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Neubeginn XXXII

Hello, Freunde des Neubeginns XXXII,

„Wie kann man den Himmel kaufen oder verkaufen. Jeder Teil dieser Erde ist uns heilig, jede glänzende Tannennadel, jeder sandige Strand, jeder Nebel in den dunklen Wäldern, jede Lichtung, jedes summende Insekt ist heilig in unseren Gedanken und Erfahrungen. Das wissen wir: die Erde gehört nicht den Menschen, der Mensch gehört zur Erde – das wissen wir. Alles ist miteinander verbunden wie das Blut, das eine Familie vereint. Alles ist verbunden“:

„Diese Worte finden Widerhall in der ganzen Welt, wenn Menschen sich gegen die Vermarktung ihrer Nahrung, ihres Wassers, ihres Saatgutes und der natürlichen Vielfalt wehren. Der Widerstand gegen die Privatisierung im Namen der unsinnigen Wirtschaftsglobalisierung ist Grundstein der Erd-Demokratie. Wirtschaftsglobalisierer sehen die Welt als etwas, das man besitzen kann und nutzen den Markt als reine Profitmaschine. Global operierende Konzerne wollen sich die Welt als Privatbesitz aneignen. Die selbstmörderische globalisierte freie Marktwirtschaft beutet lebenswichtige Ressourcen der Erde aus. Sie verschmutzt und laugt die Umwelt aus, verdrängt Millionen von BäuerInnen, Handwerkern und Arbeitern. Statt einer Kultur der Fülle schafft die profitgetriebene Globalisierung eine Kultur des Ausschlusses, der Enteignung und der Knappheit. Das Eigentum der Reichen ist in der Enteignung der Armen begründet – es sind die gemeinschaftlichen, öffentlichen Ressourcen der Armen, die privatisiert werden. Die Armen werden wirtschaftlich, politisch und kulturell enteignet. Die „Eigentümer-Gesellschaft“ beschönigt die lebensfeindliche Philosophie derer, die alle Gaben dieser Erde und alle menschliche Kreativität zu kontrollieren und zu monopolisieren suchen. Die Einhegung der Allmenden, des gemeinsamen Eigentums, welche in England begannen, haben Millionen von überflüssigen Menschen geschaffen. Während mit den ersten Einzäunungen nur Land geraubt wurde, werden heute alle Lebenselemente geplündert: Wissen, Kultur, Wasser, natürliche Vielfalt, öffentliche Dienste, das Gesundheits- und das Bildungswesen. Dabei

sind Gemeingüter der höchste Ausdruck einer ökonomischen Demokratie.

Gewalttätige Einzäunungen schaffen Ausgrenzungen. Ausgrenzungen erzeugen die versteckten Kosten der Globalisierung. Millionen, die ihre sichere Existenz verlieren, werden in die Arme aggressiver und militanter Bewegungen getrieben. Solche Abspaltungen erzeugen kannibalistisches Verhalten. Verbrechen und Terrorismus sind Antworten auf Ausschließungen und wirtschaftliche Kolonisation im Rahmen der Globalisierung und eines sogenannten Freihandels. Kannibalismus unter industriell eingepferchten Tieren hört auf, wenn Hühner und Schweine genügend freien Raum erhalten. Eine Zukunft ohne Ausgrenzung basiert auf Gewaltlosigkeit und nicht auf Gewalt, auf der Rückeroberung der Allmende, dass wir die Schätze der Erde teilen, weder monopolisieren, noch privatisieren. Das Volksprojekt, das ich Erd-Demokratie nenne, entfaltet sich in einer Atmosphäre des Dialogs und der Vielfalt, des Pluralismus und der Partnerschaft, des Teilens und der Solidarität. Der Erfolg der Erd-Demokratie betrifft nicht nur das Wohlergehen aller Menschen, sondern aller Lebewesen. Mit einer Erd-Demokratie brechen wir den Teufelskreis der Gewalt, in dem eine selbstmörderische Gesellschaft, eine selbstmörderische Wirtschaft und eine selbstmörderische Politik sich gegenseitig mästen. Erd-Demokratie führt zur kreativen Gewaltlosigkeit, zu einer lebendigen Kultur und einer lebendigen Wirtschaft. Sie entsteht aus dem Bewusstsein, dass wir lokal verwurzelt, aber mit der ganzen Welt verbunden sind, ja mit dem ganzen Universum.“

