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Neubeginn XLIII

Hello, Freunde des Neubeginns XLIII,

„Wenn Trump gewinnt und er die Atomcodes in die Hände bekommt, ist es sehr wahrscheinlich, dass dies das Ende der Zivilisation bedeutet.“

Schreibt Tony Schwartz, Ghostwriter Trumps. (SPIEGEL.de)

Für BILD hingegen kann kein gläubiger Amerikaner und gewählter Demokrat Urheber des Bösen und Vernichter der Zivilisation sein. Trump ist einer von uns. Seine Unberechenbarkeit kann nur ein wohlkalkuliertes Verwirrspiel sein. Wer bleibt als geheimnisloser Böser? Ein gottloser Sozialist und Diktator aus Nordkorea:

„Wer sich im Konflikt auf Trump einschießt und Kim verschont, verwechselt Ursache undd Wirkung. Atomwaffen wüsste ich lieber in den Händen des US-Präsidenten als in der Hand eines Schlächters, der seine eigenen Familienmitglieder töten lässt. Ist Kim irre? 100 Prozent! Ist es Trump? Vorsicht, vielleicht will er nur nicht berechenbar sein. US-Präsident Nixon erfand im Vietnamkrieg die „Mad-Man-Theory“ (Theorie vom Verrückten) als Mittel der Außenpolitik. Er ließ seine Berater streuen, wie unkontrollierbar er sei, wenn er nachts wütend mit den Atom-Codes hantiert. Reine Show zur Abschreckung! (BILD.de)

BILD-Seele F. J. Wagner hat Angst vor dem schrecklichen Clown. Nein, nicht vor Trump:

Sie Gewaltherrscher über Nordkorea haben ein Clownsgesicht. Wenn ich als Kind mit meinen Eltern im Zirkus war, habe ich immer geweint, wenn die Clowns Späße machten. Sie waren mir unheimlich. Sie sind der Clown mit dem weiß gepuderten Gesicht und den rot verschmierten Lippen.“ (BILD.de)

BILD verteidigt Trump, wie es Netanjahu verteidigt: Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten, kann nicht schuldig sein, weil sie nicht schuldig sein darf. Gegen Völkerrechtsverbrechen ist eine perfekte Demokratie immun. Auf Putins

Krim-Besetzung muss eingeprügelt, die Besetzung der Palästinenser hingegen blind verteidigt werden.

Wenn deutsche Politiker dafür plädieren, trotz alledem mit Putin einen deeskalierenden Kurs zu fahren, werden sie streng gescholten. Diese Schelte wiederum hält Jacques Schuster in der WELT für „übertriebenen Moralismus“ und bezieht sich auf eine Äußerung von Henry Kissinger:

„In unserer Lage ist das Bestehen auf reiner Moral schon an sich die unmoralischste aller Handlungen“, schrieb Henry Kissinger vor Jahrzehnten mit dem Blick auf diejenigen zu Recht, die ein Gespräch mit dem Vietcong und dem kommunistischen China für ruchlos hielten. Wenn die Tugend zur Denkfaulheit und Unbeweglichkeit führt, ist sie in der Tat unmoralisch.“ (WELT.de)

Welch schreckliche Verwirrung, nach deutscher Art Gesinnungs- und Verantwortungsethik auseinander zu reißen. Ziel jeder Moral müssen moralische Verhältnisse sein. In der internationalen Politik: Frieden unter den Völkern. Die moralischsten Mittel, die zur Verfügung stehen, müssen eingesetzt werden, um dieses Ziel zu erreichen.

Eine „reine Moral“, die das Ziel moralischen Tuns außer Acht lässt, ist so unrein und verantwortungslos wie ein Machiavellismus zynisch und unmoralisch, der seine Zwecke jenseits von Gut und Böse verfolgt. Man muss Putin die Meinung geigen – und dennoch mit ihm reden, reden und reden. Nicht anders als im Falle Nord-Korea. Die jeweiligen Bevölkerungen mögen äußerlich hinter der Politik ihrer Despoten stehen. Könnten sie sich zu Worte melden, würden die meisten vehement für Frieden plädieren. Wissen sie doch, dass sie am meisten darunter zu leiden hätten, wenn die Kriegssirenen wieder zu heulen begännen.

