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Neubeginn XI

Hello, Freunde des Neubeginns XI,

„die Welt ist aus den Fugen“ (Merkel)

„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. In der Welt habt ihr Angst, siehe, ich habe die Welt überwunden. Jetzt ergeht das Gericht über die Welt. Das Licht kam in die Welt, es war in der Welt und die Welt hat es nicht begriffen. Der Teufel zeigte ihm alle Herrlichkeiten der Welt. Weil ihr nicht aus der Welt seid, deshalb hasst euch die Welt. Ich bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast. Sie sind nicht aus der Welt, wie ich nicht aus der Welt bin. Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Stellet euch nicht der Welt gleich. Die Weisheit der Welt ist Torheit vor Gott. Habet nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist. So jemand die Welt lieb hat, ist die Liebe zum Vater nicht in ihm. Deshalb erkennt uns die Welt nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat. Wundert euch nicht, Brüder, wenn euch die Welt hasset. Die ganze Welt liegt im Argen.“ (Gott)

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer ist nicht mehr. Und der Tod wird nicht mehr sein. Denn das Erste ist vergangen.“ (Gott)

Gott muss eine neue Welt erschaffen, weil er die alte versifft hat. Da ER sich eine zweite Chance gönnt, erhalten auch fromme Kapitalisten eine zweite Chance, um ihren himmlischen Vater nicht zu beschämen. Kinder müssen bereits in der Kita das Scheitern lernen, um in zweiter Chance dem Reich der Loser zu entkommen. Das ist angewandte Siegerpädagogik oder die Ur-Agenda aller westlichen Schulen.

Die Ökonomen – wie einst die Theologen im Mittelalter – haben inzwischen die Oberaufsicht über alle Fakultäten errungen. Tiefenpsychologie in

… Konsummotivation, Resilienz in leistungsfördernder Stressbewältigung, Entfesselung des anarchischen Es und Abbau eines triebfeindlichen Über-Ichs durch Rauslassen der Sau wie Trump es vorbildlich exerziert: all dies zeigt den Siegeszug der Profitexperten über nichtsnutzige Geisteswissenschaftler.

Selbst-Optimierung ist kein Akt philosophischer Selbstbesinnung, sondern ein athletisches Training, um „nach vorn zu kommen“ und alle Konkurrenten aufs Haupt zu schlagen. 

„Ökonomen beschäftigt die Frage danach, was Kinder erfolgreich macht. Aus Fehlern wird man klug. Das sollen Kinder lernen, noch bevor sie lesen können. Der Umgang mit Fehlschlägen will geübt sein, sonst kommt das Kind später nicht durchs Leben. Eine Plattitüde deshalb der Spruch, dass schon Kinder Fehlschläge brauchen, um zu lernen. „Wichtig ist dabei allerdings, dass Kinder in ihrem Leben auch mal das Glück haben müssen, im richtigen Augenblick einen Erfolg zu erzielen“, sagt die Pädagogin.“ (FAZ.NET)

Glück muss man haben im Reich des Neoliberalismus, in dem Gott durch „Zeit und Zufall“ regiert – getreu der Anweisung seines frommen Schafes Hayek. Mit Leistung und Können hat Erfolg nichts zu tun. Hasardeure werden amerikanische Präsidenten, aufrechte Demokraten kommen nicht mal in die Vorwahl. Pech gehabt, der Zufall wollte es so.

Die zweite Chance ist die ökonomische Übersetzung für altbackene Wiedergeburt, weshalb alle deutschen Trump-Bewunderer – die zurzeit in Deckung gehen, weil Merkel höchstselbst den Scharlatan exorzierte – ihrem Idol noch immer eine späte Erleuchtung zutrauen.

Christen sind nicht von dieser Welt. Wenn sie sich dennoch um die politischen Dinge der Welt kümmern wollen, müssen sie sich – einmischen. Eigentlich hätten sie es nicht nötig, ihr erleuchtetes Leben in der civitas dei (Gottesstaat) zu verlassen und das abstoßende Reich der bösen Welt zu betreten. Sie kommen von außen und müssen sich überwinden, das Tor in die Welt zu öffnen und den Bereich der Verworfenen zu betreten. 

Mischt euch ein, sagen ihre Kirchenführer, als ob sie nicht von dieser Welt wären. Tatsächlich sind sie nicht von dieser Welt. Nur äußerlich sind sie Mitglieder eines teuflischen Staates. Mit ihrem Selbst leben sie in inniger Verbindung mit ihrem Gott.

