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Sofort, Hier und Jetzt LXIV

Sofort, Hier und Jetzt LXIV,

wer will die weltweite Armut beseitigen? Der müsste eine noch nie dagewesene moralische Anstrengung vollbringen. Doch das ist unmöglich. Schon vor Zeiten wurde Moral des Landes verwiesen, seitdem ward sie nicht mehr gesehen.

Wer will weltweite Armut besiegen? Der muss Kapitalist werden, denn wer nichts hat, nichts herstellen und kaufen kann, bleibt ein lebenslanger Habenichts und nützt niemandem.

Wer will weltweite Armut überwinden? Der muss ein Phantast sein, denn Armut gehört zum Leben wie Luft zum Atmen. Ohne Armut wüssten die Reichen nicht, wen sie überholt und in den Schatten gestellt hätten. Reichtum wird durch Armut erst schön.

Wer will die Armen – aus dem Hartz4-Gefängnis in Deutschland befreien?

Der müsste zuerst den Sozialstaat zerschlagen, denn der ist ohne Armut nicht denkbar.

Der müsste zuerst die sozialen Fensterreden der SPD und der Gesellschaft zum Verstummen bringen.

Der müsste das deutsche Wesen verändern. Denn das Wesen braucht die Armen als lebensnotwendige Objekte der Verachtung. Ohne Hass und Abscheu vor Nichtstuern könnten sie ihres Lebens nicht mehr froh werden. Nur der ist reif zum Aufstieg, der Angst hat vor dem Abstieg. Nur der stürzt sich in Arbeit, der sich lebenslang vor dem Schmäh der Erfolgreichen fürchtet.

Wir benötigen Armut, um Hochkulturen zu errichten, Genies und Superreiche zu produzieren und einer immer höheren Entwicklung der Kultur und Zivilisation nachzujagen. Nach Bach und Beethoven brauchen wir keine Kultur mehr. Kultur haben fertig.

Unsere Zivilisation hingegen braucht endlosen Fortschritt, sonst beginnt sie

  an sich zu zweifeln. Zivilisation ist stets nach vorne offen.

Kultur ist die Übersetzung der conditio humana in Geist. Im Revier des Geistes gibt es nichts mehr Neues, Kultur hat alles in Kunst, Literatur und Philosophie übersetzt. Der Geist des Menschen ist begrenzt. Was heute als Kultur auftritt, ist schrille Unterhaltung, um den Zustand der Geistlosigkeit zu übertönen. Bibliotheken können geschlossen werden. Niemand mehr liest Bücher – mit Ausnahme jener, die sich langweilen, aber mit Algorithmen nichts anfangen können.

Zivilisation ist Überwindung der Natur. Natur muss durch Herstellen von Dingen überflüssig gemacht werden. Ein Prozess, der ins Unendliche geht.

Geist zeigt dem Menschen seine Endlichkeit, Zivilisation macht den Menschen unendlich.

Es war ein griechischer Denker, der den Gott der Kultur als Mischgeburt aus Armut und Fülle entlarvte.

„In Platons Symposion ist Poros die Personifikation der Fülle. Er war von Penia, der Personifikation der Armut, verführt worden, als er zu viel Nektar getrunken hatte, und wurde Vater des Eros.“

Die Reichen müssen sich an ihren Erfolgen besaufen, damit die Armen sie im Rausch ein wenig erleichtern können. Bezogen auf den Geschlechterkampf, der nur eine Variante des Streits zwischen Reichen und Armen ist, müsste man sagen: die Männer müssen sich im kapitalistischen Delirium befinden, damit die Frauen an ihren kostbaren Lebenssaft gelangen, um ihre Kinder zu gebären. Diese mythische Epoche gerät heute an ihr Ende. Die technische Zivilisation der Männer arbeitet hektisch daran, ihre Nachfolger und Erben als Maschinen zu produzieren.

Frauen waren immer die Armen. Nur durch ihre Gebärfähigkeit durften sie sich als Ehe-Untertanen am Reichtum ihrer Männer beteiligen. Mütter, die es wagen, ohne Männer Kinder aufzuziehen, sind noch immer die Ärmsten der Armen. Was Männer tun, ist kostbare Arbeit und muss entlohnt werden. Was Frauen tun, ist belanglos und muss überwunden werden. Erst wenn Frauen sich der männlichen Arbeit unterordnen, dürfen sie auf ein Taschengeld hoffen.

