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Sofort, Hier und Jetzt LVII

Sofort, Hier und Jetzt LVII,

zum Abschluss des Jahres die Verantwortung der Verantwortungslosen.

„Zudem kündigte Merkel höhere Ausgaben für Verteidigung und Entwicklungshilfe an. Deutschland müsse „im eigenen Interesse mehr Verantwortung übernehmen.“ (Sueddeutsche.de)

Wie wollen Politiker Verantwortung übernehmen für Prozesse, die sie für unkontrollierbar halten? Fortschritt und Wirtschaft halten sie für grenzenlos und unbeherrschbar. Risiken und Gefahren der Grenzenlosigkeit scheinen sie nicht zu kennen. Und wenn doch: sie umarmen das Unvermeidliche und unterschreiben blind. Leichtsinn? Abenteuertum? Eskapismus?

Ach, s‘ist Liebe. Warum? Weil heute alles Liebe ist. Selbst steigende Rüstungsausgaben, ungebremste Naturzerstörung und das Anheizen des Klimas.

Umarmt den Fortschritt, das Schicksalhafte und Unabwendbare. Lebt gefährlich. Stürzt euch in die Hände des lebendigen Gottes. Predigen faschistische Despoten, deutsche Medien und Führungsklassen. Die deutsche Kanzlerin unterschreibt jeden Blankoscheck auf die Zukunft – im Schutz ihrer kreatürlichen Ergebenheit.

Wer wissen will, was er verantworten soll, kann kein Gottvertrauen besitzen. Das wäre das Ende des Abendlands. Wenn Weltpolitik gott-gelenkte Geschichte ist und nichts Menschen-Gemachtes, muss ihre Kontrolle Misstrauen gegen Gott sein. Verantwortung wäre Blasphemie.

Vertraut eurer Kanzlerin, sie liebt euch, selbst der Begriff „Ökologie“ ist ihr nicht unbekannt. Sie hat einen doppelten Blick von Oben, sei es als

  himmlische Offenbarung des Herrn, sei es als Blick eines deutschen Astronauten aus dem Weltall:

„Merkel ließ erkennen, wie sehr auch die ökologische Situation sie mit Sorge erfüllt. Zu den Herausforderungen der Zukunft zähle das, was der deutsche Astronaut Alexander Gerst auf Bildern von der Raumstation ISS gesendet habe.“

Kann man verantworten, was man nicht überblicken kann? Deutsche Verantwortungspolitiker können alles:

„Der größte Teil unserer Politiker scheint die neuen Erkenntnisse über die Weltentwicklung zur schönsten Literatur zu rechnen, mit deren Kenntnis man Eindruck machen kann, die aber für politische Entscheidungen nicht benötigt werden. Gerade die Hirne derjenigen, die „Verantwortung tragen“ und zu „Entscheidungen befugt“ sind, scheinen vernebelt – andernfalls müsste man sie für Betrüger halten. Die neuen wissenschaftlichen Prognosen wehren sie damit ab. So was könne man gar nicht wissen, es sei noch immer anders gekommen als vorausgesagt. Was dieselben aber nicht davon abhält, Katastrophenszenarien an die Wand zu malen – wenn man ihre Wachstums-Imperative in den Wind schlägt. Politiker folgen den Devisen: „Male keine düsteren Bilder, male nicht den Teufel an die Wand, das kommt nicht an, das beschädigt dich, das wollen die Leute nicht hören.“ Zwei Jahre nach Erscheinen der „Grenzen des Wachstums“ musste Dennis Meadows bitter feststellen: „Kein einziger Politiker, keine einzige politische Organisation, keine Partei, kein wichtiges Industrieunternehmen hat sich bisher anders als vor Veröffentlichung unseres Alarmrufs verhalten. Es ist, als ob nichts geschehen wäre, alles bleib beim alten.“

Schrieb der frühere Parteigenosse der Kanzlerin, Herbert Gruhl, bereits im Jahre 1978. Seitdem verging ein halbes Jahrhundert und alles verschlimmerte sich in rasender Beschleunigung.

