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Rede Sarkozy 2007 zu Afrika

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Originaltext
Rede von Nicolas Sarkozy, Präsident der französischen Republik
am 27. Juli 2007, in der Universität Dakar, Senegal.

Auszugsweise (ca. 30% des Gesamttextes) deutsche Übersetzung:

„Was Frankreich mit Afrika erreichen will, ist der Beginn von Eurafrika, diesem
großen gemeinsamen Geschick, welches Europa und Afrika erwartet.“
(….)
Afrikanische Jugend, ich bin nicht gekommen, um mit Dir die Unglücke Afrikas zu
beweinen. Denn Afrika braucht meine Tränen nicht.
Afrikanische Jugend, ich bin nicht gekommen, um Dein Los zu bemitleiden, denn Dein
Geschick liegt in Deinen Händen. Was tätest Du, stolze Jugend, mit meinem Mitleid?
Ich bin nicht gekommen, die Vergangenheit auszuradieren, denn die Vergangenheit läßt
sich nicht löschen.
Ich bin nicht gekommen, Fehler und Verbrechen zu leugnen, denn Fehler und
Verbrechen gab es.
Es gab den Menschenhandel, es gab Sklaverei, es gab die wie Waren gekauften Männer,
Frauen und Kinder.
Und dieses Verbrechen war nicht nur ein Verbrechen gegen die Afrikaner, es war ein
Verbrechen gegen den Menschen, gegen die Menschheit.
Und gegen den schwarzen Menschen, der ewiglich „die Verfluchungen, das Schluchzen
der Sterbenden und das Geräusch des ins Meer Geworfenen aus den Laderäumen der
Schiffe hinaufsteigen hört“.
Und gegen den schwarzen Mann, der sich nicht hindern kann, sich endlos zu
wiederholen, dass „dieses Land jahrhundertelang schrie, dass wir bestialische Tiere
sind“.
Dieser schwarze Mensch hat das Antlitz aller Menschen.
Dieses Leid des schwarzen Menschen ist das Leid aller Menschen.
Diese offene Wunde in der Seele des schwarzen Menschen ist eine offene Wunde in der
Seele aller Menschen.
Aber niemand kann von den heutigen Generationen verlangen, dieses von vergangenen
Generationen verübte Verbrechen abzubüßen. Niemand kann von den Söhnen verlangen,
die Fehler der Väter zu bereuen.
Jugend Afrikas, ich bin nicht gekommen, um zu Dir über Reue zu sprechen. Ich bin
gekommen, Dir zu sagen, dass ich den Menschenhandel und die Versklavung als
Verbrechen gegen die gesamte Menschheit empfinde. Ich bin gekommen, Dir zu sagen,
dass Deine Zerrissenheit und Dein Leid die Meinen sind. Ich bin gekommen, Dir
vorzuschlagen, Afrikaner und Franzosen zusammen über die Risse und das Leid hinaus
zu blicken.
(….)
Jugend Afrikas, ich bin gekommen, zusammen mit Dir unserer gemeinsamen
Geschichte ins Angesicht zu schauen.
Afrika hat seinen Anteil an unserem gemeinsamen Unglück.
Es waren Afrikaner, die den Sklavenhändlern andere Sklaven verkauften.
Und in Afrika hat man sich mindestens genau so wie in Europa gegenseitig getötet.
Allerdings ist es wahr, dass die Europäer damals als Eroberer nach Afrika gekommen
sind. Sie haben die Erde Deiner Vorfahren genommen. Sie haben die Göttern die
Sprachen, die Glauben, die Bräuche Deiner Vorfahren verbannt. Sie haben Deinen
Vätern gesagt, was sie zu denken, zu glauben und zu tun hatten. Sie haben sie von ihrer
Vergangenheit abgeschnitten, sie haben ihnen ihre Seelen und Wurzeln ausgerissen.
Sie haben Afrika enttäuscht.
Sie hatten Unrecht.
(…)
Sie wollten den afrikanischen Menschen bekehren, ihn nach ihren Vorstellungen
modellieren. Sie haben geglaubt, alle Rechte zu haben, sie haben geglaubt, allmächtig zu
sein, mächtiger als die Götter Afrikas, mächtiger als die heiligen Verbindungen, die die
Menschen geduldig über Jahrtausende hinweg mit dem Himmel und der Erde Afrikas
geknüpft hatten, mächtiger als die aus der Tiefe der Zeit gekommenen Mysterien.
Sie hatten Unrecht.
(…)
Der Kolonisator ist gekommen, er hat genommen, er hat sich bedient, er hat ausgebeutet,
er hat die Ressourcen geplündert Reichtümer,
die ihm nicht gehörten.
Er hat den Kolonisierten seiner Persönlichkeit beraubt, seiner Freiheit, seiner Erde, der
Frucht seiner Arbeit.
Er hat genommen, er hat aber auch gegeben.
Er hat Brücken gebaut, Straßen, Krankenhäuser, Ambulatorien, Schulen.
Er hat jungfräulichen Boden fruchtbar gemacht, er hat seine Mühen, seine Arbeit, sein
Wissen gegeben.