Wir befinden uns in der Hochkultur – die keine Kultur mehr ist, sondern eine Hoch-Zivilisation. Diese fälschlich so genannte Hochkultur begann als Sozialpyramide. Das war die Gesellschaft als Megamaschine:

„Die Sozialpyramide, die in Ägypten und Mesopotamien entstanden war, blieb das Modell für jede zivilisierte Gesellschaft. An der Spitze stand eine von Stolz und Macht aufgeblähte Minderheit, angeführt vom König und seinen Ministern, Kriegsherren und Priestern. Die Aufgabe dieser männlichen Elite bestand in der Kontrolle der ganzen Megamaschine. Das hat sich bis heute nicht verändert. Unten befand sich die breite Basis der Arbeiter, die von der Last der Pyramide erdrückt wurden. Dieses System geht aus von der Annahme, dass Reichtum, Muße, Komfort, Gesundheit und ein langes Leben nur den herrschenden Männern zustehen, während schwere Arbeit, Not und Entsagung und früher Tod zum Los der Mehrheit wurde. Die Megamaschine machte nicht nur die tägliche Arbeit zur bitteren Strafe, sondern verringerte auch den Lohn und die physische Befriedigung, die den Jägern, den Bauern und den Hirten für übermäßig harte Arbeit entlohnte.“ (Mumford, Mythos der Maschine)

Am Urschema dieser Pyramidengesellschaft hat sich bis heute nichts geändert. Die oberen Männer beherrschen das Geld ihrer Untertanen, führen ein Leben in Hülle und Fülle – und haben als Einzige das Recht, unsterblich zu werden. Priester sind ihre medialen Unterstützer, die dem Volk Gehorsam und Moral predigen, den Oberen aber die Erlaubnis zu sinnlichen Ausschweifungen und grenzenlosem Luxus geben.

Die Pyramiden von heute sind die KI-Tempel von Silicon Valley, ihre Raketenrampen, um eines Tages, wenn‘s hienieden duster wird, in die ewigen Jagdgründe des Universums zu verschwinden. Unsterblichkeitsreligionen sind die kulturellen Vorentwürfe der späteren Verwandlung in die monströsen Zivilisationen der Gegenwart.

In den Anfängen der Megamaschinen gab es noch Kultur. Sei es in Form von Poesie, Kunst und Philosophie, die zwischen Widerstand und Verehrung hin und her schwankten. Sei es in Form von Religion, die auch eine Mischung aus Allmachtsverehrung und trotziger Auflehnung der Unteren gegen die irdischen Führungsklassen war. Man erfand unsterbliche Götter in ihrem Elysium, dem Sehnsuchtsort ihrer zukünftigen Seligkeit – oder im Abyssus, dem Bestrafungsort für teuflische Spielverderber.

Kern der kulturellen Denkakte war die Rückerinnerung an eine goldene Urzeit, die man dereinst in der Zukunft wieder erwartete. Einst war das Unversehrte und Vollendete. Der Dialog erfand die Anamnese, die Kunst das Schöne, die Literatur das Paradiesische, um die verlorene Zeit des Glücks nicht zu verlieren – und in die Zukunft zu projizieren. Was war, konnte wieder kommen – wenn die Menschen sich des Glücks würdig erwiesen.

Heute wird die goldene Zeit als Mumpitz abgetan. Doch es gab sie – als Reich der Mütter, in dem es keine Klassen gab und jeder Mensch gleichwertig war. Das Reich der Mütter wurde von Pyramidenmännern und Megamaschinisten dem Erdboden gleichgemacht. Bachofen und andere haben die Spuren der Mütter in der ältesten Literatur, in archäologischen Funden rekonstruiert. „Früher war alles besser“ bedeutete ursprünglich: im Reich der Mütter war alles humaner. Es war eine Kultur der Menschlichkeit, die von den späteren Megamaschinisten unerbittlich zermörsert wurde.

In der Aufklärung verschmolzen die beiden Urelemente zu futuristischen Visionen, in denen das Humane und Technische eine Einheit bilden sollten. Das war ein Irrtum. Denn Humanes und Technisches stoßen sich letztlich ab.

Ein halbes Jahrhundert lang, nach dem letzten Weltkrieg, schien es, als hätte das Humane die Chance, die Machtpyramiden in den Griff zu kriegen.

