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Neubeginn XXVI

Hello, Freunde des Neubeginns XXVI,

mögen sie uns hassen, wenn sie uns nur fürchten. Wie alle neurotischen Götter wollen Herrscher geliebt werden. Werden sie nicht geliebt, verbreiten sie so lange Drangsal und Schrecken, bis sie gefürchtet werden.

Es ist die Strategie des liebesunfähigen Mannes, der Macht erringen muss, um Beachtung durch Angst zu erzwingen. Ein Preußenkönig soll seine Untertanen auf den Gassen mit dem Ruf gepeitscht haben: liebt mich oder ich prügle euch.

Es geht um die Machthaber der Erde, die wie Heuschrecken in eine Metropole einfallen, das Leben der Einwohner derangieren und beeinträchtigen, bis die Canaille endlich zuschlägt, damit die Machthaber – als schuldlos Angegriffene – mit aller Gewalt zuschlagen können. Der Terror muss bei den Schwachen beginnen, damit die Regierenden zeigen dürfen, wer die stärkeren Bataillone hat.

Heere von Polizisten und Sicherheitsleuten fallen wie Heuschrecken über eine Stadt her, um sie zu zwingen, die Anwesenheit der Mächtigen gefälligst zur Kenntnis zu nehmen.

Siehe, so bringe ich morgen Heuschrecken in deine Stadt, die sollen den ganzen Boden bedecken, dass man das normale Leben nicht mehr sehen kann. Sie sollen eure Häuser versiegeln, euer gewohntes Leben verwüsten, wie ihr es in Friedenszeiten noch nie erlebt habt.

Nicht nur die Reichen führen Krieg gegen die Armen – wie ein Superreicher erklärte, der mit einem Federstrich zwölf Milliarden kassierte –, die Mächtigen haben sich auf die Seite der Reichen geschlagen, um dem störrischen Volk die Faust vor die Nase zu halten. Ob gewählt oder nicht, sie kujonieren ihre Untertanen wie Tycoons ihre Lohnabhängigen. Macht und Money sind vor aller Augen eins geworden.

Vor kurzem noch wurde als verschwörungsbesessener Antikapitalist an den Pranger gestellt, wer die Identität von Geld und Gewalt zu behaupten

wagte. Macht in intakten Demokratien ist gewählt und zeitlich limitiert, Gewalt schert sich nicht um demokratischen Schnickschnack. Eine Volksherrschaft, die ungewählte Gewalt toleriert, gar mit ihr paktiert, ist keine Demokratie, sondern eine Herrschaft der Gewalttätigen (Kratokratie = eine Macht aus purer Lust an der Macht).

Die Gewaltigen haben bereits so viel Macht akkumuliert, dass sie es gar nicht nötig haben, eine belanglose Schein-Demokratie beiseite zu räumen. Im Gegenteil, sie scheinen zu genießen, wie die Massen vergeblich mit Transparenten, Plakaten und Gebrüll gegen ihre perfekt gesicherten Bastionen anrennen.

Demokratie ist zur virtuellen Arena, zum unterhaltsamen digitalen Game geworden. Es macht Spaß, Menschen rennen und laufen zu sehen, als hätten sie einen Willen, der etwas bewegen könnte.

Dank amerikanischer Ehrlichkeit hat der Kapitalismus sein demokratisch zerschlissenes Mäntelchen in die Kleidertonne geworfen und seine Philosophie offen gelegt: „Der Wert eines Menschen bemesse sich allein am Geld, das er verdient.“ Sagt Robert L. Mercer, wichtigster Geldgeber des Präsidenten-Darstellers. (ZEIT.de)

Der Traum der Mammonisten ist wahr geworden: der Wert des Menschen ist sein materieller Wert. Wer nichts hat, ist wertlos und überflüssig. Eine geringe Zeit noch wird er geduldet. Mit Armenverachtung und Hartz4-Freiluftgefängnissen wird er peu à peu seiner demokratischen Rechte beraubt.

Sollte die deutsche Sprache noch meinen, was sie sagt, besteht der Wert eines Menschen aus seiner unantastbaren Würde. Jedes Leben hat seinen Wert in sich und muss ihn nicht erst durch Leistung verdienen. Das Grundgesetz ist eine gedankliche Ruine geblieben, weil es Würde als zu verdienende Leistung zugelassen hat.

