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Neubeginn XL

Hello, Freunde des Neubeginns XL,

„doch, du hast gelacht“. Sara ist nicht die erste, die an allem schuld ist, weil sie die Potenz des mächtigsten Mannes – dessen Omnipotenz – bezweifelte. Eva war es. Sie war die Mutter allen Elends, die sich mit Zweifeln nicht begnügte, sondern sich dem Befehl des Übermannes frech widersetzte, wofür sie mit Gebären schreiender, erbsündiger Bälger gestäupt wurde.

Noch heute wird sie dafür bestraft, dass sie sich erkühnt, hoffnungslose Sündenkrüppel zu Menschen zu erziehen, als sei das eine ernst zu nehmende Arbeit, vergleichbar ehrbarer Arbeit der Männer, die im Schweiß ihres genialen Gehirns die Natur häuten, um eine neue zu schaffen. Vernunft ist in der Ökonomie des Heils nicht vorgesehen.

„Ich bin nicht gekommen mit vernünftigen Weisheitsreden.“ „Lasset euch nicht durch Vernunft bezirzen und gefangen nehmen.“

Jeder Erziehungsversuch der Mütter, ihren Nachwuchs zu vernünftigen Zeitgenossen zu erziehen, ist eine Missachtung der göttlichen Verurteilung seiner Geschöpfe zu erlösungsbedürftigen Missgeburten, die ohne Unterstützung des Himmels im Abgrund landen müssen.

Einen Gott verlachen, kann gefährlich werden. Also lacht Sara nur verstohlen:

„Darum lachte Sara bei sich selbst und dachte: nun ich welk bin, soll mich noch Fleischeslust ankommen?“

Für Übermänner ist es eine Zumutung, sich mit inferioren Weibern diskursmäßig einzulassen:

„Da sprach der HERR zu Abraham: Warum lacht Sara und spricht: Meinst du, dass es wahr sei, daß ich noch gebären werde, so ich doch alt bin? Sollte dem HERRN etwas unmöglich sein? Um diese Zeit will ich wieder zu dir kommen über ein Jahr, so soll Sara einen Sohn haben. Da leugnete Sara und sprach: Ich habe nicht

 gelacht; denn sie fürchtete sich. Aber er sprach: Du hast gelacht. Da erhoben sich die Männer und gingen von dannen.“

Der himmlische Übermensch ist ein Kürzel für die Gesamtheit aller Männer, die sich – jeder für sich und alle zusammen – für omnipotent halten. Sara bezweifelt die Potenz des Übermannes, ihr ein Kind zu machen, besser: durch seinen Knecht Abraham stellvertretend machen zu lassen. Sich mit irdischen Frauen einzulassen, geziemt sich nur für brünstige Heidengötter.

Dass Sara dem Höchsten lust- und erzeugungsmäßig nichts zutraut, wurmt diesen so sehr, dass Er seiner Heilsgeschichte noch ein Kapitel anfügen und selbst einen Sohn zeugen musste, um der Menschheit zu beweisen, wer sie wirklich erlösen kann. Maria ist die spöttische Aufsässigkeit ihrer Vorfrauen fremd:

„Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Und siehe, Elisabeth, deine Gefreunde, ist auch schwanger mit einem Sohn in ihrem Alter und geht jetzt im sechsten Monat, von der man sagt, daß sie unfruchtbar sei. Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Maria aber sprach: Siehe ich bin des HERRN Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.“

Da zeigte der Übermann seiner Magd, wo der männliche Hammer hängt – durch Fernzeugung. (Die Philosophie mit dem Hammer wurde rein zufällig von einem Pastorensohn creiert, der mit Frauen gewisse Schwierigkeiten hatte.)

Fernzeugung ist nicht die Erfindung eines modernen Labors, sondern ein kleiner Teil der creatio ex nihilo. Womit nicht gesagt sein soll, Frauen seien ein Nichts. Sie sind nur ein presque rien – ein fast Nichts. Heute können sie bereits Bischöfinnen werden und das Wort zum Sonntag sprechen. Bei den einen. Bei den anderen reicht es immerhin zu ehrbaren Haushälterinnen.