Seit dem Neoliberalismus aber rollt eine Offensive des technischen Ungeistes über die Kultur demokratischer Humanität. Die unnennbaren Brutalitäten der Nazis hatten dazu beigetragen, die Völker zur Umkehr zu bewegen und den Pfad des Guten zu suchen. Doch die mahnende Erinnerung an die NS-Schergen ist mittlerweilen verblasst – nun kehren aus den Tiefen kollektiver Erinnerungen die verdrängten Machtgelüste der Völker zurück und beginnen die Prinzipien der Weltpolitik erneut zu bestimmen.

Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Der Starke und Erfolgreiche siegt, das technische Genie bestimmt den Lauf der Geschichte. Grenzen ziehen, Mauern errichten, Armeen aufrüsten, sich gegenseitig erniedrigen und verhöhnen, mit wirtschaftlicher Überlegenheit Konkurrenten schwächen und erniedrigen: das ist der Ungeist der Zeit.

Die drohende Klimakatastrophe vollends taucht die Gegenwart in apokalyptische Illumination. Dennoch will niemand – in Worten: niemand – das Ruder herumreißen. Regierungen zeigen Muskeln und produzieren endloses Wirtschaftswachstum, Medien verhöhnen die Moral der Umkehr, propagieren Reichtum, werben für die neuesten Maschinen und die umweltschädlichsten Weltreisen, als sei nichts in der Welt geschehen.

Die Pyramiden beginnen sich zu neigen und in alle Einzelteile zu zerlegen. Die Mächtigen tun, was sie schon immer taten: sie überwachen ihre Untertanen immer hermetischer, die Priester verteilen uralte Beruhigungspillen: wir sind alle in Gottes Hand. Und wer das nicht glaubt, kommt ins Feuer.

Viele Jahrhunderte lang profitierte das Genie der Pyramidalen vom Grundsatzdenken der Geistigen. Fast alle bedeutenden Naturwissenschaftler waren ernsthafte Philosophen. Heisenberg, Einstein, Bohr, Schrödinger, Planck: sie kannten alle noch die Griechen und waren von ihrem logischen Scharfsinn und ihrem Wahrheitswillen geprägt.

Die meisten Wissenschaftler der Gegenwart sind zu Gottsuchern regrediert, die keine Probleme haben, religiöse Schöpfungsmythen mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zur Einheit zu bringen. Muss hinter dem Urknall nicht doch ein Gott stecken?

Die Periode der gegenseitigen Befruchtung zwischen Geist und Technik ist vorbei. Zwar gibt es noch immer technische Erneuerungen, doch die maschinellen Visionen sind erkauft mit politisch-humanitären Beglückungsdummheiten. In einem perfekten Weltstaat, von Maschinen erdacht und überwacht, gibt es keine Demokratien mehr.

In Deutschland geht alles abwärts: sowohl die demokratischen wie die technischen Fähigkeiten. Michael Sauga, SPIEGEL, verwirft in Nebensätzen die Grundlagen der Demokratie, das Prinzip der direkten Volksabstimmungen, die Wichtigkeit einer scharfen Opposition und gerechten Sozialpolitik:

„Opposition ist Regierung im Wartestand, heißt es gern. Bei der aktuellen Labour-Führung kommt einem eher Franz Müntefering in den Sinn: „Opposition ist Mist.“ Nicht immer hilft es in politischer Bedrängnis, das Volk zu befragen. Viele Paketboten oder Reinigungskräfte, die kaum mehr zum Leben haben als Hartz-IV-Empfänger und bei ähnlichen Verstößen ebenfalls mit empfindlichen Strafen zu rechnen hätten, würden wahrscheinlich antworten: Ja.“ (SPIEGEL.de)

Technische Glanzleistungen, einst Stolz der Deutschen, liegen zunehmend in Trümmern. Der BER, Stuttgart 21, das löchrige digitale Netz, der ökologische Rückfall auf hintere Plätze, die Wohnungs-, Schul- und Kitaprobleme, die Strukturen der Bahn und der Straßen – nicht mal die Flugzeuge der Regierung sind flugtauglich und blamieren die Deutschen in aller Welt: nun auch die hochberühmte Elbphilharmonie. Akustische Probleme trüben die Qualität der künstlerischen Darbietungen erheblich. (WELT.de)

Hochkulturen zeichnen sich dadurch aus, dass sie Reichtum und Armut ungleichmäßig auf Oben und Unten verteilen. Die Führungsschichten erhalten Reichtümer im Übermaß, nicht nur im materiellen Sinn. Das Volk wird verurteilt zur dumpfen Masse, unfähig, die Machenschaften der Oberen zu verstehen und zu durchschauen. Heute ist das Volk anmaßend, auftrumpfend, unterkomplex, unwissend und ungebildet. Früher war es auf religiöse Offenbarungen angewiesen, heute auf blinde Anbetung des technischen Fortschritts.