Zeitgleich sind sie Mitglieder zweier Reiche, des göttlichen und teuflischen Staates. Äußerlich sind sie der weltlichen Obrigkeit unterworfen, doch ihre unsterbliche Seele ist schon hienieden im Himmel eingemeindet. Weil Gott der oberste Herr beider Reiche ist, legen sie Wert darauf, nicht manichäisch oder dualistisch zu sein. Wie kann es ein Kampf um Sein oder Nichtsein zwischen Schwarz und Weiß geben, wenn Gott das Oberhaupt beider Reiche ist?

„Einen echten Dualismus zwischen Gut und Böse gab es historisch nur im Manichäismus. Wegen der Unterscheidung zweier absolut verschiedener und gegensätzlicher Naturen und der ihnen zugeordneten Reiche wird der Manichäismus zu den dualistischen Modellen gezählt.“ (Wiki)

Jetzt kommen wir an den Ursprung des logik-feindlichen Glaubens, der Widersprüche nicht ausschließt, weil Gott die Einheit aller Widersprüche ist. Er ist Schöpfer und Verderber, Heiland und Teufel, das Gute und das Böse, der offenbarte und verborgene Gott in einer einzigen Person.

Wenn Hegel die Dialektik, die Einheit aller Widersprüche als Kern des Christentums auffasst, hat er die Frohe Botschaft im Innersten durchschaut. Gott hasst menschliche Logik. ER ist weder Denkgesetzen noch Naturgesetzen untertan. Woher seine Kompetenz zu Wundern und Absurditäten stammt. Naturgesetze kann er durchbrechen wie Gesetze logischen Denkens.

Ich glaube, weil es absurd ist: die Begründung seines Glaubens ist für den Kirchenvater die Anbetung eines Gottes, der über allen menschlichen Gesetzen steht. So wenig Er dem Gesetz des Sterbens unterworfen ist, so wenig dem Gesetz des ausgeschlossenen Dritten. Am Kreuz besiegte er Tod und Teufel, mit seiner Weisheit die Torheit der Welt.

Und dennoch ist es ein Rosstäuschertrick, wenn Christen nicht manichäisch sein wollen und strenge Schwarz-Weiß-Kriterien als unchristliche ablehnen. Unter endzeitlichem Aspekt wird Gott zwar alle Widersprüche überwinden und dem Teufel zeigen, wo der Allmächtige den Most holt. Doch bis dahin, im Verlauf der irdischen Geschichte, kämpfen das Gute und Böse um die Seele der Menschen.

Der finale Garten Eden ist von anderer Qualität als die Machenschaften der linearen Zeit. Am Ende erscheint das ewige Reich des Lichts – ohne den geringsten bösen Schatten. Solange aber die Menschen im Fleische der Geschichte wandeln, müssen sie den Kampf gegen Satan täglich bestehen. Bei den Vorherbestimmten nur zum Schein, doch das wissen sie nicht.

Gott lässt die Menschen im Unklaren, ob sie zum Streu oder zum Weizen gehören. Anhand bestimmter Kriterien wie Erfolg im Leben können sie Vermutungen anstellen, weshalb sie den Kapitalismus zum konkurrierenden Exzess machten, um die Bestätigung ihrer Erwähltheit zu erlangen. Erfolg im sündigen Leben ist identisch mit Erfolg im Himmel.

Gott ist auch Herr des Teufels, was ihn aber nicht daran hindert, seine Heilsgeschichte in einem dualistischen Ende auslaufen zu lassen. Wenn ewige Unseligkeit eine „teuflische“ Erfindung ist, so ist es Gott selbst, der diese Teufelei für die riesige Mehrheit der Menschen angeordnet hat.

Gern zitieren die Theologen den Satz aus der Offenbarung des Johannes: „Und er wird alle Tränen abwischen von ihren Augen und kein Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein.“ Dabei unterschlagen sie die Kleinigkeit, dass dieser paradiesische Zustand nur für einen Bruchteil der Menschheit gelten wird.

Zu den größten Lügen der scheinhumanisierten Gottesgelehrten gehört das Verleugnen der „letzten Dinge“. Sie reden nicht gern über ihre Hölle. Und wenn, dann albern sie – wie Altbischof Huber bei Kerner – herum, oh ja, von der Hölle hätten sie schon mal gehört. Doch all dies sei nicht wörtlich gemeint. Was sie selbstverständlich am besten wissen, denn sie saßen bei Gott im Schoß, als ER diese Märchen aus pädagogischen Abschreckungsgründen diktierte.

