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Tagesmail

Samstag, 24. November 2012 – Micha Brumlik

Hello, Freunde der Freien Schule,

es gibt eine Schule, in der eine Schülerin herausfand, was sie will. Das muss eine außergewöhnliche Schule sein.

Natürlich gibt es viele Probleme in der Neuen Schule Hamburg. Um sie zu lösen, sind zwei Lösungskomitees eingesetzt worden, die aus je einem Lehrer und vier Schülern bestehen, jeden Tag zusammenkommen, um mit den Betroffenen nach Lösungen zu suchen. Auch Probleme mit Lehrern kommen hier zur Sprache. Die 12-jährige Marlies: Es macht Spaß, Dinge zu klären.“

In die Neue Schule gehen viele Kinder, die in staatlichen Schulen nicht zurechtkamen, für die das freie Lernen oft eine „Erlösung“ ist. Es ist nicht so, dass es hier keine Regeln gäbe. Beispielsweise dürfen Kinder nur zu Dritt in einen Supermarkt, nicht länger als eine halbe Stunde. Wer eine Regel verändern will, kann das in der Schulversammlung beantragen.

240 Euro bezahlen die Eltern pro Monat an die Schule. Manche Eltern sorgen sich, die Kinder könnten nicht genug lernen, wenn nicht die Frontalpeitsche regiere. Lesen, Rechnen und Schreiben habe bisher noch jeder gelernt, sagt eine Lehrerin. Aus natürlicher Neugierde. Dazu viele Dinge, die man in normalen Schulen nicht lerne wie Verantwortung und Zeiteinteilung.

Vorbilder der Schule sind die legendäre Summerhill-Schule und die Sudburry Valley School in Massachusetts. Stundenpläne gibt es nicht. Jeder Schüler entscheidet

selbst, an welchem Unterricht er teilnehmen will. Dass man in dieser demokratischen Schule Demokratie lernen kann, versteht sich von selbst.

Im Umkehrschluss bedeutet das: in normalen Schulen kann man Demokratie nicht lernen.

Woher sollen die Demokraten in diesem Land kommen? Nichtdemokratische Kompetenz ist das Produkt der Schulen aus der Mitte dieser Gesellschaft. Alles Nichtdemokratische hat das Potential, unter widrigen Umständen rechtsextremistisch zu werden.

Die Kinder entscheiden nicht nur über den Ablauf ihrer Tage, sondern auch darüber, welche Lehrer eingestellt oder entlassen werden und wofür das Geld ausgegeben wird. Die Kinder entscheiden selbst, wann sie fit sind für die Hauptschul- oder Realschulprüfung. Noten gibt es nur auf Wunsch.

Niemandem ist es verboten, den ganzen Tag Fußball oder Computer zu spielen. „Wenn man das nicht verbietet, verliert es irgendwann seinen Reiz“, sagt Alexi. Manchmal würde ein Kind über Langweile quengeln. „Doch auch Langeweile kann produktiv sein, weil man sich dann mit sich selbst auseinandersetzt.“

Diese Schule muss exzellent sein. Wie viele gibt es davon in Deutschland? Deutschland wird erst eine Demokratie werden, wenn die normalen Schulen die Kinder frei lassen – zur Selbstverantwortung. Man könnte auch von Autonomie sprechen. Autonomie ist der Kern der sokratischen Philosophie.

(Heike Sonnberger im SPIEGEL über die Neue Schule)

Micha Brumlik ist Erziehungswissenschaftler. In einer freien Schule kann er nicht gewesen sein, denn er schreibt Artikel in der TAZ, für die er keine Verantwortung übernimmt.

Wenn die TAZ solche Artikel abdruckt, ohne der angegriffenen Gegenseite Gelegenheit zu bieten, ihre Ansicht zu erläutern, muss sie das Prinzip des methodischen Streitens nicht verstanden haben.

Es muss Hohn sein, wenn Brumlik der atheistischen GBS (Giordano-Bruno-Stiftung) vorwirft, sie wäre an einem aufgeschlossenen, respektvollen und lernbereiten Gespräch mit unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen nicht interessiert, missachte jegliche Toleranz und Humanität – und er selbst spielt den grobschlächtigen Ketzerrichter. Würden seine Vorwürfe zutreffen, müsste die GBS freiwillig ihre Tore schließen.