Eliten können die schlimmsten Entscheidungen treffen: wer ist am Ende der Schuldige? Das Volk muss alles ausbaden. Deshalb darf Armut nicht ausgerottet werden. Die Mächtigen brauchen jemanden, der für ihre Fehlleistungen bluten muss. Die Banken stürzen die Weltwirtschaft in Turbulenzen. Wer wird mit vielen Steuermilliarden gerettet? Die Banken. Die Autoindustrie lügt und betrügt vor aller Augen. Wer muss für den Schaden aufkommen? Die kleinen PKW-Besitzer.

„Im Zuge der Krise von 2008 floßen Hunderte von Milliarden Dollar in die Bankenrettung, während die Eigenheimsbesitzer weitgehend leer ausgingen. Bei jeder Gelegenheit erhalten die großen Betriebe finanzielle Unterstützungen vom Staat. Solche staatlichen Interventionen verzerren das Wirtschaftsgeschehen und mindern die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Die Reichen werden reicher, während die Anderen die Rechnung bezahlen müssen. Politische Maßnahmen der US-Regierung halfen den Reichsten im reichsten Land der Welt und zwar auf Kosten der Ärmsten in den ärmsten Ländern. Wir halten an einem System fest, in dem die Gewinne privatisiert und die Verluste verstaatlicht werden, also von den Armen bezahlt werden müssen. (Stieglitz, Reich und Arm)

Warum ist das so? Weil seit der Gründung der Hochkulturen die Starken und Mächtigen die Heilsbringer des Volkes sind. Geht es ihnen schlecht, geht es allen schlecht. Also müssen sie vor allen anderen gestützt und gefördert werden. Denn sie sind die Cleveren, die für Arbeitsplätze, Fortschritt und Macht sorgen. Das ist das Geheimnis des Kapitalismus: nicht die Schwachen, die Reichen sind a priori zu schützen, zu hegen und zu pflegen. Erst dann die Überflüssigen, die nichts bringen und nur kosten.

Die Armen sind verdientermaßen die Loser der Gesellschaft. Sie sind arm im Geist, schlecht im Charakter und von mangelhafter Intelligenz.

„Der US-amerikanische Politologe Charles Murray war früher der Meinung, dass Armut sich durch den schlechten Charakter der Armen erklären lasse. In seinem Buch Losing Ground teilt Murray Arme in zwei Klassen ein: die „working class“ und die „underclass“. Die letztere wird von ihm auch als „dangerous class“ („gefährliche Schicht“) oder „undeserving poor“ (Übersetzung in etwa: „Arme, die es nicht verdient haben, dass man ihnen hilft“) bezeichnet. Diese „undeserving poor“ zeichnen sich laut Murray durch mangelnde Selbstdisziplin aus. Sie hätten nicht den Ehrgeiz, ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, sondern lebten lieber von Almosen. Die underclass habe sich als Reaktion auf zu hohe Sozialleistungen entwickelt. Einige Leute hätten die Sozialhilfe zu ihrem Lebensstil gemacht. Später gelangte Murray zu der Auffassung, dass Armut vor allem durch niedrige Intelligenz zustande käme“. (Wiki)

Malthus „ruft den Armen zu, ihr Elend hätten sie sich selbst zu verdanken, weil sie keine Voraussicht geübt hätten, weil sie zu früh geheiratet und zu viele Kinder gezeugt hätten.“

„Malthus verlangte die Abschaffung aller Armengesetze und jeder systematischen Unterstützung. Mit Geld könne man die Lage der Armen nicht verbessern.“ (Gide, Rist, Geschichte der volkswirtschaftlichen Lehrmeinungen)

Da die Armen an ihrem Elend selbst schuld sind, sollte man ihnen auch nicht das geringste Almosen zustecken. Man würde nur ihre Lasterhaftigkeit belohnen. Tony Blair ging an allen Bettlern mitleidslos vorüber. Eben diesen Armenverächter wählte der deutsche SPD-Kanzler Schröder zu seinem Über-Ich und übertrug die Verachtung der Armen auf die deutsche Hartz4- Gesetzgebung.