Pragmatismus und Rigorismus sind nicht befeindet, wie ein rigoristischer Kant gegen pragmatische Engländer – oder Max Weber gegen Kant behauptet. Ein Komparativ, der zum moralischen Ziel führt, ist rigoroser als ein denkfauler Imperativ, dem es gleichgültig ist, ob sein Buchstabengehorsam im Chaos endet.

Die europäische Moral wird von Religionen beherrscht, die nur Seligkeit als Lohn und Verdammung als Strafe kennen. Eine demokratische Moral, die Imperativ und Leben miteinander verbindet, wird von sakralen Denkblockierungen verhindert.

BILD-Wagner hat Angst vor Kim, den er für einen furchterregenden Clown hält. Die Kategorie Clown erscheint auch bei Marc Pitzke im SPIEGEL:

Wir amüsieren uns zu Tode„, warnte der postmoderne Prophet Neil Postman 1985 vor der Verschmelzung von Politik und Medien. Inzwischen ist der Joker, der mal harmlos war, zu Pennywise mutiert, dem Horror-Clown aus Stephen Kings Gruselkrimi „Es“. Wie unterhaltsam, als er mit diesen stets gleichen Spiegeltricks schließlich Präsidentschaftswahlkampf machte, „wie es die Welt noch nie gesehen hat“ (schon immer sein Lieblingssuperlativ), bis uns jeder Sinn für Realität und Fiktion, für Anstand und Abscheu abhandenkam: Politik ist Entertainment!“ (SPIEGEL.de)

Womit wir im Reich der Kunst angekommen wären. Alles, was inszeniert wird, ist Kunst, ob leichte oder schwere, tragische oder komische, vergnügliche oder erschreckende. Die internationale Politik ist zum theatrum mundi geworden, in dem Charaktermasken und Clowns, Schauspieler der Hochmut und der Demut, Darsteller von Erlösern und Verderbern, Zwangsbeglücker und Rattenfänger, Triumphierende und Verlierer, Zukunftspropheten und Apokalyptiker, Genies und Wahnsinnige ihre Rollen spielen.

Apologeten der Macht benutzen den volksfeindlichen Begriff Populisten, um Rollenspieler zu demaskieren, die den Mächtigen gefährlich werden könnten. Vom polaren Begriff Elitisten, die das Blaue vom Himmel versprechen, wenn sie einen Freifahrtschein in die Zukunft erhalten, hört man nichts.

Rollenspiel ist ein Zentralbegriff moderner Gesellschaftsanalytiker. In der arbeits- und machtgeteilten Gesellschaft, die von gnadenlosem Wettbewerb beherrscht wird, kann niemand ein „Selbst“ sein. Er muss eine Rolle spielen, die am wenigsten von ihm, am meisten von der Gesellschaft festgelegt wird.

Sollte Menschsein die Entfaltung des Selbst sein, wäre die soziologische Rollentheorie – ob gewollt oder nicht – die schärfste Kritik an der Moderne.

Die Nötigung zum Rollenspiel hat nichts mit sozialer Intelligenz zu tun, die sich in andere Menschen hineindenken kann. Kinder maskieren und verkleiden sich gern, um ihr Einfühlungsvermögen in andere in lustvollem Spiel einzuüben. Rollenspiele der Erwachsenen hingegen sind keine vergnüglichen Spiele, sondern erzwungene Rituale.

Marx, sonst ein Verächter der Psychologie und Philosophie, hat die trefflichen Begriffe Entfremdung und Charaktermasken geprägt. Im Kapitalismus kann niemand zu sich selbst kommen. Er muss in eine fremde Rolle schlüpfen. Selbst Kapitalisten sind nicht in der Lage, ihren Reichtum und ihre Macht zu nutzen, um sie selbst zu sein. Ihr mitfühlendes Gerechtigkeitsempfinden müssen sie sich und ihrer Umwelt durch Masken der Habsucht verbergen – die sie vor sich selbst als Gerechtigkeit der Starken rechtfertigen müssen.

