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Neubeginn XV

Hello, Freunde des Neubeginns XV,

Trump entlarvt den Kapitalismus der Moderne als moralfreies Vagantentum. America first bedeutet: zuerst amerikanische Milliardäre, die er noch reicher machen will, dann amerikanische Loser, die hemmungslos geschröpft werden.

Es ist eine uralte Strategie, wie ein Mitglied der Eliten, der sich den Stars seiner Klasse unterlegen fühlt, sich – unter Vorspiegelung falscher Versprechungen – mit unteren Schichten verbindet, um sich an die Spitze seiner Klasse und somit aller Klassen zu setzen. Er will nicht nur zur führenden Klasse gehören, er will Allererster sein. Nur der Erste ist Sieger, der Zweite gehört bereits zu den Verlierern.

Seltsam, dass mediale Beobachter Trump nicht einen Populisten nennen. Für deutsche Politanalytiker sind Populisten dreiste Glücksritter, die mit Tricks an die Macht wollen, die sie aber nicht erringen sollen. Gewöhnliche Populisten sind Heilsbringer, die man zu Fall bringen muss. Nur Populisten, die trotz aller Widerstände an die Spitze gelangen, sind echte Heilsbringer. Obama, Macron, Trudeau sind Wunderkinder und Heilande, denn sie haben die Macht errungen. Wilders und Le Pen gehören zu den gefallenen Engeln, die als Widersacher der Götter verteufelt werden. Zwischen Erlöser und Antichrist gibt es nur einen winzigen Schritt.

Die Moderne rechtfertigt alles, wenn es nur Erfolg hat. Macht und Erfolg sind messianische Qualitäten. Fortschritt ist eine messianische Disziplin, denn er setzt auf systematische Akkumulation von Glanz und Gloria.

Christentum, Judentum und Islam sind Religionen des absoluten Erfolgs. Die Gläubigen werden zu Siegern der Geschichte gekürt.

Armut, Leiden, Demut und Uneigennützigkeit sind nur Instrumente der Erfolgreichen, die unter dem Schein des Gegenteils ihre Seligkeit erringen und zur

Rechten des Herrn sitzen werden. Seligkeit ist Erfolg am Ende aller Tage, die triumphale Belohnung für das Ausharren in Ächtung und Niedrigkeit.

„Was soll ich mehr sagen? Die Zeit würde mir zu kurz, wenn ich sollte erzählen von Gideon und Barak und Simson und Jephthah und David und Samuel und den Propheten, welche haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit gewirkt, Verheißungen erlangt, der Löwen Rachen verstopft, des Feuers Kraft ausgelöscht, sind des Schwertes Schärfe entronnen, sind kräftig geworden aus der Schwachheit, sind stark geworden im Streit, haben der Fremden Heere darniedergelegt.“

Auch Reichtum und technische Genialität können von selbst-gerechten Verlierern geschmäht und verhöhnt werden. Deutsche Leidensapostel und linke Armutsabsolutisten verachten und verleumden den erfolgreichen american way of life als Regiment des Antichrist.

Wahre Amerikaner wie Bill Gates und Warren Buffett tragen das Los ihres unermesslichen Reichtums in Demut des Glaubens. Sie wissen, dass ihr Erfolg das Werk ihres Herrn ist, das sie in Gehorsam verwalten müssen. Mitten in verrottbaren Schätzen der Welt wissen sie „von jenen Schätzen im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie zunichte machen und wo Diebe nicht einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“

Sie folgen dem Rat ihres Heilands, von den Söhnen dieser Welt zu lernen. Diese seien klüger als die Söhne des Lichts: „Und ich sage euch: machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit sie, wenn er euch ausgeht, euch aufnehmen in die ewigen Hütten.“

Alles kann zum Mittel des Seligkeitserfolgs werden: seinen ganzen Reichtum den Armen verschenken oder mit Hilfe des Reichtums Almosen verteilen:

„Willst du vollkommen sein, so gehe hin, verkaufe, was du hast, und gib’s den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben.“

„Den Reichen von dieser Welt gebiete, daß sie nicht stolz seien, auch nicht hoffen auf den ungewissen Reichtum, sondern auf den lebendigen Gott, der uns dargibt reichlich, allerlei zu genießen, daß sie Gutes tun, reich werden an guten Werken, gern geben, behilflich seien, Schätze sammeln, sich selbst einen guten Grund aufs Zukünftige, daß sie ergreifen das wahre Leben.“

Das Endziel alles irdischen Tuns ist der Schatz im Himmel, die richtende Allmacht über alle Ungläubige, der irreversible Triumph bei Gott. Ama et fac, quod vis: liebe – und tu, was du willst. Pecca fortiter, sed fortius fide: sündige tapfer, wenn du nur noch tapferer glaubst.