Marx war ein Verächter bürgerlicher Werte, die in der Realität nichts taugten. Weshalb er alle Vernunftwerte verachtete und das Reich der Freiheit nur durch Gewalt verwirklichen wollte – in dem Moral und Vernunft erst zur Geltung kommen sollten. Auch hier muss das Gute erst getötet und begraben werden, damit es an einem Jüngsten Tag wieder auferstehen kann.

Kapitalismus vernichtet den Wert jedes Einzelnen zugunsten des Wertes weniger Einzelner, Marxismus vernichtet den Wert jedes Einzelnen zugunsten des zukünftigen Wertes der Vielen, die zuerst ihren Unwert erdulden müssen, damit sie an einem Sankt Nimmerleinstag belohnt werden. Beide Ideologien sind Abkömmlinge einer Erlöserreligion, in der Privilegierte durch Selektion zu Endsiegern der Geschichte gekürt werden. Die Mittel der Selektion mögen in beiden Systemen verschieden sein, der Endzweck bleibt derselbe.

Von deutschen Verhältnissen scheinen Mercer und Marx gleichweit entfernt. Wir wiegen uns in Sicherheit. Die Stürme der Gegenwart ziehen an uns vorüber. Haben wir doch fast alles erreicht, wie BILD jubelt.

Bald werden wir mehr alles erreicht haben. Mag Griechenland bereits unter Hitzewallungen verglühen, unsere Klimabemühungen werden immer miserabler. Mögen globale Milliardäre bereits die Weltmacht übernommen haben: wir leben noch in der Marktwirtschaft einer katholischen Soziallehre, die von einer deutschen Jahrhundertfigur gegen alles linke Gesocks angebetet wurde.

Die kleinste Kapitalismuskritik wird von medialen Hütern des Dorfteiches mit Höllenlärm in die Flucht geschlagen. Ziehen sich dunkle Wolken am Himmel zusammen, wird sofort Sankt Marx beschworen, in dessen vielen Bänden die magische Formel der Weisheit zu finden sei.

Es ist wie im Christentum. Alle Irrtümer, Mängel und Verbrechen sind giftige Früchte einer vom reinen Glauben abgefallenen Kirche. Das Urchristentum muss schuldlos bleiben. Alle totalitären Elemente des Sozialismus sind Erfindungen eines von der Originallehre abgefallenen Leninismus und Stalinismus. Marx muss unschuldig bleiben. Das ist die historische Rechtfertigungslehre und Weißwaschung zweier blutsverwandter Erlöser-Systeme. Das Prinzip von Ursache und Wirkung ist außer Kraft gesetzt. Das Böse ist unerklärbar – und muss mit Gewalt eliminiert werden.

In Deutschland herrschen die Genervten und Verärgerten: woher der impertinente Lärm, es geht uns doch gut wie nie? Leben wir nicht im Paradies, in der Zuflucht der Sehnsucht, im Land, wo Millionäre das Land überwuchern? Haben wir nicht massenhaft Geld, dass wir gar nicht wissen, wie wir es ausgeben sollen?

Freilich, das Durchschnittseinkommen der Amerikaner ist noch immer um 10000 Euro höher als das deutsche. Da gäbe es noch was zu tun. Nur wie?

Einen Durchschnitt kann man auch dadurch erhöhen, dass man die Spitze maßlos in die Höhe treibt. Wenn wenige Milliardäre mehr besitzen als der Großteil der Bevölkerung, gibt es auch einen stattlichen Durchschnitt. Die Ökonomen schämen sich nicht, mit statistischen Durchschnittswerten die allgemeine Lebensqualität einer Gesellschaft zu charakterisieren.

Was die Scholastiker für das Mittelalter, sind die Ökonomen für die Neuzeit geworden: haben sie gesprochen, ist der Fall erledigt. Studenten der Ökonomie lesen keine Bücher und Texte, sie rechnen monoman vor sich hin. Für sie gibt es keine konkurrierenden Positionen. Ökonomen glauben an ein berechenbares System des permanenten Gleichgewichts mit rational agierenden Subjekten. Und dies nach unendlich vielen Finanzkrisen, irrationalen Verwerfungen, Pflicht zu grenzenlosem Wachstum, zunehmender Schere zwischen Oben und Unten und Millionen von Hungernden und Sterbenden.

