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Sofort, Hier und Jetzt LXXVIII

Sofort, Hier und Jetzt LXXVIII,

die Welt in Not – und schon ist sie da, die Frage: Wie kann Deutschland die Welt retten?

Gar nicht.

Wenn alle Völker zusammenkommen und sich gemeinsam aus dem Sumpf ziehen, dann und nur dann werden sie sich retten können.

Es muss ein weltumspannendes Gespräch geben, wie es die Geschichte noch nicht erlebt hat. Nicht Macht, Technik und Handel dürfen den Globus umspannen, mit Produkten ersticken, mit Vergiftungen erdrosseln, mit Raubbau ausbluten, sondern die Vernunft der Menschheit – ja, es gibt sie, sie muss nur die Gelegenheit erhalten, sich weltweit in der Stimme jedes Einzelnen zu artikulieren – muss als Weisheit des homo sapiens zum Leitfaden seines terrestrischen Denkens, Fühlens und Handelns werden.

Kann die Welt sich retten? Wenn sie nicht daran glaubt, hat sie ihren historischen Bankrott schon besiegelt. Wenn sie daran glaubt und den Glauben zur Vernunft bringt, gibt es keinen Grund zur Resignation. Auf ein Prinzip Hoffnung als Garantie allgewaltiger Schicksalsmächte muss verzichtet werden.

Wir können uns aus der Not retten, wenn wir uns nicht länger von anonymen illusionären Mächten erretten lassen. Erretter, Erlöser, Heilande, Geschichte, Götter und Propheten werden uns nicht zu Hilfe kommen. Sie existieren nur in der Vorstellung Hilfloser, die es aufgegeben haben, ihre natürlichen Denkfähigkeiten zu entwickeln. Der Glaube an eine messianische Allmacht hat den Menschen entmündigt.

Ruf mich an in der Not, so will ich will dich erretten: das ist Rauschgift für Menschen, die ihren eigenen Kräften nicht vertrauen.

Die gegenwärtige Krise ist schwierig, aber notwendig. Krisen sind

  Erschütterungen unsrer Fassaden. Sie müssen einstürzen, damit wir sehen, wer wir sind. Nur Krisen zeigen, dass die bisherigen Glanzlichter der „Hochkultur“ in eine verderbliche Sackgasse geführt haben. Der Mensch ist kein grenzenlos über sich hinauswachsendes, naturausbeutendes, mächtiger und allwissender werdendes Wesen im endlosen, sich ständig neu erfindenden Werden.

Der Mensch ist ein endliches und begrenztes Naturwesen, dessen Ziel es sein muss, im Frieden mit der Natur ein zufriedenes, wenn‘s hoch kommt, ein erfülltes Leben zu führen.

Der Mensch ist ein Wesen in der Zeit, nicht in der Zeit einer von übernatürlichen Mächten bestimmten Geschichte, sondern in einer Zeit, die er selber prägt und verantwortet. Die Erforschung der menschlichen Geschichte ist kein Stochern in göttlichen Spuren, sondern die Erinnerung an seine mühsame Lerngeschichte in der Vergangenheit. Wer Vergangenheit löschen will, um nur noch in die Zukunft zu gaffen, der löscht das ganze menschliche Wesen aus den Annalen der Evolution.

Fanatische Futuristen dementieren die Vergangenheit menschlichen Denkens und Fühlens, die sich im bewussten und unbewussten Gedächtnis des Menschen ablagert. Aus dem Vergangenen könnten wir nichts lernen. Gefühle aus früheren Zeiten gebe es nicht.

So sprechen Wissenschaftler, die das Innere des Menschen als schwarzes Loch – black box – auf den Müll der Geschichte werfen. Für sie beginnt alles im Hier und Jetzt von vorne. Alles erfindet sich neu in diesem Augenblick. Die Schöpfung soll eine kontinuierliche sein, die ständig Altes vernichtet, um das Neue aus dem Nichts zu zaubern.