Origenes war der letzte Kirchenvater, der den doppelten Ausgang der Geschichte nicht akzeptierte und an Gottes endgültige Allversöhnung glaubte (Apokatastasis panton). Die Ketzerei des Origenes aber wurde von der Kirche verworfen.

Es bleibt dabei: das alltägliche Leben und Sterben der Christen wird beherrscht durch den unversöhnlichen Kampf zwischen Heil und Unheil, Seligkeit und Verworfenheit. Am Ende der Geschichte versagt Gottes dialektische Versöhnungskraft. (Möglicherweise war dies der Grund für Hegel, den eschatologischen Aspekt seiner dialektischen Geschichte nicht weiter auszuarbeiten; als gehorsame Hegelianer verbieten es sich auch die Marxisten, das Reich der Freiheit „auszupinseln“).

Seine unendliche Liebe zu den Menschen verpufft zu einem kläglichen Minimalismus. Viel Aufwand für presque rien. Den überwiegenden Teil seiner Geschöpfe kann er nicht erlösen – oder will es nicht. Er bleibt ein finaler Versager. Seine zweite Chance nutzt er lediglich zur Erschaffung eines winzigen Paradieses für eine winzige Gemeinde der Seligen.

Gottes Heilswerk ist Ramsch. Kein Wunder, dass die Seinen erfolgs- und machtsüchtig werden mussten. Gottes „Fehl“ müssen sie stellvertretend für den bankrottierenden Mann und Vater kompensieren. Die Männer, omnipotent oder in trumpligen Allmachtskaspereien: sie schaffen es einfach nicht.

Trump ist der Höhepunkt des Erlösungsprotzens und maximalen Versagens des Mannes. Amerika, Gottes Land, will er zur alten Herrlichkeit führen, indem er die ganze Welt dem ökologischen Desaster überantwortet.

Auch dem verbündeten Europa entzieht er mit seiner apokalyptischen Politik die christliche Legitimation. Keine bloße Reminiszenz an Yad Vashem, dass er die Deutschen böse, sehr böse nannte.

Ab Trump beginnt Amerika sich dazu zu bekennen, dass es das einzige Land in Gottes Hand ist. Die ökologische Rettung der Menschheit ist ein gotteslästerlicher Akt. Denn Gott selbst wird die Welt in Feuer und Flammen untergehen lassen, die Vorherbestimmten aber zuvor in den Himmel entrücken.

Der Bible-Belt, das fundamentalistische Zentrum des amerikanischen Christentums, hasst Washington, die UNO und alle weltdemokratischen Bestrebungen, der Menschheit eine friedliche Ordnung im Einklang mit der Natur zu schaffen. Was Menschen verbindet und nicht gegeneinander ausspielt, beargwöhnen sie als teuflischen Trick.

„Unter Reichen boomen Bunker, die ihr Überleben nach der Apokalypse sichern sollen – auf Kosten aller anderen.“ Schreibt Ilja Trojanow in der TAZ.

Was wir demnächst erleben werden, ist die zunehmende Entfremdung zweier Christentümer: des amerikanisch-eschatologischen vom europäisch-„aufgeklärten“ Christentum. Der helle Wahnsinn, wenn im SPIEGEL behauptet wird, Trump sei kein christlicher, sondern ein vorchristlich-heidnischer Politiker. Je größer die planetarischen Gefahren, umso mehr müssen sie den Heiden in die Schuhe geschoben werden.

Einen Christen erkennt man nicht an seinem Lippenbekenntnis, sondern an seinen christlichen Taten – das Bewusstsein des Täters mag sein, wie es will. Gottes Werkzeug, um die Ungehorsamen zu bestrafen, kann der gotteslästerlichste Despot sein. Hegels List der Vernunft war die List Gottes, mit fremdartig anmutenden, schrecklichen Methoden sein Heilswerk voranzutreiben.

Christliche Existenz ist gespaltenes Leben in zwei Reichen, dem Reich Gottes und dem Reich des Teufels. Die Zwei-Reiche-Lehre Augustins wurde von Luther übernommen und bestimmt noch heute die Politik der Deutschen.