Großen Männern können sie ökumenisch zu Füßen sitzen und diese mit kostbarer Salbe einsalben, die zwar sündhaft teuer ist, doch Luxus für Erlösergestalten muss gestattet sein, wie man beim jetzigen Bewohner des Weißen Hauses eindrucksvoll beobachten kann. „Die Armen habt ihr allezeit, mich habt ihr nicht allezeit.“ In Trumps moderner Übersetzung: „Ich bin die wichtigste Person der Welt“. Ergo ist Luxus eine Pflichtübung für mein sakrales Amt. Lasst mich zufrieden mit eurem Armengetue.

Nur nebenbei: die Kirche ist in Verruf geraten, weil sie himmelhochstrebende Kathedralen und Dome erbaut hat und generell keine Probleme mit einem – in Deutschland von allen Staatsbürgern – bezahlten Luxusleben kennt. Zu Unrecht. Da Gott Erfinder des Guten und Bösen, des Schönen und Hässlichen ist, haben seine Stellvertreter auf Erden die verdammte Pflicht, für beides auf Erden in göttlichen Dimensionen zu sorgen.

Wie ihr Erlöser am Kreuz erbärmlich hässlich sein muss – „er hatte keine Gestalt noch Schöne“ –, so müssen ihre Versammlungsorte den sakramentalen Mittelpunkt der Welt symbolisieren, mit allen Insignien des Hässlichen und Schönen. Kirchenvater Augustin, der sich um die Rechtfertigung auch des Bösen bemüht hatte, „lieferte die theoretische Legitimation für die mittelalterliche Vorliebe für die Schönheit des Hässlichen und Abstoßenden, die besonders in der romanischen Kunst ausgebildet wurde und in der Spätgotik wieder auflebte.“ (Rossario Assunto, Die Theorie des Schönen im Mittelalter)

Nun verstehen wir, warum die Verschandelung der Welt keine Blasphemie vor Gott, sondern im Gegenteil, die Verhässlichung der Natur durch technische Ausbeutung Teil des Gottesdienstes der Moderne ist. Soviel zur zunehmenden Säkularisierung.

Woran krankt der gegenwärtige Feminismus? Dass er sich nicht traut, die gottähnlichen Männlein hemmungslos mit Hohn und Spott zu überziehen. Noch ähneln ihre Attacken den Kraftmeiereien der Männer bis aufs I-Tüpfelchen. Die hemdsärmelige Schlagzeile von Alice Schwarzer: „Schluss mit dem Psychologisieren bei Islamisten“, könnte wortgetreu von Julian Reichelt, dem Kriegsberichterstatter der BILD, stammen. (Sollte Psychologisieren etwas mit Menschen zu tun haben, plädiert Schwarzer nur für die Entmenschlichung der Muslime.)

Was ist, idealiter, der Unterschied zwischen Mann und Frau? Männer wollen die Welt durch Vernichtung erlösen und nennen ihr Unterfangen bescheiden: Hochkultur. Als die Frauen noch das Sagen hatten, ohne ihre Autorität als Zwangsbeglückung zu demonstrieren, sondern durch exemplarische Lebensqualität, war von Gewalt nichts zu sehen. Das klingt so unwahrscheinlich, dass Männer solche matriarchalen Urzeiten als Völkermärchen disqualifizieren.

Da die goldenen Zeiten der Mütter in der Vorzeit lagen, müssen die goldenen Zeiten der Männer in der Zukunft liegen. Die futurischen Illusionen der Männer allein durch Technik, unabhängig von lästiger Erziehung und Selbsterziehung, können nicht einmal Frauen verspotten, was ein grundsätzlicher Mangel ihres angstgeleiteten Geschlechterkampfes ist. Seit den Hexenprozessen, als die letzten unabhängigen und angstfrei spottenden Frauen gefoltert und verbrannt wurden, haben die Frauen ihre Urängste vor dem Mann ins tiefste Unbewusste verdrängt.