Doch welche Beweise legt Brumlik vor? Keine. Auf Deutsch: keine. Er zieht abenteuerliche Schlüsse aus dem Antisemitismus des italienischen Philosophen der Renaissance. Wer einen solchen Namenspatron habe, müsse selbst „ein geistiger Bruder“ desselben sein.

Welche christlich sozialisierten Abendländer waren frei von Antisemitismus? Freilich wird dies in normalen Schulen nicht gelehrt, schon gar nicht im „bekenntnisorientierten Religionsunterricht“.

Brumlik hat selbst ein verdienstvolles Buch über den Antisemitismus großer deutscher Denker geschrieben, ein Beleg, dass das Verhängnis nicht im Jahre 1933 als Offenbarung vom Himmel fallen konnte.

Umso erstaunlicher, dass Brumlik, ein gern gesehener Redner in Evangelischen Akademien, den protestantischen Kirchen nicht ihre restaurierte Luther-Manie zum Vorwurf macht. Einen verhängnisvolleren Judenhetzer als den Wittenberger kann man in der Geschichte Deutschlands nicht finden. Für die Nationalsozialisten war der Reformator ein leuchtendes und gern zitiertes Vorbild.

Warum die GBS intolerant und militant sein soll – kein einziger Beleg. Dass man in Beschneidungsdingen anderer Ansicht sein darf als Brumlik, daran wird er sich, wenn er nicht papistisch werden will, gewöhnen müssen. Was er unter „Austreibung“ der Religion aus dem öffentlichen Raum“ versteht, lässt er offen.

In einer Demokratie, für die Religion Privatsache sein sollte und das Christentum nicht zur atmosphärischen Staatsreligion stilisieren dürfte, ist es notwendig, die Machtansprüche der Erlöserreligionen zu stutzen und ihren Wahrheitsanspruch mit allen demokratischen Mitteln in Frage zu stellen, was man einst – lang, lang ist’s her – als Religionskritik bezeichnete.

Betrachtet man die verächtlichen, abfälligen bis höllisch-vernichtenden Äußerungen der Religiösen über die Nichtgläubigen, die man täglich in allen „Wort zum Tag“- Sendungen der Kirchenvertreter in Radios und auf allen Kanälen anhören kann, so fragt man sich, auf welcher Seite die unfehlbaren Entscheider über Himmel und Hölle sitzen.

Schärfe, Witz, Ironie und Sarkasmus sind keine Instrumente der Intoleranz, sondern der Erkenntnisgewinnung. Dass man Voltaire leichthin Antisemitismus vorwirft, ohne mit einem einzigen Wörtchen daran zu erinnern, dass er und seine Aufklärungs-Kollegen für die Gleichberechtigung aller Menschen, also auch für die Emanzipation der Juden, eingetreten sind, ist unseriös.

Dass der Italiener als Produkt einer dominikanischen Erziehung – die Dominikaner waren Vollstrecker der Inquisition – nicht nur liebenswerte Eigenschaften haben konnte, versteht sich von selbst. Dass er gleichzeitig für seine ketzerischen Aussagen zum Märtyrer und Vorläufer der Aufklärung wurde, darüber kein Wort bei Brumlik.

Dass Bruno das mittelalterliche Denkverbot der Kirchen aufbrach, den jenseits orientierten Menschen auf die Erde holte, die Natur in den Mittelpunkt des irdischen Daseins rückte – all das hält Brumlik nicht für erwähnenswert.