Denn nicht alle Kolonisatoren waren Diebe, nicht alle Kolonisatoren waren Ausbeuter.
Es gab unter ihnen schlechte Menschen, es gab aber auch Menschen guten Willens.
Menschen, die glaubten, Gutes zu tun, großzügige und mutige Menschen.
Sie irrten, aber sie waren aufrichtig.
(….)
Die Kolonisierung ist nicht verantwortlich für alle aktuellen Schwierigkeiten Afrikas.
Sie ist nicht verantwortlich für die blutigen Kriege, die die Afrikaner unter sich führen.
Sie ist nicht verantwortlich für Völkermorde. Sie ist nicht verantwortlich für Diktatoren.
Sie ist nicht verantwortlich für Fanatismus. Sie ist nicht verantwortlich für Korruption
und Pflichtvergessenheit. Sie ist nicht verantwortlich für die Verschwendungen, für die
Umweltverschmutzung.
Jedoch war die Kolonisation ein großer Fehler, der mit der Verbitterung und dem Leid
jener bezahlt wurde, die glaubten, alles zu geben, und die nicht verstanden, warum man
es ihnen so übel nahm.
Die Kolonisation war ein großer Fehler, der bei dem Kolonisierten die Selbstschätzung
zerstörte und in seinem Herzen jenen Selbsthass auslöste, der in den Hass auf andere
mündet.
Die Kolonisation war ein großer Fehler, aber aus ihm wurde der Embryo eines
gemeinsamen Geschickes geboren.
(….)
Der Mann hat Nerven. Hart wie Kruppstahl, hätte man zu anderen Zeiten in einem anderen Teil
Mitteleuropas gesagt.
Ein neues Wort: „der Kolonisierte“. Wie niedlich!
(….)
Ich will Dir sagen, Jugend Afrikas,: das Drama Afrikas ist nicht eine angebliche
Unterlegenheit seiner Kunst, seines Denkens oder seiner Kultur. Denn was die Kunst,
das Denken und die Kultur betrifft, geht der Okzident bei Afrika in die Schule.
Denn die moderne Kunst schuldet Afrika fast alles. Denn der Einfluss Afrikas hat
beigetragen zum Wandel nicht nur der Idee der Schönheit, nicht nur des Sinns für
Rhythmus, für Musik und Tanz, sondern auch wie
Senghor sagt in
der Welt des 20.
Jahrhunderts zum Wandel in der Art sich zu bewegen oder zu lachen.
Ich will Dir sagen, afrikanische Jugend: das Drama Afrikas rührt nicht daher, dass die
afrikanische Seele für Logik oder Vernunft undurchdringbar sei. Denn der afrikanische
Mensch ist genau so logisch und vernünftig wie der europäische Mensch.
(….)
Das Drama Afrikas ist, dass der afrikanische Mensch nicht hinreichend in die Geschichte eingetreten ist. Der afrikanische Bauer, der seit Jahrtausenden mit den Jahreszeiten lebt, dessen Lebensideal seine Harmonie mit der Natur ist, er kennt nur den ewigen, durch endlose Wiederholung der Gesten und Worte getakteten Wiederbeginn der Zeit.
In dieser Vorstellungswelt, wo alles immer wiederbeginnt, gibt es keinen Platz für das menschliche Abenteuer und die Idee des Fortschritts.
(….)
Abseits der Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden, haben die muslimische
Zivilisation, die Christenheit und die Kolonisation die afrikanischen Herzen und
Mentalitäten dem Universellen geöffnet.
Lasse Dir nicht, Jugend Afrikas, Deine Zukunft stehlen von jenen, die der Intoleranz nur
Intoleranz entgegensetzen können, dem Rassismus nur Rassismus.
(….)
So sprach Leopold Senghor, dieser große Dichter und dieser große Afrikaner, der
wollte, dass Afrika anfange, zu der gesamten Menschheit zu sprechen und der Gedichte
für alle Menschen auf französisch schrieb.
Gedichte, die Gesänge waren und die zu allen Menschen sprachen von Fabelwesen, die
Brunnen bewachen, die in Bächlein singen und sich in Bäumen verstecken.
Gedichte, die die Menschen die Stimmen der Vorfahren und der Toten hören ließen
Gedichte, die sie Wälder voller Zeichen durchqueren und bis zu den Quellen
überlieferter Erinnerung zurück steigen ließen. Jenen Quellen, die jedes Volk im tiefen
Grunde seines Bewusstseins behält wie der Erwachsene das Glück seiner Kindheit.
Denn jedes Volk hat diese Zeit der ewigen Gegenwart gekannt, in der es nicht versuchte
das Universum zu dominieren, sondern in Harmonie mit ihm zu leben.
Zeit des Gefühls, des Instinktes, der Intuition, der Einweihung.
Mystische Zeit, wo das Heilige allerorten war, wo alles geordnet und miteinander
verbunden war.
Zeit der Magier, der Hexer und der Schamanen.
(….)
