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Neubeginn XXXVIII

Hello, Freunde des Neubeginns XXXVIII,

wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit die amoralische Seele der Deutschen nach Moral. Wie Fraß in ihren Gebeinen, klingt der Hohn ihrer Bedränger, da sie täglich jammern und seufzen: wo ist denn nun unsere Moral – die wir doch standesgemäß verachten und verhöhnen?

„Trump zieht das Land hinab und zerstört alle Maßstäbe über Moral, Ethos, Anstand, Ehrlichkeit. Dies ist die größte Gefahr, die von dieser Präsidentschaft ausgeht: Die USA und mithin auch nicht wenige Teile der Welt richten sich ein in der Trivialität Trumps, sie akzeptieren seinen Umgang, seine Vorstellung von Politik, seine Profanität als die neue Normalität.“ (Sueddeutsche.de)

Riesige Begriffe wirft Stefan Kornelius in die Manege: blind und wahrnehmungslos, wie es sich ziemt für Edelschreiber einer Dichter- und Denkernation. Profan heißt unheilig. Wäre Trumpismus profan, müsste die bisherige Normalität der Amerikaner heilig gewesen sein. Trivial heißt gewöhnlich. Wie kann Trumps Amoralismus gewöhnlich sein, wenn das Heilige normal gewesen sein soll? Hat Trump innerhalb weniger Monate eine neue Normalität geschaffen? Dann hätte er mehr erreicht als alle Religionsgründer zusammen, die ihre Welterrettungsmoralen nur unter die Völker brachten, um deren alte Sündhaftigkeit mit neuen Moralattrappen zu versehen.

Doch halt: Begriffe unterlägen dem Gesetz ständiger Verwandlung und könnten zum ursprünglichen Nennwert nicht gehandelt werden? Wer Klarheit will, hätte die Veränderungen zu kennzeichnen. Er hätte die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, anzugeben, wovon er überhaupt spricht.

Zuerst verkommen die Begriffe, dann die Führungsklassen, die ehrwürdige Begriffe benutzen – um ihre bewusstseinsschädlichen Nebelschwaden dem Volk um die Ohren zu blasen. Zuerst vergiften Abgase verdorbener Begriffe die Atmosphäre, dann die

Abgase verdorbener Chemie-Stoffe, die sie ihren genialen Maschinen entlocken.

Auch Brinkbäumer griff zur goldenen Feder, um Grundsätzliches zur deutschen Elitenverkommenheit zu äußern:

„Normalisierung der Abweichung“, so nennen Psychologen es, wenn Dinge, die falsch oder kriminell sind, innerhalb eines geschlossenen Systems allmählich als legal und notwendig erachtet werden. Sprache verändert sich, Codes entwickeln sich, weshalb wiederum Warnsignale ignoriert oder umgedeutet werden. So kommt es, dass sich deutsche Konzerne über zwei Jahrzehnte lang in rund 60 Arbeitskreisen rund tausendmal treffen – und gewiss denken, das sei in Ordnung. Und so schwindet das Unrechtsbewusstsein, so verschieben sich Standards.“ (SPIEGEL.de)

Brinkbäumer beginnt mit einer Definition von Psychologen, die ihre Wissenschaft als Disziplin des Zählens und Rechnens missbrauchen und sich alle Gedanken verbieten, um neutral und objektiv zu heißen. „Abweichendes Verhalten“ ist ihre substanzlose Bezeichnung von Verbrechern und seelisch Kranken, um die Amoral der Gesellschaft, die jene Abweichler hervorbringt, nicht anklagen zu müssen.

Wenn sie Trump – einen hundsgewöhnlichen Kapitalisten, allerdings mit geöffnetem Harnisch – charakterisieren sollen, greifen sie zu antiken Fabelwesen, um ja nicht die dunklen Geheimnisse ihrer Gesellschaft zu lüften. Im NSU-Prozess hätten zwei „erfolglose Narzissten und die Tochter zweier Zahnärzte“ – so die Bundesanwaltschaft – das Land mit Terror überzogen. (TAZ.de)

Von kleinen narzisstischen Kita-Tyrannen über deutsche Serienmörder bis zum amerikanischen Präsidenten, der seine Feinde mit Atomschlägen und die Welt mit einem Klima-Genozid bedroht: soll alles zur selben psychischen Kategorie gehören? (Besondere Vorsicht vor hexenhaften Töchtern zweier Zahnärzte. Wer schon immer Angst hatte vor Zahnklempnern, kennt nun endlich den Grund.)