Aus der Sicht Diltheys hat Giordano Bruno die griechische Polis zu neuem Leben erweckt, woraus die Menschenrechts- und Demokratiebewegung entstand:

„Die mächtigen Bewegungen, in welchen so für die Menschen dieser Jahrhunderte der Schwerpunkt ihres Daseins aus dem Jenseits herüberrückte in diese Wirklichkeit …, in die Anschauung und Zergliederung der Wirklichkeit, in die Verklärung des Diesseits mit allem Glanz der Schönheit, in die Erfüllung des natürlichen Kreises unseres Daseins in Familie, Beruf und staatlichen Zusammenhang – die größte Umwertung aller Werte, welche die neueren Völker vollzogen – waren in jedem Stadium von der Einwirkung der antiken Literatur und Kunst begleitet. Was die verwandte griechische Polis aus den Menschen gemacht hatte, verstanden nun zuerst wieder diese Bürger von Florenz und Venedig, von Nürnberg und Augsburg.“ (Wilhelm Dilthey, Weltanschauung und Analyse des Menschen seit Renaissance und Reformation)

Hätten wir heute mehr von diesem kühnen, selbstdenkenden Geist Brunos und der Renaissance, wehte ein frischer Wind durch die „tabuloseste“ Gesellschaft, die vor lauter Denkverboten nicht mehr aus den Augen schauen kann. Eine klerikal dominierte Gesellschaft kann nur eine Zensurgesellschaft sein. Kein Wunder, dass bei den Hütern der Tabus jede Attacke gegen ihr Meinungsmonopol als intolerant aufgenommen wird.

Toleranz wird heute zur Akzeptanz der Mächtigen verfälscht. Brumlik gehört nicht zu den Ohnmächtigen.

(Micha Brumlik in der TAZ: Wofür steht Giordano Brunos Name?)

Auch Hannes Stein reduziert fast alle Aufklärer auf blutrünstige Antisemiten. Er bedenkt a) nicht, dass die Aufklärer als solche nicht geboren wurden, sondern mit der Muttermilch christlichen Judenhass einsaugten, den man bei aller Selbstaufklärung nicht über Nacht los wird; b) unterscheidet er nicht zwischen berechtigter Kritik und überzogenem Affekt.

Jede Religionskritik wird unter dem Vorwand der Antisemitismus-Kritik in einem Akt vom Tisch gewischt. Ob Stein die jüdische Religion kritisch sieht, gibt er erst gar nicht zu erkennen, seine eigene Position bleibt im Dunkeln. (Hannes Stein in der WELT)

Stein nimmt die Haltung eines Psychoanalytikers ein, der alle Fehlleistungen auf der Seite des Patienten sucht. Er hingegen ist so durchanalysiert, dass er weder Ressentiments noch sonstige Fehlurteile kennt. Jede Kritik am Alten und Neuen Testament steht heute generell unter Antisemitismus-Verdacht, eine abwegige Drohpolitik der etablierten Erlösungsreligionen.

Wer die Heiligkeit eines uralten Buches nicht respektiert, ist nicht automatisch ein Feind der Juden. Wie viele säkulare und ungläubige Juden hat es gegeben, die Spinozas und Einsteins Kritik an der „jüdischen“ Religion teilten.

Nicht Juden müssen kritisiert werden, die es in dieser homogenen Form nicht gibt, sondern jene, die an uralte Bücher glauben und sie zum Gesetz einer Demokratie machen wollen – wie die Ultras, die dabei sind, das Land Israel in eine Theokratie zu verwandeln.

Äußerlich schützen sich die drei Monotheismen in wechselnden Tageskoalitionen, innerlich sind sie Gift und Galle gegeneinander. Dass die christlichen Religionen „zumindest angefangen hätten, ernsthaft in sich zu gehen“, wie Stein schreibt, ist an historischer Naivität nicht zu überbieten.

Die Kirchen haben es von jeher verstanden, sich den Zeitgeistströmungen anzupassen, um bei wachsender Macht die verdrängten Uraltpositionen wieder zu reaktivieren. Gerade die biblizistischen Christen belauern die Juden, ob sie sich rechtzeitig zu Jesus von Nazareth bekehren, damit der Messias kommen kann.

Heute sind Kirchen judenfreundlich, morgen werden sie die archaischen Keulen wieder ausgraben. Entschärfende Neudeutungen der Antisemitismus-Texte im Neuen Testament sind nur modische Schminkaktionen. Morgen wird die Schminke weggewischt und die Weherufe über Gottesmörder, Pharisäer und Schriftgelehrte ertönen erneut.