Es gibt nur eine Geschichte des Menschen: die Summe seiner eigenen Erfahrungen in vielen Völkern und uralten Epochen.

Der Mensch ist Autor und Subjekt der Geschichte, kein Vasall und Objekt automatischer oder jenseitiger Heils- und Unheilselemente.

Es gibt zwei Arten menschlicher Kulturen. Die eine ist endlich und fügt sich in die Grenzen der Natur, die andere hält sich für unbegrenzt, negiert alle Grenzmarken – bis sie sich schließlich selbst in die Luft sprengt.

Endlich gegen unendlich, maßvoll gegen unmäßig, naturfreundlich gegen naturfeindlich, zeitlich-autonom gegen geschichtlich-fremdbestimmt: Mensch gegen Gott. Auch in endlichen Kulturen können Menschen mit Göttern verschmelzen, diese aber sind nicht zeitlos-unbegrenzt und allmächtig.

Die erste Natur ist weiblich, die zweite männlich und dominiert das Weibliche. Die erste hat keinen Anfang und kein Ende, die zweite einen Anfang und eine zeitliche Grenze als Übergang zu einer gespaltenen Ewigkeit: wenige werden selig, die meisten unselig.

Wer seine Grenzen respektiert, kann auch die Begrenztheit der Natur anerkennen. Wer sich für gottgleich-grenzenlos hält, für den ist begrenzte Natur ein Ärgernis, das er besiegen und wegwerfen muss.

Der Menschheit droht ein Ende durch Klimaerhitzung und Naturzerstörung, die alle Voraussetzungen zur irdischen Verweildauer unterminieren. Ihr droht die Selbstzerstörung durch Hass und egoistische Konkurrenz, die in apokalyptische Kriege ausarten können.

Vernunft ist die Fähigkeit, in mäßiger Selbstbeschränkung friedliche Lebensverhältnisse herzustellen. Vernunft als Theorie ist humanistische Philosophie, als Praxis Moral.

Bislang war Moral begrenzt auf Sippe und Familie, den Quellen ihrer Herkunft. Außerhalb der Sippe war Krieg das erlaubte Mittel, Rivalen und Konkurrenten niederzumachen und auszustechen: Moral der Menschenfreundschaft gegen machiavellistische Moral der Staatsraison.

Innen galten Fürsorglichkeit und Verbundenheit, außen Abschlachten und Eliminieren der Konkurrenten – oder eine wechselnde Mischung aus beiden. Friedliche Zeiten der Anerkennung und Zusammenarbeit wechselten mit Unterdrücken, Mord und Totschlag.

In der Moderne kam eine Mischung aus beiden Typen auf, die als Kapitalismus und Interessenpolitik bekannt wurde. Der stoische Urkapitalismus sollte dem Egoismus des Einzelnen entspringen, der gleichwohl den Ausgleich mit den Interessen anderer suchte und ergo das Gesamtwohl einer Nation, einer Staatengemeinschaft, ja, das aller Völker beförderte.

Der Neoliberalismus aber, die Verschärfung des Kapitalismus, zerstörte das harmonische Gesamtergebnis zugunsten einer darwinistischen Auslese der Besten und dem Untergang der Minderwertigen. Nicht die Besten gewinnen den Wettbewerb, sondern diejenigen, die zufälliges Glück haben. Gründe für das bessere Abschneiden gibt es keine: die „Logik“ des Marktes ist weder rational oder nachvollziehbar. Das neoliberale Schicksal wurde zum Pokerspiel, jene würfelnde Art des Reichwerdens an den Börsen des Neoliberalismus.