Das Christentum ist keine Ethik, um die Menschen zu humanisieren und das Leben mit der Natur in Einklang zu bringen. Es ist das – kein Verhalten ausschließende – Instrumentarium zur Erringung eines absoluten Erfolgs in Ewigkeit.

Ewigkeit beginnt bereits hienieden, wenn Menschen wirklich glauben und ihrem Herrn vertrauen. Dann wird er ihnen nicht nur unverrottbare Schätze, sondern ein angst- und sorgenfreies Leben auf Erden schenken. Das Reich Gottes begnügt sich nicht mit Schlampampen in äußerlichem Luxus. Wahrer Luxus ist ein plagen- und sorgenfreies Leben auf Erden ohne ängstliches Malochen, Rennen und Hasten. Selbst Marxisten und Kommunisten glauben nicht an ein Reich der Freiheit ohne ein Minimum an Arbeit.

„Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie? Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget? Und warum sorget ihr für die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie derselben eins. So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr euch tun, o ihr Kleingläubigen? Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Nach solchem allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürfet. Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen. Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.“

Wie der letzte Satz: „Es ist genug, dass ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe“, sich reimt auf die Aussagen: „Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie arbeiten nicht“, bleibt das süße Geheimnis himmlischer Edelfedern.

Von dem paulinischen Donnerschlag ganz zu schweigen: „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen“ – ein Todesurteil über alle heidnischen Philosophen der Muße, also fast über alle. Denn wer intensiv über Gott und Welt nachdenkt, kann sich nicht gleichzeitig Mühen materiellen Überlebens ergeben. Der ist auf Arbeitsteilung angewiesen. Denn auch seine Arbeit ist Überlebensarbeit, aber nicht im Sinn bloßen Ernährens, sondern als gedankliche Bewältigung des Daseins.

Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern auch von Erkenntnissen seines autonomen Kopfes. Es ist eine philosophie-feindliche Aggression, wenn die Deutschen Muße in Müßiggang pervertieren. Schaffe, schaffe und net so viel schwätze, ist nicht nur die Weisheit schwäbischer Pietcong – wobei schwätzen mit denken in eins gesetzt wird.

Je mehr und je schneller sie schwatzen, umso intellektueller kommen sie sich vor – und nicht nur Talk-Show-ModeratorInnen. Die allgemeine Beschleunigung hat das Parlieren in eine konkurrierende Raserei verwandelt. Wer sich in einem Interview den denkerischen Luxus erlaubt, eine Frage nicht wie aus der Pistole geschossen zu beantworten, hat keine Chance mehr, noch einmal als Experte vor die Kamera zu treten.

Nachdenken und schweigen gelten als rhetorische Schwächen. Rhetorik, die Kunst des Schwatzens, hat die lustvolle Mühe des Denkens verjagt.

Wenn du geschwiegen hättest, hätte ich dich für einen Philosophen gehalten – ist nicht das Motto einer deutschen Kanzlerin. Denn sie schweigt nicht, sie verstummt. Gleichwohl will sie ihre Stummheit wie Kunst des Schweigens erscheinen lassen. Sie macht sich rar, um sich kostbar zu machen.

Die Deutschen schätzen die rationierte, wie ausgeruht wirkende Rede Merkels. Wozu auch das viele Schwatzen, wenn alles unerklärbar, hyperkomplex und unlösbar ist? Sprechen, Erklären und Streiten sind überflüssig, wenn Probleme sich der sprachlichen Repräsentanz entziehen. Das öffentliche Sprechen ist zum endlosen Geplapper geworden. Worüber man nicht reden kann, darüber soll man wenigstens was zu quasseln haben.

Philosophische Muße war Denken, Reden und Schweigen. Dass die Griechen die Arbeit als minderwertig abgelehnt hätten, ist eine Legende. Der Mensch soll sich seinen Lebensunterhalt nicht mit Gewalt verschaffen. Sondern mit redlicher Arbeit, das war die Botschaft des bäuerlichen Poeten Hesiod.

