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Neubeginn XXXVII

Hello, Freunde des Neubeginns XXXVII,

Verlierer des Tages ist – Jeff Bezos: „laut „Forbes“ der neue reichste Mensch der Welt. Mit einem geschätzten Vermögen von 90,6 Milliarden Dollar hat der Amazon-Chef knapp Microsoft-Mitgründer Bill Gates überholt (90 Milliarden Dollar).“ (SPIEGEL.de)

Warum er ein Verlierer ist? Merkwürdige Frage amoralischer Schlechtmenschen, Ungerechtigkeitsfanatiker und Menschheitsverächter. Weil er auf Kosten der Menschheit den Hals nicht voll kriegt, Demokratien unterminiert, das Klassengefälle ins Grenzenlose vergrößert, die Gewaltenteilung des Staates demontiert, die Politik übermäßig beeinflusst, mit selbstherrlichen Almosen die Sozialpolitik dominiert, mit der „Washington Post“ die Medien zu kontrollieren beginnt, den Größenwahn seiner Bewunderer bestätigt, den Darwin‘schen Überlebenskampf bis aufs Messer propagiert, die Menschen als manipulierbare Herde betrachtet, durch Preisdiktat den Markt missbraucht, unlauteren Wettbewerb betreibt, kaum Steuern bezahlt, seine Lohnabhängigen miserabel behandelt, in Deutschland neonazistisches Schrifttum verbreitet – und insgesamt die kapitalistische Zerstörung der Natur anheizt.

Bezos muss mit Reichtum und Macht brillieren, weil er ein humaner Komplettversager ist. Liebe Kinder, werdet nicht wie dieser Raffzahn und seine gleichgeschalteten Kumpane. Werdet keine Parvenüs im Reich jener, die die Menschheit ins Unglück stürzen. Die Vorbildfigur des Aufsteigers, der ein opportunistischer und charakterloser Absteiger ist, muss eingestampft werden. Ende der populistischen Durchsage.

Allen Parteien, die den Aufstieg ins Reich der ehrgeizzerfressenen Wandalen als höchstes Ziel eines Demokraten propagieren – also fast allen – soll es ergehen wie den Vandalen: „Mit der Zerschlagung des Vandalenreichs im 6. Jahrhundert durch oströmische Truppen verlieren sich ihre Spuren.“

Der SPIEGEL, unermüdlich alle Schönen, Reichen und Intelligenten

 bewundernd (in welchen Paradiesen der Welt sie ihre Feriendomizile haben, wie ihre Villen von außen und innen brillieren, was sie zu dinieren pflegen, wer mit wem liiert ist, an welcher Stelle der Forbes-Liste sie stehen, mit welchen Politikern sie auf Hawaii Wasserski fahren) hält Bezos für den Gewinner des Tages. Begründung? Keine – außer oben genannten Amoralitäten. Abgesehen von solchen Kleinigkeiten sind Medien in der Bewertung der Welt völlig neutral und objektiv. Vom Glanz der Mächtigen und Erfolgreichen lassen sie sich nicht blenden. Sie halten sich Kommentatoren, die sich links und rechts nennen. Edelschreibern kann man beim besten Willen nichts vorwerfen. Sie stehen noch über dem Reich der Tycoons.

Über den Pöbel wissen wir inzwischen alles. Wissenschaftler erforschen jede Jämmerlichkeit seines Daseins. Der Reiche hingegen ist der Unbekannte oder Gott, der ganz Andere, den seine Frommen als Projektionsbühne nutzen, um ihrer Phantasie freien Raum zu lassen.

Karl Barth, Herzenstheologe Martin Walsers, welcher sich rühmt, keinen Standpunkt zu haben, um alle Mächtigen von Kohl bis Merkel in den Himmel zu heben, hasste es, wie die Deutschen seinen fernen Gott für ihre nationalen Zwecke vereinnahmten. Gott war für den Schweizer der ganz Andere.

