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Neubeginn IV

Hello, Freunde des Neubeginns IV,

das Weltende ist abgesagt. Atmet auf, Brüder und Schwestern. Ein deutsches Genie widerspricht einem englischen.

Artensterben, Polschmelze, unerträgliche Hitzewellen in Afrika, Wasserknappheit, plastikverseuchte Weltmeere, Tornados, Springfluten und sonstige Naturkatastrophen – alles übertrieben. In der Münchner Innenstadt sind die Temperaturen um drei Grad höher – na und? Das meiste wird gar besser: in gemäßigten Breiten wird‘s behaglich warm, der südbadische Gutedel endlich genießbar.

„Sollten die Temperaturen in den nächsten hundert Jahren nochmals um 1,5 Grad Celsius steigen, wie es die pessimistischsten Prognosen vorhersagen, dann wird es in Deutschland zwar schön warm, das bedeutet aber nicht gleich den Untergang der Menschheit“, betont Walter. Noch müssen wir die Koffer nicht packen.“ (WELT.de)

Als Stephen Hawking sein Untergangsinferno skizzierte, gab es kein Echo – nirgends. Nur eine einzelne Stimme meldete sich und widersprach: der deutsche Astronaut Ulrich Walter. Ja klar, die Deutschen durchschauen den Katastrophen- Schwindel, sie sind untergangsresistent geworden. Seit dem Weltuntergang im Jahr 1945 haben sie alle Apokalypsen prophylaktisch überwunden.

Zu Recht verschwinden die Grünen von der Matte, es gibt kein ökologisches Problem. Unter der Theokratie einer ehemaligen Umweltministerin ist die einst vorbildliche BRD zur Nation mit der verheerendsten Naturschändungsbilanz geworden. Der ökologische Fußabdruck der Deutschen dringt bis ins Mark der Erde.

Es muss also Hysterie sein, wenn die Weltuntergangs-Uhr von fünf vor zwölf auf zweieinhalb Minuten vor zwölf vorgerückt wurde. Kein Rauschen im

germanischen Blätterwald, es gibt wichtigere Themen als das Überleben der Gattung.

„Der schleppende Kampf gegen den Klimawandel, der Ausbau von Atomwaffen – und jetzt noch Donald Trump: Forscher sehen die Welt so nah am Abgrund wie seit 1953 nicht mehr. Deshalb haben sie ihre „Weltuntergangsuhr“ vorgestellt.“ (SPIEGEL.de)

Der Alarmismus-Artikel erschien am Freitag, den 27.1.2017, die Entwarnung bereits am 11.5. In wenigen Monaten ist der Menschheit gelungen, das Ruder herumzureißen und der Menschheit Entwarnung zu geben. Die Beschleunigung in eine verheißungsvolle Zukunft lässt sich nicht mehr überbieten. Was rät Hartmut Rosa, der Beschleunigungsexperte?

„Die Geschichte der Moderne sei gleichzeitig die Geschichte von Beschleunigung. Aufgrund des Zeitgewinns durch technischen Fortschritt entstehe eine Zeitnot und kein Zeitgewinn. Laut Rosa führt die Vielzahl der Möglichkeiten dazu, dass ein Mensch die ihm gegebenen Möglichkeiten nicht mehr im Laufe seines Lebens ausschöpfen kann. Die „Steigerungsrate übersteigt die Beschleunigungsrate“, was dazu führt, dass das gerade Erlebte bereits nicht mehr up to date ist und die Individuen keine Chance haben, „lebensgesättigt“ zu sterben. Der Mensch kann sich nie ausruhen oder sich zufriedengeben, da er sonst mit einem Verlust oder Nachteil rechnen müsste. Rosa sieht keine Steuerungsmöglichkeiten des Lebens für den Menschen mehr, da sich das Tempo der Beschleunigung verselbständigt habe.“

Und noch mal sage ich euch: wer immer diese Zeilen liest, er hat keine Chancen mehr. Lebenssatt kann er nicht sterben, sein Leben nicht steuern, nie kann er sich ausruhen, nie sich zufriedengeben.