Gruhl zitierte auch den Psychoanalytiker Erich Fromm, der in seinem Buch „Haben oder Sein“ geschrieben hatte:

„Alle zitierten Daten sind der Öffentlichkeit zugänglich und bekannt. Die nahezu unglaubliche Tatsache ist jedoch, dass bisher keine ernsthaften Anstrengungen unternommen wurden, um das uns verkündete Schicksal abzuwenden. Während im Privatleben nur ein Wahnsinniger bei der Bedrohung seiner gesamten Existenz untätig bleiben würde, unternehmen die für das öffentliche Wohl Verantwortlichen praktisch nichts und diejenigen, die sich ihnen anvertrauen, lassen sie gewähren.“

Entweder ist Merkel wahnsinnig und die Deutschen wollen es nicht wahrhaben – oder sie ist eine gefährliche Betrügerin und ihre Untertanen wollen betrogen werden. Die Medien gehen behutsam und einfühlsam mit ihr um: „die ökologische Situation erfüllt sie mit Sorge.“

Es handelt sich um eine reziproke Tröstungsbeziehung zwischen Führung und Geführten. Wie Merkel ihr Volk tröstet, wird sie von Edelschreibern zurückgetröstet. Es gilt nicht nur: tröstet, tröstet, mein Volk. Es gilt auch: tröstet meine Obrigkeiten, alle sind von mir eingesetzt und tun, was ich ihnen aufgetragen habe. Wären Medien der Meinung, sie dürften nicht länger beruhigend zuschauen, müssten sie zum Aufstand rufen. Dann wär‘s um sie geschehen.

Wie sich die Kirchen alle 50 Jahre „durchlüften“ müssen, um die Modergerüche ihrer Botschaft durch den jeweiligen heidnischen Zeitgeist zu vertreiben, so muss auch Römer 13 nachgerüstet werden: „Seid untertan den Medien, denn es gibt keine Gazette, die nicht von mir eingesetzt und geduldet wäre.

Das geschieht denn auch im untertänigen Deutschland jedes Jahr. Die Kirche kann noch so machtgierig und pädophil gewesen sein, an Weihnachten werden die Botschaften der Bischöfe und Päpste per TV in alle Wohnstuben übertragen, als seien es Botschaften vom Himmel. Da stehen sie hoch auf den Kanzeln, haben sich wunderbar gereinigt von allen Sünden und sind, was sie immer waren: die unfehlbaren Instanzen des Himmels.

Die besten Obrigkeiten im christlichen Abendland sind die, die – ohne ins Stammeln zu kommen – das Falsche tun, aber das Richtige predigen, freilich so, als ob das Falsche das Richtige wäre: sie lügen, doch mit bestem Gewissen. Denn jeder weiß, dass sie lügen. Insofern lügen sie gar nicht. Sie reden mit gespaltener Zunge, doch – im Auftrag aller. Sie lügen vor Gott und der Welt, doch in Einvernehmen mit Gott und der Welt.

Das Volk bewundert die Sünder, die sich selbst vergeben, weil sie wissen, auch Gott vergibt ihnen, denn er liebt fröhliche Sünder. Wer nervös wäre, als ob es ihm schwer fiele, diese doppelte Täuschung zu vollbringen, wäre untauglich für sein politisches Amt. Das Volk würde ihn davonjagen. Der nationalen Pflicht des stillschweigenden gegenseitigen Betrugs könnte er nicht nachkommen.

Eine wahre Obrigkeit, die vom Volk geliebt wird, zeichnet sich aus durch Ruhe und Gelassenheit einer von Gott Geführten. SPD-Schulz galoppierte vor Nervosität und Unsicherheit, das hat ihm die sensible Basis nicht vergeben.

Kein Zufall, dass die Kanzlerin den Begriff Verantwortung mit Verteidigung und Entwicklungshilfe verknüpft. Verteidigung oder das Androhen von Militanz ist das Gegenteil „gemeinsamer Interessen“. Sie ist ein unverzeihlicher Verrat an den allgemeinen Interessen der Menschheit, die nur durch, pardon für das unerträgliche Wort, Friedenspolitik erreicht werden kann. Wenn die feindlichen Politblöcke jederzeit in der Lage sind, ihre Gegner atomar zu vernichten, wäre jede militante Andeutung – neben der Klimakatastrophe – die zweite suizidale Pathologie des Menschengeschlechts.

Entwicklungshilfe ist zum Gegenteil von nachhaltiger Hilfe geworden, die nur durch eine gerechte Weltwirtschaftsordnung geschaffen werden könnte. Entwicklungshilfe sind christliche Almosen, um das Gewissen der Reichen zu besänftigen, die gar nicht daran denken, das Aussaugen der „unterentwickelten Länder“ zu beenden. Nach wie vor werden afrikanische Staaten mit europäischen Agrarprodukten überschwemmt, die mit freundlicher Unterstützung Brüssels alle einheimischen Konkurrenzprodukte vom Markt jagen.

