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Neubeginn XLVI

Hello, Freunde des Neubeginns XLVI,

als die Nachkriegsdeutschen ihr Glück bemerkten, war es bereits vorbei. Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks, hatte ein schwäbischer Denker ihnen ins Stammbuch geschrieben. Daran hatten sie sich viele Jahrzehnte gehalten und die Welt ins Unglück gestürzt, um ihr Glücksverbot als nationale Erfüllung zu erleben. Wenn andere unglücklich sind, fällt es nicht auf, dass auch wir es sind.

Andere Völker, die ihr Glück suchten, wurden von deutschen Tiefendenkern verachtet. Da waren diese englischen Krämer, die mit Reichtum und Macht glücklich werden wollten. Obgleich der Urtheoretiker des Kapitalismus – als er noch jung war und philosophisch dachte – die Menschen vor der Illusion gewarnt hatte, durch Reichtum glücklich werden zu wollen:

„Als die Vorsehung die Erde unter eine geringe Zahl von Herren und Besitzern verteilte, da hat sie diejenigen, die sie scheinbar bei ihrer Teilung übergangen hat, doch nicht vergessen und nicht ganz verlassen. Auch diese letzteren genießen ihren Teil von allem, was die Erde hervorbringt. In all dem, was das wirkliche Glück des menschlichen Lebens ausmacht, bleiben sie in keiner Beziehung hinter jenen zurück, die scheinbar so weit über ihnen stehen. In dem Wohlbefinden des Körpers und in dem Frieden der Seele stehen alle Lebensstände einander nahezu gleich und der Bettler, der sich neben der Landstraße sonnt, besitzt jene Sicherheit und Sorglosigkeit, für welche Könige kämpfen.“ (Adam Smith, Theorie der ethischen Gefühle)

Die Vorsehung hat die Erde ungerecht unter den Menschen verteilt. Näher besehen aber sind alle Menschen nahezu mit dem gleichen Glück ausgestattet worden. Der

Bettler könnte glücklicher sein als der König.

„Was kann der Glückseligkeit eines Menschen noch hinzugefügt werden, der sich in vollem Besitz seiner Gesundheit befindet, ohne Schulden ist und ein reines Gewissen hat?“

Wer kann ohne Schulden sein, wenn selbst die Bauern – die einzige Berufsgruppe, die autark war – gelegt wurden, um sie in Schulden zu stürzen oder in die nächstbeste Textilfabrik zu zwingen?

Wer kann in einer christlichen Kultur ein reines Gewissen haben, wenn selbst der Beste und Weiseste bis auf die Knochen verderbt und böse ist?

Zu welchem Zweck beschrieb der Schotte die modernen Gesetze des Kapitalismus, wenn selbst Bettler glücklicher sein konnten als die Mächtigsten und Reichsten des Landes?

Merkwürdige Formulierung: die Vorsehung habe die scheinbar Benachteiligten nicht ganz verlassen. Nicht ganz? Zur Hälfte? Zu 99%? Dann hat er sie in dem Maß benachteiligt, in dem er sie verlassen hat. Die Vorsehung hat die Welt ungerecht verteilt – und dennoch muss sie gerecht sein?

Könnte es sein, dass die Reichen unglücklicher sind als die Bettler, weil sie wegen Übervorteilung ein permanent schlechtes Gewissen haben müssten, während Bettler sich ökonomisch nichts vorzuwerfen haben? Dann hätte die Ökonomie eines Landes die paradoxe Wirkung, dass Reiche unglücklich und Habenichtse glücklich wären?

Ungeachtet des gegenwärtigen Elends und der Verderbtheit der Welt, die mit so viel Recht beklagt wird, ist dies tatsächlich ein Zustand, in dem sich die Mehrzahl der Menschen befindet.“

Widersprüchlicher geht’s nicht. Die Verderbtheit der Welt wird mit Recht beklagt, obgleich die Mehrzahl der Menschen sich im Glück befinden soll.