Verheerender konnte der Hass auf die Schwächsten nicht ausfallen. Just ehemalige Marxisten verbreiten die Atmosphäre größtmöglicher Diskriminierung der Ärmsten. Wie in der Frühzeit des englischen Kapitalismus Armenhäuser eingerichtet wurden, um entwurzelte Arbeiter am Aufstand zu hindern, so in Deutschland die Freiluftgefängnisse der Hartz4-Reglementierungen. Residenzpflicht gebietet, ständig vor Ort zu bleiben, um sich vom Amt nach Belieben kujonieren zu lassen.

Da die SPD, in bester Marx- und Bibeltradition, einer Heils-Ideologie der Arbeit anhängt, ist Arbeit für sie das Alpha und Omega einer profitgierigen Gesellschaft. Zusammen mit den Gewerkschaften haben sie sich zu Lakaien des Mammons degradieren lassen. Erhalten sie ihre tariflichen Almosen für garantierte Arbeit, unterscheiden sie sich vom schändlichen Lumpenproletariat, der „passiven Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft.“

Bei Hartz4 hat sich Marxens Hass auf das verfaulte Lumpenproletariat durchgesetzt. Da kommt ein SPD-Arbeitsminister gerade recht, um den „Sozialstaat“ zu bemühen: „Der Sozialstaat muss ein Mittel haben, die zumutbare Mitwirkung auch verbindlich einzufordern“, sagte der SPD-Politiker am Dienstag zum Verhandlungsauftakt in Karlsruhe. Dazu gehörten aus Sicht der Bundesregierung auch Leistungskürzungen.“ (SPIEGEL.de)

Wenn deutsche Politiker hoheitlich reden, reden sie vom Staat, nie vom Willen des Volkes. In einer Demokratie gibt es nichts Schlimmeres, als vom Willen des Volkes zu reden. Die Vergöttlichung des Staates ist nichts als Untertänigkeit unter die lutherische Obrigkeit.

Die Hartz4-Behörden haben Macht über ihre „Klienten“ wie absolutistische Fürsten über ihre Untertanen. Sie können die Leistungen bis weit unter das Existenzminimum kürzen. Ja, sie können sie völlig streichen. Was aus den Bestraften wird, ist für sie ohne Belang.

Unter dem Existenzminimum strafen, ist nichts anderes als ein Todesurteil aussprechen. Dabei hatte Karlsruhe selbst verboten, das Existenzminimum zu streichen. Doch findige Juristen, rabulistisch wie Theologen, fanden einen hermeneutischen Trick, das Verbot zu umgehen:

„Der Staat habe lediglich sicherzustellen, dass ein Hilfebedürftiger das Existenzminimum erhält –also ein Mensch, der das „weder aus seiner Erwerbstätigkeit, noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter“ kann, so hat es das Verfassungsgericht 2010 definiert. Wer also durch sein Verhalten selbst verhindert, dass er sein Existenzminimum zumindest irgendwann durch Arbeit verdient, kann sich nicht auf dieses Grundrecht berufen.“ (SPIEGEL.de)

Hartz4 verstößt gegen alle Würde-Vorstellungen des Menschen. Ist er arbeitslos, ist er schuldig geworden und muss bestraft werden. Wehrt er sich gegen die Diskriminierung, verschärft er seine Schuld und muss noch härter bestraft werden. Selbst das Existenzminimum darf unterschritten werden. Ist er denn nicht selbst schuld, wenn er als Obdachloser vor die Hunde geht? Die Schwachen und Missratenen sollen zugrunde gehen: in Karlsruhe diktiert Nietzsche die Feder der Juristen. Grausamer kann die Amoral der christlichen Gesellschaft nicht ausagiert werden.

Dabei treffen die Sanktionen nicht nur den einzelnen Sünder, sondern seine ganze Familie. Das Urteil wird zur Sippenhaftung. Der Strom wird abgestellt, die Familie sitzt im Dunkeln, die Kinder trauen sich nicht mehr in die Schule. Dem Staat scheint das Schicksal seiner „Staatsbürger“ gleichgültig zu sein.

Dabei ist die Reihenfolge umgekehrt. Nicht Einzelschuld führt zur Armut, sondern unverdiente Armut führt zur sozialen Inkompetenz.