Wie die Romantiker das republikanische Erbe der Aufklärung in eine Theokratie verwandelten, so verwandelt die Pastorentochter die Nachkriegsdemokratie in eine lutherische Zweireiche-Schizophrenie. Gäbe es eine Volksabstimmung, ob Merkel zur lebenslangen Königin der Deutschen erhoben werden soll, bekäme sie zur Stunde eine klare Zustimmung. Ihr größter Trumpf ist nicht die Schwäche ihres Gegenkandidaten und die Selbstzerfleischung der SPD, sondern die drohende Gestalt des Behemoth im Weißen Haus.

„Siehe da, den Behemoth, er frißt Gras wie ein Ochse. Seine Kraft ist in seinen Lenden und sein Vermögen in den Sehnen seines Bauches. Sein Schwanz streckt sich wie eine Zeder; die Sehnen seiner Schenkel sind dicht geflochten. Seine Knochen sind wie eherne Röhren; seine Gebeine sind wie eiserne Stäbe. Er liegt gern im Schatten, im Rohr und im Schlamm verborgen. Das Gebüsch bedeckt ihn mit seinem Schatten, und die Bachweiden umgeben ihn. Siehe, er schluckt in sich den Strom und achtet’s nicht groß; lässt sich dünken, er wolle den Jordan mit seinem Munde ausschöpfen.“

Als Kontrastfigur zu Trump wächst Merkel immer mehr in die Rolle der unbefleckten Madonna, die mit der Kraft ihrer Reinheit dem Wüterich Paroli bieten kann. Eben noch die böse Stiefmutter bei vielen europäischen Nachbarn, hat sie alle Chancen, von der Jungfrau zu Orleans über die Königin Luise bis zur Schwarzen Madonna von Tschenstochau alle weiblichen Retterfiguren Europas in sich zu vereinen.

Der gemeinsame Feind eint die zerstrittenen Europäer. Bald werden die finanziellen Konflikte innerfamiliäre Peanuts sein, über die man zur Tagesordnung hinweg schreiten kann.

Wieder ist die deutsche Kanzlerin d’accord zum sichtbaren Regiment Gottes. Vor lauter Siegesgewissheit weiß sie nicht mehr, welches Gesicht sie auflegen soll. Von der spitzbübisch grinsenden unschlagbaren Siegerin über die angestrengte Miene der besorgten Mutter wählt sie ihre Tagesgesichter wie ihre schillernden Jacken aus der Reihe ihrer männlichen Uniformen.

Die Deutschen spüren jeden Tag mehr, dass der Segen des Herrn auf ihr ruht. Die Deutschen benötigen diesen Segen von oben – unabhängig von wachsenden Kirchenaustritten. Nicht selten, dass der Abschied von der Kirche aus christlichen Lauterkeitsgründen geschieht. Der Abstand von den in Geld schwimmenden und unchristlich handelnden Kirchen soll ein Warnschuss sein und den wahren Christengeist der Dissidenten unter Beweis stellen. 

Woher kommt das nationale Bedürfnis nach Angstminderung und nach einer  verheißungsvollen Zukunft? Schaffen und Geldscheffeln füllen nicht die Leere eines sinn-freien Lebens. Das gilt für den gesamten kapitalistischen Westen und ist eine elementare  Ursache des Unbehagens der Völker – neben der Unzufriedenheit über wachsende Ungerechtigkeit und Kluftbildung zwischen Reichen und Armen.

Zur Gerechtigkeit gehört nicht nur die Beseitigung blanker Not, sondern der Kampf gegen die expandierende Kluft zwischen Oben und Unten. Es sind zwei Welten entstanden, die keine Berührung mehr miteinander haben. Die Reichen kennen die entlegensten Winkel der Erde besser als die Lage der Abgehängten des eigenen Landes.

„Es ist dies ein deutlicher Beweis dafür, dass die Lage einer ausgebeuteten Klasse sich bessern und doch ihr Gegensatz zu der ausbeutenden Klasse sich verschärfen kann. Nichts lächerlicher als die Versuche der Schönfärber der heutigen Nationalökonomie, den Arbeitern darzulegen, dass ihre Lage sich gebessert habe, dass also die ganze sozialistische Arbeiterbewegung ganz unberechtigt sei und auf einem Missverständnis beruhe. Die Herren könnten längst wissen, dass die sozialdemokratische Bewegung nicht ein Produkt des Elends ist, sondern des Klassengegensatzes.“ 

Was Kautsky vor 100 Jahren schrieb, ist nicht veraltet. Die Apologeten des Großen Geldes geben sich empört über die Aussagen wachsenden Elends und beweisen haarscharf, dass es in einem reichen Land kein absolutes Elend geben könne.