Dumpf rührt der Trommelklang aus den Kindheitstagen der Menschheit. Doch sorge Dich nicht,
Jugend Afrikas, gleich kommt John Wayne um die Ecke. Doch nein! Siehe, der gute weiße Mann ist
schon da: vorne am Mikrofon steht er und erklärt Dir Deine Welt.
(….)
Die Realität Afrikas ist die eines großen Kontinents, der alles hat für den Erfolg und der
nicht erfolgreich ist, weil er es nicht schafft, sich von seinen Mythen zu befreien. Die
Renaissance, die Afrika braucht: Du allein, Jugend, kannst sie vollbringen denn Du
allein wirst die Kraft dazu haben.
Diese Renaissance, ich bin gekommen, Dir vorzuschlagen, sie gemeinsam mit uns zu
bewirken, denn die Renaissance Afrikas hängt zu einem großen Teil ab von der
Renaissance Europas und der Renaissance der Welt.
Ich kenne die Lust davon zugehen, die so viele unter Euch empfinden angesichts der
Schwierigkeiten Afrikas. Ich weiß um die Lockung des Exils, die so viele junge
Afrikaner dazu bringt, anderswo zu suchen, was sie hier nicht finden um ihre Familien
zu ernähren.
(….)
Ich weiß, dass sie manchmal sogar ihr Leben riskieren, um am Ziel ihrer Träume
anzukommen. Und ich weiß, dass trotzdem nichts sie zurückhalten wird.
Nichts hält niemals die Jugend auf, wenn sie von ihren Träumen getragen wird. Nichts
hält niemals die Jugend auf, wenn sie los ziehen will, um die Welt zu entdecken.
Ich glaube nicht, dass die afrikanische Jugend zum Fortgehen gedrängt ist, einzig um
der Misere zu entfliehen. Ich glaube nicht, dass die Schwierigkeiten Afrikas der einzige
Grund sind, der die afrikanische Jugend zum weggehen treibt.
Ich glaube, dass die afrikanische Jugend fortgeht, weil sie, wie jede andere Jugend auch,
die Welt erobern will.
Wie jede andere Jugend hat sie den Appetit auf das Abenteuer und die große Weite. Wie
alle Jugenden will sie sehen, wie man woanders lebt, denkt und arbeitet. Wie alle
Jugenden will sie sich dem drückenden Gewicht der Gewohnheiten entziehen, sie will
sich emanzipieren, sie will mit ihren eigenen Flügeln fliegen.
(….)
25.000 Deiner abenteuerlustigen Brüder, afrikanische Jugend, weist Massa Sarko bis Jahresende
aus Frankreich aus, auf trikoloren Flügeln. Kein Drama, denn das ist nur Praxis. Was zählt, ist die
Strategie:
(….)
Du willst die afrikanische Einheit? Frankreich wünscht sie auch. Frankreich wünscht
diejenige afrikanische Einheit, die Afrika den Afrikanern zurückgibt. Was Frankreich
mit Afrika machen will, ist, den Realitäten ins Gesicht zu sehen. Es ist, die Politik der
Realitäten zu machen und nicht mehr die der Mythen.
Was Frankreich mit Afrika unternehmen will, ist das Codevelopement,
das heisst, die
geteilte Entwicklung.
Was Frankreich mit Afrika machen will, sind gemeinsame Projekte, sind gemeinsame
Pole der Wettbewerbsfähigkeit, sind gemeinsame Universitäten, sind gemeinsame
Labore.
Was Frankreich mit Afrika machen will, ist die Entwicklung einer gemeinsamen
Strategie in der Globalisierung.
Was Frankreich mit Afrika machen will, ist eine gemeinsam verhandelte und gemeinsam
beschlossene Immigrationspolitik, damit die afrikanische Jugend in Frankreich und in
Europa mit Würde und Respekt empfangen werden kann.
Was Frankreich mit Afrika machen will, ist eine Allianz der französischen Jugend und
der afrikanischen Jugend, damit die Welt von morgen eine bessere Welt sein wird.
Was Frankreich mit Afrika erreichen will, ist der Beginn von Eurafrika, diesem großen
gemeinsamen Geschick, welches Europa und Afrika erwartet.
All jenen in Afrika, die das von Frankreich allen Anliegerstaaten des Mittelmeeres
vorgeschlagene Projekt einer mediterranen Union mit Mißtrauen betrachten, will ich
sagen, dass es sich im Geiste Frankreichs keineswegs darum handelt, das Afrika südlich
der Sahara auszugrenzen. Im Gegenteil geht es darum, aus dieser Union den Drehund
Angelpunkt von Eurafrika zu machen die
erste Etappe des größten Traumes von
Frieden und Wohlstand, den Europäer und Afrikaner zusammen konzipieren können.
Dann, dann wird das schwarze Kind aus Camara Laye, gebeugt im Schweigen der
afrikanischen Nacht, wissen, dass es sein Haupt erheben und mit Vertrauen in die
Zukunft blicken kann.
Und dieses Kind wird die beiden, den afrikanischen und den europäischen, ihm
innewohnenden Teile versöhnen können.
Und es wird sich wie ein Mensch wie alle anderen auch fühlen.

Ende der Rede.