„Armut ist die Mutter unzähliger und sittlicher Übel, und was noch schlimmer ist, die Gewohnheit, sich unterdrückt und gekränkt zu sehen, wirkt erniedrigend auf den ganzen Charakter.“ (J. S. Mill)

Das ganze Strafrecht weicht der Urfrage aus: Wer bestimmt den Charakter des Menschen? Er selbst – oder seine Autoritäten? Woher soll sein freier Wille kommen, wenn er nie die Gelegenheit erhielt, ihn ausgiebig einzuüben?

Das Menschenbild des „Sozialstaates“ ist das Menschenbild der christlichen Religion: der Mensch ist ein Satansbraten, ein hoffnungsloser Sündenkrüppel. Nie darf man diesem Wrack über den Weg trauen. All seine Taten sind gesteuert von bösen Gesinnungen. Neoliberale halten nichts von Gerechtigkeit, doch Hartz4-Entmündigungen müssen sein  aus Gerechtigkeitsgründen. (FDP-Lindner)

Selten, dass man in deutschen Gazetten einen humanen Artikel über die deutsche Sozialschande lesen kann. Ulrich Schulte in der TAZ schrieb einen:

„Hartz IV stützt sich im Kern auf schwarze Pädagogik. Ein solches Strafprinzip ist eines reichen Gemeinwesens unwürdig. Und es verkennt, dass die wenigen Arbeitslosen, die überhaupt gegen Auflagen verstoßen, oft persönliche Probleme haben. Sie weigern sich nicht, zu kooperieren – sie können es schlicht nicht.“ (TAZ.de)

Das deutsche Armen-Unrecht atmet jesuanische Armenverachtung. Will der Erlöser, von seinen Propagandisten als armenfreundlich dargestellt, die Armut auf Erden abschaffen? Er denkt nicht daran: „Die Armen habt ihr allezeit, mich habt ihr nicht allezeit.“

Ein Knecht, der anvertrautes Kapital nicht nutzte, um es wuchernd zu vermehren, wird vom Erlöser in die Finsternis verstoßen:

„Denn jedem, der hat, wird gegeben werden, und er wird Überfluss haben. Dem aber, der nicht hat, wird auch das genommen, was er hat. Und den unnützen Knecht stoßet hinaus in die Finsternis, die draußen ist. Dort wird sein Heulen und Zähneknirschen.“

In seinem Werk „Die christliche Liebestätigkeit“, in dem Gerhard Uhlhorn der heidnischen Antike asoziale Lieblosigkeit vorwarf, charakterisierte er die mittelalterliche Liebestätigkeit:

„Hier kommt der Schaden der mittelalterlichen Liebestätigkeit so recht zu Tage. Sie kennt nur die Aufgabe, den Armen in seiner Armut zu unterhalten, nicht aber den Armen aus dem Elend herauszuretten.“

Der deutsche Sozialstaat bringt es fertig, selbst diesen Standard zu unterlaufen. Er verurteilt die Armen zum Abschaum der Gesellschaft und an den Rand des Todes.

Fordern und Fördern? Wie wär‘s, dieses schändliche Erziehungsprinzip, das besser Erpressen und Demütigen hieße, bei verantwortungslosen Bankenchefs und betrügerischen Automanagern anzuwenden?

Wieder erschien heute eine Klimakatastrophen-Meldung der bedrohlichsten Art:

„Klimawandel, Datenkriminalität, geopolitische Krisen und weltwirtschaftliche Spannungen: Der aktuelle Risikobericht des Weltwirtschaftsforums zeichnet ein verheerendes Bild vom Zustand der Erde. „Globale Risiken nehmen zu. Gleichzeitig schwächt sich der kollektive Wille, sie zu bekämpfen, deutlich, und die Spaltung nimmt zu. Von allen Risiken ist es bei der Umwelt am offensichtlichsten, dass die Welt in eine Katastrophe steuert“.“ (SPIEGEL.de)

Wird sich ein einziger Politiker von diesen Warnungen angesprochen fühlen und Alarm schlagen?

Sollte man nicht alle PolitikerInnen, die die Menschheit seelenlos ins Verderben rennen lassen, stäupen und an den Pranger stellen?

Unten wird hasserfüllt zugeschlagen, Oben wird verständnisvoll abgewiegelt und exkulpiert, selbst, wenn es um Sein und Nichtsein der Menschheit geht. Das ist das Ende der Hochkultur.

 

Fortsetzung folgt.