(Nach dem wunderbaren Buch „Erd-Demokratie“ von Vandana Shiva)

Vandana Shiva, indische Quantenphysikerin, ist weltenweit entfernt von einer deutschen Physikerin, im Nebenberuf Kanzlerin, die Befürworterin einer selbstmörderischen Weltwirtschaft und Weltpolitik ist.

Außer wenigen Träumern gibt es keine Einheimischen, die Shivas Erkenntnisse teilen würden. Die gesamte deutsche Elite nimmt Shiva nicht zur Kenntnis. Parteien, die sich links und ökologisch nennen, ignorieren die indische Weise. Kein Martin Schulz und Cem Özdemir, keine Sahra Wagenknecht, die sich trauten, solche „natur-religiösen“ Phantastereien in ihr Wahlkampf-Vokabular aufzunehmen.

Naturphilosophie ist für graue Männer und mannhaft harte Frauen der politischen und schreibenden Zunft ein Rückfall in Alchimie und Schamanentum. Der Begriff Schöpfung hingegen – die phantastische Erschaffung der Welt aus dem absurden Nichts durch einen phantastischen Über-Mann – ist für sie eine vernünftige Realität.

Der amerikanische Biblizismus kämpft mit harten Bandagen gegen naturwissenschaftliche Erkenntnisse der Evolution. Deutsche Schizophrenie, die ihren abendländischen Glauben für den Inbegriff der Vernunft hält, hat es kaum nötig, direkt gegen Naturwissenschaft und Naturphilosophie anzutreten. Mythen halten sie für Märchen der Wilden – und wer möchte behaupten, Deutsche seien edle Wilde? Ihre Dogmen hingegen können keine Mythen sein. Sind sie nicht Offenbarungen eines Unfehlbaren?

G-20 war ein Fortschritt. Einheimische Couch-Feuilletonisten, die bislang nicht mal wussten, in welcher Wirtschafts-Ordnung sie lebten, schreckten plötzlich auf – und entdeckten die Unwiderlegbarkeit des Kapitalismus.

Ihnen gehört die Erde. Denn ihrer ist der wahre Glaube. Sie werden die Erde besitzen. Im Glauben werden sie reich und Erben des Reiches sein. Die Erde ist das Erbe ihres allmächtigen Übervaters. Sie werden das Reich erben. Sind wir Kinder, so sind wir auch Erben Gottes. Werden wir ausharren, so werden wir auch mitherrschen.

Das Eigentum des Vaters – die ganze Schöpfung – wurde von einem listigen Widersacher dem einfältigen Urbesitzer aus den Händen gerissen. Also musste er sich glaubensfeste Horden schaffen, um sein Eigentum dem Diabolo wieder zu entreißen. Auch das gelang dem hinfälligen Alten nicht, weshalb er seinen Sohn schicken musste, der den Feind durch listig vorgetäuschten Tod besiegte und das Erbe den Frommen und Auserwählten zurückbrachte.

Das war die Geschichte des Urkapitalismus. Sohn rettet bankrottierenden Vater und bringt das verlorene Erbe im Triumph zurück. Die Menschen müssen sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen. So leicht wird ihnen die Wahl nicht gemacht, sonst würden alle bedenkenlos dem Sieger folgen. Der Sohn erscheint dem Menschen wie ein besiegter und getöteter. Dass er dennoch in Glanz und Gloria enden wird, muss blind geglaubt werden.