„Keinerlei Arbeit ist Schande, nur Nichtstun ist eine Schande.“ Der Nichtarbeitende gleicht den Drohnen im Bienenstand. Auch Arbeit ist eine menschliche Ordnung. In Vermeidung von Gewalt und Unrecht, in rechtlichem Handeln, fleißiger Arbeit und in redlichem Erwerb besteht die Tüchtigkeit des Menschen.

„Vor das Gedeihen jedoch haben die ewigen Götter den Schweiß gesetzt. Lang und steil ist der Pfad dorthin und schwer zu gehen am Anfang. Kommst du jedoch zur Höhe empor, wird er nun leicht, der anfangs so schwer war. Der ist von allen der beste, der alles selbst einsieht und bedenkt, was schließlich und endlich Erfolg bringt.“

Das ist bereits die erste kapitalistische Kritik der ehrlich Arbeitenden an den Adligen, die sich ein schönes Leben machten und sich von ihren Knechten und Hörigen durchfüttern ließen.

Mühsame Arbeit, die zur autonomen Gewohnheit geworden ist, ist weit davon entfernt, eine permanente Plage zu sein. Technischer Fortschritt prahlt mit Überwindung lästiger und mühsamer Arbeit. Das ist blanker Irrsinn. Nur abhängige und fremdbestimmte Arbeit ist entwürdigend. Man lese die bäuerliche Ernteszene in Anna Karenina, wo selbst ein Mitglied der adligen „Mußeklasse“ sich in körperlichen Rausch arbeitet. Das chinesische Bäuerlein lehnt selbst das Wasserrad ab. Lieber nimmt es schwere körperliche Arbeit auf sich, als dem Maschinengeist zu verfallen.

Nicht Arbeit ist beschwerlich, sondern demütigende Arbeit im Dienst anderer, die zudem ungerecht entlohnt wird. Ungerecht heißt, dass der reiche Müßiggänger den überwiegenden Profit der Arbeit einstreicht – und die Arbeitenden nur mühsam über die Runden kommen.

Hier beginnt die Geschichte der Ausbeutung. Wenn Arbeitsteilung darin besteht, dass Mühe für die eine Seite ist und Früchte der Arbeit für die andere, dann reden wir – von Kapitalismus.

Es ist eine der verhängnisvollsten Problemverdrängungen des Abendlandes – von Adam Smith über Marx bis Max Weber – dass Kapitalismus als Funktion einer bestimmten Maschinentechnik oder diverser Geldgesetze angesehen wird. Solange sie von kapitalistischen Gesetzen profitieren, wollen sie auch deren Erfinder sein. Selbst wenn sie jene Gesetze als ungerecht empfinden, wollen sie erfunden haben, was sie bekämpfen müssen. Viel Feind, viel Ehr.

„Marx hatte einen sehr präzisen Begriff des Kapitalismus entwickelt. Entscheidend war für ihn anders als für Mommsen nicht der freie Güterverkehr, sondern Ankauf von Arbeitskraft durch Geldbesitzer. Die Antike hingegen war durch die Sklaverei gekennzeichnet: Der Sklavenhalter besaß nicht nur die Produktionsmittel, sondern auch die Produzenten, eben die Sklaven. Kein methodisch reflektierter Althistoriker wird noch leichthin von Kapitalisten sprechen. Von der Welt des modernen Kapitalismus ist die Antike weit entfernt. Das Kreditwesen eignete sich nicht für größere Investitionen, Aktiengesellschaften gab es nicht, Fabriken mit ihren Kraftmaschinen fehlten. Die großen Straßen wurden offenbar vor allem angelegt, um Soldaten zu transportieren und zu versorgen; die Händler folgten diesen Bahnen, und so zerriss mit dem Ende römischer Herrschaft das Handelsnetz. Gewiss passt der Begriff des Kapitalismus daher nicht zu der Welt Platons und Cicero.“ Schreibt Althistoriker Hartmut Leppin in der FAZ.

Als ob Sklaven und Kapitalismus in der Moderne nicht vereinbar gewesen wären. Ja, was ist die totale Abhängigkeit der Massen von immer gigantischer werdenden Mammutmonopolen?