Und Sara lachte. Alles ertragen Männer, nur nicht Spott. Spott zielt auf den Solarplexus ihrer Männlichkeit, der allerdings nicht im Oberbauch, sondern weiter unten angesiedelt ist. Kannst du nicht mal die Glocken läuten lassen bei einer Frau? fragte eine heißblütige Nichteuropäerin einen Schlappschwanz.

Womit wir bei jener Stelle angekommen wären, die in Sagen und Märchen vertuscht wird. Bei Achilles soll es die Ferse, bei Siegfried die rechte Schulter gewesen sein. Warum wurde Scaramucci, der energische Propagator Trumps, von seinem Herrn in Rekordzeit entlassen? Weil er zur interessanten Denkübung anregte, ob sein geliebter Herr und Meister noch in der Lage sei, seinen eigenen Schwanz zu lutschen. Sei es a) wegen mangelnder Beweglichkeit des Leibes, sei es b) wegen zu geringer Größe des selbstreferentiellen Lustobjekts.

Spott zielt aufs Gemächte, was ganz offensichtlich von Machen kommt. Macher sind Männer mit dem größten Gemächte, sei es fleischlich, psychisch, technisch oder sonstwie gigantesque. Der Spott der Frau sagt dem Mann in Klardeutsch: groß bist du im Angeben, aber näher besehen bringst du nichts. Weder kannst du Kinder zeugen, noch einer Frau Lust verschaffen. Troll dich, Versager.

Männer verstehen sich als Leistungsakrobaten, weshalb sie Maschinen bauen, um ihre tatsächlichen Leistungsdefizite auszugleichen. Weshalb sie sich auch einen Gott nach ihrem Bilde erschufen, der auf seine Schöpfung stolz war und sich auf die Schulter klopfte: sehr gut, Note eins, mein Lieber. Um kurz danach in heiligmäßigen Zorn zu entbrennen, dem Urbild aller männlichen Gewalttaten, um sein Meisterwerk in einem Akt zu vernichten. Mit einer derart absurden Begründung, dass sie von allen Männern und Machthabern sofort übernommen wurde: nichts ist interessanter als eine These, die so abwegig ist, dass man sie schon wieder glauben muss. Der Begründung nämlich, nicht er, der unfehlbare Schöpfer habe den Pfusch verursacht, sondern die Geschöpfe selbst.

Seitdem sind am Pfusch der Gesellschaft nicht die Eliten, an der Produktion ihrer Verbrecher nicht die Gesellschaft, am Unglück ihrer Kinder nicht die Eltern, an der politischen Verdrossenheit nicht die politischen Autoritäten schuldig. Nicht Ursachen führen zu Folgen, es sind die Folgen selbst, die sich aus Nichts erschaffen. Geheimnisvoll genial, wenn die Folgen gut sind, unerklärlich böse, wenn sie schlecht sind. Die Kategorie Ursache als empirische Schuld wurde ersatzlos gestrichen. Schuld als Schuld vor Gott jedoch versteht sich von selbst.

Männer werden zu perfekten Leistungsmaschinen gezüchtet, weshalb Frauen, die es mit fehlbaren Kindern zu tun haben, nie perfekt sein können – es sei, sie bringen es dazu, ihren Kobolden mit zwei Chinesisch, mit drei Ballett und mit vier den Bachelor für Silicon Valley anzudrehen.

Was man Männern nicht beibringt, ist Selbstwahrnehmung, weshalb sie unfähig sind, ihre Schwächen zu erkennen und selbstkritisch einzuräumen. Schon gar nicht vor Frauen. Und hier öffnet sich das Einfallstor für weibliche Spottdrosseln, die es in christlichen Kulturkreisen gottlob nicht gibt. Warum nicht? Weil Frauen – siehe oben – seit den Hexenprozessen elementare Angst vor Männern haben.