„Nehmt Abschied, Brüder, schließt den Kreis!
Das Leben ist ein Spiel;

Wir ruhen all in Gottes Hand.
Lebt wohl, auf Wiederseh’n!“

So, die Brüder sind wir in schlichter Eleganz los geworden, nun Schwestern: faites vos jeux.

Die Uhr stellen wir locker zurück. Merkt ihr nicht, wie die Brüder euer ganzes Leben versauen, damit ihr euch ewig Vorwürfe machen müsst – um listig von ihren Machenschaften abzulenken? Früher infizierte man die Menschen mit höllischen Ängsten, heute degradiert man jede Frau zur körperlichen Missgeburt – die erst durch maskuline Schönheitsoperationen, Salben und Tinkturen menschen-ähnlich werden kann.

„Die Unzufriedenheit vieler Frauen mit dem eigenen Körper ist ein Thema, das Schauspielerin Nora Tschirner (35) tief bewegt. Es geht um Schönheitsideale, Selbstwahrnehmung, den Kampf unzähliger Frauen gegen den eigenen Körper und das große Ziel, mit sich selbst Frieden zu schließen.“ (BILD.de)

Frieden mit sich zu schließen – wäre das nicht: mit sich selbst zufrieden sein? Eine größere Sünde wider das männliche Gebot bedingungsloser Unzufriedenheit kann es nicht geben. Selbstzufriedenheit wird angegriffen als Feind der Moderne, des Fortschritts und gottgleicher Grenzenlosigkeit.

Trump war ein ätzender TV-Scharfrichter der Frauen. Kaltschnäuzige Mannweiber wie Heidi Klum operieren als Kanaillen der Machos und erniedrigen junge Frauen bis aufs Blut – und die lassen es sich auch noch gefallen. Schwestern, wie wollt ihr die Männer zum Teufel jagen, wenn ihr ihnen ständig auf den Leim geht?

Gemach, es kommt noch besser, die Beschleunigung des Authentischen rast: „Die absurdeste Kuppelshow“ – heuchelte BILD lüstern: „Entschieden haben Schamlippen-Größe, Genital-Tattoos und Penis-Durchmesser.“ (BILD.de)

Nur gut, dass die amerikanischen Wahlen – noch – nicht nach den Regeln der „Kuppelshow“ abgehalten wurden. Sonst hätte die auserwählte Nation die Möglichkeit gehabt, die alte Mutmaßung zu überprüfen, ob die kleinen Hände des jetzigen Präsidenten – mit denen er seine Gäste zu drangsalieren pflegt – auf sein bestes Stück schließen lassen.

Erstaunlich – nein, vorhersehbar, dass die Genitalien der Frauen nach ästhetischen, die der Männer nach quantitativen Maßstäben bewertet werden. Frauen stehen für Schönheit. Schönheit ist Lebensfreude und unzensierte Lust, inkompatibel mit männlich verordnetem Jammertal auf Erden.

Männer haben keine Ästhetik des Auges. Wie könnten sie sonst die Verschandelung der Erde ertragen, die sie als Fortschritt deklarieren? Sie brauchen eine hässliche Natur, um ihre Unvergleichlichkeit im Kontrast zu bewundern. Die Unvergleichlichkeit der Männer gibt sich bilderlos. Das Bildnisverbot des Männergottes scheut den Vergleich. Er will im Geist angebetet werden: also muss das sinnliche Auge still gelegt werden, damit es nicht wagt, den Einmaligen à la nature zu beäugen.

