Kategorien
Tagesmail

Natur brüllt! LXXXVII

Tagesmail vom 10.06.2024

Natur brüllt! LXXXVII,

wir haben das Spiel verloren. Das Spiel mit Natur und Welt.

Wer ist „wir“ ?

Die Grünen, die Konservativen, die Rechten oder Ultrarechten, die Linken oder Ultralinken – die Mitte?

Das ist die dümmste aller Fragen.

Sind es nicht immer Führungsmächte, die alles in der Hand haben, also für alles Rechenschaft ablegen müssten?

Die gewählten oder ungewählten Führungen, die Regierungen oder die Wirtschaftskapitäne?

„Indirekt gibt Weimer das sogar zu, wenn er davon schwärmt, dass Merkel ihm stets gesagt habe, Deutschland müsse Europa wirtschaftlich führen, nicht politisch. Exakt diese nicht-politische, rein auf den eigenen ökonomischen Erfolg fokussierte Politik hat das Land erpressbar gemacht.“ (SPIEGEL.de)

Wussten die Deutschen, dass sie eine Frau in den Himmel hoben, die keine Politik machen wollte?

Jahrelang wurde in Deutschland eine Frau gewählt, zu deren Programm es gehörte, nicht politisch zu agieren, sondern nur wirtschaftlich?

Wussten die Deutschen denn nicht, dass sie eine Schaumschlägerin gewählt haben?

Und die Medien, wussten die davon? Waren sie es, die eine geniale Betrügerin in den Himmel hoben?

Viele von ihnen verehrten die „Mutter Europas“ wie Katholiken ihre Maria.

Lenk nicht ab, wir alle haben sie gewählt, also sind wir an allem schuld.

Ach, Du bist schuldsüchtig und wartest auf die Große Vergebung?

Waren es unfähige Regierungen oder ignorante Völker, die von der idealen UNO-Menschenrechtsdeklaration nur träumten? Dann sag mir, von wem die Rede ist?

„Nachdrücklich wendet er sich gegen die sozialen Grundrechte. Die Unerfüllbarkeit und Absurdität sozialer Rechte im Sinn eines Anspruchs auf Freiheit von materieller Not zeige sich an universellen Grund- und Menschenrechten, die den Ärmsten auf der Welt regelmäßig bezahlten Urlaub zusichern wollen. Mit scharfen Argumenten geißelt er die UNO-Menschenrechtsdeklaration als ein platonisch-totalitäres Gedankengut, das mit der klassischen Freiheitstradition nichts zu tun hat.“

Seine Bewertung eines Berichts des „Club of Rome“ ist kurz und vernichtend:

„Es ist ein Beispiel jener Arroganz der Intellektuellen, dass sie glauben, sie können oder müssen voraussagen, wie sich die Dinge in Zukunft entwickeln werden. … Das Verlangen, dass wir wissen sollen, wie die Welt in hundert Jahren ausschaut, ist einfach absurd.“

Hier bezieht er sich auf den von seinem Freund Popper kritisierten Marx, der behauptete, Geschichte sei berechenbare Wissenschaft und wer ihre Gesetze kenne, sei in der Lage, ihre Zukunft präzis zu prognostizieren.

Es gebe nur eine wahre Freiheit und das sei die Freiheit der Reichen und ökonomisch Unabhängigen. Wer Freiheit mit sozial unterstützter Armut verwechsle, sei nicht frei, sondern ein Parasit.

Wer hat die Freiheit der Reichen, verbunden mit der Verachtung der sozial Schwachen, erfunden?

Na wer wohl, das waren doch die Linken.

Einen Bericht der Brandt-Kommission 1977, in dem der Satz stand, dass die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher würden, fertigte er mit dem Wort ab: Tautologie. Das verstehe sich doch von selbst, dass in einer freien Wirtschaft die Tüchtigen reicher würden und die Versager am Hungertuch nagen müssten.

Diese Freiheit ist für ihn wichtiger als eine Demokratie, in der sich die Mehrheit auf Kosten der Wenigen durchfüttern lässt.

Tyrannenregimes sind für ihn freier als schreckliche Pöbelherrschaften. Zu seinen Lieblingsverbündeten gehörten Chiles Diktator Allende oder der portugiesische Alleinherrscher Salazar.

Selbst autoritäre Regimes hielt er für fähig, marktwirtschaftliche Freiheit zu gewähren. Das missfiel selbst Margaret Thatcher, einer großen Bewunderin seiner Fähigkeiten.

Aus taktischen Gründen hatte er bereits ein Buch gegen den deutschen Faschismus geschrieben, das ihm weltweite Resonanz eingetragen hatte.