Das Elend muss nicht materiell sein. Es ist das Gefühl des schlechthinnigen Abgehängt- und Gedemütigtwerdens. Man muss es heute wie eine außerordentliche Neuheit sagen: Menschen sind keine Maschinen, ihr Elend ist psycho-physischer Natur. Auch wenn sie nicht dem Verhungern nahe sind, spüren sie täglich deutlicher, dass sie immer mehr an den Rand gedrängt werden. Niemand hört auf sie, niemand spricht mit ihnen.

Schon wieder beginnt eine neue technische Revolution, die eine Majorität der unteren Klassen überflüssig machen wird. Natürlich hören sie die Versprechungen, schon immer hätten technische Erneuerungen neue und unerwartete Arbeitsplätze geschaffen. Doch was, wenn diesmal nicht?

Seit dem ersten Bauernlegen erleben die kapitalistischen Völker das immer gleiche  Schauspiel. Den Schwächeren wird der Teppich unter den Füßen weggezogen, sie werden schuldlos ins Verderben gestürzt – um sie in die neuen Manufakturen, Betriebe und Fabriken zu jagen. Das war das unwiderrufliche Ende ihrer Unabhängigkeit bis zum heutigen Tag.

Die Situation der Eliten bleibt dagegen immer gleich. Sie sitzen am längeren Hebel, können die Unteren nach Belieben kujonieren, um von einem technischen Fortschritt zum anderen ihren Reibach zu vergrößern und ihren Einfluss auf die Führungsklassen auszubauen.

Gesetze werden ersonnen, um Ungerechtigkeiten den Anstrich der Legalität zu verschaffen. Dreiste Ungerechtigkeiten werden immer gravierender: sie werden legalisiert. Der Zorn der Ausgebeuteten gegen die oberen Klassen wird als Zorn gegen den legalen Staat gewertet und – mit aller polizeilichen, militärischen und klerikalen Gewalt niederkartätscht.

Zuerst schrieb Luther gegen die ungerechte Geldschinderei der Papisten. Als die Bauern die Botschaft vernahmen und ihre adligen Unterdrücker angriffen, vergaß der ach so tapfere Reformator seine eigene Botschaft und flüchtete ins Heilige. Ab jetzt war Gerechtigkeit die demütigende Gnade eines Erlösers, der den Bankrott des Menschen als Vorausleistung  fordert, um sich der armseligen Kreatur zu erbarmen.

Luther, ein Fürstenknecht wie später Goethe, verfälschte die Freiheit in bloße Innerlichkeit. Politisch hatten die Bauern zu kuschen und sich den Geboten des neuen reformierten Klerus zu unterwerfen. Freie Christenmenschen waren die Gläubigen nur im Reich der unsichtbaren Kirche; im sichtbaren Staat hatten sie die Knie zu beugen. Obgleich der Staat das Reich des Teufels war, stand er dennoch unter dem despotischen Regime der Obrigkeit, die immer von Gott war. Gleichgültig, ob sie die Menschen vorbildlich oder inhuman behandelte.

Eine unfehlbare Obrigkeit ist der theologische Kern jedes Faschismus. Als Bürger zweier Welten war der Christ zur moralischen Schizophrenie verdammt: als Bekehrter und Getaufter hatte er seinen Nächsten zu lieben, als Untertan der Obrigkeit aber mit aller Gewalt für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Für naive Gemüter sind beide Moralen unvereinbar. Wer genauer in die Schrift schaut, weiß, dass Gottes Erwählte jenseits von Gut und Böse sind. Was für heidnische Logik unvereinbar, ist für Erleuchtete die Lizenz zu allem amoralischen Tun.

Trump, weit entfernt von heidnischer Naturliebe und logischer Nüchternheit, ist ein vorbildlicher Protestant. Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan. Da seine innere Gesinnung entscheidet, sind all seine Handlungen unanfechtbar. Wie Luther, schaut Trump dem Volk aufs Maul und – führt es an der Nase herum. Er verspricht und hält nichts – außer ungläubigen Machthabern eine Nase zu drehen.

Das Volk ist so ausgehungert, dass es sich mit den Versprechungen des Großmauls begnügen muss. Ob er seine Verheißungen einlöst, wollen die Ausgehungerten gar nicht mehr wissen. Sie ahnen und fürchten, dass sie erneut einem Betrüger aufgesessen sein könnten. Und dennoch freuen sie sich darüber, dass die Eliten einen historischen Augenblick lang vor ihnen zitterten.