Glauben wider den Augenschein, das kann nicht jeder. Ihrer Vernunft und ihren Wahrnehmungen, ohne die sie nicht überleben könnten, sollen sie plötzlich misstrauen. Ihr Erkenntnisvermögen, der Stolz aller selbstbewussten Menschen, soll ihnen wie ein verhexter Täuschungsapparat erscheinen. Kein Wunder, dass christliche Philosophen der Moderne sich bemüßigt fühlten, ihrem Sinnesapparat, ja ihrer ganzen Vernunft, nicht übern Weg zu trauen.

Woher aber sichere Erkenntnisse, wenn das Denk- und Wahrnehmungsvermögen uns irre Dinge vorgaukelt? Wenn Gazetten, selten genug, zu philosophischen Erkenntnissen animieren, stellen sie hintersinnige Fragen: „Gewöhnlich trauen wir unseren Sinneseindrücken – doch können wir wirklich sicher sein, dass sie uns nicht in die Irre führen?“ Dann werden alle Sinnestäuschungen von Platons Wasserbeispielen bis zu 3-D-Halluzinationen auf die verwirrten Leser losgelassen, bis diese ihrer Liebe zur Weisheit schnell wieder Ade sagen.

Literaten und Denker übertreffen sich in Skepsis: woher sollen wir sicher sein, dass wir unseren Erkenntnissen vertrauen können? Das Leben ist nicht Sein, sondern Schein. Es gibt keine objektiv erkennbare Wirklichkeit. Jeder schafft sich durch seine Sprache eine subjektive Realität. Die disparaten Erkenntnisse lassen sich nicht vermitteln. Genau genommen, müssen wir uns missverstehen. Jeder ist eine einmalige Monade ohne Brücke zur Nachbar-Monade. Atomistisch schwirren wir durchs Universum.

Eben dies war die Marktchance der Handys und sonstiger Sprechmaschinen, die den Anschein erwecken, als seien wir verbunden und könnten miteinander reden, wenn wir getrennt in der Welt herumirren. Sind wir aber wieder zusammen, haben wir uns nichts mehr zu sagen. In der Ferne illusionär vereint, in der Nähe für immer getrennt. Eine gaukelnde Wirklichkeit muss der Mensch durch eine selbst-hergestellte zweite Natur ersetzen. Ihren Sinnen sollen sie nicht trauen, doch die phantastischen Figuren einer 3-D-Brille für felsenfeste Realität halten.

Die Erde ist ihr Eigentum. Doch sie hat einen Makel: sie wurde durch den listigen Enteigner befleckt und beschmutzt. Also muss sie regeneriert werden durch den Menschen, der sie erben soll. Dies geschieht nach dem Vorbild des Sohnes, der sterben musste, bevor er auferstehen und in sein himmlisches Reich zurückkehren konnte. Die Erde muss vernichtet werden, um durch die Künste der Erleuchteten wieder aufzuerstehen. Die erste Erde muss ersetzt werden durch eine menschengemachte zweite.

Dies geschieht durch malochende und maschinelle Zerstörung der Natur. Der hart arbeitende Mensch, für den SPD-Schulz hart arbeitet, ist die im Schweiße ihres Angesichts erbarmungslos die Natur zerstörende Kreatur nach dem Sündenfall. Technik ist erleichterte Arbeit, die den Prozess der Naturzerstörung beschleunigen und effektiv machen kann.

Amerikanische Milliardäre enterben ihre Sprösslinge: sie sollen beweisen, dass sie vom Punkt Null an Reichtum akkumulieren können. In dieser Hinsicht sind deutsche Steinreiche ihren puritanischen Vettern scheinbar überlegen. Alles, was sie erben, verschlampen sie nicht zu kurzfristigen Lustzwecken, sondern investieren fromm und brav, um Arbeitsplätze zu schaffen. Weshalb sie auch keine hohen Erbschaftssteuern zahlen müssen, die ihnen die Chance altruistischen Tuns aus der Hand reißen.