„Karl Barth sieht sich vielmehr in erster Linie von dem desaströsen Zustand des Gottesverständnisses bei denjenigen provoziert, die sich ausdrücklich auf Gott berufen und somit als seine Protagonisten agieren.“

Auf Gott darf sich niemand berufen, mit den Reichen sich niemand beschäftigen. Sie schweben über den Wolken. Das Reich der Irdischen kennen sie nicht.

Über den Wolken
Muss die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und wichtig erscheint
Plötzlich nichtig und klein.

Wusste Reinhard Mey, dass er sein Reich der Freiheit bei den Reichen und Aufsteigern angesiedelt hatte? Über den Wolken – sagt man – sind Ängste und Sorgen unbekannt. Und dennoch: was uns groß und wichtig scheint, wird Oben nichtig und klein. Die Lieblinge der Götter kennen unsere Probleme nicht.

„Ihr wandelt droben im Licht

Schicksallos, wie der schlafende
Säugling, atmen die Himmlischen

Und die seligen Augen
Blicken in stiller
Ewiger Klarheit.

Doch uns ist gegeben,
Auf keiner Stätte zu ruhn,
Es schwinden, es fallen
Die leidenden Menschen
Blindlings von einer
Stunde zur andern,
Wie Wasser von Klippe
Zu Klippe geworfen,
Jahr lang ins Ungewisse hinab.“

Hyperions Schicksalslied ist Menschen gewidmet, die ins Bodenlose fallen – die Götter hingegen wandeln droben im Licht. Die Götter: das war der Name für die Reichen, die von den Armen in schicksallos ewiger Klarheit verklärt wurden.

Alle Religionen handeln von irdischen Dingen. Das entfernteste Jenseits ist Spiegelbild des Diesseits. Je entfernter aber der Himmel der Seligen erscheint, umso unlösbarer empfinden die Sterblichen die Probleme ihres irdischen Lebens. Wär‘s anders, wären Religionen Botschaften von Engeln, bei Nacht und Nebel von Oben abgeworfen, und nicht Erfindungen von Menschen, die sie zur Beschreibung ihres armseligen oder erfüllten, ängstlichen oder hoffnungsvollen Lebens benötigen.

Je mehr die Götter sich den Menschen nähern, je fehlbarer sie sich geben, desto stärker fühlen sich die Sterblichen ermutigt, aus eigener Kraft ein pralles Leben auf Erden zu führen. Einem ganz anderen, allmächtigen und unfehlbaren Gott müssen sich die Menschen bedingungslos unterwerfen, Heil und Seligkeit allein von Seiner Hilfe erwarten.

Indem Gott seine ungeheure Distanz aufgab und Mensch wurde, erhöhte er seine Chancen, von seinen Kreaturen als Erlöser anerkannt zu werden. Als aber auch der Sohn in all seiner Niedrigkeit und Hilflosigkeit sich wider Erwarten als unbesiegbarer Gott erwies, entfernte sich der Auferstandene wieder von den Menschen, verschwand in den Wolken, wurde von seinem Vater zum Pantokrator oder Master of Universe ernannt – und bis zum heutigen Tage nicht mehr gesehen.

Nun warten sie auf die finale Synthese vom nahen und fernen, leidenden und triumphierenden Gott. Je länger die Wiederkehr des göttlichen Sohnes verzieht, umso mehr fühlen sie sich genötigt, ihr ängstliches Warten durch eigene Gottähnlichkeit zu ersetzen. Sie müssen Gott werden, weil sie sich nicht eingestehen, jahrtausendelang vergeblich auf Ihn gewartet zu haben.

Sie mussten sich einem allmächtigen Gott unterwerfen, um errettet zu werden. Nun werden sie selbst zu allmächtigen Göttern, die die gesamte Natur unterwerfen müssen, um sie zu erlösen. Erlösen heißt für sie: sterben, um aufzuerstehen. Den Tod ihres Gottes haben sie erlebt, an seine Auferstehung müssen sie glauben, bis der Herr kommt und alle Rätsel auflöst. Die Natur müssen sie zerstören, deren Auferstehung aber werden sie nicht mehr erleben, denn der Tod der Natur wird ihr eigener sein.