Der stoische Urkapitalismus wollte gerecht sein – die Besseren und Tüchtigeren sollten einen höheren Anteil des Reichtums der Gesellschaft erhalten als die weniger Tüchtigen. Gerechtigkeit war proportional, einsehbar und begründbar. Demokratische Gleichheit sollte nur gelten vor dem Gesetz und der Chance, gewählt zu werden. Mit wirtschaftlich-proportionaler Ungleichheit hielt man demokratische Gleichheit für vereinbar. Kommunismus als Gleichheit in Besitz und rechtlicher Gleichwertigkeit wurde vom Urkapitalismus als fortschrittsfeindlich und ungerecht abgelehnt. Das alles konnte man noch mit vernünftigen Argumenten begründen und bestreiten. Solange die Existenz jedes Einzelnen gesichert ist, bleiben minimale Unterschiede belanglos. Wächst die Ungleichheit allerdings ins Unermessliche, stößt dabei viele ins Unglück und verschafft den Superreichen illegitime Macht über den Rest der Gesellschaft – wie heute der Neoloberalismus –, muss von schreiender Ungerechtigkeit gesprochen werden.

Im neoliberalen Markt des Zufalls und Glücks herrscht keine Vernunft mehr. Alles ist, wie es ist: Gott, die Willkür oder die Evolution haben es so gewollt. Jeder kann und soll sein Glück probieren und dem irrationalen Markt ein Angebot machen. Ob der unergründliche Markt das Angebot zum Erfolg bringt oder als Misserfolg zurückweist, kann rational nicht erfasst werden. Der Mensch steht einem unergründlichen Geschick gegenüber.

Im Kommunismus und Urkapitalismus kann die Vernunft das gleiche oder proportional-gleiche Schicksal der Menschen erklären und begründen. Im Neoliberalismus gibt’s nichts mehr zu erklären. Wo keine Gesetze herrschen, ist Vernunft überflüssig geworden.

Wo Vernunft als absolut gleiche oder proportionale herrscht, reden wir vom System der Aufklärung, wo absolut-unverständliche Ungleichheiten herrschen, von Gegenaufklärung.

In der Nachkriegszeit hatten die Deutschen eine soziale Marktwirtschaft – oder eine proportionale Gerechtigkeit. Seit etwa 30 bis 40 Jahren hat der Neoliberalismus Deutschland in Besitz genommen. Seitdem ist der Begriff Gerechtigkeit wie vom Erdboden verschwunden. Fragte einst Fritz Pleitgen in der sonntäglichen Runde: was ist Gerechtigkeit, antwortete Hans D. Barbier (FAZ): ach, wissen Sie, Herr Pleitgen, unter Gerechtigkeit versteht jeder etwas anderes. Also lassen wir das!

Die Furcht vor dem klaren Denken wurde zum Standardritual. Mit dem Neoliberalismus kam die Postmoderne, eine passgenaue komplementäre Philosophie, um die Unwiderlegbarkeit und Unfehlbarkeit jedes Menschen zu proklamieren. Gibt es so viele Wahrheiten, wie es Subjekte gibt, kann es keine objektive Wahrheit geben.

Der Irrationalität des Zeit- und Zufall-Marktes entspricht die Irrationalität unwiderlegbarer Einzelmeinungen. Gibt es keine verbindliche Grunddefinition, kann über Varianten der Gerechtigkeit nicht mehr demokratisch debattiert werden. Seit dem Aufkommen der neoliberalen Beliebigkeit – gegründet allerdings auf dem eisenharten Fundament der Vernunftlosigkeit – gibt es in der BRD keine rationalen Streitigkeiten mehr.

Der strenge Dialog, der argumentierende Diskurs mit Widerlegen und Widerlegtwerden, der Agon der besseren Argumente, der edle Wettstreit der Geister um die Wahrheit – wurden ersatzlos gestrichen. In allen Dingen soll gnadenloser Wettbewerb herrschen, nur in den wichtigsten Disziplinen einer freien Gesellschaft will jeder Recht haben – ohne es durch Argumente und die Methode der Logik nachzuweisen.

