darauf an, die entscheidenden und wichtigen Fakten zu finden und Folgerungen aus ihnen zu ziehen.

Eben dies ist das große Versäumnis der Medien. Sie wollen unangreifbar sein durch Reportieren bloßer Fakten. Das Schlussfolgern aus den Fakten obliege dem Publikum. Gewiss, dem auch. Aber auch den Schreibern, die eine Vierte Gewalt in der Demokratie sein wollen. Nichts kann überprüft werden ohne scharfe Meinungsbildung.

Medien, die sich dieser Aufgabe verweigern, übermitteln Fakten, die selbst dann falsch und irreführend sind, wenn sie – richtig wären. Wie das? Weil sie mit Hilfe von Fakten subkutane Meinungen vermitteln. Wird Trump vieler Verbrechen verdächtigt, lautet die subkutane Folgerung: dann ist er ein Verbrecher und muss des Amtes enthoben werden.

Nicht mehr die Politik Trumps steht im Mittelpunkt der medialen Berichte, sondern seine außer-politischen Machenschaften. Zwar könnten diese – wenn bewiesen – politische Brisanz erlangen. Solange sie aber unbewiesen sind, müssten sie separat behandelt werden. Im Mittelpunkt der Berichterstattung muss stehen, was vor aller Augen ist: die Politik.

Bei Strahlemann Obama war es exakt umgekehrt. Obgleich ein vielfacher Kriegsverbrecher, verlieh man ihm den Friedensnobelpreis, seine Machenschaften werden bis heute nicht zur Kenntnis genommen:

„Der Friedensnobelpreisträger Obama ist ein Kriegsverbrecher. In seiner Amtszeit ließ er 26.172 Bomben abwerfen, denen unzählige unschuldige Menschen zum Opfer fielen. Er führte in fünf Ländern gleichzeitig Krieg. Obama hatte zwar den Drohnenkrieg von Bush übernommen, weitete ihn aber im Laufe seiner Regierungszeit erheblich aus. Davon hören Sie kein Wort im öffentlichen Diskurs unseres Landes.“ (der-Freitag.de)

Die Presse machte aus Trumps Politik eine Geschichte mit dämonischer Faszination – die auf unbewiesenen Fakten beruhte. Die Schreiber betonten stets die Fakten, gleichwohl strebten sie nach neuen Ufern. Sie wollen literarische Gestalter sein, die mit windigen Fakten eindrucksvolle ästhetische Gebilde komponieren. Sie langweilen sich mit der Kärrnerarbeit, bloße Fakten und Zahlen zu übermitteln.

Warum weigern sie sich, ihre Fakten einer politischen Beurteilung zu unterziehen? Weil sie seit dem Wohlstand der Nachkriegszeit nicht mehr in linke und rechte Kommentatoren aufgespalten werden wollten. Dem Neoliberalismus gelang es, die rasende Evolution derart zu glorifizieren, dass jeder Klassenkampf obsolet erschien.

Links und rechts wurden zur ermüdenden Besserwisserei. Linke und Rechte verschmolzen zur weltbeherrschenden Globalisierung des Westens. Wer die triumphale Kosmokratie attackierte, wurde zum Wadlbeißer erklärt. Man war der ideologischen Streitigkeiten der 60er Jahre müde.

Der ökonomische Zug fuhr mit beschleunigter Geschwindigkeit in eine unbekannte Zukunft. Wer ihn mit altmodischen Kriterien stoppen wollte, hätte ihn zum Entgleisen gebracht. Das hätte den Vorsprung des Westens gefährden können und durfte also nicht sein. Im Zuge der wirtschaftlichen Verflechtung rückten die Eliten zusammen, die Medien mitten unter ihnen. Der Kapitalismus wurde zur besten Ökonomie aller Zeiten erklärt.

In der amerikanischen Nachkriegsgeschichte dominierte der Geist der strahlenden Demokratie, die den Nationalsozialismus besiegt hatte. Roosevelts New Deal sorgte für eine Gerechtigkeit, die sich heute kein Amerikaner mehr vorstellen kann. Milliardäre waren unbekannt. Die Reichensteuer war auf die 90%-Marke gestiegen. Hier war niemand auf niemanden neidisch. Vater war der Beste, Mutter die Allerbeste, in der Familie der Hausbesitzer wuchsen selbstbewusste Kinder heran.

Als Reagan die Pforten des neoliberalen Unheils öffnete, explodierte die Entwicklung des Reichtums ins Grenzenlose, unterstützt von neu erwachten religiösen Kräften, die den Neoliberalismus als Gottes Willen deklarierten.