Nach dem Vorbilde Lockes beginnen Amerikaner permanent am Punkte Null, täglich alles Alte ersäufend, um sich neu zu erfinden. Sie beginnen als tabula-rasa-Tellerwäscher und enden als vollgeschriebene Bücher Gottes. Deutsche hingegen sind europäische Traditionalisten, die das Erbe ihrer Vorfahren übernehmen und in unbekannte Höhen führen müssen. Sie folgen den eingeborenen Ideen des Franzosen Descartes, der mit geschenkten Pfunden Gottes wuchern soll.

Trotz des komödiantischen Widerstands des Amerikaners war sich G20 einig über die Grundlagen der Weltwirtschaft: alles sollte frei sein, um den Profit zu maximalisieren. Trump hat nichts gegen solche Grundsätze. Nur jetzt, wo Amerika abbaut, will er zeitlich limitierte Absicherungen, um die amerikanische Wirtschaft wieder aufzurüsten. Wenn sie wieder oben sind, wollen sie wieder freie Fahrt den Tüchtigen. Alles, was dem Slogan „Amerika zuerst“ nützt, soll möglich sein.

Die Deutschen folgen demselben Motto, formulieren es nur anders. Sie reden von Wettbewerb gewinnen, sich nicht abhängen lassen, sich zukunftsfest machen.

Wenn Kapitalismus ein bedingungsloser Wettlauf von jedem gegen jeden ist, will jeder seine Nation auf dem Siegertreppchen sehen. Nur die Deutschen, national emphatische Schlechtmenschen und Interessenvertreter, müssen sich international vor den Völkern gut und edel geben. Was zu Hause abgeht, geht niemanden was an. Den obszönen Egoismus Trumps pöbeln sie an. Sie selbst unterstützen die bedenkenlose Wohlstandsvermehrerin Merkel in bedingungsloser Loyalität.

Was ist Freihandel? Die globale Einhegung aller Ressourcen der Völker zum Nutzen des eigenen Vorteils.

Einhegen ist ein zärtlicher Familienbegriff, der das Hegen und Pflegen der Sippenmitglieder bezeichnen soll. Auch dieser Begriff wurde von Begriffstäuschern der Gierigen heimtückisch geklaut und ins Gegenteil verkehrt. Nicht mehr Menschen sollen gehegt und beschützt werden, sondern der schnöde Mammon.

Der Mammon rückte an die Stelle des hegenswerten Kindes, das man mit allen Mitteln der Kunst päppeln müsse, auf dass es allen Konkurrenten schnell über den Kopf wachse. Die Wirtschaft wird zur Afterkarikatur natürlicher Vorgänge. Im Gleichnis von den anvertrauten Pfunden präsentiert sich der geldgierige Herr als einer, der ernten will, wo er nicht gesät hat. Die natürliche Logik des Säens, Wachsens und Erntens ist überwunden: die Machenschaften der Menschen übertreffen die Natur in allen Dingen:

„Zuletzt kam auch der Diener, der das eine Talent erhalten hatte, und sagte: Herr, ich wusste, dass du ein strenger Mann bist; du erntest, wo du nicht gesät hast, und sammelst, wo du nicht ausgestreut hast; weil ich Angst hatte, habe ich dein Geld in der Erde versteckt. Hier hast du es wieder. Sein Herr antwortete ihm: Du bist ein schlechter und fauler Diener! Du hast doch gewusst, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und sammle, wo ich nicht ausgestreut habe.“

Die Gaben des Herrn dürfen nicht der langsam reifenden Natur anvertraut werden, sondern müssen beschleunigt in die Höhe schießen. Auf keinen Fall dürfen sie nutzlos in der Erde vergraben werden, dass niemand sie zum Wachsen bringen kann.

Gemäß der Arbeits- und Eigentumslehre Lockes begründeten die puritanischen Siedler in Amerika, sie hätten das göttliche Recht, den Ureinwohnern das Land per „Einhegung“ zu rauben. Die Indianer hätten aus ihrem Land nichts gemacht. Außer wilden Tieren nachzustellen, hätten sie keine Landwirtschaft ausgeübt, um durch Arbeit Eigentum zu schaffen.