Als stoischer Christ hatte Smith das Problem: wie konnte der Gott der Vernunft, bei ihm identisch mit dem biblischen, die gute Schöpfung scheinbar so unvernünftig eingerichtet haben? Antwort: Entwarnung, es sieht nur so aus. In Wirklichkeit ist die Welt gerecht und vernünftig. Der Mensch ist nicht nur die Krone der Schöpfung, sondern „Mitarbeiter der Gottheit“ bei der Verwirklichung des Glücks aller Menschen. Smith beschreibt die Gesetze des Kapitalismus, um die ewige Klage der Ungerechtigkeit ein für allemal abzuschmettern:

„Wenn wir die allgemeinen Regeln betrachten, nach welchen gemeinhin äußere Wohlfahrt und äußeres Elend in diesem Leben verteilt sind, werden wir finden, dass trotz der Unordnung, in welcher alle Dinge in dieser Welt zu liegen scheinen, doch sogar hienieden schon jede Tugend naturnotwendig die gebührende Belohnung und die Entschädigung findet, die am meisten geeignet ist, sie zu ermutigen und zu fördern, und zwar mit solcher Gewissheit, dass ein ganz außergewöhnliches Zusammentreffen von Umständen erforderlich wäre, um sie ganz und gar um diesen Lohn zu bringen.“

Als Stoiker muss Smith die Welt für vollkommen erklären, als Christ muss er glauben, dass sie im Elend liegt und im Jenseits erst selig werden kann.

Was, wenn Stoa und Evangelium, Aufklärung und Glauben, eins sein wollen – wie heute noch Theologen behaupten und die meisten Deutschen glauben? Wäre das nicht ein fauler Kompromiss und zum Scheitern verurteilt?

Hier stehen wir an der Hauptquelle des westlichen Desasters: viele Aufklärer brachten es nicht übers Herz, ganz und gar mit den Dogmen ihrer Kindheit zu brechen. Und viele Theologen, fasziniert vom neuen rationalen Denken, verteidigten ihren irrationalen himmlischen Vater, indem sie ihn zum Gott der Vernunft adelten.

Beim Deuten der Schrift kann jeder Geistbegabte den Buchstaben drehen und wenden, wie er will. An den vielen Theologien der letzten zwei Jahrtausende kann man wie im Zerrspiegel die Veränderungen des abendländischen Denkens ablesen. Solange Priester stark sind, verteidigen sie den totalitären Kern ihrer Zwangserlösung, wenn sie unterliegen, wechseln sie über Nacht die Fronten, setzen sich an die Spitze der bisherigen Gegner und – haben deren Parolen schon immer behauptet. Sage mir, welcher Zeitgeist waltet und ich sage dir, welche Theologismen herrschen.

Eines der frappantesten Beispiele der Nachkriegszeit: als Blochs „Das Prinzip Hoffnung“ erschien und die jungen Revoluzzer in Wallung versetze, schrieb der Tübinger Theologe Jürgen Moltmann seine „Theologie der Hoffnung“.

Die Moderne im Allgemeinen, die deutsche Parteienlandschaft im Besonderen, sind die desolaten Früchte der heiligen Zwangs-Kohabitation von Vernunft und Glauben. Warum weht heute kein frischer Wind mehr? Warum wurde alles planiert? Warum gibt es keine Ecken und Kanten? Warum sind lechts und rinks velwechserbar? Warum sind wendige Edelschreiber der kleinsten Kontroverse müde? Warum wollen sie bei geschlossenen Fenstern nur noch Heilige Familie spielen?

Weil Hegels All-Synthese, politische Realität geworden nicht nur in Berlin, zur Weltenlüge des Westens wurde. Angela Merkel, im lutherischen Glauben geboren, im Sozialismus aufgewachsen – den sie als defizitären Ableger ihres Christentums im Todeskampf erlebte –, wunderte sich, wie wenig sie dazu lernen musste, um die arroganten Wessi-Kapitalisten mit eigenen Waffen zu schlagen, die ihr alle vertraut vorkamen. Warum ist sie den Wessis überlegen? Weil sie die Geheimnisse des Kapitalismus im gemeinsamen Zentrum des Sozialismus und Protestantismus in Ruhe studieren konnte.

Glückseligkeit entstehe aus dem Bewusstsein, geliebt zu werden – so Adam Smith. Warum dann ein derartiger Aufwand, wenn das Ziel der Ökonomie nichts anderes sein soll als das Bedürfnis, geliebt zu werden? Weil Erfolg und Reichtum Entschädigungen für gelebte Tugenden sind.

