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Sofort, Hier und Jetzt LXXXVII

Sofort, Hier und Jetzt LXXXVII,

gestern wurde die Buber-Rosenzweig-Medaille an zwei vorbildliche Initiativen verliehen.

Formeln von Schmerz und Scham wurden von den FestrednerInnen in gewohnter Glätte abgespult. Generalmotiv der Feier war die biblische Frage: Mensch, wo bist du?

Nach dem Sündenfall rief Gott nach Adam:

„Und Gott der HERR rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? Und er sprach: Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich.“

Adam heißt auf Deutsch „der Mensch“. Eva, die Gehilfin, gehört nicht in diese Edelkategorie:

„Und der Mensch versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter die Bäume im Garten.“

Die Assoziationskette der Feier mit dem Refrain „Mensch, wo bist du?“ war unmissverständlich. Der Mensch ist Sünder und hat sich vor Gott zu rechtfertigen. Politik wurde zur Religion, der Citoyen zur Sündenkreatur.

Der angesprochene Mensch ist der Deutsche, der seine antisemitische Urschuld immer noch nicht überwunden hat. Vor Gott soll er sich schuldig fühlen, nicht vor den Menschen. Diese sind unfähig, sich aus eigener Kraft von ihrer Schuld zu befreien. Nur, wenn sie die Gnadenangebote der drei Erlöserreligionen reumütig akzeptieren, können sie sich ihrer Schuld entledigen.

Ergo: Deutsche, werdet fromm und beugt euch den Priestern des unfehlbaren Gottes. Der assoziative Rahmen (Framing) der Feier war eindeutig: Ohne Religion kein sinnvolles Leben, keine Bewältigung der deutschen Holocaustschuld, keine intakte Beziehung zum Staate Israel.

Ist der Deutsche schuldig? Die Väter und Vorväter der jetzigen Deutschen haben entsetzliche Verbrechen an den Juden begangen. Nicht die Generationen von

  heute, die jedoch – wenn sie durch Erforschen der Vergangenheit wissen wollen, wer sie sind – die „Sünden der Väter“ nicht verleugnen dürfen.

Erinnern, wiederholen, durcharbeiten ist die unvermeidliche Erkenntnismethode und Moralkeule, ohne die kein Mensch seine Identität erkunden kann.

Justament BILD & WELT, die sich als Muster-Philosemiten aufspielen, bekämpfen die Moralkeule mit amoralischen Verfluchungen. Die Erkenntnis müsste die Deutschen wie ein Keulenschlag treffen, dass ihre Väter in „moralischer Reinheit“ (Himmler: wir sind immer anständig geblieben) unfassbare Menschheitsverbrechen begehen konnten. Auch die Nationalsozialisten verachteten die Moralkeule der Spießer und schwangen sich auf zur moralisch gereinigten Übermoral einer Herrenrasse.

Vor Tagen erklärte Alan Posener seine Beweggründe, warum er als „Spätberufener“ zum Springer-Verlag ging:

„In ihrer heutigen Form lauten sie: „1. Wir treten ein für Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie und ein vereinigtes Europa. 2. Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel. 3. Wir zeigen unsere Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. 4. Wir setzen uns für eine freie und soziale Marktwirtschaft ein. 5. Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus ab.“ (WELT.de)

Kurz: der Springerverlag setzt sich ein für die universelle Moral der Menschenrechte. Sollte sich das für demokratische Medien nicht von selbst verstehen? In Deutschland offenbar nicht, denn hier gilt als oberste Berufsnorm die Devise von H. J. Friedrichs:

„Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache auch nicht mit einer guten Sache.“

Sich nicht gemein machen mit einer guten Sache – das ist vorbildlicher Amoralismus. Unverträglich mit den Statuten des Springer-Verlags. Die Herzen der Springer-Schreiber müssten in der Mitte gespalten sein. Auf der einen Seite die Moral der Menschenrechte, auf der anderen der erbitterte Kampf gegen die Moralkeule. Mit Moral gegen Moral.