Es begann das unerbittliche Schmähen des Besserwissens, als ob eine Demokratie sich das Regime von Nichts- und Schlechterwissern erlauben könnte. Das entspräche einem Fußballspiel, in dem die Mannschaft mit den meisten erzielten Toren die Verlierer wären. Die Dominanz der beliebigen Wortemacher ging einher mit dem Sieg der Dialektik über die Logik. Je verworrener und widersprüchlicher die Willkürschreiber, umso bedeutsamer die Tiefe ihres Raunens.

Inzwischen hat die Unfähigkeit des rationalen Durchdenkens alle Bereiche der technischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Kompetenzen erfasst. Das einstmals so erfolgreiche made in germany wird immer mehr zur Lach- und Betrugsnummer. Großprojekte wie der BER, ja, die gesamte Infrastruktur der Gesellschaft, entarten zu Pfusch und Gaunerei auf offener Szene. Die weltbeste Exportnation der Welt droht abzustürzen, weil Heuchelei, Nachlässigkeit und Hochmut zum materiellen und moralischen Verfall geführt haben.

Wie sie intellektuelle Besserwisser schmähen, so verschmähen sie auch moralische Besserwisser. Seit Hegel sich in den Machiavellismus vernarrte, um die Rückständigkeit seiner zerrissenen Nation zu beheben, lehnen sie auch heute jede moralische Prägung ihrer Politik ab. Aus Angst, sie könnten durch Blauäugigkeit wieder aus der Führungsetage der Nationen hinausgedrängt werden.

Doch das Nebeneinander von Außen- und Innenpolitik ist längst vorbei. Seit dem Kampf gegen die atomare Selbstauslöschung im Kalten Krieg ist die Welt zum globalen Dorf zusammengeschrumpft. Erst recht die Bedrohung der Menschheit durch Klimakatastrophen lässt die Trennung von Innen und Außen nicht mehr zu.

Die globale Bedrohung betrifft alle. Separate Interessenpolitik im Gegensatz zur Interessenpolitik anderer Nationen ist nicht mehr möglich. Wer die Ermordung eines Regimegegners durch saudische Führungskräfte moralisch verurteilt und dennoch ungetrübt Waffen liefert, als sei nichts geschehen, darf sich über Kritik an seinem wankelmütigen Kurs nicht wundern.

Da die Weltgefahren alle Menschen bedrohen, kann es keinen nationalen Sonderausgang aus dem allgemeinen Gefahrenpotential geben. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit der nationalen Rettung: die Rettung aller Nationen. Was ein Volk sich antut, das tut es allen Völkern an. Egoismus und Altruismus, Moral und Interesse sind identisch geworden.

Weshalb es nur eine einzige Möglichkeit internationaler Problemlösung gibt: nicht Aufrüstung und kriegerisches Gehabe tragen zum Frieden bei, sondern die gemeinsame Lösung globaler Probleme. Notwendig sind keine Rüstungskonferenzen, sondern Gespräche zum gegenseitigen Verstehen und zur uneigennützigen Unterstützung. Nein, zu eigennütziger Uneigennützigkeit. Das Moralische verpufft nicht spurenlos im Universum, sondern kehrt mit Zins und Zinseszins zum Ursprung zurück. Es lohnt sich, moralische Politik zu betreiben.

Die Völker wissen immer mehr voneinander. Wenn ein Volk verlässliche Humanpolitik betreibt, ermutigt das weit entfernte Gesellschaften, sich gegen das verlogene Regime der eigenen Regierung zu wehren. In immer mehr Gesellschaften rumort es. Eines Tages wird die nationale Empörung mit anderen Empörungen zu einer globalen Woge zusammenwachsen.

Seit dem neoliberalen Paradigmenwechsel beherrschen parfümierte Wolken schein-rationaler Sätze die Seiten der Gazetten. Nicht nur in den Feuilletons, sondern auch in Politik und Wirtschaft. Man muss schreiben und Worte machen können. Man muss nicht klären, definieren, logisch schlussfolgern. Der Inhalt kann substanzlos sein wie er will.