Amazon-Besitzer Jeff Bezos soll 133 Millionen Dollar, nein, nicht jährlich, sondern täglich verdienen. Da wird er im Schweiße seines Angesichtes schuften müssen, um diese Summe zusammenzuraffen. Selbiges gilt von allen Superreichen, die ihr wahnsinniges Vermögen nicht durch Arbeit verdienen – wie Locke ihnen auferlegte –, sondern durch selbstbestäubtes Hecken des Mammons. Das Geld paart sich und zeugt in exponentiellem Wachstum Nachkommen.

Da die Neupuritaner das Gebot Lockes noch in ihrer Amygdala speicherten, wollten sie kein schlechtes Gewissen haben: also arbeiten sie per Dekret des Akkumulierens – was sonst? John Winthrop, erster Gouverneur der Massachusetts Bay Colony schrieb 1669:

„Die Einheimischen in Neuengland hegen ihr Land nicht ein. Weder haben sie feste Siedlungen, noch gezähmtes Vieh, um ihr Land zu nutzen. Also besitzen sie bloß ein Naturrecht an diesen Ländereien.“ Weshalb sie den Wilden mit dem besten Gewissen der Erwählten die Ländereien abnehmen konnten, um sie einzuhegen.

Freihandel ist globales Einhegen oder legalisierter Raub. Vandana Shiva spricht, was in Deutschland unbekannt ist, Klartext:

„Schon auf dem grundlegendsten Niveau zerstört die Wirtschaftsglobalisierung die Basisdemokratie durch Eingrenzung und Schmälerung des Gemeingutes. Die Regeln der Globalisierung, ob durch die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds IWF oder durch die Welthandelsorganisation WTO verhängt, sind in jedem Fall undemokratisch und ohne Beteiligung betroffener Länder und Gemeinden aufgestellt worden. Die Wirtschaftsglobalisierung zerstört die nationalen demokratischen Prozesse, indem sie wirtschaftliche Entscheidungen aus dem Einflussbereich von Parlamenten und von BürgerInnen entfernt. Welche Regierung auch gewählt wird, sie ist an eine Reihe von neoliberalen Reformen gebunden. Die Wirtschaftsglobalisierung ist der Tod der wirtschaftlichen Demokratie. Sie stellt sich in den Dienst einer wirtschaftlichen Diktatur. Was damals mit der Land-Allmende in England geschah, wiederholt sich heute auf der ganzen Welt. Natürliche Vielfalt und die Saatgut-Allmende werden durch Eigentumsrechte der Giganten eingehegt, die Wasser-Allmende durch Privatisierung abgeschottet. Saatgut, Medizin und Wasser waren bisher Gemeingut; heute sind Menschen für teures Geld von Monopolisten wie Monsanto gekauft worden, welche die Patente besitzen, oder von Wassergiganten wie Suez, Bechtel und Vivendi, die die Konzessionen besitzen. Die Umwandlung von gemeinschaftlichen in individuelle Besitzrechte spricht großen Teilen der Gesellschaft die Existenzberechtigung ab.“

Ein Privatmann, der sich an der Politik der Polis nicht beteiligte, wurde in Athen Idiot genannt. Die unaufhörliche Privatisierung der ganzen Erde ist eine unendliche Idiotisierung der Menschheit. Heute spricht man stets vom Staat, anstatt vom Volk zu sprechen. Idioten entziehen sich nicht der Kontrolle des Staates – was in früheren Jahrhunderten des Absolutismus durchaus nötig war –, sondern der Kontrolle aller Demokraten.