Glauben ist sinnenfeindliches, unüberprüfbares Fürwahrhalten; die Begegnung lustfähiger Menschen bedient sich des Kaleidoskops ungeschmälerter, praller Sinnlichkeit. Für lustfeindliche Männer, die das Ausüben von Macht als Orgasmus betrachten, ist Religion die Feindin natürlicher Sinnlichkeit. Männer suchen keine orgiastische Lust, sondern sexuelle Triebabfuhr, Rekorde im „Flachlegen“. Ein bacchantischer Orgasmus wäre für sie Kontrollverlust.

Die weibliche Orgie hingegen war in seligen Zeiten identisch mit religiöser Hingabe. Die Lust zu leben war Religion der Natur. Sinn und Sinnlichkeit, Denken und Fühlen, Leidenschaft und Hingabe, waren keine Feinde. Die Orgie war der wahre Gottesdient, zumal Gott die Göttin der Natur war.

„Die sexuelle orgia repräsentierte für das Heidentum das zentrale Mysterium; deshalb verdammten die christlichen Priester den Großen Ritus als die „Hurereien von Eleusis“. Gemeinschaftlicher Geschlechtsverkehr war überall auf der Welt ein notwendiger Bestandteil religiöser Zeremonien, lange bevor irgendein Teil der Bibel geschrieben wurde. Es war Teil des Gruppengefühls, das die religiöse Erfahrung auszeichnet. Religiöse Leidenschaft schloss alle anderen Leidenschaften ein.“ (Nach Walker)

Wie viele christliche Sekten bis weit in die frühe Moderne ahnten, dass sinnen-loses Glauben nur eine Perversion wahrer Lebensekstase war und kehrten – ohne es zu wissen – zurück zu sakralen Orgien der Heiden. Von kalten Priestern – die ihre sündigen Triebe in bigotter Heimlichkeit befriedigten – wurden sie erbarmungslos abgeschlachtet.

Christliche Kulturen sind unbefriedigte, unzufriedene, ruhelose Kulturen, ständig unterwegs nach imaginärer Erfüllung, die sie durch besinnungsloses Beschleunigen, Anhäufen von Macht und Spielen mit dem Tod, in einer fernen Zukunft oder im Jenseits glauben erreichen zu können.

Ein Orgasmus ist nicht nur die sinnliche Begegnung mit einem einzelnen Menschen, sondern ein Hieros Gamos, ein Umarmen der ganzen Natur.

Mit welchem Hass zerstörten die Erlöser alle Tempel der orgastischen Göttin, um ihre Altäre der Macht und Herrlichkeit aufzurichten. Durch technische Überlegenheit, Erfinden lebloser Maschinen, Beherrschung der Unterlegenen und Unterjochen der Natur hasten die Gläubigen nach orgastischer Erfüllung, die sie sich im gleichen Augenblick verbieten müssen. Jede mechanische Triebabfuhr ist ein Orgasmus interruptus oder ein religiöses Lustverbot.  

Bei Zenon, dem Begründer der Stoa, war Kosmopolitismus die Verbundenheit der Völker „in einem dauernden Taumel gegenseitiger Freundschaft und Liebe. Es war ein erotisches Verhältnis aller zu allen“, für Christen die höchstmögliche Form sündiger Verblendung, die der Gott der Sinnenfeindschaft eines Tages mit Stumpf und Stil vertilgen wird.

Sophia Thomalla hält – ganz objektiv – Frauen für das schöne Geschlecht. Warum haben Männer Angst vor ihr? Weil sie zu stark und selbstbewusst sei. Für echte Männer sind Frauen nur Gebärerinnen ihrer Erben und Hüterinnen ihrer Villen mit Meeresblick. Ihre Flucht vor Frau und Kind ist nicht nur der Not des Überlebens, der Gier nach Geld und Macht geschuldet: sie haben keine Vorstellung, wie man ohne kapitalistische Order selbstbestimmt in den Tag hinein leben kann.