Doch die Deutschen kuscheln in der Mitte, senken die Köpfe und nehmen die Welt nur durch Export-Filter wahr. Und sollte vielleicht doch etwas schief gehen, greifen sie zurück auf die blauen Bände eines Deutschen, dessen Lehre einst die halbe Welt erobert hatte.

Im SPIEGEL erschien ein Interview mit Matthias Greffrath, einem standhaften Marxverehrer und Jan Fleischhauer, einem dezidierten Marx-Verächter, der dem Gespräch pikanterweise die Überschrift gab: Marx hatte recht.

So kindisch können Provokationen des Feuilletons sein, das sich interessant machen muss. Keine einzige Stimme der vielen seriösen Marx-Kritiker wird von den beiden Gesprächspartnern auch nur erwähnt. Weder wird die spätere Entmündigung des autonomen Subjekts, noch seine Verachtung der Moral und Demokratie oder seine Degradierung der Natur zur Eroberung der Welt angesprochen.

Wie bei Hayeks Neoliberalismus wird der Wille der Evolution durch amoralische Vorgänge bewirkt. Sei es durch moralblinde Zufälle oder moralfreie Geschichtsgesetze. Popper hält Marx für einen ursprünglichen Gerechtigkeitskämpfer, der aber unter die Räder eines prophetischen Historizismus geriet.

Ein Historizismus vertritt den automatischen Ablauf der Geschichte, dem sich der Mensch passiv unterordnen muss. Marx „entschied, dass wir uns im Kapitalismus „unerbittlichen Gesetzen“ beugen müssen, dass wir nur die Geburtswehen der natürlichen Phasen seiner Entwicklung „abkürzen und vermindern“ können. Es besteht eine weite Kluft zwischen seinem frühen Aktivismus und seiner späteren Regression in den Historizismus. Wir müssen uns den irrationalen Kräften der Geschichte unterwerfen. Jeden Versuch, unsere Vernunft zur Planung der Zukunft zu verwenden, lehnt Marx als utopisch ab. So kann Vernunft an der Herbeiführung einer gerechten Welt keinen Anteil haben. Ich glaube, dass eine solche Ansicht sich nicht verteidigen lässt und zum Mystizismus führen muss.“ (Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde)

Warum gibt es keine effiziente Kritik am Kapitalismus? Weil die heutigen Linken noch immer vernunftfeindliche Ex-Marxisten sind, die nichts von moralischen Entscheidungen halten. Demokratie ist aber durch eine Reihe moralischer Entscheidungen eines Volkes entstanden, das Freiheit und Gleichheit für jedes Individuum realisieren wollte. Nicht von vorneherein, aber im Prozess eines gemeinsamen Lernens, das zur Beendigung der Sklaverei und der Befreiung der Frau führen sollte.

Solange die Linken nicht an das selbständig denkende und entscheidende Individuum appellieren, bleiben ihre Forderungen nach Gerechtigkeit hohl und leer. Im Grunde sehen sie die Welt noch immer wie Engels es formulierte: „Gesellschaftliche Veränderungen sind nicht in den Köpfen der Menschen zu suchen, nicht in ihrer größeren Einsicht in die Gerechtigkeit, nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche.“

Der Demokrat von heute soll eine richtige Entscheidung zugunsten einer gerechteren Welt treffen, obgleich er weder weiß, was Gerechtigkeit ist, noch wie er eine autonome politische Entscheidung fällen kann. Der ganze Wahlkampf der Linken muss als eine Irreführung der Wählenden bezeichnet werden. Mit solchem Haschen nach Wind können keine Mercers, Buffetts und Trumps zur Raison gezogen werden.