Die Grundlagen der rationalen Demokratie stehen seitdem auf dem Kopf. Die Erfolgreichsten und Schlitzohrigsten haben die Macht übernommen – obgleich nur Zeit und Zufall sie gekürt haben –, die Besten in demokratischer Gesinnung aber spielen keine Rolle mehr.

In Urathen waren es Herumtreiber, Hundlinge, Wanderlehrer und Mitglieder von Philosophenschulen, die sich dem Macht- und Wirtschaftsleben verweigerten, um die Verhältnisse aus Distanz kritisch zu durchschauen. Ohne Schicht der Müßigen, die sich der Knechtschaft der Arbeit entziehen, kann es keine wache, sich selbst wahrnehmende Gesellschaft geben.

Weshalb die Emanzipation der Frau nicht im „Sklavenbereich“ männlicher Wirtschaft ihren Höhepunkt erfährt. Ob mit oder ohne Kinder: Erwachsene und Eltern müssen über einen bestmöglichen Freiheitsraum verfügen, um demokratische Vitalität zu entwickeln.

Nur aktive und offensive Friedenspolitik, die militaristisches Muskelspiel attackiert, hat die Chance, Vertrauen zu anderen Völkern herzustellen. Merkels Rede in München diente allein ihrer makellosen Abschiedsvorstellung.

Wer in seiner gesamten Regierungszeit nicht fähig war, eine selbständige Politik zu entwickeln, kann es kurz vor seiner Pensionierung auch nicht mehr. Wer nur Phrasen drischt – „wir sind stolz auf unsre Autos, das dürfen wir auch sein“ – ohne die Betrügereien der Autoindustrie zu erwähnen, macht sich lächerlich.

Dass ihre Abiturientenrede so viel Beifall bekam, zeigt die Degenerierung des Westens: die anderen sind noch unglaubwürdiger. Ihr Herzensfreund Macron hielt es nicht einmal für nötig, mit seiner Verbündeten eine Phalanx der Unbestechlichen gegen alle Trumpismen der Welt zu bilden.

Für Abrüstung zu plädieren, indem man den eigenen Wehretat erhöht, für Kooperation einzutreten, indem man seine Exporte vergrößert: wer so spricht, der spricht nur für seine eigene Nobilitierung. Wer das Generalproblem der Menschheit, die Klimakatastrophe nur streift, lässt alle Nachwuchsgenerationen schmählich im Stich. Wer Reden hält, für deren Realisierung er nicht mehr eintreten muss, der predigt nur für seine eigene Heiligsprechung.

Bis zum heutigen Tag hat Deutschland keine eigenständige Politik entwickelt. Zuerst musste das Land der Schergen Demokratie lernen, danach übernahm es kritiklos und mit hechelnder Miene den amerikanischen Neoliberalismus – ohne zu bemerken, dass mit dem Egoismus der Börsenspieler jenen ursprünglichen american way of life, der Deutschland aus dem Sumpf zog, ins Gegenteil verkehrt wurde.

Sollte Trump aus dem Amt verjagt werden, wird der fundamentalistische Mike Pence das Ruder übernehmen. Auch Trump ist ein Biblizist, doch ohne Bibelkenntnisse. Sein Motto: America first, ist durch und durch biblizistisch.

Trachtet zuerst nach dem Reiche Gottes. Ich bin der Erste und der Letzte, Alpha und Omega. Wer der Erste sein will unter euch, sei der Letzte.

Ausdrücklich soll man Erster sein wollen. Doch mit paradoxen Mitteln: indem man der Letzte wird. Trump will der Erste sein, indem er das Allerletzte wird. Merkels Motto ist nicht anders. Ihre Demut mimt die Letzte, um die Erste zu sein.

America first heißt: zuerst kommt Gods own country, dann lange, lange nichts. Merkel spricht von einer Win-Win-Globalisierung – und unterlässt nichts, um die führende Rolle der Deutschen auf Kosten aller anderen zu unterstützen. Sie wirft Trump Protektionismus vor, ihr Wirtschaftsminister aber will Chinas Beutepolitik in Deutschland bremsen.