Danach wollte er auf freiem Feld seine faschistoide Ökonomie als beste aller Ökonomien lobpreisen. Doch kaum jemand schöpfte Verdacht, dass seine Wirtschaft kaum weniger unfrei war als eine offizielle Alleinherrschaft.

Die heutige Krisensituation mit siegreichen rechten Parteien ist das Produkt jenes Nachkriegs-Tohuwabohus.

Da konnte folgendes passieren:

„Insofern waren es Clinton und Blair, also Politiker aus der „linken Mitte“, die am meisten dazu beitrugen, die Rolle des Neoliberalismus auf nationaler wie internationaler Ebene zu festigen. Ihre Offensive gipfelte in der Gründung der Welthandelsorganisation WTO.“ (David Harvey, Kleine Geschichte des Neoliberalismus)

In Deutschland war es der Sozialdemokrat Schröder – heute immer noch ein Freund Putins – der die Ideologie der autoritären Freiheit einführte. Kein nennenswerter Protest in deutschen Landen.

Den Deutschen ging es gut. Welche Wirtschaftsgesetze dafür verantwortlich waren, war ihnen schnuppe. Ging es ihnen zeitweise ein wenig schlechter, waren für sie jene daran schuld, die sich auf Kosten des Sozialstaates durchschlagen wollten.

Der Sozialdemokrat Schröder erfüllte ihre Erwartungen auf Wohlstandszuwachs zu Lasten aller sozialen Unterstützungen. Zuerst spottete Merkel über Schröders Armenschelte. Später erklärte sie:

„Gut zweieinhalb Jahre nach ihrem Kommentar im Bundestag sagte Merkel in ihrer Regierungserklärung nach der Wahl als Schröders Nachfolgerin: „Ich möchte Kanzler Schröder ganz persönlich danken, dass er mit der ‚Agenda 2010‘ mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, unsere Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen.“ Eine bemerkenswerte Kehrtwende von Merkel. Die für die Reform verantwortliche SPD hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich von der Agenda entfernt.“ (Tagesschau.de)

Dieses Schmierentheater der Großen erleben die Deutschen seit Bestehen der Nachkriegsrepublik auf einbetonierter Kompromissbasis.

Sollten die Parteien einmal „abendländische Werte“ als leitende Politziele gehabt haben, waren diese schon lange verschwunden, als sie zu einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Nationen aufstiegen.

Menschen- und Völkerrechte wurden zu Predigtthemen der Staatspräsidenten, ansonsten spielten sie keine Rolle. Was man früher Staatsraison genannt hätte, um die eigene Amoral als Notwendigkeit staatlicher Machtgarantie zu rechtfertigen, wurde zur stummen Eigenschaft einer rabiaten Erfolgs-Nation.

So ganz stumm nicht. Wie sollte der Staat handeln? Nach moralischen Prinzipien der UNO-Konvention? Um Gottes Willen: allein nach amoralischen Interessen.

Diese Entwertung der national verbindlichen moralischen Leitlinien führte zur Entwertung der grundlegenden abendländischen Ethik der Deutschen – wie sie feierlich logen. Wen kümmerte das? Fast niemand.

Dabei hatte Karl Polanyi schon 1944 die Grundlagen einer wahrhaften demokratischen Freiheit formuliert.

„Es gebe zwei Arten von Freiheit, eine gute und eine schlechte. Zu der zweiten Art zählte er die Freiheit, die Mitmenschen auszubeuten, maßlose Gewinne ohne angemessene Leistungen für die Gemeinschaft zu erzielen, aus dem schlechten Funktionieren staatlicher Dienste einen persönlichen Vorteil zu erzielen. Die Marktwirtschaft habe Freiheiten hervorgebracht, die zu bewahren von höchster Wichtigkeit sei. Er meinte damit Gewissensfreiheit, Redefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wie auch die Freiheit, sich seine Arbeit selbst zu suchen.“ (Harvey)

Nach Polanyi ist der Neoliberalismus Hayeks dazu verdammt, „in einem autoritären System oder gar im offenen Faschismus zu enden. Die guten Freiheiten gehen unter, die schlechten setzen sich durch. Polanyis Diagnose kann erklären, was Dabbelju Bush im Sinne hatte, als er ankündigte, dass »die USA als größte Macht der Welt eine Verpflichtung habe, die Ausbreitung der Freiheit zu fördern.«“

Harvey fragt sich, „ob nicht viele unheilvolle Entwicklungen – etwa das Wettrüsten und der Kampf gegen reale wie imaginäre Feinde – insgeheim zum Vorteil der verdienenden Unternehmen manipuliert wurden. Die Freiheit des Marktes erwiese sich damit als erfolgreichste Methode zur universalen und unbehinderten Ausbreitung der Macht von monopolistischen Konzernen.“