Die Zweireiche-Lehre erlaubt den Christen, alle Ungerechtigkeiten und Hassgefühle zu vollstrecken und sich dennoch einzubilden, ihre Opfer des Zorns geliebt zu haben. Wen Gott liebt, den züchtigt er. Wen Christenvölker lieben, dem rauben sie das Land, erbeuten seine Bodenschätze, zwingen ihn gewaltsam zum Glauben und versklaven ihn – oder schlagen ihm den Schädel ein, wenn er sich wehrt.

Noch immer gilt, dass die „Randvölker des Planeten – 80 % der Menschheit – den unsagbaren Reichtum der westlichen Metropolen erarbeiten.“ („Das 500-jährige Reich“) Noch heute muss gesagt werden:

„Menschen in reichen Ländern futtern denen in armen Ländern die Teller leer: Auch in der EU stammen rund 40 Prozent der Lebens- und Futtermittel aus anderen Kontinenten.“ (TAZ.de)

Heute wird der Raubzug der entwickelten Völker als Freihandel definiert. Freihandel ist weit davon entfernt, ein Tauschhandel unter fairen Bedingungen zu sein. Inzwischen hat der Neoliberalismus seine Lehre vom harten Wettbewerb und schädlichen Monopolismus hinter sich gelassen. Amerikanische Monopole dominieren in wichtigen Bereichen das Weltgeschehen. Über Nacht haben die Theoretiker der Chicago Boys nachgezogen und die monopolistische Macht der Konzerne für gut geheißen:

„Aber Unternehmen wie Google, Facebook und Co gelten bisher nicht als finstere Trusts, sondern als bewundernswerte Firmen, deren Erfolg schlicht durch überlegene Leistungen zu erklären ist. Ihre Gründer werden als geniale Erfinder verehrt, die in der Presse gefeiert und von der Politik hofiert werden. Bork, ein Anhänger des Neoliberalismus der „Chicago School“, vertrat die Theorie, dass Monopole keinen wirtschaftlichen Nachteil für die Konsumenten bedeuten, solange sie zu sinkenden Preisen führen.“ (TAZ.de)

Von all diesen Turbulenzen der Welt profitiert die deutsche Mutter-Symbiose auf der Basis der christlichen Zweireiche-Lehre. In der sündigen Welt habt ihr Angst, vermittelt Merkel ihren Untertanen. Doch siehe, wir sind Bewohner des unsichtbaren Reiches Gottes und haben die Anschläge der Welt nicht zu fürchten.

Dieses Manna vom Himmel brauchen die Deutschen wie Luft zum Atmen. Moral kennen sie nur unter christlichen Vorzeichen. Eine Vernunftmoral ist ihnen unbekannt. Selbst der ungläubige Gregor Gysi verweist die Deutschen auf den Dekalog und die Bergpredigt. Mit dem Untergang des Sozialismus sei jede alternative Moral zum christlichen Glauben verloren gegangen. Von der Heidenmoral der griechischen und modernen Aufklärer scheint der Ex-Marxist noch nie gehört zu haben. Auch viele andere Linke halten die Marx-Formel vom Opium des Volks für überholt. Die gesamte Tradition der griechischen Philosophie, ohne die ein Neubeginn undenkbar wäre, ist abhanden gekommen.

Die Welt liegt im Argen. Müssen wir bitter und hoffnungslos werden?

Im Gegenteil: Trump, der das Über-Ich des Westens täglich neu demoliert, kann der Anfang eines dringend notwendigen Neubeginns werden. Höflichkeit ist die gesellschaftlich anerkannte Form der Lüge, wie Schopenhauer erklärte. Nicht nur Höflichkeit, sondern alle Ideologien, die die kollektive Heuchelei mit Fortschrittsmärchen und Reichtumsillusionen überdecken.

Wir können nur neu beginnen, wenn wir die Verblendungen der Moderne destruieren.

Trump ist ein nützlicher Idiot der Vernunft. Was er zerbricht, hat die Chance, sich scharf und klar zu regenerieren, um den Prozess der Verständigung zu fördern.

Merkel hingegen ist die Hüterin einer Sumpflandschaft, die die Giftblüten eines Trump erst ausbrütete. Anstatt die Deutschen in heil-lose Unruhe zu versetzen, verbreitet sie Untertänigkeit und gespenstisches Schweigen. 

 

Fortsetzung folgt.