Die Sklaven im alten Athen hatten durchaus Chancen, frei zu kommen und unabhängig zu leben. Diese Freiheit haben heute die wenigsten unter den Malochern. Es gibt in demokratischen Verhältnissen eine Form von Unterwürfigkeit und Abhängigkeit, die die Unfreiheit der griechischen Sklaven bei weitem übersteigt. Die verkappte Sklaverei der modernen Gesellschaft besteht in der Freiheit, viel zu reden – ohne sein Schicksal wirklich zu bestimmen. Sie dürfen maulen und meckern, entscheiden dürfen sie nicht.

Auch hier ist der Geschlechterkampf die Urzelle aller modernen Sünden. Wenn der Mann sich erkühnt, der Frau die Arbeit anzuweisen – um sich das Privileg palavernder Männerrunden unter schattigen Bäumen zu erteilen, dann ist die Urteilung eingetreten. Der Mann bestimmt, die Frau muss gehorchen. Je steiler die Hierarchie männlicher Hochkulturen, je mehr verweiblichen die unteren Stände zu Befehlsempfängern.

Die einen arbeiten, die anderen profitieren. Das ist das Urgesetz aller kapitalistischen „Arbeitsteilung“ bis zum heutigen Tage. Der Kapitalismus beginnt mit der „sozialen Frage“. Die soziale Frage beginnt mit der Empfindung subjektiver Ungerechtigkeit. Niemand erfindet dieses Gefühl, um sich wichtig zu machen. Am Ursprung der Empfindungen steht der Fels der Wirklichkeit.

Der moderne Kapitalismus präsentiert sich als komplizierter Mechanismus, der von genialen Erforschern durchleuchtet und erklärt werden muss, um ihn je nach Bedarf zu reparieren oder nachzujustieren. Schauen wir auf Adam Smith. Die Welt, von einem Gott erschaffen, gleicht einem Gesamtmechanismus:

„Der Schöpfer ist einem Uhrmacher zu vergleichen, welcher die Räder der Welt so kunstvoll zusammengesetzt hat, dass sie Ordnung, Schönheit und Glückseligkeit bewirken, ohne dass es die Räder wissen oder wollen. Wie der Naturforscher die unveränderlichen, mechanischen Gesetze des Himmels und der Erde ergründet, so muss der Forscher der Gesellschaft die menschliche Seele in all ihren Tiefen ermessen, das Räderwerk ihrer Triebe und Leidenschaften kennen zu lernen suchen, um aus dieser Erkenntnis die natürlichen Gesetze des menschlichen Handelns abzuleiten, die dann auch als Gesetze Gottes – oder der Natur – betrachtet werden müssen. Die Aufgabe des Politikers kann keine andere sein, als die gottgebenen natürlichen Ordnungen der menschlichen Seele zu verzeichnen. Ethik wie Politik wurzeln als in der Psychologie. Das Studium der menschlichen Seele ist die Vorbedingung allen Wissens vom Menschen.“ (W. Hasbach, Untersuchungen über A Smith, 1891)

Philosophische und psychologische Erkenntnisse sind Grundlagen der Ökonomie – und nicht mathematische Flunkereien. Die Psychologen der Gegenwart aber beteiligen sich nicht an der Demontage des Kapitalismus, die Ökonomen der Gegenwart gründen ihre Wissenschaft nicht auf psychologischen Sätzen, sondern leiten umgekehrt Psychologie von ökonomischen Gesetzen ab. Das animal rationale ist jener Egoist, den sie aufgrund genialer Experimente in der Ökonomie schon längst dekretiert haben.

Adam Smith’s Thesen sind entlarvend. Die Gesellschaft ist keine Gestaltung des autonomen Menschen, sondern ein mechanisches Uhrwerk, das von Gott ersonnen und installiert wurde. Die Menschen sind Rädchen dieses Uhrwerkes, die mechanischen Gesetzen unterliegen.

Mechanik ist eine Domäne, die von mathematischen Gesetzen erfasst werden kann. Auch die psychologischen Gesetze des Menschen sind nur gewisse Drehungen des Räderwerks. Die Ordnung des Uhrwerks wird von Gott eingerichtet, ohne dass die Rädchen – also die Menschen – davon das Geringste wissen oder wollen könnten. Kommt die Uhr ins Stocken, müssen Sachverständige den komplizierten Mechanismus reparieren, ohne dass die Rädchen gefragt oder instruiert werden. Deutlicher kann die Degradierung des Menschen nicht ausfallen als durch ihre Identifikation mit empfindungs- und gedankenlosen Schrauben und Rädern.