Da wird der Hund in der Pfanne verrückt. Noch immer stammen die Seelen der Sterblichen aus einem mystischen Jenseits (wie bei Platon), um nicht als Früchte irdischer Gesellschaften kenntlich zu werden. Psychologen wurden zu Erben der Popen, die ihre Beglückungsobjekte aus dem irdischen Schlamassel raushalten wollen.

Das normale Verhalten einer Gesellschaft darf nicht plemplem und verbrecherisch sein, es muss die Abweichung vom Mainstream sein, die ins Unglück führt. In totalitären Gesellschaften ist jeder Dissident ein Abweichler.

Der außengeleitete Konsument kann keine Eigenbrötler leiden und diffamiert jeden Selbstdenker als Feind des Systems. Laut Definition der Psychologen müssten alle Selbstbestimmer psychisch defekt oder verbrecherisch sein – weshalb es nur konsequent war, wenn unter Stalin die Abweichler in die Psychiatrie gesteckt wurden. Mediziner und Psychiater aller Couleur waren schon immer die besten Hüter der Kettenhunde, vom Gulag bis nach Guantanamo.

Der SPIEGEL-Chef hätte sich auf die Kartellbetrüger der deutschen PS-Virtuosen nicht beschränken müssen. Da gibt es global hantierende Banken und Finanzinstitute, die ganze Kontinente flachlegen und dennoch nicht bankrottieren können, weil sie von Steuerzahlern unkapputbar am Leben erhalten werden. Da gibt es den korrupten Spitzensport, die pädo-, mammo- und machtgeilen Kirchen, die umso mehr in Geld schwimmen, je mehr Schafe sie verlieren. Die dauerspielenden Fernsehanstalten, die ihre Beiträge wie Kirchensteuern einziehen und ihren politischen Auftrag als Sonderbeilage für Minoritäten deklarieren.

Dezent meidet Brinkbäumer das Ekelwort der paradiesischen Gesellschaft: Moral und bevorzugt stattdessen den juristischen Begriff „Unrechtsbewusstsein“. Ob Recht etwas mit Moral zu tun hat, kann man so unauffällig vertuschen.

Neben verdeckten Amoralisten gibt es noch die Kunst. Sie hat nichts zu verbergen und empfindet es als Zumutung, mit Moral behelligt zu werden. Ihre ästhetische Amoral präsentiert sie auf der Schaubühne, um sich schnell langweilenden Voyeuren zu empfehlen.

„Eine Kunst, die im Grunde keine Kunst mehr sein will, sondern Belehrung, endet rasch in solchen Fallen der Bigotterie. Daher wären die Künstler nicht schlecht beraten, lieber in die Flüchtlingshilfe zu gehen oder eine Partei zu gründen, statt weiter im rein Symbolischen zu hantieren. Es sei denn, sie lassen sich nicht länger ins ethische Bockshorn jagen und kämpfen endlich wieder für eine Kunst, die alles sein darf: richtig gemein, richtig erhaben, richtig falsch. Nur richtig richtig eben nicht.“ (ZEIT.de)

Großer Kunst gelang es schon immer, nicht mit Moralphilosophie zu konkurrieren – und dennoch moralisch zu sein. Indem sie die Welt darstellte, dass Leser, Zuschauer und Hörer sich ein Bild von ihr machen konnten – wie sie ist und wie sie sein könnte.

Philosophen reden abstrakt und ohne Umschweife über Moral, Künstler bevorzugen den Umweg sinnlichen Darstellens und Wahrnehmens, das die Gedankenarbeit motiviert, sich in Erfahrungen zu verwandeln, um sie erst nachträglich auf den Begriff zu bringen. Künstlerische Erfahrungen versuchen, individuelle und allgemeine Perspektiven miteinander zu verbinden.

Philosophen und Künstler überlassen es dem autonomen Menschen, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. Nur Zwangsbeglücker drohen mit Furcht und Schrecken, und bestechen mit zukünftiger Seligkeit, um die Abhängigen zu ihrer unfehlbaren Sicht zu nötigen.

Moderne Kunst mutierte zur Projektionsfläche des entfesselten Es. Alles, was im Alltag als unschicklich, aggressiv und anstößig ins Dunkel des Unbewussten verdrängt wird, lässt die Kunst von der Leine. Kunst wurde zur Pornographie des Grausamen und Triebgesteuerten, das in Erfahrungen des Alltags verboten ist. Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis, das Ungeheuere, hier ist es getan, das Ewig-Sündige zieht uns – ja, wohin? Hinauf oder hinab?