Allerdings kann Marx mit seinen eigenen Begriffen nichts anfangen. Der Mensch bleibt selbstentfremdet, bis die allmächtige Geschichte geruht, die „sündigen“ Verhältnisse mit einem Donnerschlag zu beenden. Erst nach der Revolution oder dem apokalyptischen Wunder beginnt das freie Leben. Nach Belieben kann der Befreite angeln oder kritischer Kritiker werden – am Sankt Nimmerleinstag.

Solange die kapitalistische Gesellschaft noch im „sündigen Fleische“ ist, muss der Mensch sich der göttlichen Vorsehung beugen. Appelle an den mündigen Einzelnen sind vergeblich. Das Selbst des Menschen ist so unterentwickelt, dass an eine autonome Moral nicht zu denken ist. Niemandem kann ein Vorwurf gemacht werden, niemand ist für die Malaise der Gesellschaft verantwortlich.

Sozialismus und Kapitalismus haben dieselbe Moral: nämlich keine. „Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der gesellschaftlichen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, so sehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“ (Kapital Bd I)

Nicht nur Ausbeuter, auch Proleten bleiben solange Charaktermasken, bis die revolutionären Fanfaren ertönen. Wobei Charakter nicht moralisch, sondern als mechanisches Rollenspiel aufgefasst werden muss. Nur an wenigen Stellen durchbricht Marx die coole Rolle des geschichtlichen Naturforschers und attackiert die Kapitalisten als unmoralische Monstren.

Auch moderne Kunst hält ihre Zeit für eine irreparable Unordnung. Werner Hofmann, Kunsttheoretiker, bemüht zwei Zitate von Wittgenstein und Marx, um die ästhetische Bilanz der Gegenwart zu ziehen. Die Künstler von heute könnten sich auf ein Wort von Wittgenstein berufen: „Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori“. Oder auf Karl Marx: „In unserer Zeit ist jedes Ding mit seinem Gegenteil schwanger.“ Das Gegenteil ist die Antithese, die Übersetzung des theologischen Bösen in einen automatischen Vorgang, der erst im Reich der Freiheit seinen inneren Antagonismus verlieren wird.

Geburt ist eine Metapher, die von Marx an zentralen Stellen benutzt wird. Die gesamte Geschichte ist für ihn eine Gebärmaschine des Bösen, die vom Menschen nicht gestoppt werden kann. Den Prozess des Gebärens kann man höchstens abkürzen. Naturgemäße Entwicklungen kann der Mensch – auch der revolutionäre – „weder überspringen noch wegdekretieren. Aber er kann die Geburtswehen abkürzen oder mildern.“

Geschichte ist für Marx eine weibliche Fehlkonstruktion. Erst im Reich der Freiheit beginnt die Ära des rationalen, undialektischen Mannes. Alles, was weibliche Geschichte gebiert, ist vom Geist gegenseitigen Vernichtens verseucht. Erst am Ende aller Tage wird die endgültige Synthese die Befreiung des Mannes vom Joche der Frau bringen.

Der befreite Mann wird auf weibliche Geburten nicht mehr angewiesen sein. Er erfindet seine perfekten „Kinder“ als Geschöpfe seines Kopfes. Auch im Marxismus endet die Geschichte in einem sozialistischen Silicon Valley, wo vollkommene Maschinen die Menschen ablösen werden. Es war kein Zufall, dass antikapitalistische Hippies die Urväter genialer Roboter wurden, die bereit stehen, um die Herrschaft über die Welt anzutreten.

In einer arbeitsteiligen Gesellschaft kann es ohne Entfremdung nicht gehen. Nur der Mensch, der seinen Neigungen nachgehen kann, ohne sich gesellschaftlichen Zwängen zu beugen, wäre ein freier Mensch.

Im selben Moment, als die Arbeitsteilung begann, begann der Kapitalismus. Es ist Irrsinn aus selbsthassendem Stolz, den Kapitalismus erst in der Neuzeit beginnen zu lassen. Arbeitsteilung begann mit Machtteilung. Machtteilung begann, als der Mann das herrschaftsfreie Matriarchat zertrümmerte und die männliche Hochkultur aufzutürmen begann.