Wenn Männer in Bedrängnis kommen, wenn man sie für Nieten im Bett und im Leben erklärt, sehen sie rot. Da sie auf Perfektion konditioniert wurden, können sie keine Fehler einräumen. Der kleinste Fehler beraubt sie ihrer antastbaren Männerwürde. Bezieht sich die Kritik gar auf ihr vulnerables Gemächte, rasten sie aus.

Ihre ständig präsente unterschwellige oder manifeste Gewaltbereitschaft ist es, was Frauen fürchten. Da sie noch immer von Männern abhängig sind – sei es im familiären, sei es im kapitalistischen Bereich, wo sie sich bewerben müssen –, ziehen sie es aus Selbstschutz vor, die Männer nicht bis aufs Blut zu reizen. Männer, die als Gewalttäter im Gefängnis sitzen oder das Weite suchen, können Weib und Kind nicht mehr ernähren.

Von alters her ist der Phallus das Machtsymbol des Mannes. Im Alten Testament legte man die Hand „unter die Hüfte“, wenn man einen heiligen Eid ablegte. Das war die dezente Umschreibung für das beste Stück des Mannes, das man nicht bei Namen nennen wollte. „Das Alte Testament verrät eine besondere Furcht vor der Macht der Frauen über den Penis. Gottes Gebot befahl, einer Frau, die die Genitalien eines Mannes ergriff, die Hand abzuhacken, selbst wenn sie es tat, um ihren Mann gegen einen Feind zu verteidigen“. (Walker)

„Wenn zwei Männer miteinander hadern und des einen Weib läuft zu, daß sie ihren Mann errette von der Hand dessen, der ihn schlägt, und streckt ihre Hand aus und ergreift ihn bei seiner Scham, so sollst du ihr die Hand abhauen, und dein Auge soll sie nicht verschonen.“

Das Wort faszinieren ist ein Relikt männlichen Glaubens an die Zauberkraft der eigenen Genitalien. Im Lateinischen bedeutet fascinosum einen erigierten Penis, vor allem in Form eines phallischen Amuletts. „Die Phallusanbetung wurde auf eine Weise christianisiert, die den wahren Charakter des Christentums verdeutlicht: durch die Verherrlichung des männlichen Prinzips.“ (alles nach Walker)

Das männliche Prinzip aber ist das Machen, die produktive Aktivität des Gemächtes. Er hat keine Eier, pack ihn beim Schwanz: alles vulgäre Umschreibungen für die männliche Identität von Machen und phallischer Potenz, zu der auch jedwede Form genialer Kreativität gehört. Da der Mann keine Distanz zu seiner phallischen Perfektion hat, trifft ihn jede Kritik an seinen Machenschaften im Zentrum seines Mannestums.

Die Angst des Mannes vor der vagina dentata – der bezahnten Scheide – rührt von seiner Urangst, durch die Vulva zermahlen zu werden. Löcher, die sich mitten in der Zivilisation plötzlich auftun und alles verschlucken, sind Vorahnungen der Hölle, dem schrecklichsten Loch aller Löcher. Selbst im Universum lauern schwarze Löcher, um die Spitzenprodukte des Mannes mit Mann und Maus zu verschlingen.

Der Feminismus der Gegenwart ist mutig, aggressiv und offensiv. Aber nicht radikal genug. Seine Urängste und „Tötungshemmungen“ verschleiert er sich. Das ist der Grund, warum er sich mit Religion, der Urerzählung des Geschlechterkampfes, nicht kritisch beschäftigt – mit Ausnahme weniger Amerikanerinnen, deren Stimmen weder in den USA noch in Europa durchgedrungen sind.

Es gibt noch einen Grund, Gott einen guten Mann sein zu lassen. Gott, der mächtigste Mann, ist für viele Frauen die ultimative Zuflucht vor den irdischen Männern. Solange Frauen sich als die Schwächeren empfinden, werden sie den Teufel tun und Gott aufs Altenteil schieben. Bleibt er doch ihre letzte Rückversicherung in Tod und Leben. Doch diese Epoche geht zu Ende.