Wenn gemartert und gefoltert wurde, literweise Blut floss, wenn der Vorhang fiel und alle Beifall klatschen, darf der zwangsneurotischste Besucher sich erleichtert fühlen, dass seine Triebregungen nicht der Verdammnis verfielen, sondern zum Inventar des Menschlichen gehören. Kunst könnte zur kollektiven Therapie werden, wenn es den Einzelnen gelänge, das Verbotene durch Akzeptanz – zu überwinden. Das wäre die moralische Konsequenz einer therapeutischen Kunst.

Wird Moral hingegen verboten, kann die ästhetische Akzeptanz des Verbotenen nur der Legitimation des Bösen im Alltag dienen. Die gewalttätigen Erlösungsphantasien der Nationalsozialisten wurden durch den Besuch in Bayreuth abgesegnet. Die Karikaturen des hässlichen Juden ermunterten schöne und bestialische Arier, die Welt von solchen Elementen zu befreien.

Kunst war notwendig, solange sie der beschränkten Welt der Menschen Perspektiven einer allgemeinen Humanität und unbekannte Elemente der großen weiten Welt vermitteln konnte. Die Kunst fand ihr Ende, als die Kenntnis der Welt sich so ausweitete, dass sie nichts mehr Berückendes oder Bedrohliches ästhetisch mitteilen konnte.

Als durch die Aufklärung das abstrakte Denken der Menschen nicht mehr auf gemalte, vertonte und poetisierte Geschichten angewiesen war, kam das Ende der Kunst, das von Hegel verkündet wurde. Das Denken hatte die Darstellung des Partikularen ins Allgemeine erhoben, in dem zufällige Individualität und generelle Humanität zwanglos zueinander finden. Das Ende der Geschichte war der Triumph des Gedankens über die Faszination der zufälligen Wahrnehmung. „Das Denken, die begriffene Idee ist höher als das Kunstwerk.“

Seit mehr als 200 Jahren will Kunst ihr Ende nicht hinnehmen und unternimmt ständig neue, skurrile und bizarre Versuche, aus der Not eine Tugend zu machen. Nicht selten gelang es ihr, verfemte Aspekte der Realität aufzudecken und der Wahrnehmung zuzuführen. Dennoch blieben es Nachhutgefechte.

Nachdem alle Utopien und Apokalypsen in sämtlichen Variationen des Films, der Happenings, Collagen und Assemblagen erprobt waren, merkten die eifrigsten Kunstverehrer, dass die Wirklichkeit alle Phantasien, die in ein Museum passen, in den Schatten gestellt hatte. Der Vergleich des Wirklichen mit dem ästhetisch Erfundenen fiel zuungunsten des Möglichen aus. Jede Schandtat der Militärs, jede von der Welt ignorierte Hungersnot, jede selbstgemachte Naturkatastrophe, die in den Nachrichtenkanälen übertragen wurden, übertrafen Picassos Kriegsbild Guernica um Welten. Welches Kunstwerk kann mithalten mit dem Elendsbild eines hungernden Kindes in Abessinien?

Einst war Kunst stolz darauf, kein Plagiat zu sein. Die Wirklichkeit wollte sie neu erfinden. Doch der Schöpfergeist brachte keine neue Realität hervor und zeigte nur die Reste und Abfälle der alten. Die Begeisterung für das Schöne war kurz nach Hegel in die Faszination des Hässlichen übergegangen. Der unterdrückte Schatten des Wahren sollte die Erinnerung an das verblichene Schöne und Gute bewahren. Vergeblich.

Der Abfall der gigantisch produzierenden Moderne erschlug das schnell schwindende Intakte und Naturschöne. Hegelschüler Karl Rosenkranz beschrieb das Hässliche „als existenzielle Bedrohung, die es durch die Aufhebung im klassisch schönen Kontext oder durch die Wendung in die Karikatur zu überwinden gilt.“ Das Hässliche sollte an den Verlust des Schönen erinnern, um dessen Reich aus dem Gegenteil zu rekonstruieren. Vergeblich.

Die „Ästhetik des Hässlichen“ von Rosenkranz wurde nicht zur Kenntnis genommen. Die Produktion des realen Hässlichen überflutete die Welt und begrub alle Museen unter sich. Das Ausmaß der Naturzerstörung, die höllischen Dimensionen des Bösen konnten durch keine Kunst erfasst und übertroffen werden. Kein Auschwitz-Film kann die Erinnerung an den Holocaust in Bilder fassen. Die unmenschlichen Gräuel bleiben ästhetisch unerfassbar. Nach Auschwitz ist kein Gedicht mehr möglich, hatte Adorno geschrieben.