Ein Anflug von Selbstkritik in Nebensächlichkeiten, aber alle wichtigen Probleme in Pro und Contra übergangen: das war die Predigt der Kanzlerin. Das Volk, das sich für säkular hält, will es so – und also ist es so. Bis zur nächsten Predigt am hohen Fest: im somnambulen Rausch gemeinsam in den Untergang. Je bankrottierender der Verfall, desto bewusstseins-einschränkender muss die Beschleunigung des Fortschritts wirken.

Wie bedrohlich ist die Situation der Welt? Ist sie tatsächlich schlimmer geworden?

Vieles wurde besser: umso schlimmer für die Gesamtsituation, die sich unterschätzt und dämonisiert fühlt. Doch wer Verbesserungen ins Feld führt, vergleicht sie mit schlimmeren Situationen in der Vergangenheit – nicht aber mit der katastrophalen Realität der Gegenwart, die durch jene Verbesserungen nicht gebremst und aufgehalten wird.

Partielle Fortschritte, die die mögliche Apokalypse nicht verhindern, sind täuschende Blümchen am desolaten Gesamtzustand des Verfalls. Was nicht bedeutet, dass man die Flinte ins Korn werfen muss. Erst wenn die Menschheit den Mut aufbringt, die Dinge zu sehen, wie sie sind, wird sie nicht mehr zögern, die Welt zum Besseren zu verändern. Wer mit Ammenmärchen kommt, dem traut man nicht über den Weg, denn er zeigt, dass ihm die Knie schlottern.  

In Deutschland scheint es anders zu sein: hier wird vor Apokalyptikern gewarnt. Das hat vor allem zwei Gründe:

a) Die Deutschen sind immer noch apokalypse-geschädigt durch den Weltuntergang, den sie selbst exekutiert haben. Das wird ihnen noch lange in den Knochen sitzen, weshalb sie viel Wert darauf legen, schon jetzt im Wohlstandsparadies zu sein. Doch ihre german angst, ihr Nörgeln und Brutteln zeigen, dass sie ihren eigenen Illusionen nicht trauen.

b) Ihre Religion ist eine apokalyptische. Doch das verleugnen sie, weil sie sich aufgeklärt genug fühlen, die mythologischen Reste ihres Glaubens in der Zeit der Aufklärung überwunden zu haben. Damals begannen sie, Jesus mit Sokrates, ihren Glauben mit der Vernunft der Griechen zu identifizieren. Das Neue Testament lasen sie hinfort mit rationalisierenden Augen.

Rationalisierung ist keine Ratio, sondern der Versuch, Unvernünftiges nachträglich rational zu übermalen. Bei Rationalisierungen ist es bis heute geblieben. Gläubige, die massenhaft die Kirche verlassen, halten sich dennoch für christlich, ja für glaubwürdiger als die Kirchgänger, weil sie das offizielle Schäfchendasein überwunden haben. Dabei entgeht ihnen, dass sie die offiziellen Doktrinen der Kirche sträflich ignorieren.

Himmel und Hölle sind immer noch feste Bestandteile der klerikalen Dogmatik. Wenn die Frommen glauben, ihre Angst vor der biblischen Apokalypse überwunden zu haben, haben sie noch lange nicht die Dogmatik ihrer Kirchen überwunden. Das religiöse Seelenleben der Deutschen ist eine Wüstenei in mehreren Verdrängungssakten.

Will man untersuchen, wie der Zustand der Welt zustande kam, muss man – dem Urprinzip des Glaubens folgen. Der Mensch tut, was er glaubt. Nicht-theologisch spricht man vom Thomas-Theorem:

„Wenn Menschen Situationen als wirklich definieren, sind sie in ihren Konsequenzen wirklich.“

Der Glaube hält seine dogmatischen Bekenntnisse für wahr, also will er seinen Glauben in Schauen verwandeln. Das geschieht nicht erst im Himmel:

„Da ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich’s stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin.“

Glauben soll in Schauen verwandelt werden. Schauen heißt Wahrnehmen und Erkennen, Erkennen heißt Herstellen. Dass menschliches Erkennen die Objekte seines Erkennens selbst herstellt, beginnt bereits bei Vico und Kant. Bei Vico kann der Mensch nur erkennen, was er selbst hergestellt hat. Bei Kant gestaltet das Apriorische des Menschen den diffusen Stoff seiner Wahrnehmung. Die Dinge an sich bleiben unerkennbar. Damit wollte sich Fichte nicht begnügen, weshalb sein Ich die Tatsachen der Welt setzt.

Postmoderne und Konstruktivismus haben daraus die Lehre gemacht, dass der Mensch die Wirklichkeit nach seinem Bilde konstruiert. Das ist der Zustand der Gottähnlichkeit.