Warum sind Frauen aus nichtchristlichen Ländern weitaus mutiger im Kampf gegen männliche Ungerechtigkeit und Klimazerstörung als Frauen aus Europa und Nordamerika? Weil sie einen allmächtigen Gott nicht kennen. Die Kultur der Moderne ist eine Männerkultur. Das Ende dieser Hochkultur wäre das Ende der männlichen Vorherrschaft.

„Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen noch tritt auf den Weg der Sünder noch sitzt, da die Spötter sitzen, sondern hat Lust zum Gesetz des HERRN und redet von seinem Gesetz Tag und Nacht“.

Spott ist die wirksamste Waffe von Heiden, Gottlosen und Frauen gegen fromme Männer, die sich als irdische Werkzeuge Gottes verstehen. Durch hemmungslos überschäumendes, auf die Eier zielendes Lachen sind Männer geradezu gelähmt. Sie leben davon, dass unqualifizierte Frauen sie verehren und bewundern. Die Sucht, bewundert zu werden, geben sie sich nicht zu. Listige Frauen müssen von einem Fach nichts verstehen, um männliche Stars dieses Fachs allein mit ihrer mütterlich-sexuellen Bewunderung einzufangen.

Christus lachte nicht. Humor hätte er als teuflisches Tändeln betrachtet. Das Leben seiner Frommen auf Erden sollte Heulen und Zähneklappen sein. Erst im Jenseits sollte sich alles ins Gegenteil verkehren:

„Selig seid ihr, die ihr hier weint; denn ihr werdet lachen. Selig seid ihr, die ihr hier hungert; denn ihr sollt satt werden. Weh euch, die ihr hier lachet! denn ihr werdet weinen und heulen. Weh euch, die ihr satt seid! denn euch wird hungern.“

Warum wurde Merkel zur unanfechtbaren Königin der deutschen Herzen? Weil sie weiblichen Spott gegen die Männer einsetzt, um sie erst unschädlich zu machen – und dann die Waffe des Trostes, um alle zu versöhnen und für sich zu gewinnen. Im SPIEGEL wird sie als Sphinx, Diva oder Königin porträtiert. Ihre wichtigste Fähigkeit wird zwar von Alexander Osang beschrieben, aber nicht erkannt: ihre wie zufällig wirkende, schnoddrige Spottfähigkeit:

„Nu kucken Se ma nich so ergriffen“, hat sie mir mal gesagt. „Wie ’n Dackel.“ (SPIEGEL.de)

Kein Kohl, kein Schröder, kein Schulz kämen auf die Idee, einen Beobachter präzis zurück zu beobachten, um ihn sprachlos zu machen. Für Männer der Macht ist das Publikum eine gesichtslose Masse, keine Ansammlung von Individuen. Für Merkel zwar auch, gleichwohl beherrscht sie die Kunst, als ob sie Menschen in den Blick bekäme.

Amerikanischen Präsidenten wie Clinton sagte man die Fähigkeit nach, jedem Menschen, dem sie begegneten, das Gefühl zu vermitteln, er und nur er sei gemeint. Typisch die Handbewegung amerikanischer Politiker, das Podium zu betreten und mit dem Finger ins Publikum zu zielen: Dich meine ich, da unten in der zweiten Reihe rechts. Doch das transatlantische Ritual ist längst ausgeleiert und in Deutschland nie angekommen. Merkel, dem Sozialismus entronnen, wollte dem unpersönlichen Kapitalismus eine persönliche Note verleihen: Gott – oder seine Magd – sehen dich an, Ossi-Bruder Osang.