Hier begann die Machtteilung: männliche Eliten raubten sich die Macht, der schäbige Rest des Volkes versank in Ohnmacht. Allmächtige Männergötter der Erlöserreligionen wurden die Garanten dieser pyramidalen Machtmaschinen. Jeder bleibe in der Berufung, in die er berufen wurde. Göttliche Berufung wurde zum arbeitsgeteilten Beruf, in dem jeder sein Leben lang verharren muss. Auch Sklave-sein war ein Beruf, den kein Sklave zu verlassen hatte.

Wann begann der Kapitalismus? Nicht Marx wusste es, sondern sein Lehrer Hegel: als ein Mann sich zum Herrn erklärte und seinen bisherigen Bruder zum Knecht degradierte. Hegel sah die Entzweiung positiv. Beide Pole mussten als These und Antithese miteinander in den Ring steigen, um den Fortschritt der Geschichte in Bewegung zu bringen. Fortschritt wird auf dem Rücken des Knechtes gemacht – und auf dem Rücken des Herrn, der von den Fähigkeiten seines Knechtes abhängig bleibt.

Fortschritt, Religion der Moderne, ist die Frucht eines Dauerkonflikts zwischen Eliten und Pöbel. Herr und Knecht bleiben zwei unvollständige Wesen, die komplementär aufeinander angewiesen sind. Nicht anders als das superreiche EINPROZENT der Gegenwart, das auf den jämmerlichen Rest der Gesellschaft angewiesen ist, um sich seine Überlegenheit per Kontrast vor Augen zu führen.

Zwei feindliche Brüder müssen solange miteinander ringen und sich zerfleischen, bis sie sich gegenseitig verschlungen haben. Erst am Ende der Geschichte verschmelzen sie zum neuen Menschen. Im christlichen Abendmahl erkennen wir Reste dieses messianischen Kannibalismus.

Marx bewunderte die Effizienz des bürgerlichen Kapitalismus. Auch er befürwortete die Unterdrückung des Knechts durch den Herrn, des Proleten durch den Ausbeuter. Auch bei ihm ist das Böse der Motor des Fortschritts. Moralische Sozialisten, die an die ethische Mündigkeit des Einzelnen appellierten, wurden von ihm mit Hohn und Spott überzogen. Ob die heutigen Gegner moralischer Politik wissen, dass sie Brüder im Geiste des Marxismus sind?

Adam Smith erkannte die enthumanisierende Wirkung der Arbeitsteilung – und bewunderte sie zur gleichen Zeit als Grundlage des Kapitalismus. Seine Bewunderung wird immer erwähnt, seine Kritik immer unterschlagen.

Als griechischer Geist nach Italien strömte, um die Epoche der Renaissance zu entfachen, begannen stolze selbstbewusste Geister das Joch der Arbeitsteilung abzuschütteln. Ihr l’huomo universale – ihr universell begabter Mensch – sollte alles können, alles betreiben, alles versuchen dürfen. Sie waren Maler, Skulpteure, Dichter, Schriftsteller, Architekten, Wissenschaftler, Techniker und Erfinder in einem. Alle Fähigkeiten des Menschen und seien sie noch so klein, sollten entfaltet werden, um aus dem Einzelnen ein unvergleichliches Gesamtkunstwerk zu machen.

Im Bildungsideal der deutschen Klassik erkennen wir noch die letzten Ausläufer dieser trotzigen Selbstentdeckung des Menschen, der sich keinen fremdbestimmten Arbeitsteilungen beugen wollte.

Bei Marx erscheint dieses Ideal am Sankt Nimmerleinstag im Reich der Freiheit. Keinen Tag vorher. In der Geschichte muss jeder Mensch sich den Gesetzen der Selbstentfremdung unterordnen – bis die „Wunderwerke der Bourgeoisie“ vollendet sein werden. Danach erst darf der Einzelne sich zum huomo universale entwickeln.

Goethe begann im Geniekult des Universalgebildeten. Im Alter erkannte er, dass der arbeitsteilige Kapitalismus unaufhaltsam durch die Täler kroch. Er resignierte und begann sich in der Beschränkung zu bescheiden:

„So ists mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens werden ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.