Linke haben sich – nicht anders als wartende Gläubige auf das Kommen Jesu – nur „vorzubereiten auf die von selbst kommende Stunde der großen Umwälzung.“ (Karl Vorländer, Geschichte der sozialistischen Ideen)

Eine Moral als System vernünftigen Wollens wird von Marx und Engels vehement abgelehnt. Fleischhauer und Greffrath versinken in einem fahrlässig ignoranten Plauderton der Kategorie: „wenn Sie so wollen“. (SPIEGEL.de)

Auch hier wiederholt sich die theologische Auslegungskunst. Wie die mit dem Zeitgeist mitlaufenden Frommen ihre Heilige Schrift nach Belieben verändern und jeweiligen modischen Ideologien anpassen, so kann man – ganz nach eigenem Wollen – Marx ins Gegenteil seiner selbst verkehren.

Doch nur wer die Wirklichkeit aus eigener Kraft und Einsicht verändern kann, hat etwas zu wollen. Wer erkennen will, was unabhängig von ihm existiert, hat die Realität objektiv wahrzunehmen. Sollen kommt nach dem Sein, Verändern nach dem Erkennen.

Die fundamentale Schwäche aller westlichen Linken besteht in der morbiden Eitelkeit, den Kapitalismus als Erzeugnis der Moderne zu reservieren. Doch der Kapitalismus entstand nicht in England im Jahre 1760. Sondern ist ein Erzeugnis der griechischen Freiheit.

Ursprünglich begann er als rationales Tausch-Unternehmen. Erst im Verlauf einer ins Grenzenlose wachsenden Freiheit, die zur Unfreiheit der Vielen und zur Zügellosigkeit der Mächtigen wurde, konnte er sich zum modernen Kapitalismus entwickeln.

Es gibt ein Wovon und ein Wozu der Freiheit. Sie befreite sich von der Herrschaft des homerischen Adels und entwickelte sich zu einem Wirtschaften über alle Grenzen hinweg. Dabei steigerte sie sich in den Rausch einer nie geahnten Fähigkeit, mit aller Welt Handel zu treiben und alle Konkurrenten zu besiegen.

Politische Freiheit verblieb auf dem Niveau der begrenzten Polis – und wurde von der Expansion der Wirtschaft ausgehebelt. Politische Gleichheit ohne wirtschaftliche aber zerstört Politik und faire Wirtschaft. Wie nie zuvor in der Geschichte entdeckten die Hellenen die große, weite Welt und die Möglichkeiten eines unbegrenzten Produzierens, Verkaufens und Kaufens. Je mehr sich die Starken gegen die Gleichmachertendenzen der Polis zu Wehr setzten, je süchtiger wurden sie nach Ausdehnung ihrer wirtschaftlichen Potenz.

Lähmende Gleichheit wurde ersetzt durch eine kaum zu kontrollierende Ungleichheit im Reichwerden. Den Verlust seiner Macht hatte der homerische Adel nie verwunden. Trotz aller intriganten Maßnahmen, mit Hilfe des „Naturrechts der Starken“ das Naturrecht der Schwachen auszuhebeln, erwies sich die athenische Polis erstaunlich widerstandsfähig. Umso süchtiger erlebten die Starken die neuen Chancen, von Athen aus – das zum Mittelpunkt der damaligen Welt geworden war – die Welt nicht nur kulturell und philosophisch, sondern auch ökonomisch zu erobern.

Freiheit nutzten die Starken, um ihre uralte Vormacht zurückzuerobern und in ungeahnte Dimensionen auszudehnen. Wie Freiheit in der Demokratie nicht Zügellosigkeit bedeutet, sondern Einsicht in die eigene Begrenztheit, um die Freiheit der anderen nicht zu gefährden, so bestand auch in Athen die Gefahr, dass die Freiheit der Starken zur Verantwortungslosigkeit entartete. Jede Demokratie muss durch ständige Anstrengung im Gleichgewicht gehalten werden.

Die athenische Polis war ein Forum permanenter Auseinandersetzungen zwischen denen, die die Demokratie in eine Herrschaft der Wenigen zurückverwandeln wollten und jenen Philosophen, die in unermüdlicher Zähigkeit und Denkkraft die Rechte aller Menschen erarbeiteten. Kaum erlahmte die Wachheit der Demokraten einen Augenblick, wurden sie von Machenschaften der immer gieriger werdenden Reichen ausgetrickst.