Dennoch scheint der Kunstbetrieb immer aufwändiger und voluminöser zu werden. Doch das kann das Schicksal der sterbenden Kunst nicht aufhalten, die zum Amüsement jener Eliten wurde, die mit ihr das Problem ihrer anämischen Realitätsflucht lösen will. Kunst wurde zum Tempel der Eliten, als die Erwählten den Kirchgang zu hassen begannen und die Oberen ein Refugium benötigten, um sich vom aufkommenden Industriepöbel abzusondern.

Im alten Athen waren Theaterveranstaltungen von Äschylos, Sophokles und Euripides Volksereignisse. In Deutschland lassen sich die Reichen und Gebildeten Reviere ihrer Absonderungen vom Staat subventionieren, um ihre Apartheid als gehobene Bildung zu feiern.

Das Theater muss nicht nur ein Hexenkessel der Amoral, es darf auf keinen Fall demokratisch sein, wie Claus Peymann unermüdlich in die Welt posaunte. Ein brillanter Kunstführer musste dem Stück seinen Stempel verpassen, indem er das Original beiseite schob und ein neues Stück kreierte. Wie Theologen ihre Deutungskünste durch Ignorieren der heiligen Texte demonstrieren, so beweisen Regisseure ihre Ingeniosität durch Vernachlässigen und Schänden des Originals. Mimesis, Nachahmung, ist die Todsünde für Plagiatoren des creators es nihilo.

Kunst ist keine Kritikerin des politischen Verderbens. Sie ist nicht das Korrektiv des technischen Fortschritts. Im Gegenteil, sie wurde zu dessen stiller Unterstützerin. Es ist nicht nur das riesige Spekulationsgeld, das die Superreichen ins Reich der Kunst lockt. Sie fühlen sich in der Beherrschung der Welt durch eine schnell wechselnde Kunst bestätigt, die das Alte vernichtet und das Neue anbetet. Die Vernichtung der alten Kunst besteht nicht in ihrer Zerstörung, sondern in ihrer Umwandlung in museale Bildung.

Kein Künstler kann Auskunft geben über die Bedeutung seiner Kunst. Wer Kunst nicht verstehe, habe im Tempel der Besonderen nichts verloren. Welcher Künstler reagiert nicht ärgerlich, wenn man ihm die Frage stellt: welche Botschaft hast du für die Welt, oh Bruder? Wie im Mittelalter und in der Romantik wollen sie zurück ins Mysterium des Unsagbaren.

Wie Bildung zur Selbstanbetung der Gelehrten, wurde Kunst zum Tempel snobistischer Mystiker, deren Motto lautet: Ich hasse das profane Volk und halte es fern. Die Elitenbildung beschränkt sich nicht auf Akkumulation endloser Reichtümer. Sie will die Ethik der Nächstenliebe durch Almosen vorbildlicher erfüllen als alle Tugendprediger, die nichts zu bieten haben außer Sprüchen. Nicht wenige Tycoons bilden sich ein, nur reich geworden zu sein, um gute Werke zu erfüllen.

Die heilige Dreieinigkeit der Götterlieblinge wird ergänzt durch ihre ästhetische Leidenschaft. Ordinäre Reiche brillieren mit Yachten und Südseeinseln, deutsche Milliardäre besitzen – wie einst die Landesfürsten – ihre privaten Orchester und Museen. So ist das Schöne, Wahre und Gute durch die List der Vernunft doch noch gerettet worden und hat sich in die Trias verwandelt: das Seltene, das Geheimnisvolle und das Unerschwingliche.

In der Demokratie gibt es keine einzige Sparte, in der demokratisches Leben möglich, erlaubt und erwünscht wäre. Selbst die vom Pöbel verehrten Fußballklubs sind zu Schacher- und Renommierfiguren von Mogulen geworden, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen.  

Nach vielen Jahrzehnten der Anbetung der ökonomischen und technischen Brillanz hat sich der SPIEGEL wieder aufgemacht, in der trostlosen Urlaubszeit sich unter das Volk zu mischen. Es muss ein Wunder geschehen sein: die Edelschreiber, – die „Eliten“ bislang in Anführungszeichen zu schreiben pflegten – fragen die einfache Frau auf der Straße nach Gerechtigkeit. Mit welchem Fazit?