„Wohlfahrt und äußere Ehren sind die ihnen (der Tugenden) gebührende Entschädigung, eine Entschädigung, die ihnen nur selten entgehen wird. Die Menschlichkeit wünscht gar nicht, groß und angesehen zu sein, sondern geliebt zu werden. Nicht am Reichtum würde sich Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit erfreuen, sondern daran, dass sie Vertrauen und Glauben erwecken, Entschädigungen, die diese Tugenden beinahe immer erwerben werden.“

Reichtum ist nur ein pädagogisches Mittel, um die Tugendhaftigkeit der Menschen anzuregen und zu fördern. Gott belohnt die Seinen mit materiellem Erfolg, wenn sie sich bemühen, nach immateriellen Tugenden zu streben. Der Kern des Kapitalismus ist das Bedürfnis, geliebt zu werden. Bill Gates wollte geliebt werden, als er reich wurde, um die Welt mit Almosen zu beglücken.

Allmählich könnte sich der Westen fragen, ob das Liebesbedürfnis des Kapitalismus auf seine Kosten gekommen ist? Wohl nicht. Sonst würden die Reichen sich nicht ständig über Neid und Missgunst der Armen beklagen. Anstatt dankbar zu sein für die Wohltaten der Tycoons, die im Schweiße ihres Angesichtes ihre Schätze zusammenrafften, werden die Geldmagnaten von Neid, Hass und Missgunst der Zukurzgekommenen umzingelt und bestraft.

Die Bibel ist nicht nur ein Aufschrei der Armen, um vom Himmel gerechte Verhältnisse zu fordern. Es ist auch eine Ermutigung, durch Glauben reich zu werden, um gute Werke zu tun.

„Wer sein Vermögen durch Zins und Zuschlag vermehrt, sammelt es für den, der sich der Armen erbarmt.“ „Auch wenn Gott einem Reichtum und Schätze gibt und ihm gestattet, davon zu genießen, sein Teil hinzunehmen und sich zu freuen bei seiner Mühsal: das ist eine Gabe Gottes.“ „Den Reichen in der jetzigen Welt gebiete, dass sie nicht hochmütig seien, noch ihre Hoffnung auf den unsicheren Reichtum setzen, sondern auf Gott, der uns alles reichlich darbietet zum Genuss, dass sie Gutes tun, reich seien in guten Werken, freigebig seien, gern mitteilend, wodurch sie selbst einen guten Schatz beiseite legen auf die Zukunft hin, damit sie das wahre Leben erlangen.“ „Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr für mich getan.“

Es muss geringe Brüder geben, die man mit Almosen unterstützen kann, um Jesus für sich zu gewinnen. ER ist das eigentliche Liebesobjekt hinter den belanglosen Hilfsobjekten der Bettler und Schwachen.

Smith`s Lehre könnte man so formulieren: Menschen, bedient euch der Mittel der Welt, um glücklich und tugendhaft zu werden. Es gibt keine unüberbrückbare Kluft zwischen Welt und Moral, Erfolg und Liebe. Wer geliebt werden will, muss lieben. Womit? Mit Mitteln der Welt. Wie kann man Almosen verteilen, wenn das nötige Kleingeld fehlt?

Der moderne Spruch: Kommt die Flut, steigen alle Boote, (wenn der Wohlstand wächst, profitieren alle), könnte von Adam Smith stammen. Der puritanische Glaube mancher amerikanischer Milliardäre, den es durchaus noch gibt, ist überzeugt, der Welt mit ihrem Reichtum einen Dienst zu tun. Selbst bei Trump sind Reste dieser Ideologie zu spüren, wenn ausgerechnet er den armen Weißen das Gefühl vermittelt, für sie am besten zu sorgen – wenn er für sich am besten sorgt. Das ist ganz im Geiste von Smith, der über die Reichen schreibt:

„Trotz ihrer natürlichen Selbstsucht und Raubgier, obwohl der einzige Zweck, welchen sie durch die Arbeit all der Tausende, die sie beschäftigen, erreichen wollen, die Befriedigung ihrer eigenen, eitlen und unersättlichen Begierden ist, trotzdem teilen sie doch mit den Armen den Ertrag aller Verbesserungen, die sie in ihrer Landwirtschaft einführen. Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustande gekommen wäre, wenn die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre; und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung.“

Ungewollt und bewusstseinslos tragen die Reichen durch ihren Egoismus dazu bei, die ungerechte Güterverteilung auf Erden zu korrigieren und auszugleichen. Sie wissen nicht, was sie tun und es ist besser, dass sie es nicht wissen. Gerade dadurch tun sie Gutes, ja Besseres, als sie tun würden, wenn sie es bewusst wollten. Womit wir bei der felix culpa angekommen wären: der glücklichen Schuld. Das Böse und die Ignoranz sind die wirksamsten Mittel des Guten.