„Erzähl mir eine Geschichte, erzähl mir ein Märchen“: Kinder erfassen den Sinn des Lebens nicht in abstrakten Gedanken, sondern in Form von Geschichten und Erzählungen. Die Heilsgeschichte ist eine Abfolge von Einzelgeschichten, die in den Kontext einer Gesamtgeschichte zusammengefügt wurden.

Der technisch erfolgreiche Westen verharrt psychisch auf der Ebene von Märchen. Nicht kindlich, sondern verbissen und verbohrt kindisch. Den Sinn der Geschichten können sie gedanklich nicht erfassen, um Abstand zu gewinnen und sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.

Moderne Literaten, auf den Sinn ihrer Romane angesprochen, wollen von „abgehobener“ Philosophie nichts wissen. Sie wollten, erklären sie, lediglich eine Geschichte erzählen.

Wachsen die Kinder heran, begnügen sie sich nicht mehr mit Erzählen und Zuhören. Sie fragen nach dem Sinn der Geschichte, erspüren Widersprüche und Ungereimtheiten: so werden sie zu glasklaren Philosophen. Spätestens an dieser Stelle machen sich die Erwachsenen aus dem Staub und verweigern sich den Fragen der Kinder.

Gespräche können die Eltern nicht führen, denn niemand führte ein Gespräch mit ihnen. Das verstehst du nicht, da gibt es nichts zu verstehen, so ist es eben, sei nicht so vorlaut und naseweis: sind die Formeln ihrer Fahnenflucht, mit denen sie die Kinder ihren Gedanken überlassen.

Beginnt das Denken, werden deutsche Kinder ihrem Schicksal überlassen. Sie lernen nicht, Geschichten in Gedanken und Worte zu fassen, geschweige mit anderen darüber zu reden, zu streiten, sich zu verständigen oder gar zu einigen. Wer seine Gedanken nicht äußern kann, muss in seine Innerlichkeit fliehen.

Die deutsche Innerlichkeit wurde zur letzten Zuflucht einer Nation, die die Äußerlichkeit freier Gedanken nicht zuließ. Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten – das war die große Illusion der Deutschen, die nicht wahrnehmen konnten, dass sich eine freie Innerlichkeit nur in freier Äußerlichkeit entfalten kann.

Wer nur in „Einsamkeit und Freiheit“ denken darf, wird sein Denken in Unfreiheit einstellen müssen. Einsamkeit, die Stille des Denkens mit sich, wird zum Kerker, wenn sie nicht auf den Marktplatz gehen darf, um Denken als gemeinschaftliches Nachdenken zu erleben.

Die Griechen, so wurden sie von anderen Völkern empfunden, waren ewige Kinder. Kinder allerdings, die das Stadium der Märchen und Geschichten überwanden und ihre Mythen in Gedanken verwandelten. Die Erfindung der Polis und der Agora waren unerlässlich, um den dialogischen Prozess und den zoon politicon in Übereinstimmung zu bringen. Inneres Denken kann sich nur in äußerlicher Freiheit entwickeln.

Hier haperte es bei den Deutschen, die in eiserner Zucht der Priester gehalten wurden. Ihr Reformator hatte sich gegen den Papst gewehrt, aber nur, um eine neue, ganz und gar verinnerlichte päpstliche Instanz zu errichten: das unfehlbare Buch der Bücher.

Der Einzelne war nicht mehr dem Regiment Roms rechenschaftspflichtig, sondern der Stimme Gottes in seinem Innern. Luther hatte die äußerliche Unfreiheit reduziert, um sie in eine totale innerliche Unfreiheit zu verschärfen.

Während bei ihren westlichen Nachbarn längst das freie Denken der Aufklärer grassierte und allmählich ins Volk drang, blieben die Deutschen unter einem doppelten Joch: wessen das Land, dessen die Religion. Weltliche und geistliche Macht verschmolzen miteinander und zwangen die Untertanen der vielen Fürstentümer, nicht nur die Religion im Allgemeinen, sondern die jeweilige Konfession der Landesfürsten widerspruchslos zu akzeptieren.