Männer nur in privaten Dingen gesundschrumpfen zu lassen, ist zu wenig. Die Autonomie der Frauen müsste die männliche Macht in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft untergraben und das Machtgebäude der Männer zum Einsturz bringen.

Es wartet eine schwierige Aufgabe auf die Frauen. Die Männer müssen mit eigenen Waffen geschlagen werden – ohne dass die Frauen zu Männern mutieren.

Zenons Utopie ist eine philosophische Erinnerung an matriarchale Zeiten. Menschliche Probleme werden durch den Eros der Gemeinschaft gelöst. Patriarchen halten nichts von Humanität, die man durch Denken und Streiten lernt. Der Mensch ist für sie ein korruptes, für immer verdorbenes Wesen. Sie setzen auf Roboter, die auf Knopfdruck reagieren und von persönlicher Insuffizienz unabhängig sind.

Das Absurde ist, dass sie ihren mechanischen Erfindungen Fähigkeiten beibringen wollen, zu denen sie selbst nicht fähig sind. Ihre digitalen Sprösslinge sollen selbständig denken – können denn sie selbständig denken? Sie sollen klug und weise sein – sind sie denn klug und weise? Sie sollen friedfertig sein – sind denn sie friedlich und verträglich?

Der finnische Forscher Timo Honkela will eine Maschine konzipieren, die nichts weniger können soll, als den Menschen Frieden zu bringen:

„Künstliche Intelligenz könnte Konflikte verhindern und mehr Demokratie schaffen, glaubt der Forscher Timo Honkela. Er hat eine Maschine konzipiert, die den Menschen Frieden bringen soll.“ (WELT.de)

Wie soll die Wundermaschine funktionieren, die der Menschheit verkündet: siehe, ich bringe euch große Freude, die allen Völkern zuteil werden soll? Schau an, das Prinzip ist „sehr einfach“. Wir werden es doch nicht mit einem algorithmischen Populisten zu tun haben? Wenn das Prinzip einfach ist, warum kann der Mensch es nicht lernen?

Zuerst müssen wir die Wurzeln der Konflikte erforschen. „Jeder Konflikt wurzele in Missverständnissen, aggressive Auseinandersetzungen würden seltener, wenn Menschen einander verstünden.“ Die Sprache, Mittel der Auseinandersetzung, sei kein logisch Ding, sondern abhängig von vielen subjektiven Erfahrungen und Einschätzungen. Jeder Mensch solle mit der Friedensmaschine ausgestattet werden, die die subjektiven Begriffe der Einzelnen in objektive, den Gesprächspartner verstehende Begriffe verwandeln soll. Es geht nicht um schlichtes Übersetzen, sondern um gegenseitiges Verstehen individueller Nuancen und kultureller Assoziationen.

„Oft spielten auch Gefühle eine große Rolle. Weniger die Fakten. Die künstliche Intelligenz soll nach Honkelas Plan auch die Gefühle von Millionen von Menschen analysieren. So könnte sie die Menschen in schwierigen Situationen beraten – oder als ständiger Therapeut anwesend sein. Man könnte mit Maschinen politische Entscheidungen optimieren, wunde Punkte der Gesellschaft finden.“

Wenn Menschen solche Fähigkeiten toten Maschinen beibringen können, warum nicht lebenden Menschen durch Vorbild und Argumente?

Der Mensch ist des Menschen überdrüssig geworden. Er hat keine Hoffnung mehr, seinen Kindern und Mitmenschen zu vermitteln, was er Maschinen durch bloßes Codieren einprogrammieren will. Er setzt nicht mehr auf den bornierten Menschen. Etwas gänzlich Neues muss her. Technische Erfindungen sind die wahren Sprösslinge des homo creator, die auf Knopfdruck in blindem Gehorsam den Willen ihrer Schöpfer ausführen.