Smith ist weit entfernt vom sokratischen Boden der Stoa: das Gute kann der Mensch wissen, sein Wissen in die Tat umsetzen. Bei Smith umgekehrt: selbst wenn der Mensch sich einbildete, das Gute zu wissen und zu wollen, würde er nur das Gegenteil erreichen. Das ist Goethes Faust: der Mensch in seinem dunklen Drang ist sich des Weges wohl bewusst. Der wahrhaft gute Mensch ist das Gegenteil Mephistos: er soll sich bemühen, böse zu sein – um das Gute zu erreichen. Mephisto war ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Vom Menschenbild der Aufklärung kann hier bei Smith keine Rede mehr sein. Bei den Rationalisten war der Mensch im Vollbesitz seiner Vernunft. Was er erkannte, wusste und wollte, waren Früchte der Vernunft, die mit sich im Einklang waren.

Ab Machiavelli, Mandeville, Smith, Goethe war der Mensch der Moderne gespalten und lief auf dem Kopf: das Böse war das Gute, das Gute das Böse. Das Nichtgewusste war das Gute, das Gewusste das Böse. Hier ist der Ursprung der deutschen „Schlechtmenschen“, die besser sein wollen als die „Gutmenschen“.

Gleichzeitig stehen wir am Ursprung des Neoliberalismus. Hayek beruft sich auf die Tradition der Gegenaufklärung, die auch bei Smith sichtbar wird. Der allmächtige Markt weiß alles, der Mensch nichts. Ergo soll er gar nicht erst versuchen, nach Gerechtigkeit und Fairness zu streben. Kein Mensch könne moralische Ideen begründen. Im Bereich des Denkens sei alles subjektiv.

Hayek allerdings geht noch einen Schritt weiter als die Gegenaufklärer, die im Egoismus – oder im Bösen – ein sicheres Mittel sahen, um das Gute zu realisieren. Bei Hayek funktioniert weder Gutes noch Böses. Bei ihm gibt es nur noch Zeit und Zufall, ein Motto, das er dem Buch des Predigers entnahm. Wirtschaft wird im Neoliberalismus zum reinen va-banque-Spiel. Faites vos jeux – dann wartet ihr, bis die Würfel gefallen sind.

Leistung muss sich lohnen, ist aus der Sicht Hayeks ein sinnloser Satz. Im Neoliberalismus gibt es keine definierbare Leistung, die zuverlässig mit Erfolg belohnt werden würde.

Auch in Silicon Valley scheint eine Bewegung aufzukommen, die griechisches Denken und christlichen Fortschrittsglauben verbinden soll. Offenbar haben die Algorithmiker den Höhepunkt ihres grenzenlosen Wahns überschritten und suchen Halt – in der Stoa.

Der nächste faule Kompromiss vermint die Gehirne der Übermenschen, die nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Wie immer werden die schwärmenden Medien Silicon Valley dafür bewundern, dass es sich stets neu erfindet. Wie zyklisches und antitechnisches Denken der Griechen, das um seine Grenzen wusste, verträglich sein soll mit grenzenlosen Illusionen, die bis zur technischen Unsterblichkeit reichen – das interessiert niemanden, der nur sentimentale Erbaulichkeit sucht. An Stelle der Stoa könnten auch Yoga oder Yin und Yang stehen.

„Neuerdings versuchen die sogenannten Neo-Stoiker im Valley griechisch-römische Lebenslehren wiederzubeleben. Sie erklären die antiken Vertreter der Stoa – wie Epiktet, Seneca und Marc Aurel – gar zu Vordenkern der Startup-Kultur.“ (NZZ.ch)

Während puritanische Angelsachsen nach Glück streben, der vorweggenommenen Seligkeit auf Erden, ist Eudämonismus in der deutschen Denkertradition etwas Minderwertiges, ja Verächtliches. Kants kategorischer Imperativ befiehlt das Gute – um des Guten willen. Alle anderen Motive würden die autonome Moral verderben.