Innenpolitischer Schutz der Schwachen der Welt gegen die Übergriffe der Starken aus allen Ländern der Erde: das wäre sozialer Protektionismus.

Wie ist die Krise entstanden? Schon spricht man wieder vom Schlafwandeln, wie Historiker Clarke vom Schlafwandeln der europäischen Völker vor dem Ersten Weltkrieg sprach. Wer schläft, ist unschuldig. Also sind wir schuldlos, wenn wir sehenden Auges den nächsten Taifun vorbereiten.

Liest man realpolitische Artikel, scheint es nur unpersönliche Vorgänge in der Welt zu geben, niemanden, den man dafür an die Wand nageln kann.

„Demokratien sind anfällig geworden für die neuen Waffen der Desinformation und der digitalen Spaltung, sie sind geschüttelt von Selbstzweifeln und anfällig für den nächsten ökonomischen Sturm, der bereits heraufzieht. Der Klimawandel, von den meisten Menschen weltweit als wohl größte Bedrohung empfunden, scheint wegen politischer Unlösbarkeit von der internationalen Agenda verschwunden zu sein. Spanien, Frankreich, Italien, Großbritannien – die Wurzeln der Gesellschaft haben sich gelöst; wo einst die Mitte war, gähnt nun ein Loch. Hier liegt der tiefere Grund für die wachsende Unsicherheit, die sich am Ende in Aggression zwischen Staaten, in Handelskonflikten oder in populistischen Kreuzzügen ausdrückt. Entwurzelung führt zur Ablehnung von Institutionen und Führungspersönlichkeiten, erhöht das Unverständnis für die Komplexität von Problemen und endet in Radikalität.“ (Sueddeutsche.de)

„Die Welt sei geprägt von „Unordnung und Verunsicherung“. Sagte Journalist Mascolo, der den Rechercheverbund von NDR, SWR und Süddeutscher Zeitung leitet. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der die Probleme vermessen würden, „die die Welt miteinander hat“, sei auffällig gewesen, dass längst gelöst wirkende Probleme „plötzlich wieder da“ seien.“ (SPIEGEL.de)

Nur unpersönliche Substantive, nur Zeitvorgänge ohne Subjekte. Wie können wir Verantwortung übernehmen, wenn es weder Urheber noch Verantwortliche gibt?

Die Analyse der Krisenentstehung ist eine vorauseilende Grabesrede auf die Menschheit ohne Nennung der Mörder. Lasset uns Trauer tragen, denn jetzt bereits wissen wir: wir werden es nicht schaffen. Stumm bleibt die abendländische Demut: wir dürfen es auch nicht schaffen. Das wäre Blasphemie gegen den Einzigen, der uns zur Hilfe kommen kann:

„Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen von welchen mir Hilfe kommt. Meine Hilfe kommt vom HERRN, der Himmel und Erde gemacht hat.“

Was soll anders getan werden als bisher? Wie soll diese Frage beantwortet werden ohne präzise und konkrete Nennung unserer Fehler?

Das muss anders gemacht werden:

Wir müssen uns verabschieden von Errettern und Erlösern, müssen auf eigenen Beinen gehen, dürfen nicht länger von abstrakten Systemen reden, die irrational und komplex sind, müssen Netze des globalen Gesprächs aufspannen, mit denen wir uns besser verstehen lernen, müssen unsere Vergangenheit aufarbeiten, um uns auf die Schliche zu kommen, dürfen uns auf Wunder nicht verlassen, sondern müssen uns klar machen: was wir nicht tun, bleibt ungetan.

Das Verhängnisvollste aber wäre, Gefahren Gefahren sein zu lassen und zum gewohnten Schlendrian überzugehen:

„Angesichts des Verlaufs der bisherigen Katastrophen aber sollte man Alfred Polgar gedenken: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“ (Jacques Schuster, WELT.de)

 

Fortsetzung folgt.