Nur Götter stehen über den logischen und moralischen Regeln der Irdischen: nemo contra deum, nisi deus ipse, nur Gott darf die Regeln brechen. Insofern muss Springer weit über den anderen Verlagen stehen. Was gut und böse, moralisch und verwerflich ist, bestimmen die Springer-Götter täglich neu nach Belieben.

Warum werden in den Statuten nur die Staaten Israel und USA genannt? Warum beruft man sich nicht auf die trefflichen Formulierungen der UN-Charta?

Universelle Menschenrechte gelten für alle Menschen und Völker. Einzelne Nationen als besonders nahestehende und befreundete zu bezeichnen, verstößt nicht gegen universelle Moral. Auch Kinder, Eltern und Freunde dürfen am innigsten geliebt werden.

Allerdings entsteht das Problem der Aufrichtigkeit – vor dem Freund. Der Fremde darf nicht schärfer kritisiert werden als der Nahestehende, der Freund nicht schwächer als der Gegner. Für beide haben gleiche Normen zu gelten.

Kritik an Israel wird als Antisemitismus beargwöhnt, wenn andere Staaten für gleiche Menschenrechtsverletzungen weniger attackiert werden als das heilige Land. Kritik an Nahestehenden fällt immer schwerer und ist emotionaler als Kritik an Fernstehenden oder solchen, von denen man weniger erwartet. Emotionale Kritik ist streng zu unterscheiden von sachlicher. Wer in der Sache unterschiedlich urteilt, der ist Doppelmoralist. Nicht aber, wer die sachlich gleiche Bewertung mit unterschiedlichen Emotionen begleitet.

Merkels Loyalitätsbekundungen gegenüber Israel klingen, als ob sie bedingungslos wären. Als ob jede Kritik an Jerusalem illoyal wäre:

„Ich weiß sehr wohl: Sie brauchen keine ungebetenen Ratschläge von außen und schon gar nicht von oben herab. Eine Lösung kann am Ende nur durch Sie hier in Israel und die Palästinenser selbst erfolgen.“ (WELT.de)

Freundschaft ist ein Bündnis aus Offenheit und kritischer Fürsorge. Wer Kritik als schädlich betrachtet, weiß nicht, dass jeder Mensch den distanziert-solidarischen Blick des Freundes benötigt, weil er sich entweder allzu ideal oder dämonisch sieht. Menschen, die sich verwerflich finden, sollten ermutigt, Hochnäsige sollten geerdet werden.

Kritische Loyalität haben alle Menschen und Staaten nötig, nobody is perfect. Merkels unterwürfige Entschuldigung zeigt, dass sie Israels selbstgefällige Unfehlbarkeit kaum in Frage stellen kann. Von bewährter Freundschaft zwischen Deutschland und Israel kann keine Rede sein. Deutschland spielt die Rolle des Sünders, der seine kritik-unfähige Unterwürfigkeit als Buße ausgibt.

Die heutige Generation ist am Holocaust unschuldig. Für die Sünden ihrer Väter hat sie nicht zu büßen. Gleichwohl ist sie es sich selbst schuldig, die Vergangenheit als eigene Gegenwart, (die nicht vergehen will), anzuerkennen und so lange zu bearbeiten, bis es in Deutschland keinen einzigen Antisemiten mehr gibt. Das wäre eine Utopie. Doch jede Utopie beruht auf vollständiger Durchdringung der Vergangenheit, um die Dämonen von einst zu humanisieren.

Israels Unfehlbarkeit ist nicht schwer zu verstehen. Wer nach den entsetzlichen Taten der Shoa den Tätern so unerwartet schnell wieder die Hand reichen konnte, muss seinen Verzicht auf hasserfüllte Rache dennoch kompensieren. Die Kompensation besteht in der Rolle des Psychotherapeuten, der jede Kritik seiner Patienten mit dem Argument zurückweist, seine Lehranalyse habe er absolviert: sein Unbewusstsein kenne keinen schwarzen Fleck mehr.