Wer Großes will, muß sich zusammenraffen;
In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.“ (Das Sonett)

Wäre das Gesetz ein moralisches, wäre der Satz richtig: Freiheit ist nicht Ungebundenheit, sondern Einsicht in das Gesetz, das alle Menschen verbindet. Wenn Gesetz aber das Gesetz einer fortschrittssüchtigen und profitgierigen Gesellschaft ist, wird der gebundene Geist zum Arbeitssklaven der Gesellschaft. Er bestimmt sich nicht selbst, sondern wird von Mächtigen und Reichen bestimmt.

Goethe beginnt die Fesseln der Gesellschaft, die er als Stürmer und Dränger und graecophiler Bewunderer des Schönen aus allen Rohren beschoss, zur wahren Freiheit zu verklären. Nicht anders als Hegel, der Freiheit als Einsicht in die Notwenigkeit definierte.

Wäre Notwendigkeit das Ensemble natürlicher Gesetze, hätte er den Nagel auf den Kopf getroffen. Meint er aber die Notwendigkeit einer absolutistischen Gesellschaft, wäre er ein Propagandist des Obrigkeitsstaates ganz in der Tradition Luthers.

Als es den Deutschen misslang, ihre Fürsten und Könige zum Teufel zu jagen, begannen sie den erzwungenen Weg in die Innerlichkeit als wahre Freiheit zu idealisieren. Es genügt, wenn Gedanken frei sind. Die Leiber können im Kerker schmoren.

Noch heute erleben wir die Unfähigkeit der Deutschen, ihre inneren Gefühle und Gedanken in äußere Politik zu verwandeln. Sie verdrängen ihre halbbewussten Emotionen und misstrauen ihren unausgegorenen Gedanken. Sollten sie es besser wissen als jene Gescheiten und Gebildeten, jene kühlen Unternehmer und kalten Machtbesitzer, die das Wohl der Nation besser im Auge haben als sie, die Würstchen vom Lande?

Der Vorzug der digitalen Netzwerke ist die erste Möglichkeit in der Geschichte, den vielgestaltigen Willen des Volkes an die Öffentlichkeit zu bringen. Dass im Schutz der Anonymität endlose Schwaden eines jahrhundertealten Hasses gegen die elitäre Obrigkeit ins Freie dringen – wen kann das verwundern?

Eines Tages wird das Volk diese Explosion des Es nicht mehr nötig haben. Dann wird es gefährlich für die angemaßte Überlegenheit derer da oben.

Nicht das Ich bestimmt die Gesellschaft, die Konsumgesellschaft bestimmt das Ich. Wo Es war, soll kein mündiges Ich, sondern das von außen gegängelte Ich werden. Der amerikanische Soziologe David Riesman brachte die Entfremdung des Menschen durch konsumierende Gängelung auf den Begriff des außengeleiteten Menschen. Da war noch ein gewaltiger antikapitalistischer Affekt zu spüren, der auch von den rebellierenden 68er-Studenten in Deutschland übernommen wurde.

Die geringste Kritik am Kapitalismus wird hierzulande noch immer als Antiamerikanismus diffamiert. Dass es in Amerika eine außerordentlich scharfe Kritik an der ausbeuterischen Wirtschaft gab, nehmen diese Kritiker nicht zur Kenntnis. Heute sind all diese kritischen Begriffe, von der Selbstentfremdung, dem erzwungenen Rollenspiel und dem außengeleiteten Menschen spurlos vom Erdboden verschwunden. Während Deutschland zum kapitalistischen Musterland wurde, beginnt Amerika an seinen Wurzeln zu zweifeln.

Was Trump auch immer ist: er ist nicht nur der brutale Exekutor des hemmungslosen Neoliberalismus, sondern auch die clownesque Verkörperung des Misstrauens gegen denselben. Er spürt, dass er vor allem Glück hatte und fürchtet sich vor dem Abgrund des Scheiterns. Seine Ängste verpackt er in den Klamauk des erfolgreichen Clowns, der die anderen zuerst feuert, um nicht selbst gefeuert zu werden. Sein Gesicht, das sich von Tag zu Tag verändert, verrät immer mehr seine Angst vor dem absoluten Abgrund.