Die soziale Atmosphäre in neoliberalen Gesellschaften sollte, nach Margaret Thatcher, so aussehen:

„Ein Ding wie Gesellschaft gibt es nicht, es gibt nur einzelne Männer und Frauen – und ihre Familien. Deshalb müsse man jede Form gesellschaftlicher Solidarität abschaffen – zugunsten von Individualismus, Privateigentum, persönlicher Verantwortlichkeit.“

Die deutschen Medien waren erstaunt, als ein Narziss wie Trump die politische Macht erobern konnte. Hätten sie die Erfolgsgeschichte des Neoliberalismus verfolgt, so hätten sie gewusst:

„Die narzisstische Beschäftigung mit dem Ego, mit der eigenen ethnischen Identität, wurde zum Leitmotiv bürgerlich-urbaner Kultur. Die künstlerische Freiheit – oder Hemmungslosigkeit – die von mächtigen kulturellen Institutionen der Stadt gefördert wurde, lief letzten Endes auf eine Neoliberalisierung auch der Kultur hinaus. Das „verrückte New York“ … löschte die Erinnerung an das demokratische New York aus. Die New Yorker Arbeiterklasse und die Einwanderergruppen fanden sich auf der Verliererseite wieder. Der Rassismus gewann an Boden. Die Opfer wurden zu Schuldigen erklärt, und Bürgermeister Giuliani erhöhte sein Ansehen mit seiner Null-Toleranz-Strategie im Interesse der immer steinreicher werden Bourgeoisie von Manhattan. Damit war klar, dass der Regierung eher das Los zufiel, ein gutes Geschäftsklima zu pflegen, als sich um die Bedürfnisse und das Wohlergehen der Gesamtbevölkerung zu kümmern.“

Mit diesen Skizzen aus einer modernen Welt sollte klar sein, warum das Ausmaß der Unzufriedenheit in der westlichen Moderne in babylonische Höhen steigen musste. Und warum rechte und ultrarechte Parteien – also Parteien mit wachsendem antidemokratischem Ungeist – allmählich die Oberhand gewannen. Und warum das Potential verzweifelter und unglücklicher Menschen endlos stieg.

Das Suchen nach Ursachen des Elends war hierzulande verpönt. Erst jetzt wird plötzlich gefragt, WOHER? WOHER? Als seien die Alarmisten der Gesellschaft plötzlich aufgewacht und hätten desolate Verhältnisse festgestellt. Ja, WOHER denn?

In neoliberalen Gesellschaften scheint man nicht mehr zu wissen, wann Menschen sich wohl befinden – und wann sie ins Abseits geraten. Es geht ihnen gut, solange ihre Grundbedürfnisse gedeckt, ihre Würde und Autonomie bewahrt und ihre Gleichheit und Gleichwertigkeit gesichert sind.

Dann also, wenn kein inhumaner Neoliberalismus wütet, sondern die Humanität des homo politicus von einem fürsorglichen Regiment beschützt und gefördert wird.

Wer viel fragt, was Urbedürfnisse des Menschen seien, verrät seine elementare Inkompetenz in Kultur der Mitmenschlichkeit.

In keiner echten Demokratie muss ein Mensch um seine Urrechte kämpfen. Sind sie aber gefährdet, weiß er sich, dem Unheil entgegenzustellen.

Der Rechtsruck der Gesellschaft ist kein abstraktes Geschehen, sondern eine Warnung aus der Tiefe. Wie eine Maschinengesellschaft ihre Abfälle in die Atmosphäre und die Meere des Planeten abstößt, so verdampft sie die desolaten Gefühle der Menschen in immer kränkeren Schwadenbildungen einer verkommenen würdelosen Fortschrittsgesellschaft.

Geben wir Harvey das Schlusswort:

„Die Welt ist heute in der Lage, imperialistische Anmaßungen zurückzuweisen und das Kernland des neoliberalen Konservatismus mit einem völlig anderen Wertesystem zu konfrontieren: mit einer offenen Demokratie, die dem Prinzip der sozialen Gleichheit ebenso verpflichtet ist wie der Gerechtigkeit auf ökonomischer, politischer und kultureller Ebene.“

Gibt es eine einzige Partei in Deutschland, deren Programm identisch ist mit solchen Werten?

Hätten wir keine solche Partei, gäbe es keinen einzigen echten Sieger im Wahlkampf. Wir alle hätten verloren.

Fortsetzung folgt.