Poppers Kritik an der Unfehlbarkeit des Psychotherapeuten trifft auf das deutsch-israelische Verhältnis zu. Jede Kritik der Ex-Täter wird von den Juden mit dem Hinweis gekontert: räumt erst mal bei euch auf. Eure Kritik ist versteckte Rache für eure Büßerrolle. Noch immer müsst ihr nachweisen, dass ihr eure Lektion gelernt habt. Soll die Menschheit bereuen, dass sie euch wieder aufgenommen hat?

Für den Holocaust sind die Deutschen allein verantwortlich. In den Nachkriegsbeziehungen zwischen der BRD und dem jungen Staate Israel aber gibt es Fehler auf beiden Seiten. In Auschwitz und Treblinka waren die Juden hilflose Opfer. In ihrem Staat wollten sie deshalb dem Opferstatus für immer entrinnen. Das ist ihnen bis zum heutigen Tage gelungen. Doch keine Souveränität ohne Gebrechen und Fehler. Aus Angst, den lang ersehnten Zufluchtsort ihrer Diasporazeiten nicht zu gefährden, hat der neue Staat Schwierigkeiten, seine Schwächen wahrzunehmen und zu kritisieren.

„Die aus der Reflexion über die Todeslager hervorgegangene Holocaust-Theologie stellt das jüdische Volk hilflos und leidend dar, wie wir es ja auch waren. Sie spricht nicht und kann nicht von dem Volk sprechen, das wir heute sind und morgen sein werden – mächtig und oft repressiv. Zur Ethik eines jüdischen Staates, der Atomwaffen besitzt und autoritären Staaten Waffen und militärische Ausbildungshilfe liefert, der Land enteignet und Menschen foltert, die der israelischen Besatzung Widerstand leisten, zu all dem hat sie praktisch nichts zu sagen… Mit solch tiefer Ignoranz reagiert eine auf ihr Wissen und ihre Intelligenz stolze Gemeinschaft auf das Verhalten des eigenen Volks… Die dauernde Verwendung des Holocaust in Bezug auf Israel ist eine Fehlbeurteilung, welche die ganz andere Situation des Vor- und Nach-Holocaust-Judentums zu verstehen unmöglich macht. Was wir heute haben, ist eine mächtige und fehlerbehaftete jüdische Gemeinschaft, die etwas anderes geworden ist als das von der Welt verlassene unschuldige Opfer. Ein auf die Seite geschobenes Volk kehrt in die Geschichte der Nationen zurück, nicht so sehr als Leuchtfeuer, sondern als Söldner, der auf Kosten anderer lebet und dabei seine Absicht aufgibt.“ (Marc H. Ellis, Zwischen Hoffnung und Verrat)

Selbstredend könne man Israel kritisieren, wird gönnerhaft das Recht auf Kritik gewährt. Solange aber die Kritik-Gewährer selbst keine Kritik üben, ist die „Erlaubnis“ kaum einen Pfifferling wert. Anstatt sich seine Kritik angstfrei von der Seele zu reden, zittert jeder vor dem Urteil, gegen das keine Revision mehr möglich ist: Du antisemitischer Schuft, jetzt haben wir dich!

Da es keine klare Definition von Antisemitismus gibt, ist keine Aussage davor gefeit, dem Verdikt zu verfallen. Zumal die Definitionen unaufhörlich expandieren. Vom primären zum sekundären und tertiären Antisemitismus, vom direkten Judenhass bis zum indirekten in der Kritik am Kapitalismus, am Fortschritt und an der Moderne, ist nur ein kleiner Schritt. Von der Religionskritik gar nicht zu reden.

Antisemitismus ist ein religiöses Phänomen, das sich im Verlauf der abendländischen Geschichte vielgestaltig säkularisierte. Dennoch wäre es zu einfach, mögliche AntisemitismusTransformationen als reelle und bewiesene zu betrachten. Über christliche Ursprünge des Antisemitismus wird nie gesprochen. Judentum und Christentum schließen aus taktischen Gründen einen Waffenstillstand, um Muslime und Gottlose zu Feinden zu erklären.