Die Lehre der Kirche besagt: das Schicksal des Menschen auf Erden ist eine Geschichte. Sie beginnt im Nichts und endet mit der Apokalypse, die für eine Minderheit in den Himmel und für eine Mehrheit in die Hölle führt. Solange Geschichte währt, ist eine Bewahrung der Schöpfung überflüssig, gelangt sie an das Ende, ist sie unmöglich.

Die Untergangswünsche des Schöpfers zeigen sich bereits auf den ersten Seiten der Schrift:

„Ich will die Menschen, die ich gemacht habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis auf das Vieh und bis auf das Gewürm und bis auf die Vögel unter dem Himmel; denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe.

Der Schöpfer entpuppt sich als neurotischer Creator. Was ihm missglückt, muss er aus Zorn vernichten. Das ändert sich nicht, als er den Entschluss zur Vernichtung bereut. Bestochen durch die Opfergerüche des Noah will er den Menschen eine Zeit lang Bestandsschutz geben:

„Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.“

Wie lang aber besteht die Erde? Solange die Heilsgeschichte währt. Unwiderruflich kommt das Finale.

„Und ich sah einen großen, weißen Stuhl und den, der daraufsaß; vor des Angesicht floh die Erde und der Himmel und ihnen ward keine Stätte gefunden. Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan. Und ein anderes Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die darin waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken. Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. das ist der andere Tod. Und so jemand nicht ward gefunden geschrieben in dem Buch des Lebens, der ward geworfen in den feurigen Pfuhl.“

In der lutherischen Dogmatik deutscher Auswanderer in Missouri und Ohio gibt es ein Kapitel „Ende der Welt“:

„Dass Himmel und Erde, die von Gott geschaffene Welt, vergehen und untergehen werden, sagt die Schrift ausdrücklich (Luk 21, 33; Hebr. 1, 1 bis 10). Und zwar werden Himmel und Erde vergehen und verwandelt – im Unterschied zu Gott und Christi Worten, die nicht vergehen werden. Luther: „Alles soll aufhören, was dieser zeitlichen Güter Wesens ist. So zum vergänglichen Leben und Werken gehört.“

Vor dem Kollaps dürfen die Grünen noch ein Apfelbäumchen pflanzen, das Gott in seinen Garten Eden übernehmen wird. Dann dürfen sie sagen, sie haben die Schöpfung bewahrt.

Das ist die platte Version der Weltvernichtung. Es gibt noch eine andere: eine Weltvernichtung durch Welt-Erneuerung, eine Naturzerstörung durch Naturerlösung. Diese Version ist die Silicon-Valley-Variante, den Menschen unsterblich zu machen und wenige Erwählte der Menschheit auf den Mars zu verpflanzen:

„Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet auf die Offenbarung der Kinder Gottes. Sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um deswillen, der sie unterworfen hat, auf Hoffnung. Denn auch die Kreatur wird frei werden vom Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnt sich mit uns und ängstet sich noch immerdar.“

„Wir Christen sind also“, schreibt der Theologe Gerhard Liedke, „und sollen sein: Zeichen der Befreiung der Gesamtschöpfung. An uns soll die Schöpfung sehen können, was einmal aus ihr wird, worauf sie hoffen kann. Unsere natürliche Mitwelt leidet und erwartet von uns, dass wir dieses Leiden nicht vermehren, sondern in der Welt offenbaren, wie die Schöpfung von dem seit unserem Sündenfall auf ihr lastenden Fluch erlöst werden kann.“

Die Erneuerung der Welt durch ihre Vernichtung ist Beweggrund des technischen Fortschritts. Silicon Valley und die Erfindung der KI, die alles Menschliche in den Schatten stellen wird, ist die creative Quelle des Neuen. Hier finden wir den innersten Kern des Slogans ‚America first‘. Der Fortschritt der Gottebenbildlichen soll vor allem erwählte Amerikaner ins Ziel retten. Sei es als Gewinner der Seligkeit, sei es in der vorweggenommen Erhebung in die Lüfte: als Flucht auf den Mars.

Das absolute Gegenprogramm zur christlichen Kreations- und Vernichtungslehre ist die griechische Naturphilosophie und die Naturreligionen der Eingeborenen. Bei Hesiod ist Eros, die liebende Zusammengehörigkeit der Elemente, der Kern der Natur, die als Nichterschaffene nie vergehen wird. Eine hasserfüllte, von Vernichtungswünschen bestimmte Geschichte zwischen einem männlichen Erfinder und der weiblichen Natur gibt es nicht.

Heidnische Natur ruht in sich. Die minderwertige Natur eines männlichen Schöpfers hingegen muss ihre Vollendung durch Vernichtung anstreben. Sie ähnelt dem Mann, der immer werden muss, während das Weib in sich ruht.