„Wenn sich das Unbehagen verfestigt, dass es nicht mehr fair zugeht, dass das Versprechen auf Aufstieg nur noch für einen Teil der Bürger gilt und dass ihr Schicksal keine Rolle spielt, werden die Menschen der Politik den Rücken zukehren. Viele Menschen hätten das Gefühl, sagt der Soziologe Liebig, „dass sie nicht gehört werden, dass die Entscheidungen in der Politik hinter den Kulissen getroffen werden und für sie nicht nachvollziehbar sind“. Es ist eine Sicht, die den Glauben an das erschüttert, was die Bundesbürger mit Abstand an erster Stelle mit sozialer Gerechtigkeit verbinden – dass jeder eine Chance auf ein gutes Leben hat, wenn er sich nur nach seinen Kräften müht. „Ungerechtigkeit“, sagt Liebig, „ist Gift für eine moderne Gesellschaft.“ (SPIEGEL.de)

Fordern die Verfasser eine gerechte Gesellschaft? Oder ist ihre Antwort die klassische geblieben: alles zu komplex, um reelle Alternativen zum bestehenden Schlechten zu entwickeln?

Hier offenbart sich das Geheimnis der edelschreibenden Quietisten, die sich bislang mit scheinobjektiver Berichterstattung zufrieden gaben. Immer nach dem ästhetischen Motto: Nur amoralische Nachrichten sind gute Nachrichten. Es kann nicht anders sein: die voyeuristischen Medien erleben die Wirklichkeit wie ein theatrum mundi. Und betrachten böse Taten wie Inszenierungen genialer Künstler. Und da sollten sie sich wie spießige Moralisten verhalten, wenn sie die Ermahnungen ihres ästhetischen Kollegen Hanno Rauterberg hören? Als Betrachter der Moderne wären sie ja Sozialarbeiter, Flüchtlingshelfer oder sonstige Moralisten, wenn sie ihre Distanz zur Wirklichkeit aufgäben und sie in ein Proseminar für kategorische Ethik verwandeln würden. Wie lautete der unausgesprochene Subtext ihres Kunst-Kollegen?

„Eine Wirtschaft, die im Grunde keine Kunst mehr sein will, sondern moralische Belehrung, endet rasch in solchen Fallen der Bigotterie. Daher wären die Beobachter nicht schlecht beraten, lieber in die Flüchtlingshilfe zu gehen oder eine Partei zu gründen, statt weiter im rein Symbolischen zu hantieren. Es sei denn, sie lassen sich nicht länger ins ethische Bockshorn jagen und kämpfen endlich wieder für eine Gesamtpolitik, die alles sein darf: richtig gemein, richtig erhaben, richtig falsch. Nur richtig richtig eben nicht.“

Wer erfolgreich sein will in Wirtschaft und Politik, muss lügen und betrügen können, behauptet der amerikanische Ökonom Jeffrey Pfeffer im SPIEGEL:

„Wer erfolgreich sein will, darf nicht bescheiden sein, sondern muss möglichst viel Eigenwerbung machen. Und Lügen sind nicht nur allgegenwärtig, sondern auch sehr effektiv. Vertrauen ist wichtig, aber auch sehr gefährlich. Wer sich selbst täuschen kann, kann auch andere besser täuschen. Oder das Konzept der moralischen Lizensierung: Wenn Menschen sich einmal ethisch oder moralisch verhalten haben, haben sie danach das Gefühl, eine Gemeinheit frei zu haben. All das ist vielfach empirisch belegt. Ich sehe nicht, dass sich irgendetwas ändern wird. Macht funktioniert immer gleich. Menschliche Psychologie funktioniert über alle Kulturen hinweg, weil wir nun mal so veranlagt sind, uns in einer bestimmten Weise zu verhalten.“ (SPIEGEL.de)

Jeffrey Sachs hat den Milliardär im Weißen Haus geschildert, als sei Trump das Musterexemplar eines Amoralisten. Wenn er Recht hätte: woher dann die Aufregung und der künstliche Tumult über einen ordinären Kapitalisten? Wollte die Welt nicht wahrhaben, wes Ungeistes Kind ihre Wirtschaft ist?

Es ist wie im Märchen vom Kaiser ohne Kleider. Plötzlich erkennt die Welt, dass ihr Leben von nackten Betrügern, lügenden, betrügenden und raffgierigen Amoralisten beherrscht wird.

Bislang schauten die Massen gebannt auf das Schauspiel, als träumten sie von einem hinreißend abstoßenden Spektakel, dem sie Beifall klatschen müssten. Was aber, wenn das Publikum bemerkte, dass es mit Ekelfaszination bestochen wurde, um seine Realität nicht wahrzunehmen? Was, wenn der Vorhang fiele, die trunkenen Claqueure das Klatschen einstellten und Wirklichkeit durch alle Ritzen eindränge, um das Theater der Welt auszuräuchern?

Dann wäre Matthäi am Letzten mit dem Illusionstheater der Moderne.

 

Fortsetzung folgt.