Geht es um Religionskritik, kommt es schnell zum Generalverriss. Christentum ist ein Teil des Judentums, also muss jede Kritik des Christentums ein antisemitischer Akt sein. Merkwürdig nur, dass vor allem jene Elemente in antisemitischen Verdacht geraten, die zu den wichtigsten Mächten der Moderne gehören: Religion, Kapitalismus, Fortschritt, Moderne. Das klingt nach Umkehrung des klassischen Antisemitismus-Verdachts, die Juden hätten sich verschwörerisch zu Herren der Welt verbunden. Siehe die Protokolle der Weisen von Zion. Glauben die Juden inzwischen selbst, dass sie die Welt vom goldenen Jerusalem aus regieren?

Wäre Religionskritik tatsächlich Antisemitismus, könnten wir die gesamte Epoche der Aufklärung streichen, wozu auch die jüdischen Aufklärer gehören. Voltaire war ein ätzender Kritiker der Religion. Wie anders hätte er die Macht der Ketzer- und Hexeninquisitoren bekämpfen können als mit Hohn und Spott?

Die Kritik an Voltaire wäre plausibler, wenn man den Antisemitismus-Vorwurf begleiten würde mit dem Hinweis: seine Religionskritik aber war notwendig. So kommt der Verdacht auf, antisemitische Vorwürfe würden nur benutzt, um jegliche Kritik an den Erlöserreligionen aus dem Feld zu schlagen. Wie die liberale Gesellschaft in Israel zugunsten der Orthodoxen zurückgedrängt wurde, soll auch im christlichen Westen der Geist der Zersetzung zurückgedrängt und die religiösen Elemente gestärkt werden.

„Der vielschichtige Komplex „Antisemitismus“ wird auch heute noch von Juden und Christen, also von beiden Hauptbetroffenen, vielfach verdeckt und verschleiert. Von Juden, da sie es nicht wagen, das Christentum und die Christen in gebotener Offenheit hart zu befragen.“ (F. Heer, Gottes erste Liebe)

Religionskritik macht sich auch dadurch verdächtig, dass sie die Kirchen attackiert, die ihre verbrecherische Funktion im Dritten Reich tabuisieren. So entstand eine der verhängnisvollsten Heucheleien der Nachkriegszeit. Aus judenhassenden Kirchen, den eifrigsten Unterstützern der Nationalsozialisten, wurden wie durch ein Wunder aufopfernde Widerstandsorganisationen. Es war nicht nur das führerergebene Bodenpersonal der Kirchen, es war die eschatologische Lehre von den Letzten Dingen, die Hitler veranlasste, vom Endsieg zu fabulieren:

„Adolf Hitler beruft sich selbst, auch im Gespräch mit Kardinal Faulhaber – ohne Widerspruch zu finden darauf, dass er nur tue, was die Kirche eineinhalb Jahrtausende lang lehrte und den Juden gegenüber praktizierte. Auschwitz beruhte auf eineinhalbtausendjähriger erlauchter theologischer Tradition der Kirche.“ (ebenda)

„Wieder beschwört Hitler seine alte magische Gleichung: Die Heilsgeschichte der Vergangenheit weist auf den Sieg der Zukunft: „Wir werden diese Zeit auch überstehen. Und oft kommt es mir vor, als wenn wir durch alle Prüfungen des Teufels und des Satans und der Hölle hindurch müssten, bis wir endlich dann doch den endgültigen Sieg erringen. Der Allmächtige, der unser Volk in seinem bisherigen Lebenslauf geleitete und nach Verdienst gewogen, belohnt oder verurteilt hat, soll dieses Mal eine Generation vorfinden, die seines Siegs würdig ist. Indem ich mich des Juden erwehre, vollbringe ich das Werk des Herrn.“ (F. Heer, Der Glaube des Adolf Hitler)