Die neoliberalen Uhrwerker haben den Irrsinn noch potenziert, indem sie die Ordnung der Maschine in eine Zufalls-Ordnung verschlimmerten, die man weder berechnen noch steuern kann. Die Gesellschaft funktioniert jetzt nach einem Zufalls-Code, der in jedem Augenblick scheitern oder explodieren kann.

Das Gehirn der Menschen, selbst das der Ökonomen, ist überfordert. Dem unberechenbaren Zünder der gesellschaftlichen Tretminen sind sie hilflos ausgeliefert. Faites vos jeux. Aus dem berechen- und reparierbaren Uhrwerk wurde ein unberechenbarer Vulkan, der schon im nächsten Moment ausbrechen oder Hunderte von Jahren noch untätig bleiben kann.

Warum werden die Menschen der Moderne zu Hasardeuren, Pokerspielern und Abenteurern, die immer riskantere Balancierungskünste über den Abgrund unternehmen? Weil die Basis ihres Lebens zu einer chaotischen Zufallsmaschine wurde.

Der Mensch erfindet seine Wirklichkeit, die ihn wiederum nach ihrem Bilde formt. Früher nannte er seine Wirklichkeit Gott, heute nennt er sie Fortschritt ins Unendliche. Obwohl er beide Wirklichkeiten selbst kreierte, definiert er sie als übermächtig, damit er alle Verantwortung für sein Tun ablehnen kann. Da er keine Verantwortung trägt, gibt es auch keine Schuld mehr. Sollte die Menschheit, was Gott verhüten mag, sich eines Tages atomar zerstäuben oder durch klimabedingte Naturkatastrophen ausradieren, wird es niemanden geben, der sich prophylaktisch für schuldig erklären wird.

Nichts ohne Ursachen: so begann das wissenschaftliche Denken in Griechenland. Alles ohne Ursachen, alles ohne Schuld, so verendet das Denken in religiöser Nichtigkeit des Menschen, der zwar eine Schuld kennt, aber nur eine Schuld vor Gott. Niemals eine Schuld vor Mensch und Natur.

Marx hat die Vorstellung der Welt als eines Mechanismus nie aufgegeben. Doch im Gegensatz zu Smith hat er das statische Uhrwerk in eine geschichtlich verlaufende, dialektische Maschine verwandelt, die – nicht anders als in der christlichen Heilslehre – erst am Ende der Tage zur Raison kommen wird. Bis dahin haben alle, Kapitalisten wie Proleten, den omnipotenten Gesetzen der Maschine zu gehorchen. Auch Marx beschrieb nur ein Räderwerk ohne lebendige Menschen, die für ihr Schicksal zuständig wären.

Marx hat das Problem der Gerechtigkeit in eine Sackgasse geführt, in die Sackgasse der christlichen Heilsgeschichte. „Er wünschte, dass die Menschheit mit sich versöhnt und glücklich sein sollte, aber er schob das bis zur Erreichung der Synthese auf. In der Gegenwart glaubte er nicht an die menschliche Brüderlichkeit.“ (Wilson, Petersburg, zitiert nach Marylin French, Jenseits der Macht)

Wer eine Alternative zum Kapitalismus entwickeln will, muss dessen männlichen Urcharakter unter mathematischen Imponierformeln ausgraben. Der französische Historiker Jules Michelet hat diesen Urcharakter trefflich beschrieben:

„Mit der Entstehung der Welt begann ein Krieg, der nur mit der Welt enden wird. Der Krieg des Menschen gegen die Natur, des Geistes gegen die Materie, der Freiheit gegen die Vorherbestimmung. Geschichte ist nichts anderes als der Bericht über diesen nicht enden wollenden Kampf.“

Kapitalismus wie Sozialismus sind fast identische Ausgaben männlicher Kampfmaschinen. Wenn Kapitalismus rechts und Sozialismus links sein soll, müssen rechts und links überwunden und entsorgt, nicht zu jämmerlichen Kompromissen geschmiedet werden.

Beide beruhen auf der Psychologie des Mannes, der die Natur zertrümmern muss, um sich für einen winzigen Moment der Geschichte als ekstatischen Gott zu erleben.

Eine humane Alternativökonomie beruht auf der Psychologie des Menschen, der als Sprössling der Natur seine Mutter nicht zerstören muss, um in kindlichen Freuden sein Dasein auf Erden zu leben.

 

Fortsetzung folgt.