„Im Frühjahr 2000 habe ich das erste längere Interview mit Angela Merkel geführt. Sie war gerade Parteivorsitzende geworden, ich SPIEGEL-Reporter in New York. Ich flog als Ostdeutscher nach Berlin, um das Phänomen der erfolgreichsten ostdeutschen Politikerin zu erklären. Wir saßen in einem Raum in Mitte. Merkel fragte, wie Amerika sei. Sie fragte, was Spendenaffäre auf Englisch heiße, und ich erzählte, um ein bisschen Nähe herzustellen. Irgendwann stand sie auf und sagte: „So, jetzt ist Ihre Zeit vorbei, und Sie haben nur über sich geredet. Herzlichen Glückwunsch.“ Dann ging sie zusammen mit ihrer Pressesprecherin Eva Christiansen kichernd weg und ließ mich zurück wie einen überfahrenen Hund. Ich habe das immer als Witz erzählt, aber in den vergangenen Wochen hatte ich den Eindruck, es ist gar nicht so komisch.“

Nein, es war kein Witz, es war Spott. Erst hebt Merkel das Selbstbewusstsein des Reporters durch eine Frage (wozu kaum ein Mann fähig ist) in die Höhe, dann lässt sie ihn mit Hohnlachen wieder plumpsen: so leicht kann man euch Pflaumen reinlegen.

Als Mitglied von Minderheiten: einer Christin im Sozialismus, einer Frau im Allgemeinen, einer Ossifrau im Besonderen, beobachtet sie die Schwächen derer, die sie besiegen will, aufs Akribischste. Dann zielt sie mit der Überlegenheit einer Unterschätzten direkt ins Eingemachte.

Männer haben Angst vor überlegen-spöttischen Frauen, doch sie verleugnen ihre Kastrationsängste. Echte Kerle fürchten weder Gott noch Teufel. Genau auf diese Schwachstelle zielt die Kanzlerin. Sachlich ist sie selbst eine maskuline Perfektionistin, die sich von keinem Mann die Butter vom Brot nehmen lässt. Wovon sie nichts versteht und was ihr gefährlich werden könnte, kann sie mit leichthändiger Süffisanz zu Nonsens erklären.

Eins aber scheint sie signifikant von Männern zu unterscheiden: sie kann sich aus der Distanz betrachten. Nicht aus philosophischer Distanz, sondern aus der Demut einer Dienerin, die sich in Gottes Hand fühlt und keine eitel-ehrgeizigen Ambitionen hegen muss, um die Menschheit zu erretten.

„Sie wolle nicht die Welt retten, sagen ihre Vertrauten. Sie wolle kein Vakuum füllen. Sie glaube weder den Hypes der anderen noch ihren eigenen. Sie klebe nicht am Amt. Sie sei nicht an einem Porträt interessiert, nicht an einer großen Rede und auch nicht an einem Vermächtnis“.

Doch da täuscht sie sich. Ihre Machtvorstellungen versteckt sie vor sich selbst unter der demonstrativen Niedrigkeit einer unmündigen Magd. Indem sie dient, glaubt sie, nicht herrschen zu wollen.

Dass ihr Glaube ein machiavellistischer Leitfaden zur Machterringung ist, würde sie nur mit ihrer Mutter besprechen. In einer Mutter-Tochter-Symbiose hat sie sich auf ein Leben der Macht inmitten mächtiger Männerrudel instinktiv vorbereitet. Wenn sie die Häme des Westens in der ersten Regierungsperiode überstehen würde, – das wusste sie –, würde sie den Status der Immunität erreichen können. Durch eigenwillige Frisuren, Uniformen und Verhaltensweisen provozierte sie geradezu die Hämesucht der oberflächlichen Wessis (Häme ist nicht Spott). Doch wer zuletzt lacht, lacht am besten.

Osang protokolliert ihre machtgeleiteten Fähigkeiten, indem er sie leugnet:

„Sie verteilt diese kleinen Backpfeifen gern, meist an Männer. Politiker, Journalisten, Drängler. Es ist nicht ihre Macht, es ist ihre Art. An ihrem ersten Tag als Generalsekretärin, noch im Bonner Adenauer-Haus, ließ sie die Herren, die mit gewetzten Messern an einem großen Tisch auf die Neue warteten, aufstehen und sich umsetzen. Als sie wieder saßen, war nix mehr wie vorher.“

Genau dies ist ihre Macht, zu tun, als sei sie an Macht desinteressiert. Die Deutschen wollen nicht zur Kenntnis nehmen, dass Erlöserreligionen die finale Macht am Ende der Geschichte anstreben, indem sie die heidnischen Strategien auf den Kopf stellen. Die Letzten werden die Ersten sein. Merkel mimt die Letzte, die Unambitionierte, die nicht Getriebene – das komplette Gegenprogramm zu allen Männern –, um die ehrgeizzerfressenen Phallusträger spöttisch und wie beiläufig zu überholen.