An diesem Punkt braucht er sein vexierhaftes Gegenbild in Nord-Korea täglich mehr. Hier kann es brandgefährlich werden. Nicht nur für das gepeinigte koreanische Volk. Krieg war schon immer die ultima ratio von Gewaltherrschern, denen die Felle davon zu schwimmen drohten. Um ihre drohende Niederlage im Inland abzuwenden, benötigen sie einen äußeren Feind, den sie vernichten können.

Dass Trump zunehmend von Ängsten geplagt wird, zeigt seine Flucht in die Religion – die von deutschen Beobachtern nach wie vor ignoriert wird. Sie fürchten selbst das Erbe ihrer unverdauten Religion, weshalb sie so treu der frommen Mutter anhängen, die fromm ist für alle – ohne es weiterzusagen. Lucas Wiegelmann in der WELT ist die erste Ausnahme, die auf den biblischen Gehalt der Trump’schen Drohformel hinweist:

„Was meint US-Präsident Donald Trump, wenn er Nordkorea mit „Feuer und Zorn“ droht? Der Schlüssel liegt versteckt bei einem Propheten des Alten Testament.“

Trump zitiert den Propheten Jesaja:

„Ja, seht, der Herr kommt wie das Feuer heran, wie der Sturm sind seine Wagen, um in glühendem Zorn Vergeltung zu üben, und er droht mit feurigen Flammen.“

Trump hält sich für Gott, der sich berechtigt fühlt, seinen heiligen Zorn über seine Feinde zu gießen.

Wie kommt es, dass viele Deutsche ihn als Clown fürchten? Sollte es unterirdische Verbindungen geben zwischen Gott und Clown, Schöpfung und theatrum mundi? Ist der verborgene Gott (oder der Teufel) die Clownsmaske des offenbaren Gottes? Ist der Sohn die Maske des Vaters? Ist der heilige Zorn die theatralische Inszenierung eines verzweifelten Gottes, der unter dem Ungehorsam seiner Geschöpfe leidet und ihre Liebe mit Gewalt erringen will?

Immer mehr zeigt sich, dass die entfremdete, außengeleitete, rollenspielende Rivalitätsgesellschaft ein gigantisches Theater oder ein internationales Entertainment ist, in der die führenden Repräsentanten bestimmte Rollen spielen, um mit Verlockung und Abschreckung ihre Positionen auszubauen.

Entertainment ist inszenierte Kunst. Kunst aber darf nicht moralisch sein, hören wir von unseren Kunstkennern. Wen kann es noch wundern, dass eine solche inszenierte Politik immer unmoralischer wird? Wenn Kunst das Lob der Amoral besingen, Politik aber Kunst sein muss, kann das ganze inszenierte Theater der Politik sich amoralisch nur selbst versenken.

Kunst muss das Unterhaltsame mit dem Nützlichen verbinden, das Publikum sowohl ergötzen wie ermahnen und belehren – das war eine antike Stimme zur Funktion der Kunst. Wenn Kunst mit Politik identisch wird und die Öffentlichkeit mit Klamauk, Drohungen und teuflischem Fratzenspiel zu unterhalten versucht, damit wir uns nicht „zu Tode langweilen“, müssen sich die Protagonisten gegenseitig immer mehr überbieten. Bis schließlich aus blutigem Scherz – blutige Wirklichkeit werden muss.

„Sie lachen über mich“. Trumps Angst ist die Urangst der Männer vor den Frauen, der Machos vor dem Spott der Welt, ist die Urangst Gottes vor dem Spott seiner Geschöpfe, die ihm den Kotau verweigern.

Was ist die gefährlichste Drohung des Neuen Testamentes an die Welt?

„Irret euch nicht, Gott lässt seiner nicht spotten.“

Nordkoreaner und ihr alle in der Welt, die ihr Ihn nicht ernst nehmt, obgleich Er euch im clownesquen Verwirrspiel mit blutiger Maske vorgewarnt hat:

der amerikanische Präsident, der „begabteste Politiker unserer Zeit, der beste Redner im Weißen Haus seit Generationen“ –

Trump, der Gottähnliche, lässt Seiner nicht spotten.

 

… wird fortgesetzt.