Absolut wichtig, in allen weltanschaulichen Lägern den Hass auf Andersdenkende wahrzunehmen und schonungslos die Ursachen des Menschenhasses aufzudecken. Doch tabuloser Streit und glasklare Auseinandersetzung müssen sein.

Der sokratische Angriff gegen die Denkverbote der athenischen Polis wurde von derselben als blasphemische Einführung neuer Götter verkannt, um den Störenfried mit Verleumdungen loszuwerden. Auch damals waren es demokratische Kräfte, die unter Demokratie die Herrschaft traditioneller Götter und Mächte verstanden und die neue Autonomie des denkenden Menschen als Gefahr empfanden.

Auch Stein kann es nicht lassen, mit Hilfe eines angeblich christentumsfeindlichen gottlosen Hitler jede Religionskritik, jeden Atheismus und Agnostizismus als verkappten Antisemitismus zu diffamieren. In Wirklichkeit war der Nationalsozialismus auf der Suche nach einem klerikal unverfälschten Urchristentum, das er eschatologisch zu vollstrecken gedachte.

Antiklerikal ist nicht antichristlich. „Hitler hielt privat das Juden- wie Christentum für denselben jüdischen Schwindel“– dieser Satz bedeutet, dass das wahre heldische und welterobernde Christentum sich seiner jüdischen Elemente entledigen und zu seinen unverfälschten Ursprüngen zurückkehren sollte. In seinen Gesprächen mit Rauschning erklärte Hitler unzweideutig: „Es kann nicht zwei auserwählte Völker geben. Wir sind das Volk Gottes. Besagt das nicht alles?“

Auserwählte gibt es nur im Juden- und Christentum. Nennt Hitler das deutsche Volk auserwählt, kann er kein Gegner des Christentums sein, sondern nur Gegner des „verjudeten“ Christentums. In biblischer Erwählungstradition wollte Hitler den Juden das Etikett des singulär auserwählten Volkes entwenden und den Deutschen übergeben.

Das war der Inhalt des paulinischen Klügelns über den ursprünglichen und wilden Ölbaum in Neues Testament > Römer 11 …,17 … / http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/11/“ href=“http://www.way2god.org/de/bibel/roemer/11/“>Römer 11. Es gibt nur einen einzigen Unterschied zwischen amerikanischen Biblizisten und den Nationalsozialisten. Die Amerikaner glauben noch immer, dass die Juden sich demnächst bekehren werden, damit der Herr endgültig erscheinen kann. An diese Wiedervereinigung mit einem zum Christentum bekehrten Judentum glaubte Hitler nicht mehr. Er hatte die Juden aufgegeben und zu seinen Hauptfeinden erklärt. Es kann nur ein auserwähltes Volk geben. Kain musste Abel erschlagen, um die Gunst Gottes für sich zu ergattern.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der berechtigte und notwendige Kampf gegen den Antisemitismus in gleichem Atemzug benutzt wird, um den unberechtigten Kampf gegen die gesamte Aufklärung zu legitimieren.

Vernünftige Menschen, ob gottlos oder nicht, kennen weder Heilsgeschichte noch Traditionen partikularer Auserwählung. Sie müssen keine Heilskonkurrenten beseitigen, um sich einen Platz an der Sonne freizuschlagen.

Wenn alle Juden mit jüdischer Religion identisch wären, wäre jede Religionskritik automatisch ein judenkritischer bis antisemitischer Akt. Was haben säkulare Juden mit Religion zu tun, wenn sie sich selbst als nichtreligiöse Juden bezeichnen?

Zu sagen, Judentum ist auch eine Religion (und nicht nur Rasse) und sich gleichzeitig von den Inhalten der Religion zu distanzieren ist ein gefährlicher Widerspruch, der dazu führen kann, aus falsch verstandener Solidarität mit dem eigenen Volk den Einfluss religiös extremer Ultras immer mehr hinzunehmen.

Nicht auszuschließen, dass diese gedanklichen Verwirrungen, Unklarheiten und eklatanten Widersprüche zum Problemkern des heutigen Staates Israel führen.

Keine Demokratie kann es sich erlauben, von religiösen Extremisten in Geisselhaft genommen zu werden.