Wirtschaftliche und politische Freiheit entwickelten sich unaufhaltsam auseinander. Als Athen schließlich von den Makedonen besiegt wurde und die alexandrinische Epoche des Hellenismus begann, gab es kein Halten der wirtschaftlichen Macht mehr.

Die meisten Altphilologen unterwerfen sich dem Verbot, vom antiken Kapitalismus zu reden. Doch es gibt auch andere. Unter ihnen Max Pohlenz mit seinem wertvollen Buch „Die griechische Freiheit“:

Mit der Epoche der Diadochen – der Alexander-Nachfolger – begann eine Wirtschaft, die den modernen Kapitalismus in vieler Hinsicht vorweg nahm. Nur in einer Hinsicht nicht: in der Entwicklung der Technik und der Überwältigung der Natur durch Maschinen.

Doch Kapitalismus ist in erster Linie kein technisches, sondern ein politisch-moralisches Problem. Die Schattenseite des Kapitalismus ist die Degradierung des Schwachen durch den Starken. Die Mittel der Ausbeutung sind zweitrangig. Ob ich mit psychischen, finanziellen oder militärischen Mitteln einen Schwächeren erniedrige, ist sekundär.

Der Grundirrtum der modernen Kapitalismustheorie ist seine mechanische und technische Definition. In Wirklichkeit ist Kapitalismus ein Aggregat moralischer Entscheidungen, die sich in bestimmten Gesetzen des Handels niederschlagen und sich als moralische Entscheidungen immer weniger zu erkennen geben. Weshalb es heute notwendig ist, das ganze Gewebe wieder aufzulösen und in die ursprünglichen Teile zu zerlegen.

Will ich wissen, wie etwas ist, muss ich wissen, wie es sich entwickelt hat. Ökonomie ist vom Ursprung weder eine technische, noch eine mathematische Angelegenheit, sondern eine Summa moralischer Entscheidungen. Diese partiellen Entscheidungen muss ich aus dem Ganzen herauslösen und in ihrem historischen Zusammenwachsen zu verstehen suchen.

Um mich kapitalistisch zu betätigen, benötige ich weder Maschinen noch Banken. Der erste kapitalistische Akt, insofern er gerecht war, war ein gleichwertiger Tausch, der beide Tauschpartner gleichmäßig bereicherte. Der erste ungerechte kapitalistische Akt war ein unfairer Tausch, der den einen bereicherte und den anderen schädigte.

Die gerechte Seite des Kapitalismus wurde durch grenzenlose Freiheit schnell zur Marginalie, die ungerechte zur nationalen und internationalen Normalität. Starke, selbstbewusste Völker wurden auch wirtschaftlich stark. Kleine Völker versanken ökonomisch und militärisch im Nichts.

Max Pohlenz beschreibt die Anfänge des Hellenismus:

„Die Zahl der Sklaven wuchs in dieser Zeit ins Ungemessene. Denn der gewaltige Aufschwung des Wirtschaftslebens und die Ausbildung eines Kapitalismus, der sein Geld in landwirtschaftlichen und industriellen Großbetrieben anlegte, steigerte das Bedürfnis nach billigen Arbeitskräften, und brutalste Mittel wurden angewendet, um es zu befriedigen. Die Steuerpächter veranstalteten mit stillschweigender Duldung der Behörden förmliche Menschenjagden.“

Das Sklavenwesen, in Athen eher unterentwickelt, wuchs zu einem gigantischen Markt obszönster Ausbeutung. Vielleicht der schlimmste Kapitalismus aller Zeiten entstand im römischen Reich. Rom wurde zur sozialen Kloake, in der noch weniger als „EINPROZENT“ den ungeheuren Reichtum des Riesenreiches einkassierte und fast die ganze Bevölkerung von Rom zu Nichtshabern erniedrigte, die täglich mit kostenlosen Speisungen und Weizenportionen über Wasser gehalten werden mussten. In den Worten Georg Adlers:

„Die soziale und politische Entwicklung Roms hatte zum Untergang des freien Bauernstandes, der wahren Stütze der Gesellschaft, im ganzen Reiche geführt und damit den Mittelstand, der allein fähig war, ein Heer von Bürgern aufzustellen, ruiniert. Die Landbevölkerung fing an, kontinuierlich abzunehmen, weite Gebiete fielen der Verwilderung anheim. Das Kapital fing an, einer sinnlosen Verschwendung, einem demoralisierenden Luxus, zu dienen. In Rom sammelten sich wachsende Massen Deklassierter, die gänzlicher Verkommenheit verfielen. Sie waren für jeden zu haben, der ihnen materiell etwas bot. Faktisch musste die ganze Stadt täglich alimentiert werden. (Heute würde man von einem BGE auf niedrigster Basis sprechen.) Alles ergab sich seinem Schicksal in dumpfer Ergebung. Irgendwelche Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse gab es nicht. Das war die Chance des neu aufkommenden Christentums, den Massen die Hoffnung auf ein besseres Jenseits zu predigen.“ (Adler, Geschichte des Sozialismus und Kommunismus)

Der moderne Kapitalismus ignoriert die Monstrositäten des antiken Kapitalismus. Für ihn ist Wirtschaft ein technisches Verfahren, das nur durch Aufdecken mechanischer Geschichtsgesetze verstanden – nach Marx aber nicht verändert werden kann. Denn das Entdecken der Gesetze macht den Menschen nicht fähig, die automatischen Abläufe der Geschichte willkürlich zu steuern. Er muss sich diesen Gesetzen unterwerfen.

Im Neoliberalismus sollen diese Gesetze gar nicht verändert werden. Denn sie sind der Extrakt eines evolutionären Willens, dessen innere Logik und Moral wir nie verstehen werden.

Prophete links, Prophete rechts: jenseits von Kapitalismus und Sozialismus, den zweieiigen Zwillingen, gibt es zurzeit keine sinnvolle Alternative. Diese müsste erst durch Rekonstruktion des kapitalistischen Werdegangs seit Anfängen der griechischen Freiheit neu erarbeitet werden. Das wäre keine mathematische, sondern eine philosophische Gedankenarbeit.

Hamburg ist die Geburtsstadt der deutschen Kanzlerin. Um sich – in voller Demut versteht sich – zu feiern, wählte sie die Großstadt aus, in der sie das Licht der Welt erblickte. Just in dieser Stadt will sie im Rahmen eines G-20-Treffens ihr Licht als Erretterin der Welt nicht unter den Scheffel stellen. Im Vorfeld konstatierte sie gnädig das Recht auf freie Demonstration, wohl wissend, dass der Druck auf die Bevölkerung von Oben und nicht von Unten kommen wird.

Die Mächtigen dieser Welt, auf dem Gipfel des modernen Kapitalismus, werden von ihren Untertanen immer mehr abgelehnt, ja in wachsendem Maße verabscheut. Brutale Repressalien sorgen dafür, dass der Aufenthalt der Mächtigen mitten in einer Metropole die Menschen für ihre Ablehnung bestrafen soll. Wer seine Obrigkeit nicht liebt, muss dafür mit endlosen Schikanen traktiert werden.

Es steht außerordentlich viel auf dem Spiel. Das Klimaziel von 2 Grad muss eingehalten werden, wenn Afrika und viele Inseln in der Südsee gerettet werden sollen. Den Afrikanern muss ihr Kontinent erhalten werden, damit sie nicht gezwungen sind, Europa zu „überschwemmen“, wovor die Europäer sich panisch fürchten. Der internationale Frieden steht auf dem Spiel, wenn nationale Egoismen die Feindschaft unter den Völkern immer mehr anheizen.

Der desolate Kapitalismus muss in den Dienst aller Menschen gestellt werden. Das ungeheuer reiche EINPROZENT muss enteignet, seine Macht zugunsten demokratischer Machtteilung aufgelöst werden.

Der Siegeslauf der wirtschaftlichen Freiheit über die politische muss beendet, die griechische Freiheit der Polis nicht länger zu wirtschaftlicher Übermacht missbraucht werden.

Ihren sinkenden Stern kann Merkel nur retten, wenn sie die Konferenz der He-Männer zu einem vorzeigbaren Ergebnis moderieren kann. Gelingt es ihr nicht, könnte die Stadt ihrer Anfänge zur Endstation ihrer Karriere werden.

 

Fortsetzung folgt.