Der Mann verabschiedet sich von Weib und Kind. Das Zeugen und Erziehen immer neuer Menschen, die stets die alten Dummheiten wiederholen, geht den Ungeduldigen auf den Wecker. Sie wollen blind gehorchende Wesen, die nicht ständig herumnörgeln, Widerstand leisten und ihren eigenen Skurrilitäten folgen. Das alte Herr-Knecht-Verhältnis des Kapitalismus soll zugunsten einer gleichwertigen Symbiose beendet werden. Empathisch Hand in Hand, so stellt sich der Finne das neue Traumpaar aus Mensch und Maschine vor:

„Honkela sieht in der Zukunft eine Koevolution von Mensch und Maschine. Maschinen ahmten unsere Intelligenz oder Gefühle nach. Der Mensch könnte die Maschinen als „Intelligenz- und Gefühlsprothesen“ benützen.“

In Japan soll es bereits Männer geben, die Sex-Maschinen heiraten, um aussichtslosen zwischenmenschlichen Problemen zu entgehen. „In Asien hat erstmals ein Mensch eine virtuelle Figur geheiratet, Zeremonie mit Priester inklusive. Die Grenze zwischen Realität und Computer verschwindet immer mehr.“ (Sueddeutsche.de)

«Diese Figuren haben menschliche Züge, sie sind keine Roboter», sagt Mermer. «Sie lachen und weinen. Und das löst natürlich auch beim Spieler Emotionen aus, die so weit gehen, dass sie sich in die Figur verlieben.» Nach der Eroberung indes wird selbst Nene gefällig. «Wenn das Mädchen weiß, was der Spieler mag und was er verabscheut, dann verändert sie ihre Persönlichkeit und ihre Gefühle – selbst ihre Sprache wird sich ändern», heißt es in der Beschreibung des Spiels. Nene Anegasaki ist am Ende also doch keine eigenständige Frau.“

Auch hier der Überdruss der Männer an menschlichen Beziehungen. Das Komplexe bezieht sich nicht nur auf die politische Ebene. Wir erkennen die Quelle der Unlösbarkeit: es ist die soziale Ebene, der Mensch als Geschlechtswesen und demokratischer Akteur, dessen Konflikte ihm über den Kopf wachsen. Die psychotische Sucht des Menschen nach Maschinen ist die Sehnsucht nach Geschöpfen, die er selbst hervorgebracht hat und die alles pro nobis (für uns) erledigen, wozu wir uns nicht mehr imstande fühlen.

Das verunglückte Gott-Mensch-Drama wiederholt sich auf der tieferen Ebene des Mensch-Maschinen-Dramas. Wie Gott den Menschen erschuf, um von ihm gebraucht und geliebt zu werden, so erschafft der Mensch die Maschine, um von ihr geliebt und von all seinen Unfähigkeiten und Sünden erlöst zu werden.

Es zeigt sich an Honkela selbst, dass die Beziehung zu Menschen unwichtig geworden ist:

„Honkela weiß, dass seine Visionen vielen recht theoretisch, zu idealistisch erscheinen. Ihm ist aber nicht mehr wichtig, was andere denken. Er ist überzeugt, dass nur der Glaube an bestimmte Ziele die Welt ändern kann. Die Zukunft werde von uns gemacht und wir könnten mitbestimmen, wie sie wird.“

Hätte der finnische Professor Macht über Menschen, bestünde hier die Gefahr, dass er seine Ideen als Zwangsbeglückungen umzusetzen versuchte. Wenn Erlösungsideen sich paaren mit Verachtung derer, die erlöst werden sollen, wird’s brenzlig.

Wird die Zukunft tatsächlich von uns gemacht, wenn wir taubstumme Maschinen benötigen, die sie stellvertretend für uns gestalten? Wie der Sohn Gottes stellvertretend für uns das Erlösungswerk durchführt, so der digitale Menschensohn stellvertretend für den Menschen. Wir kopieren Gott, der mit seinem stellvertretenden Sohn Schiffbruch erlitten hat. Nun glauben wir, Gottes Inkompetenz zu übertreffen?