Die Freiheit der Giganten, außerhalb staatlicher Gesetze ihren Reibach zu machen, ist keine andere Freiheit als die des Verbrechers, sich von den Gesetzen des Staates abzukoppeln und nach eigenen Vorstellungen von Gut und Böse Schneisen der Verwüstung zu schlagen. Während ein Choleriker in seiner Wut nur den Nachbarn tötet, rotten monopolisierende Idioten ganze Völker und Kulturen aus.

Die Linken haben ein Gewaltproblem. Das nicht erst seit gestern. Da wird der Russe Bakunin genannt, um den deutschen Marx aus der Schusslinie zu nehmen – selbst von eingefleischten Rechten, die erhobenen Hauptes die nationale Ehre verteidigen müssen. Auch der SPIEGEL schaut in die Vergangenheit, um die Linken aus der Schusslinie zu nehmen: es führe keine direkte Linie aus der Vergangenheit in die Gegenwart. Mit anderen Worten: Geschichte wiederhole sich auf keinen Fall. Wenn das wahr wäre, könnten sie sich die Zeugensuche in der Vergangenheit sparen.

Wenn fast die ganze Tradition weiß gewaschen wird, kann es keine Traditionen geben, die das Es der Zeitgenossen prägen könnten. Begriffe des Unbewussten sind ohnehin aus dem Repertoire der Beobachter verschwunden. Die Zeitgenossen spielen sich auf, als wären ihre Seelen durchsichtig wie kristallene Gebirgsbäche. Wo Es war, ist eine Konjunkturzahl getreten.

Die Linken haben ein Gewaltproblem. Warum wurde bislang souverän darüber hinweg gesehen? Weil Linke mit Gewalt einen guten Zweck verfolgen. Noch immer gilt die jesuitische Regel: der Zweck heiligt die Mittel. Die Rechten hingegen verfolgen keinen guten Zweck? Unsinn. Die Nationalsozialisten wollten die Natur retten, indem sie naturschädliche Elemente vertilgten. Das Gute der anderen muss nicht das eigene sein. Alles Böse in der Welt verfolgt etwas Gutes. Der blutrünstigste Mafiakiller hält sein Tun für gerechtfertigt.

Das Böse um des Bösen willen ist das unerklärbare Böse der Theologen, die einen Teufel erfunden haben, um diese Menschenfeindlichkeit der Kontrolle des Menschen zu entziehen. Wozu bräuchten sie Gott als Erlöser, wenn sie die Ursachen ihres Bösen erkennen und korrigieren könnten?

Es ist unerlässlich, den Linken den Heiligenschein vom Kopfe zu ziehen. Und dennoch wird die Linkenschelte zur Bigotterie, wenn die anonymisierte Gewalt der Freihändler, Neoliberalen, Industriellen und Politiker nicht an den Pranger gestellt wird.

Rundum beginnen feuilletonistische Apologeten, die Vorzüge des Kapitalismus zu preisen. Da liest man Verteidigungsreden der Gier von Philosophen wie Sloterdijk, Literaturkritikern wie Ijoma Mangold und Soziologen wie Armin Nassehi. Sie definieren nichts, leiten alle Vorzüge der Gegenwart vom Kapitalismus ab und ignorieren alle Gefahren der Gattung, die der Naturzerstörung des Kapitalismus zu verdanken sind.

In BILD erschien ein hoch alarmierender Bericht über das Schmelzen der Pole, bekanntlich die Folgeerscheinung der ökonomisch bedingten Klimaveränderung. Was passiert, wenn die Pole schmelzen?

„Europa, wie wir es kennen, wird es nicht mehr geben. Norddeutschland mit der Großstadt Hamburg, die Niederlande, sogar Teile von Berlin – alles weg! Das Schmelzen aller Eismassen würde einen Anstieg der Meeresspiegel um 65 Meter bedeuten! Wir erleben derzeit das größte globale Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier. Ursache ist der Mensch. Das bekannteste vom Klimawandel betroffene Säugetier ist der Eisbär. Aber auch Pinguine, Ringelrobben oder die Wale an Süd- und Nordpol sind bedroht.“

Werden die Menschen aussterben?