Sie kann Gesichter aufsetzen, als sei sie selbst am erstauntesten, die Lieblingin der Deutschen zu sein. Die Medien haben es längst aufgegeben, an ihr „herumzunörgeln“. Auch die Dieselaffäre wird sie unbefleckt überstehen, obgleich sie der krakenartige Mittelpunkt einer alldeutschen Komplizenschaft mit der Auto-Industrie ist. Die Deutschen haben die Qualitäten einer nationalen Gemütströsterin kennen und lieben gelernt. Nervöse Angeber haben so schnell keine Chancen bei ihnen.

Merkels Kenntnis männlicher Sünder aus pastoraltheologischer Sicht, ihre Sach-Intelligenz und ihr fast untrügliches Einfühlungsvermögen in kollektive Stimmungen haben sie an die Spitze der Nation gebracht. Konkurrierende Männer, erstarrt in überhitzter Immobilität, schiebt sie nach Belieben ins Abseits. Ihre geniale Spottfähigkeit würde sie qualifizieren, die Avantgarde des Feminismus zu bilden und die Männer kollektiv zu depotenzieren, wenn ja wenn ihre enormen Fähigkeiten nicht dort strandeten, wo alle weiblichen Fähigkeiten innerhalb einer Erlöserreligion stranden müssen: in der Ergebung unter einen allerhöchsten Mann.

Merkel verfügt über Spottwaffen, die dem durchschnittlichen Feminismus abgehen. Eins aber fehlt ihr vollständig: die Fähigkeit, Politik mit weiblichen Inhalten zu betreiben. Und das hieße: eine menschliche Politik. Politik im Dienst einer friedlich zusammenwachsenden Menschheit.

Das hält die Lutheranerin, die den Menschen als inkorrigierbare Sündenbestie betrachtet – in trauter Kooperation mit fast allen Medien – davon ab, solchen kindischen Unfug auch nur zu debattieren. Merkel betreibt Männerpolitik. Mit lässigen Bemerkungen und harmlos scheinenden Anwärmungsaktionen versteht sie es in jeder Wahlveranstaltung, sofort zu unterstreichen, wer Herrin am Platze ist. Fügt sich die Menge – und die Deutschen lechzen danach, sich durch Fügsamkeit beliebt zu machen – folgt mütterlicher Trost als Spontanbelohnung auf dem Fuß.

Die Deutschen, geplagt vom Verdacht, ihre Mütter schlecht behandelt zu haben, ergreifen freudig die Gelegenheit, allen Müttern in Gestalt der nationalen Übermutter eine Tat der Wiedergutmachung zukommen zu lassen.

Wenn Du noch eine Mutter hast, so danke Gott und sei zufrieden.
Nicht allen auf dem Erdenrund ist dieses hohe Glück beschieden.
Wenn Du noch eine Mutter hast, so sollst du sie in Liebe pflegen,
daß sie dereinst ihr müdes Haupt in Frieden kann zur Ruhe legen.

In seinem Lieblingsdom wurde Helmut Kohl als Jahrhundertfigur zu Grabe getragen. Eines fernen Tages wird Merkel als erste Mutter aller Deutschen verabschiedet werden. (Königin Luise – ihr großes Vorbild – war nur die Mutter aller Preußen.) Sie hätte eine epochale Feministin werden können – wenn sie es nicht vorgezogen hätte, einem illusionären Übermann die Treue zu halten.

 

Fortsetzung folgt.