Die Politik der Gegenwart wechselt rapide ins Ästhetische und belanglos Private. Wenn Merkel eine kühle Physikerin, Macron ein frühgenialer Klavierspieler, Trudeau der Schwarm der Frauen ist, wird von ihren außerpolitischen Fähigkeiten direkt auf ihre politischen geschlossen. Ulf Poschardt schwärmt von „ansehnlichen“ Kerlen mit offenen Hemdkragen. Lindner sei noch „jung“, die grüne Partei ästhetisch und moralisierend verbraucht. Merkel wird wohlweislich nicht erwähnt. Sie bleibt die unveränderliche Urmutter, die die Bühne dauerhaft stabilisiert, auf der die politischen Eintagsfliegen Hoppsassa machen. Das schnell zum Überdruss und zur Langeweile tendierende Publikum senkt und hebt den Daumen.

Nach der Enttäuschung durch die Französische Revolution flohen die deutschen Genies ins Reich des Schönen und Ästhetischen. Ihr künstlerisches Ideal wurde der „natürliche Mensch: der ungebildete, unverbildete, unmoralische, lebensvolle, der geschmacklose, der ungeschminkte, kurz: der naive, kraftvolle, urwüchsige Mensch, der nicht vernunftgeformt ist, sondern unmittelbar aus der Fülle des Herzens handelt. Nur da ist Dichtung, wo die Einfalt der Natur über den Aberwitz der Vernunft und die Unsittlichkeit der Sitte triumphiert.“ (Korff, Geist der Goethezeit)

Eine trefflichere Beschreibung – Trumps kann nicht gegeben werden. Woraus wir entnehmen, dass die Politik des Westens die künstliche Über-Ich-Vernunft verwirft und an die Urquelle des authentisch Barbarischen, Vernunftlosen und Unzivilisierten zurück flüchtet. (Georg Seeßlen hat die Vorbilder Trumps in der „echten“ und „authentischen“ Pop-Kultur gefunden.)

Früher gab es in der BRD bedeutende Schriftsteller und Intellektuelle, deren mahnende Stimmen als Gewissen der Nation empfunden wurden. Warum sind sie heute wie vom Erdboden verschwunden? Konstantin Ulmer versucht in der ZEIT eine Antwort:

„Das alles hängt auch damit zusammen, dass die Meta-Erzählungen der Intellektuellen, die großen Geschichten von Aufklärung, Fortschritt und Utopie, derzeit auserzählt sind. Die eschatologischen Hoffnungen, so hatte es Pierre Bourdieu formuliert, waren stets „das wahre Opium der Intellektuellen“. Das Opium ist aufgeraucht.“ (ZEIT.de)

Eschatologische Hoffnungen sind theologische. Wer auf Vernunft setzt, muss rationale Hoffnungen hegen. Religion, nicht Ratio, ist Opium des Volkes. Aufklärung ist keine Meta-Erzählung, sie ist überhaupt keine Erzählung: Erlösergeschichten sind Märchen und Erzählungen. Vernunftideen sind Gestaltungsvorstellungen einer demokratischen Gesellschaft, die, wenn sie wahr sind – nicht anders als Prinzipien des Grundgesetzes – von ewiger Dauer sind.

Kunst sollte einst nützen und ergötzen. Die Edelschreiber der Gegenwart empfinden sich nicht mehr als engagierte Demokraten, sondern als ästhetische Kritikaster, die gelangweilt in ihren Logen sitzen und das immer gleiche und nervtötende Geschehen in der Manege mit blasierter Miene zensieren. Den moralischen Nutzen haben sie gestrichen. Sie folgen nur der Devise: varietas delectat: jeden Tag eine neue Überraschung, per favore.

Das war die Stimmung des französischen Adels am Vorabend der Revolution. Danach – die Sintflut.

 

Fortsetzung folgt.