Antisemitismus in Europa entstand aus Hass gegen Juden und ihrer verhohlenen Bewunderung. Die europäischen Nationen begannen, sich als Nachfolger der auserwählten Kinder Israels zu betrachten. Jesus hatte die Auserwählung den störrischen Juden weggenommen und in die Welt getragen. Die zum Glauben gekommenen Abendländer fühlten sich als legitime Erben der Juden und begannen, in verhängnisvoller Konkurrenz die wahre auserwählte Nation zu ermitteln. Weshalb die ursprünglich Erwählten vom Erdboden verschwinden mussten. Aus Bewunderung wurde glühender Hass. Die europäische Geschichte ist ohne Verdrängungswettbewerb um die Rolle der wahren messianischen Nation nicht verständlich.

Die Deutschen wollen mit bloßen Polizeimaßnahmen gegen Antisemitismus vorgehen. Das wäre, als wollte man mit Stangen und Hebeln das Böse im Innern der Menschen mörsern. Antisemitismus werde man unter keinen Umständen dulden, so klingen die martialischen Töne der Regierung. Unglaublich, aber wahr, die neue jüdisch-christliche Symbiose weiß nicht, dass Ungeist mit Geist bekämpft werden muss, nicht mit Handschellen.

Was mit Polizeimaßnahmen erfasst werden kann, ist noch das leichteste Unterfangen. Wer gründlicher bekämpfen will, muss ran an die Ursachen. Genau dies passiert nicht. Es wird inquisitiert und verdächtigt, aber nicht aufgeklärt, verstanden und erklärt. Ein jüdisch-christlicher Dialog findet nicht statt.

Die wahren Säulen des gegenwärtigen Antisemitismus werden nicht mal wahrgenommen. Es sind jene Ideologien, die alle Gefahren des Antisemitismus nebenbei negieren.

Der Futurismus – immer nach vorne zu schauen, nie zurück – setzt den Tod der Vergangenheit voraus. Gibt es keine Vergangenheit, kann es auch keine antisemitischen Wiederholungen des Vergangenen geben.

Vergangenheit könne man nicht auf die Couch legen. Unbewusste Gefühlsrelikte der alten Zeiten gäbe es nicht. Geschichte wiederhole sich nicht. Kann sich nichts wiederholen, können wir entspannt nach vorne schauen.

Die Postmoderne negiert objektive Wahrheiten. Gibt es nur unendlich viele subjektive Impressionen, kann es keinen objektiv erkennbaren Antisemitismus geben.

Immer mehr werden Antisemitismus-Vorwürfe benutzt, um eine notwendige Kritik an der israelischen Regierung zu denunzieren. Gerade Deutsche tun sich hervor, die Juden in richtige und falsche zu spalten. Die richtigen sind die Verteidiger Netanjahus, die falschen werden hierzulande ausgeschlossen und verfemt. Namen wie Moshe Zuckermann, Moshe Zimmermann, Uri Avnery, Abraham Melzer, Hajo Meyer, Marc H. Ellis, Norman G. Finkelstein, Avraham Burg, J. Leibowitz, Felicia Langer u.a. sind hierzulande kaum bekannt. Veranstaltungen dieser regierungskritischen Juden und Organisationen werden verhindert und verboten. Ein aktuelles Beispiel:

„Eine Jury, angeführt von dem taz-Korrespondenten Andreas Zumach, hat den Göttinger Friedenspreis an eine kleine Gruppe Berliner Juden verliehen – die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“. Der Zentralrat bekämpft BDS und die „Jüdische Stimme“, wo es geht. Micha Brumlik, taz-Kolumnist, Publizist, früher Direktor des Fritz-Bauer-Instituts, kann man mangelnde Empfindlichkeit für Antisemitismus aufseiten der Linken nicht vorwerfen. Er ist mal bei den Grünen ausgetreten, weil die lieber pazifistisch sein wollten, als Israel gegen Raketenangriffe aus dem Irak geschützt zu wissen. Er hat sich die Gründungsdokumente der BDS-Bewegung genau angeschaut und sagt: „Es gibt keine hieb- und stichfesten Belege, dass BDS antisemitisch ist“. Und: „Die ,Jüdische Stimme‘ hat das Existenzrecht Israels immer beglaubigt.“ Der Zentralrat, der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung und der der Jüdischen Gemeinde Berlin sehen das anders. Und sie verfügen über so etwas wie die offizielle Deutungshoheit, jedenfalls in den Augen von Bürgermeistern und Bankdirektoren.“ (TAZ.de)