Die Medien verabschiedeten sich von der Wächterfunktion und ernannten sich zu Hofdichtern der Weltführung. Die Ästhetik der Geschichtenerzählter begnügte sich nicht mit schlichter Widerspiegelung der Realität, sie wollte aufdecken. Aufdecken kann man nur, was sich der Wahrnehmung entzieht: das Unangepasste, Verkehrte, Böse. Das Gute ist reizlos, steif und bigott.

Hillary war die Gute als Widerpart des Bösen, doch niemand bedauerte, dass sie in den Graben fiel. Trump war die Überraschung aus der Teufelsmaschine, an die niemand glauben wollte.

Als er siegte, waren alle entzückt, wenngleich im Modus der Entrüstung. Was er offiziell produzierte, hätte ausgereicht, um seine Politik als „unamerikanisch“ zu entlarven. Hier stellten sich Fragen, die eine dringende Antwort verdient hätten, doch die Medien verweigerten sich. Wie war das Phänomen Trump zu erklären? Erklären ist Nachvollziehen des Werdens, Entwicklung der Vergangenheit zur Gegenwart.

Doch hier endete der Spaß. Wer immer nach vorne schauen muss, kennt keine Vergangenheit mehr. Wer sich täglich neu erfinden muss, kennt keine alten Wurzeln. Medien erklären nicht. Sie beschränken sich auf den Tag und überlassen das Erklären des Vergangenen den Historikern. Diese denken nicht daran, ihre Erkenntnisse des Vergangenen zu nutzen, um das Gegenwärtige zu erklären.

Während Historiker die Vergangenheit erklären, ohne sie zur Erkenntnis der Gegenwart zu nutzen (Historismus), schauen Journalisten nur auf Fakten der Gegenwart, die sie ohne Vergangenheit aber nicht erklären können. Was bleibt? Das nackte Berichten von Fakten, die keine Aussagekraft haben:

„Es ist ja auch nicht die Aufgabe von Reportern, Straftaten nachzuweisen. Ihre Aufgabe ist es, Fakten aufzudecken. Und bei der Russland-Berichterstattung wurden viele sehr wichtige Fakten aufgedeckt. Resultierten die in Straftaten? Das zu behaupten, sollten wir uns als Reporter nicht anmaßen.“ (SPIEGEL.de)

Kann man nichts erklären, bleiben nur Schauermärchen, sonst Verschwörungstheorien genannt: der böse Russe war es, der Trump in den Sattel hob. An allen Übeln des Westens ist der Russe schuld. Selbst an der Empörungsbewegung der Jugend muss er beteiligt gewesen sein, sonst hätte sie nicht so mächtig ins Kraut schießen können – vermutete die deutsche Kanzlerin. Von ihrer Jugend muss sie eine hohe Meinung haben, dass sie nach Belieben manipuliert werden kann.

In Amerika nicht anders. An allen Übeln von Gods own country sind Russen schuld. Im Kalten Krieg waren es die Kommunisten, bei Allan Bloom die deutschen Vorkriegsdenker, dann die Japaner, die indischen Baghwan-Verführer, die Chinesen, zwischendurch die französischen Postmodernisten, heute wieder die Russen. Nur nicht die Amerikaner selbst.

Das Fremdbeschuldigen war das Gerüst der Trump‘schen Verteufelung. Der Teufel ist die Gegenfigur Gottes, keine Figur eines rationalen Machiavellisten. Ein Teufel ist nicht erklär-, sondern nur denunzierbar. Gott und Teufel sind keine logisch-moralischen Widersprüche, sondern personelle Feinde.

Fakten ohne Bewertung gibt es nicht. Das war die Malaise der objektiv sein wollenden Beobachter – die natürlich eine Meinung hatten, diese aber nicht glasklar formulierten, um sie der Beurteilung der Leser vorzulegen.

Für Seymour Hersh, die Reporterlegende, ergibt sich ein ganz anderes Bild, das die führenden Gazetten nicht drucken wollten.