„Die Anforderung des moralischen Gebots muss lediglich um seiner selbst willen aufgestellt sein und erfüllt werden. Es appelliert nicht an das, was der Mensch sonst wünscht, sondern es verlangt ein Wollen, das seinen Wert nur in sich selber sucht.“ (Windelband) Obwohl Schiller den Königsberger überaus bewunderte, missfiel es ihm, dass der Mensch nicht um des Glückes willen tugendhaft sein darf:

„Gern dien ich den Freunden, doch thu ich es leider mit Neigung

Und so wurmt es mir oft, dass ich nicht tugendhaft bin.“

Die Deutschen suchten kein Glück, sondern soldatisches Heldentum und messianische Überlegenheit, Herrenattitüden und Gewalt über andere Völker. Faust hätte seine Wette verloren, wenn es dem Teufel gelungen wäre, den deutschen Professor glücklich zu machen. 

Erst in der Demokratie der Nachkriegszeit keimte eine scheue Sehnsucht nach Glück auf. Nicht von Anfang an. Die 68er Studenten wollten kein triviales Glück, schon gar nicht auf kapitalistischer Basis. Zuerst sollten die Verhältnisse umgepflügt werden. Erst nach dem Heroismus eines totalen Umsturzes, an einem Sankt Nimmerleinstag, sollte das Reich der Freiheit immerwährende Seligkeit bringen – nicht anders als im christlichen Glauben.

Doch seitdem die Katastrophen sich häufen, Amerika, das Bollwerk der Freiheit, ins Wanken gerät, dämmert es den Deutschen, dass sie fast unbemerkt glückliche Jahre erlebt haben – und jetzt noch ihre letzten glücklichen Tage erleben wollen, bevor Armaggedon ins Wohnzimmer bricht.

Glück im gefühlten Endstadium: das ist die Epoche Merkel. Ihr Erfolg besteht darin, ihrem Volk das national Errungene und Erwirtschaftete als Reservoir des abfließenden Glücks so lange wie möglich zusammenzuhalten. Merkel ist Garantin des letzten Glücks, bevor das Unaussprechliche geschieht. Schließt die Tore: ungestört wollen wir unser Paradies genießen, solange es sich genießen lässt. Die Sintflut? Erst nach uns. Weshalb es zu Angela keine Alternative geben kann.

Schulz gefährdet mit lästigen Scheinattacken die schwer erarbeitete Idylle der Deutschen. Weg mit solchen Glücksfeinden, die den Deutschen nicht gönnen, was sie sich redlich verdient haben.

In einem WELT-Interview bekennen sich Aust, Broder und andere zum Glück ihrer Generation, das irreversibel vorüber scheint:

Aust: Wir sind, das kann man vielleicht in diesem fortgeschrittenen Alter schon sagen, wahrscheinlich die glücklichste Generation, die es in Deutschland jemals gegeben hat. Im Frieden gezeugt, im Frieden geboren. Dann haben wir den wirtschaftlichen und politischen Aufstieg dieses Landes miterlebt, das ist schon ein ziemliches Privileg.

Harms: Ja, wir sind eine glückliche Generation. Wir haben Friedenszeiten erlebt. Wenn man sich vorstellt, wie Europa zuvor von Kriegen zerfurcht worden ist, dann können wir nur dankbar dafür sein. Deshalb meine ich, dass wir ein glücklicher Jahrgang, auch eine glückliche Generation sind. Es gab zwar im Hintergrund die Teilung Deutschlands, aber es ging ja immer aufwärts.“ (WELT.de)

Die dümmliche Version des Frottee-Glücks vor dem traumhaften deutschen Fernsehen feiert die Gemeinde der TV-VIPs. Die Erinnerung an die verflossenen Jahre wird zur Selbstbeweihräucherung von Mimen, die jeden Partikel ihrer Memorialkultur am liebsten ins öffentlich-rechtliche Museum tragen würden:

„Entsprechend oft dämmert die Show denn auch in die narkotisierenden Gefilde geteilter Erinnerungen hinüber, gibt ein „Weißt du noch?“ das nächste: „Meine Mutter hat Bananenquark gemacht und Toast“, verrät Gätjen, während Millowitsch zum Thema Salzstangen enthüllt: „Die konnte meine Schwester mit den Zehen essen!“ (SPIEGEL.de)

Auf journalistischem Niveau attackiert Barbara Hans das selbstgefällige und abgeschottete Winkelglück weißer Männer, die die deutschen Medien dominieren und fremde Welten nicht zur Kenntnis nehmen.