Moshe Zuckermann behauptet: „Der Begriff Antisemitenmacher ist beredt. Sie begehen einen Verrat: den Verrat am Kampf gegen den wirklichen Antisemitismus, einen Verrat an Israels realen politischen Interessen, nicht zuletzt einen Verrat am Gedenken der historischen Opfer des Antisemitismus.“ (Vorwort zu Melzer; Die Antisemitenmacher)

Das ist der härteste Vorwurf: die Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs ist Verrat am Holocaust. Die Lehre aus dem Menschheitsverbrechen kann nur sein: strikte und bedingungslose Einhaltung der Menschenrechte. Die großen alten Männer des Judentums haben früh gewarnt:

„Wenn wir den Weg ehrlicher Kooperation und ehrlichen Paktierens mit den Arabern nicht finden werden, so haben wir auf unserem zweitausendjährigen Leidensweg nichts gelernt und verdienen das Schicksal, das uns treffen wird.“ (Einstein) (ZEIT.de)

Anlässlich der Verleihung der Rosenzweig-Buber-Medaille wäre es nicht überflüssig, an Bubers Meinung zum neuen Staat Israel zu erinnern:

„Der Erfolg der jüdischen Rückkehr nach Palästina sollte an den Beziehungen mit den Arabern gemessen werden. Jüdische Siedlungen dürfen keine arabischen Bauern vertreiben, die jüdische Einwanderung darf nicht zur Folge haben, dass sich der politische Status der gegenwärtigen Bewohner verschlechtert und muss weiterhin deren wirtschaftlichen Bedingungen verbessern.“ „Buber setzte seinen Protest bis zu seinem Tod im Jahre 1965 gegen den israelischen Nationalismus fort. Seine föderalistischen und binationalen Vorschläge stießen auf taube Ohren.“ (in M. Ellis)

Die philosemitisch-medialen Leuchten unterdrücken alle kritischen Stimmen zu Israel. Wird etwa bekannt, dass Netanjahu sich mit einer faschistischen Orthodoxenpartei verbinden will: was erscheint in BILD? Ein Interview mir einem Ex-Chef des Mossad.

Die Frage: „Während Sie Mossad-Chef waren, starben mehrere iranische Atomwissenschaftler unter unnatürlichen Umständen …“ beantwortet er kaltblütig mit dem Satz: „Wirklich? Das wusste ich nicht. Davon habe ich nichts gemerkt.“

Ansonsten alles bellissima im heiligen Land: „Es ist ein Wunder. Ein kleines Land in so einer Umgebung! Wir sind die Minderheit der Minderheiten. Aber wir haben ein Land aufgebaut, das ein gutes Bildungssystem, ein ordentliches Gesundheitswesen und eine sehr starke Wirtschaft hat. Und ein erstklassiges Verteidigungssystem.“ (BILD.de)

Das sind keine Fehlleistungen, das sind absichtliche Lug- und Trugleistungen. Alles unter den Augen der deutschen Öffentlichkeit und einer an Bigotterie nicht mehr zu übertreffenden deutschen Regierung. Während sie mit rabiaten Tönen den Antisemitismus zu attackieren vorgibt, wird in Schulen immer weniger über die wahren Ursachen des Antisemitismus vermittelt.