„Die Demokraten haben die Wahl verloren. Dann wurden die üblichen Verdächtigen dafür verantwortlich gemacht: Russland. Ich sage nicht, dass sie es nicht waren. Aber um die E-Mails zu hacken, bedurfte es nicht des russischen Geheimdienstes. Das könnten meine Kinder. Das Ganze ist ein Debakel für die amerikanische Presse. Deswegen ist es für die Times rational, gegen Trump zu sein. Aber ich würde immer argumentieren, dass sie es nicht auf die richtige Weise machen. Sie sollten sich mehr auf das konzentrieren, was innerhalb der Regierung passiert: Da werden überall gute Leute durch schlechte ersetzt. Die Ideologen sind auf dem Vormarsch. Es gibt Programme, um arme Menschen mit Lebensmitteln zu unterstützen und Landwirten mit Subventionen zu helfen. Die dafür Verantwortlichen sind durch Personen ersetzt worden, die davon keine Ahnung haben. Auf diese Geschichten sollten sich die Medien stürzen statt auf Trumps Tweets. Sie sprechen mit jemandem, der zwei Jahre lang den Medien erklärt hat, dass sie sich in der Russland-Sache verrannt haben. Niemand wollte es hören. Die Zeitungen sind weniger offen für Informationen. Nach dem Abschluss der Mueller-Untersuchungen hätte die New York Times schreiben können: „Wir haben es möglicherweise versaut.“ Stattdessen betont sie, dass Trump nicht entlastet sei. Der einzige Grund, weshalb Trump Präsident wurde, ist, dass Hillary Clinton die schlechteste Kampagne in der Geschichte gefahren hat. Und fünf Tage nach ihrer Niederlage hatte sie ein nettes Gespräch mit den Leuten, die ihr das ganze Geld gegeben haben – ein paar Milliarden Dollar von der Wall Street. So ist sie. Und daraus ist das alles erwachsen. Ich wollte diese Geschichte vor zwei Jahren verkaufen. Ich sende Ihnen den Link (er greift nach seinem Handy). Niemand wollte sie haben.“ (Berliner-Zeitung.de)

Dürfen Journalisten keine Partei ergreifen?

„Man ergreift immer irgendwie Partei.“

Hersh kritisiert die amerikanischen Gazetten aufs schärfste. Räuberstorys wucherten bei ihnen, doch die eklatanten Mängel der Politik Trumps blieben auf der Strecke. Auch die Demokraten schossen nur auf die giftigen Girlanden des Gegners, ihre eigenen Mängel haben sie bis zum heutigen Tag nicht aufgearbeitet.

Medien, die sich nur auf substanzlose Fakten berufen, mussten bei der Klimakatstrophe versagen. Deutsche Medien äußern nur Scheinkritik an ihrer Regierung. Sie schwimmen im Wohlstand und wollen ihn durch radikale Entrüstung nicht gefährden. Spätestens nach der Klimafrage sollten sie ihren Konkurs anmelden.

Greta Thunberg musste das Versagen der Medien durch eigene Protestarbeit ausgleichen. Die Jugend übernimmt die Funktion der Vierten Gewalt, die seit Jahrzehnten verwaist ist. Christian Stöcker ist zurzeit die einzige vorbildliche Ausnahme, die die Regel bestätigt: die Kinder seien noch längst nicht wütend genug:

„Die Schülerinnen und Schüler, die jeden Freitag auf die Straße gehen, haben etwas Entsetzliches verstanden: Sie werden gerade verraten. Die Generation der unter 25-Jährigen wird am schlimmsten unter der Klimakatastrophe leiden. Es verwundert deshalb, dass nicht auch die globale Studierendenschaft längst freitags mit auf die Straße geht. Ich vermute aber, das wird sich ändern. Es gibt gerade eine Reihe von krassen Beispielen dafür, wie die Älteren in vollem Bewusstsein gegen die Interessen der Jüngeren entscheiden, aus Rechthaberei, Gier, Rücksichtslosigkeit oder einer Mischung von allem.“ (SPIEGEL.de)

Bei Anne Will war es einem amtierenden Ministerpräsidenten vorbehalten, den Protest der Jugend als Verletzung des Grundgesetzes anzugreifen. Schulpflicht sei Schulpflicht.

Wie meinen? Ist es nicht Aufgabe der Schule, die Jugendlichen zu verantwortungsbereiten Demokraten heranzuziehen? Was, wenn das Gegenteil geschähe? Was, wenn die Überlebensfähigkeit der Gattung gefährdet wäre? Müssten die Schulen ihre SchülerInnen nicht auffordern, lauthals auf diese „Apokalypse“ aufmerksam zu machen? Müssten nicht alle LehrerInnen sich der Bewegung anschließen, um ihrer Verantwortung als Pädagogen und Bürger gerecht zu werden?

Ist das Grundgesetz nicht mitgefährdet, wenn das Leben der Nation gefährdet ist? Dann müsste radikaler Widerstand im Geiste des Grundgesetzes geleistet werden:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Und was, wenn die Lebensgrundlagen des Volkes gefährdet sind?

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“

Die Menschheit ist in Gefahr. Es ist die Pflicht aller BürgerInnen, Widerstand zu leisten gegen die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen, die Zerstörung des Grundgesetzes und die Demontage der Demokratie.

 

Fortsetzung folgt.