Luthers Gewissensfreiheit wurde zum verschärften Kerker, weil das Gewissen die Stimme Gottes war, der das Herz des Gläubigen bis in die letzten Winkel durchschaute.

Nietzsche war es, der Luther vorwarf, die Deutschen zur Regression ins Mittelalter gezwungen zu haben. Die Deutschen rückten nicht nach vorne, um Fürsten und Priestern die Freiheit des Denkens und Tuns abzutrotzen, sondern vertauschten die entfernte Inquisition in Rom mit der ständig präsenten Inquisition des eigenen Gewissens als Stimme Gottes.

Dass ein demokratisches Parlament sich seit Jahrzehnten den Fraktionszwang gefallen lässt, eine Missachtung eigenen Denkens durch Unterwerfung unter ein fremdes Gewissen, ist immer noch die Langzeitfolge einer Reformation, die nichts war als die Deformation der individuellen Autonomie.

Noch heute können die Deutschen nicht streiten. Entweder kuschen und beugen sie sich dem stummen Regiment einer Mutter oder sie knurren, bellen und beißen wie Straßenköter. Ihre öffentlichen Talkshows sind eine Katastrophe, aber keine Demonstration gemeinsamen Denkens und methodischen Streitens.

Wer einer auf Krawall gebürsteten Dompteurin, die despotisch bestimmen kann, wer in welcher Länge zu welcher Frage etwas sagen darf, nicht absolut gehorcht, der hat sein Schicksal öffentlich-rechtlicher Präsenz besiegelt.

Die Peitschenschwingerinnen brauchen Krawall-Schlagzeilen, um ihre Quote zu retten. An stillen Einsichten sind sie nicht interessiert. Ohnehin wollten sie kein Gespräch führen, an dem sie erkenntnis-suchend selbst beteiligt wären. Sind sie doch verpflichtet, als neutrale Allwissende oberhalb allen Gerangels zu stehen. Zudem wechseln sie ständig ihre angebliche Meinung, um in der Rolle desr advocata diaboli jedem Gast Widerstand und Provokation zu bieten.

In einem Gespräch kann es nur Beteiligte geben, keine rotierenden Meinungskasper, die für Furore sorgen müssen. Arno Frank, außer Rand und Band, wagt es, die Katz- und Mausspiele der TV-Anstalten mit Hinweis auf antike Vorbilder zu rechtfertigen.

„Im Prinzip scheint bei Anne Will, Maybrit Illner, Sandra Maischberger und Frank Plasberg die antike Idee des Forums bewahrt. Ihre Sendungen verstehen sich idealerweise als Marktplätze für Ideen, manchmal auch Gerichtsstände. Seriöse Orte, an denen „das Volk“ sich versammelt, um an der gemeinsamen Sache zu partizipieren. Reine Quellen, die der mündige Bürger wenigstens hin und wieder aufsuchen sollte, will er sich „eine Meinung bilden“, wie es so schön heißt.“ (SPIEGEL.de)

Nur ein Dialog, ein Gespräch zwischen Zweien, ist ein Gespräch. Gruppengespräche sind allenfalls Brainstorming oder oberflächliche Konferenzen. Nur in einem Zweiergespräch können Differenzen freigelegt, in ihrer biografischen Verschlingung rekonstruiert und durch nachbohrende Fragen geklärt werden. Hier muss Nachdenklichkeit herrschen und nicht der Zwang, seine politische Reputation mit Klauen und Zähnen zu verteidigen. Außenstehende, angeblich objektive Gesprächsbestimmer kann es nicht geben. Jeder muss seine Sache unmissverständlich darlegen, den Dialogpartner zu verstehen suchen, um ihn zu bestätigen oder zu widerlegen – ja, um sich selbst widerlegen und überzeugen zu lassen.