In sich ruhen gilt in der Ideologie der Moderne als Perfektion der Langweile und des Ungenialen. Das Männliche muss sich im Grenzenlosen suchen – und darf sich erst finden, wenn es sich in die Luft gesprengt hat. Der Tod ist das Ziel der Vollendung.

Ähnlich der griechischen Naturphilosophie ist die Pachamama-Tradition der Eingeborenen in Südamerika:

„Von der Morgenröte des Universums aus hatte Pachamama gesagt: `Ich bin die heilige Erde. Ich bin die, die hervorbringt und nährt. Ich bin Pacha Erde. So hatte Pachamama gesagt. …`Diese Erde lebt, und auf ihr leben wir alle zusammen … Wie Eure Mutter nährt sie Euch und zieht Euch auf. Doch auch wenn unsere Mutter auf irgendeine Art und Weise stirbt, so stirbt die Erde niemals. Wenn wir sterben, verschwinden wir von der Erde. Sie nimmt uns auf. Die Erde zieht uns wie ihr eigenes Kind auf. Ihr Haar wächst, das sind die Weiden … Auf den Weiden finden die Tiere ihre Nahrung … Die Pachamama kann gebären: sie gebiert Kartoffeln. Wir geben ihr die Samen und sie gebiert. Wir bitten Gott und geben ihr die Samen …“.

„Manala, Pachamama.

Dass aus deinem brennenden Lebensborn

Tausend brüderliche Herzen, tausend Lieben,

hunderttausend Lamas und Vikuñas, hunderttausend

Ayllus und ein Stern,

hunderttausend Kinder von

unseren Frauen geboren werden.“

Es gibt zwei unvereinbare Naturphilosophien auf Erden:

A) Die weibliche Natur ist vollkommen.

B) Der omnipotente Männergott will alles aus Nichts erschaffen und muss doch wieder alles im Nichts versenken, weil er mit seinem Werk nie zufrieden sein darf. Seine unerfüllbaren Wünsche hält er für göttliche Genialität – der er selbst nicht gerecht wird, weshalb er seine Kreationen vernichten muss.

Gestern gab es ein kleines Wunder. Mitten in Peking fand ein Konzert statt als ungewöhnliche Begegnung zwischen West und Ost (übertragen von ARTE). Nicht Wirtschaft und Konkurrenz bestimmten den Charakter der Begegnung, sondern – der Geist der Kulturen. Der Geist der Musik. Ein chinesisches Orchester spielte Orffs Carmina Burana. Ein Chor aus Europäern und Chinesen sang die rhythmischen Gesänge mit urigen mittelalterlichen Liebesliedern.

Kann man sich vorstellen, dass Ungarn und Deutsche, Engländer und Rumänen zusammenkämen, um sich ihre Lieder vorzusingen, ihre Geschichte zu erzählen, ins Gespräch zu kommen, miteinander zu feiern?

Europa ist kein monolatrisches Wirtschaftsprojekt, sondern die Begegnung verschiedener Traditionen, die sich kennen lernen wollen, um sich geistig zu bereichern und das Gemeinsame zu erarbeiten.

Was aber wissen die Europäer voneinander? Fast nichts.

Das wäre das Ziel einer europäischen Gemeinsamkeit: sich von den Wurzeln her kennen zu lernen, um die düsteren Vergangenheiten aufzuarbeiten und eine naturfreundliche Zukunft aufzubauen.

Was sangen die chinesischen Jugendlichen mit Begeisterung?

„Was hier im Reigen geht,

sind alles Mägdelein,

die wollen ohne Mann

diesen ganzen Sommer geh’n.

Komme, komm Geselle mein

Ich erwarte dich so sehr

Komme, komm Geselle mein.

Süsser, rosenfarbener Mund,

komm und mache mich gesund!“

Das ist die Angst der Männer, dass die „Mägdelein ohne Mann diesen ganzen Sommer gehen“. Dass sie ihr Leben ohne Patriarchen führen könnten.

Männer beißen sich eher die Zunge ab als zu gestehen: nur Frauen können sie erlösen. Rosenfarbner Mund, komm und mach mich gesund. Doch eher flüchten sie unter die Despotie eines Gottes, von dem sie Herrschaft über das Sein erhoffen. Eher flüchten sie in die Albträume ihrer Maschinen, denen sie unterwürfig ihre Zukunft anvertrauen. Und wenn sie dabei krepieren.

Nicht mehr lange und die Mägdelein werden ohne Männer ihren Weg gehen. Nicht nur einen Sommer lang.

 

Fortsetzung folgt.