„Denn wer sich nur mit dem umgibt, was er ohnehin schon kennt, der lernt nicht. Der verändert sich nicht. Der bestätigt sich immer nur selbst. Mittelalte weiße Männer, gutverdienende Akademiker definieren und prägen die journalistische Realität und damit unsere Weltsicht. Was sie am besten kennen, das sind andere mittelalte weiße Männer, mit Abitur und schicker Altbauwohnung. Was sie weniger gut kennen, das ist das Leben als Arbeiter in Herne-Crange. Oder das Leben als lesbische junge Frau. Oder, oder. Wenn Journalismus eine Profession ist, die Realitäten abbilden will und daran glaubt, dass es eben nicht nur die eine Realität gibt, dann müssen wir raus aus unserer Blase.“ (SPIEGEL.de)

Ihr Kollege Kurbjuweit beschwört noch einmal das Glück der Deutschen, die Europa einst entdeckten und ihr Glück in Paris, Nizza, Barcelona und anderen Metropolen erlebten – wo der jetzige Terrorismus alles zu zerstören droht:

„Das Auto, der Laster überrollt auch die eigenen Erinnerungen und macht damit den Anschlag zu einem Anschlag auf alle, die Erinnerungen an den Ort haben. Und das sind gerade im Fall von Barcelona viele. Das ist die Wirkung von Terror in den Zeiten von Städtereisen. Wer war nicht schon auf den Ramblas, auf der Westminster Bridge, in Pariser Straßencafés, an der Gedächtniskirche, auf der Strandpromenade von Nizza. Als wären die Orte danach ausgesucht. Es sind mit die besten Erinnerungen, die wir haben, das schöne Wochenende, neugierig, entspannt, verliebt. Diese Erinnerungen sind nicht verdorben, aber getrübt.“ (SPIEGEL.de)

All dies aber wird übertroffen vom Glück der republikanischen Heiligen Familie, dem illustren Zirkel der Mächtigen und Einflussreichen, die sich zu Friede Springers Geburtstag in fröhlicher Runde vereinigte. Unter der wendigen Regie des Hofclowns von Hirschhausen sangen Merkel, Gauck, Schäuble, de Maiziere, Döpfner, Koller und Alice Schwarzer das Geburtstagsständchen:

„Viel Glück und viel Segen
auf all deinen Wegen
Gesundheit und Frohsinn
Sei auch mit dabei.“

In elitären Kreisen der Nation ist die Leichtigkeit des Seins ausgebrochen, gestützt vom Glauben und weit davon entfernt, unerträglich zu sein:

„Eine große Freude und ein Liedgut nach dem Geschmack von Friede Springer. Überhaupt war die Dramaturgie des Empfangs, zu dem das Medienhaus zu Ehren der Mehrheitsaktionärin Wegbegleiter und Freunde geladen hatte, sehr „Friede“. Keine schweren Reden, keine Förmlichkeit, viel Lachen.“ (WELT.de)

Die Deutschen entdecken ihr nationales Glück im Moment seines Verschwindens. Das kommende Glück der Kinder hat ausgespielt.

Bald wird das Glück grenzenloser Zukunft als amerikanischer Alptraum aussortiert. Noch einmal die Bestände sichten und ordnen, bevor Sintfluten an Flüchtlingen uns überschwemmen, Putins Russen kommen, nordkoreanische Raketen uns heimsuchen, Netanjahu uns nicht länger gegen Araber schützt, Trump gegen die bösen Deutschen einen Bruderkrieg entfesselt – und die mafiöse Auto-Industrie uns alle in den Abgrund stürzt.

Doch wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her: wenigstens die Folgen der Klimakatastrophe blieben uns dann erspart.

 

Fortsetzung folgt.