Wie kann eine wahrheits-allergische Gesellschaft ein nach Wahrheit suchendes Gespräch führen? Wie kann eine Gesellschaft, die sich alle Besserwisserei verbietet, die Gefahr eingehen, etwas nicht besser zu wissen, eine Niederlage im Denken zu erleiden? In allen Dingen soll man wettbewerbsfähig sein und scheitern lernen, um in zweiter Chance von vorne zu beginnen – nur nicht in den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens. Welche Absurdität, Besserwisserei zu hassen und – alles noch besser wissen zu wollen?

Warum gelang es den Griechen, die Probleme der Starken und Schwachen, der Allwissenden und Unwissenden, der Reichen und Armen so wirksam zu lösen, dass ihre vorbildliche Demokratie fast die ganze Welt erobern konnte?

Weil sie in Freiheit lernen konnten, ihre Konflikte in Worte und Gedanken zu fassen und in Auseinandersetzungen und Abstimmungen so zur Verständigung zu bringen, dass ihre Polis erstaunlich lang vital und stabil bleiben konnte.

Die gegenwärtigen Demokratien zerfallen, weil niemand mehr denken und streiten will. Die hochgebildeten Eliten haben Besseres zu tun, als nutzlose Tiefengespräche zu führen: sie müssen Maschinen entwickeln und Milliardäre werden. Der Pöbel darf nicht denken: er muss „beschulbar“ und aufstiegsorientiert sein, um seine betriebliche Wendigkeit von morgens bis abends unter Beweis zu stellen.

Religionen sind mythische Geschichten über Klassenkämpfe, soziale Konflikte und alle Probleme dieser Welt.

Nicht Armut wird im Neuen Testament seliggepriesen, sondern Armut als Mittel, das Erbe Gottes und das neue Paradies zu erringen, um Gottes unermesslichen Reichtum zu genießen. Armut ist Mittel zum Zweck:

„Selig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Reich der Himmel“ – das von Gold und Edelsteinen strotzende Jerusalem, der neue Garten Eden, das zweite Paradies, die ewige Seligkeit in der ganzen psychischen und materiellen Fülle des Herrn.

„Höret zu, meine lieben Brüder! Hat nicht Gott erwählt die Armen auf dieser Welt, die am Glauben reich sind und Erben des Reichs, welches er verheißen hat denen, die ihn liebhaben? Ihr aber habt dem Armen Unehre getan. Sind nicht die Reichen die, die Gewalt an euch üben und ziehen euch vor Gericht? Verlästern sie nicht den guten Namen, nach dem ihr genannt seid?“

„Freuet euch und frohlocket, denn euer Lohn wird groß sein im Himmel.“

„Wenn du ein Mahl machst, so lade die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden, so bist du selig; denn sie haben’s dir nicht zu vergelten, es wird dir aber vergolten werden in der Auferstehung der Gerechten.“

„Als der Reiche nun in der Hölle und in der Qual war, hob er seine Augen auf und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß. Und er rief und sprach: Vater Abraham, erbarme dich mein und sende Lazarus, daß er die Spitze seines Fingers ins Wasser tauche und kühle meine Zunge; denn ich leide Pein in dieser Flamme. Abraham aber sprach: Gedenke, Sohn, daß du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber wird er getröstet, und du wirst gepeinigt. Und über das alles ist zwischen uns und euch eine große Kluft befestigt, daß die wollten von hinnen hinabfahren zu euch, könnten nicht, und auch nicht von dannen zu uns herüberfahren.“

Die finale Kluft zwischen Reichen und Armen, Seligen und Verfluchten wird unüberwindlich und ewig währen.

Auch in Deutschland haben sich die Reichen längst von den armen Schluckern absentiert und ihr abgeschottetes „Reich der Erwählten“ in exquisiten Gegenden und Vororten aufgebaut. Mit welchem Ergebnis?