„Prof. Mojib Latif: „Nein, die Menschen werden es überleben, wir werden uns anpassen, aber es wird ungemütlich.“ Genauer: Einige Gebiete werden wegen der Hitze unbewohnbar. Prof. Hans Joachim Schellnhuber, Chef des Potsdam-Institutes, erwartet deswegen „Hunderte Millionen Klimaflüchtlinge“ weltweit.“ (BILD.de)

Einerseits machen die Medien in Alarmismus, andererseits attackieren sie diejenigen, die den Alarmismus ernst nehmen und die bedrohlichen Ursachen beseitigen wollen: die grenzenlose Naturschändung um des Profits willen. In einer kleinen Kolumne entwarnt der SPIEGEL:

„Die Antarktis als Ganzes ist ungeheuer stabil. Selbst in Klimaphasen, in denen es auf der Erde über fünf Grade wärme war als heute, blieb die Antarktis daher vereist. Und das ist auch gut so: Bei einem Tauwetter am Südpol würde der Meeresspiegel um apokalyptische 60 Meter ansteigen.“

Mit solch paradoxen Interventionsspielchen belieben die Medien seit Jahr und Tag ihr Publikum grausam zu foppen. Zuerst wird es in Angst und Schrecken versetzt, dann kommt die perverse Entwarnung: schau an, die Deutschen lieben den Blick in den Abgrund.

Noch schlimmer die theologischen Endzeitgläubigen, die die gottlosen linken Gewalttäter wegen ihrer apokalyptischen Symbolsprache rüffeln:

„Erstaunlich oft stellen vermeintlich nichtreligiöse Akteure selbst Bezüge zur Religion – und damit auch Religionswissenschaft – her. So betitelten die teilweise gezielt gewaltsuchenden Linksextremisten ihre Demonstration gegen den G20-Gipfel in Hamburg bereits vorab mit „Welcome to Hell“, Willkommen zur Hölle. Und auch die Aufmachung der Demo-Homepage spielte nicht zufällig mit der Symbolik einer brennenden Stadt. Wie auch ihre Verwandten im Geiste, die religiösen Fundamentalisten, sind auch die Linksextremen Kinder der gleichen globalen Moderne, die sie erbittert bekämpfen.“ (Spektrum.de)

Kein Wort darüber, dass alle apokalyptischen Bilder dem Neuen Testament entnommen sind, die seit 2 Jahrtausenden Macht über die Seelen der Abendländer gewonnen haben – gleichgültig, ob sie „gläubig“ sind oder nicht. Apokalyptische Schreckensvorstellungen sind längst zur Tiefenstruktur der Moderne geworden – unabhängig vom Bewusstsein der Einzelnen.

Zwischen bewusstem Fürwahrhalten und unbewussten Handlungsantrieben der Kollektivseele muss es keine Übereinstimmung geben. Dass Menschen wüssten, was sie tun – wenn sie keine Spurensuche ihrer Vergangenheit unternehmen –, ist eine absurde Angeberformel. Mensch, sage mir, was du tust, und ich sage dir, was du glaubst.

Da keiner der Wohlstandsapologeten den Begriff Kapitalismus definiert, niemand suizidale Gefahren mit ihm verknüpft oder dessen uralte Geschichte rekapituliert, können sie leichtfertig behaupten, zur herrschenden Ökonomie gebe es keine Alternative.

Der Kapitalismus ist nicht als Maschinensystem vom Himmel gefallen oder aus der Hölle gekrochen. Die Deutschen sind nicht nur unfähig geworden, Flughäfen zu bauen, Schulen zu reparieren, ihre Schwachen und Armen nicht zu demütigen und einen kompromisslos-ehrlichen Wahlkampf zu führen: verglichen mit Vananda Shiva können sie auch kein grundlegendes naturphilosophisches Manifest über die tödlichen Gefahren des Kapitalismus schreiben.

 

Fortsetzung folgt.