Während der Ex-Mossad-Chef Israel als Garten Eden beschreibt, gewinnt kurze Zeit später ein israelischer Filmregisseur den Goldenen Bären, dessen autobiographischer Film eine komplette Absage an seine Heimat bedeutet. Er erträgt das Land nicht mehr und flüchtet Hals über Kopf nach Frankreich:

„Ich erkannte, dass ich weg muss aus Israel, um meine Seele zu retten. So schnell wie möglich, vielleicht war es sogar schon zu spät. Ich bin nicht gläubig, aber es war fast wie eine Stimme, die zu mir sprach. Zehn Tage später landete ich am Flughafen Charles de Gaulle in Paris. Mein einziger Plan war, nicht mehr Israeli zu sein und Franzose zu werden. Ich wollte in Paris leben und sterben und nie wieder zurückzukehren. Ich hörte auf, Hebräisch zu sprechen und wenn ich einmal im Monat mit meinen Eltern telefonierte, antwortete ich ihnen auf Englisch.“ (SPIEGEL.de)

Für die WELT ist die Auszeichnung des Films ein hinterlistiger Antisemitismus-Akt. Die Parallelen zwischen Deutschland und Israel werden immer deutlicher. Die Mächtigen betrachten ihr Land als Paradies, die Sensiblen und Schwachen als schwer erträgliches Land, für das sie sich schämen.

Es ist so einfach geworden, den Muslimen einen fanatischen Antisemitismus vorzuwerfen. Wohl gibt es Judenhass bei deutschen Muslimen. Doch der beruht größtenteils auf Hass gegen die israelische Besatzungspolitik. Es gibt auch einen wachsenden Deutschenhass gegen Juden. Der besteht zum großen Teil aus reaktiver Missstimmung gegen die Heuchelei der Mächtigen.

Das Ungeheuerste aber ist, wie netanjahu-getreue jüdische Propagandisten den Vorwurf des Antisemitismus benutzten, um den immer antisemitischer werdenden ungarischen Ministerpräsidenten Orban zu unterstützen und den Juden Soros aus dem Land zu jagen:

„Politberater Arthur J. Finkelstein erfand die perfide Kampagne gegen George Soros. Finkelstein ist der rote Faden in der neueren Geschichte der Republikaner, von Ayn Rand über Richard Nixon bis Donald Trump. Finkelstein wurde berühmt dafür, den Begriff «liberal» in ein Schimpfwort verwandelt zu haben. Gegner nannte er «ultraliberal», «wahnsinnig liberal» oder «beschämend liberal». Mark Mellman, der Kampagnen-Guru der Demokraten, nennt das Finkel-Think: «jemanden als Liberalen brandmarken, beschimpfen, das endlos repetieren.» Die Methode war simpel, aber effektiv, vermutlich hat niemand mehr Politiker in den US-Kongress gebracht als Finkelstein. In diesem Moment wird das Monster George Soros geboren. Ein Multimilliardär, so mächtig und weltweit vernetzt, dass sich die ganze Nation hinter Orbán sammeln müsste, um ihn zu besiegen. Hier in Ungarn wird jene Hassfigur erschaffen, die bald Politiker aus aller Welt aufgreifen. Bis hinein in den deutschen Bundestag oder das Bundeshaus in Bern.“ (mobile2.12app.ch)

Die antisemitische Mär vom bösen Juden wurde ausgerechnet von Juden reaktiviert, um israelkritische Juden wie Soros zu diskriminieren. Antisemitismus wurde zum machiavellistischen Zynismus im Dienst der israelischen Regierung. Finkelsteins Devise war: „Ich wollte die Welt ändern. Das habe ich getan: Ich habe sie schlechter gemacht.“

Bis jetzt ist diese Geschichte von keiner Seite widerlegt worden. Wir müssen annehmen, dass sie wahr ist.

Solange solche Antisemitismus-Verleumdungskampagnen zugunsten orthodoxer Regierungen in Jerusalem möglich sind, brauchen sich deutsche Regierungen über wachsenden Antisemitismus im eigenen Land nicht zu wundern. Vielleicht wundern sie sich gar nicht und wollen es so – damit sie ihre antisemitische Ignoranz mit aufgeblasenen Backen und Polizeiaktionen überdecken können?

 

Fortsetzung folgt.