„Reiche haben mehr politische Macht in Deutschland als andere. Sie nehmen mehr Einfluss auf die Gesellschaft, deshalb richtet sich die Politik stärker nach ihren Wünschen. Geld und soziales Kapital bieten den Vermögenden neue Möglichkeiten. Sie beeinflussen die Gesellschaft. Als Sponsoren bezahlen einige von ihnen Hörsäle in Universitäten, sie unterstützen Museen oder spendieren Schulen neue Kantinen. Manche Kommunen sind inzwischen auf ihre Unterstützung angewiesen. Die Vermögenden zahlen zwar kaum Steuer, bestimmen aber mit, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Man könnte sagen: Statt ein gleichwertiges Mitglied des Staates zu sein, werden manche von ihnen zu regionalen Fürsten.“ (ZEIT.de)

Von Aufstieg kann kaum noch die Rede sein. Die oberen Hallen der Macht und des Geldes sind geschlossen. Die meisten Reichen stammen aus Familienbetrieben, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreichen. Elitenforscher Hartmann stellte fest, dass die Durchlässigkeit von unten nach oben gegen Null tendiert. Wie steht es mit der demokratischen Kompetenz der Supermänner? Sie misstrauen dem Staat, entziehen sich mit aller List und Tücke seinen Steuergesetzen. Almosen zu geben sind sie bereit, aber nicht, um die Gesellschaft gleicher und gerechter zu machen:

„Viele Reiche engagieren sich dafür, die Armut zu bekämpfen“, sagt Branko Milanović, der als Ökonom der Weltbank mehr als 30 Jahre zu Ungleichheit forschte. „Mehr Gleichheit wollen die meisten Reichen aber nicht.“

Warum nicht? Weil sie es als gerecht empfinden, dass sie himmelweit über dem Rest der Gesellschaft stehen und den Staat übermäßig beeinflussen können:

„Während die meisten Arbeiterkinder, die es bis nach oben geschafft hatten, die Gesellschaft als ungerecht empfanden, erschien sie den meisten Chefs aus wohlhabendem Elternhaus als gerecht. Anders als in den USA neigen die meisten Vermögenden in Deutschland nicht dazu, ihren Reichtum öffentlich auszustellen, sie verstecken ihn lieber. Meist leben sie hinter hohen Mauern, und ihre Hofeinfahrten sind besonders lang. Man mag darin die Dezenz des deutschen Reichtums erkennen, den fehlenden Willen zum Protz, aber es zeigt sich darin auch etwas anderes: die Abkehr vom Leben der anderen. Wie gespalten eine Gesellschaft ist, sieht man vor allem daran, ob sich ihre Gruppen im Alltag noch begegnen. In Deutschland hat sich das Wohnen in den vergangenen Jahren drastisch verändert. Ob in den Elbvororten von Hamburg, an den teuren Ufern oberbayerischer Seen oder im Hochtaunus: In manchen Gegenden sind die Immobilienpreise so stark gestiegen, dass dort heute fast nur noch Leute leben, die viel besitzen. Auch in den größeren Städten wohnen Arme und Reiche immer weiter voneinander entfernt.“

Die Frage nach Gerechtigkeit ist eine Frage der Moral – und also ein Tabu. Seit der Definition der Wirtschaft als moralfreie Maschine dürfen ökonomische Verwerfungen nicht mehr ethisch betrachtet werden. Selbst kritischere Ökonomen wie Fratzscher lehnen die Diskussion der Gerechtigkeit ab: unter Gerechtigkeit verstehe ohnehin jeder etwas anderes.

Ein unfassliches Argument. Weil es verschiedene Ansichten gibt, dürfen sie nicht mehr diskutiert werden? Dann müsste die Debattenfreudigkeit im Stalinismus am höchsten gewesen sein. Wer behauptet, die Völker dürsten nach Gerechtigkeit und wollen nicht erst im Himmel selig werden, wird als populistischer Rattenfänger niedergebrüllt.

Da war der Reiche bei Aristophanes ehrlicher, der es sich beim Schlampampen gut gehen ließ und die Armen verhöhnte:

„Bei den Göttern, ich will als Reicher mir es wohl sein lassen bei Speise und Trank. Mit Weib und Kind will ich, wenn ich vom Bad heimwandle, wohlgelaunt auf die Armut – furzen.“  

 

Fortsetzung folgt.