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Montag, 29. Juli 2013 – Gewaltenteilung

Hello, Freunde des Journalismus,

eine gute Botschaft aus den Medien, Döpfner wickelt die Springer-Produkte ab, die unter dem falschen Etikett Journalismus die Kioske überfluteten. Als Letztes wird er BILD einstellen, jene Erfindung Springers, unter der er litt wie ein Hund. Endlich kann der Begründer des Verlages posthum zur Ruhe finden. Döpfner, der feinsinnige Musikkritiker, wird sich den Titel Journalist des Jahres zu Recht verdienen.

Welche Mächte werden die Welt beherrschen? Am Ende werden es nicht Nationen sein, die um den Titel Weltmacht kämpfen. Denn die auserwählten Nationen werden nicht kollektiv ins Gelobte Land einziehen. Am Ende werden alle Mittel- und Unterschichten rund um den Globus zu machtlosen Klassen geworden sein.  

Macht, über lange Zeit national organisiert, wird sich als weltumspannendes Gefälle zwischen allen Schichten und Klassen der Völker entlarven. Wenn nationale Eliten sich nicht gegenseitig überwältigen können, weil jeder Angriff ihre eigene Existenz gefährden würde, werden sie sich, ohne zu zögern, zusammenschließen, um gemeinsam den unheiligen Rest der Welt an die Leine zu legen.

Das zeigt sich in den gegenwärtigen Krisen. Während das Volk der Griechen unter mangelnden Perspektiven ächzt und leidet, feiern die Eliten rauschende Feste. Mit ihren riesigen Vermögen müssen sie für die Fehler ihres Landes nicht einstehen und halten es für richtig, die Not ihrer Landsleute zu verhöhnen. Nicht anders als in Spanien, Portugal. Im Grunde auf der ganzen Welt, wo hartleibige Machtmenschen den Rahm der malochenden Völker abschöpfen und als

ihr natürliches Eigentum betrachten.

Hier das Buch von Petr Silaev über die hoffnungslose Lage der russischen Jugend:

„Wir alle hassen Bullen, jeder echte Sowjetmensch“, schreibt Silaev. „Bullen“, das sind die Frontsoldaten eines Staates, in dem es für die Massen keine Gerechtigkeit gibt und für den Einzelnen keine Werte, die größer sind als sein individuelles Glück. „Wir alle gehören zu der ekelhaften postsowjetischen Generation. Wir haben nichts, keine Ziele und Prinzipien“, erklärt Silaevs Erzähler. „Doch die Sehnsucht nach Heldentum sitzt irgendwo tief in uns, in mir und den anderen, die ihre Wohnung noch nicht nach europäischem Standard renoviert haben.“ Er und seine Bande sind jung, gebildet, chancenlos – an diesem Leben liegt ihnen nicht viel: „Wir sind alle für den Krieg geboren, dafür, in Reih und Glied ins Blutbad zu ziehen. Direkt ins Maschinengewehrnest, direkt ins Minenfeld.“ (Oskar Piegsa im SPIEGEL)

In diesem Text könnten Länder und Namen ausgetauscht werden, die verzweifelte Stimmung der Jugend wäre als Generalmotiv in fast allen Ländern der Erde verwendbar. Noch nie war die Welt so reich, noch nie haben so viele Menschen unter Verachtung, Demut und Not gelitten. Die Eliten kreisen nur um ihre Pfründe. Wer hat die größte Yacht, die tollste Luxuswohnung in den teuersten abgesperrten Vierteln der Welt?

Welcher Intellektuelle und Edelschreiber diese Situation für erhaltenswert hält, hat sich zum Fußabtreter der Eliten gemacht. Man sollte ihm den Griffel aus der Hand schlagen.

Die abgeschotteten Nutznießer des Fleißes aller Völker lassen weder Einsichtsfähigkeit noch Reformwillen erkennen. Die Gefahr wächst, dass die Unterdrückten der Welt ihre Situation nicht mehr mit gewaltlosen Mitteln der Demokratie ändern wollen. In einem Bericht aus Griechenland erklärte ein Bäcker, der seinen Laden schließen, dessen Tochter ins Ferne auswandern muss: Wenn‘s nach mir ginge, würde ich die ganze Elite aufhängen.

Es brodelt fast rund um den Globus. Von Brasilien über Arabien, Europa, Türkei und Russland bis nach China. Die Ein-Prozent-Elite wundert sich schon lange, warum 99% der Milliarden Menschen sich ihren Despotismus gefallen lassen. Da sie machtbewusster sind als die Milliarden, gewohnt, potentielle Gefahren von Weitem zu riechen und ihnen vorbeugend entgegen zu treten, haben sie Tempora und Prism entwickelt. Unter dem Vorwand, einige bärtige Hanseln hopps zu nehmen, installieren sie gigantische Glaskäfige, unter denen sie den Plebs mit Allwissenheit und ferngelenkten Drohnen einschüchtern.

Eine früher oft geäußerte, schon lange nicht mehr gehörte Devise lautet: alles, was machbar ist, wird gemacht werden. Selbst, wenn die unsichtbaren Augen Gottes sich momentan noch zurückhalten, um die Reaktion der Öffentlichkeit abzuwarten und abzuwehren: eines Tages werden sie ihr Potential im Sinne jener Hollywood-Filme anwenden, wo kein Winkel der Erde uneinsehbar und vor ferngelenkten Waffen der Silicon-Zentren sicher ist.

Die wissenschaftlichen und technischen Eliten haben sich nicht nur in allen totalitären Staaten, sondern auch unter demokratischen Vorzeichen als unbegrenzt opportunistisch, liebedienerisch und machtgeil dargestellt. Sie wollen oben mitmischen, es komme, was da komme.

Wie sagte Nichtwissenschaftler Lothar de Maiziere? Nun habe ich so viel gesät, nun will ich ernten. Das gilt für arrivierte SPDler wie Clement, Schröder, die am Ende ihres Lebens abkassieren wollen, das gilt für Algorithmiker, Ökonomen, Chemiker, für Heidi Klums wie für Ex-Generäle, für Schriftsteller und Franz Beckenbauers, die sich alle den internationalen Putins unterwerfen, um noch schnell für sich und ihren zahlreichen Nachkommen den Fahrstuhl ganz nach oben zu öffnen.

Demokratie ist Gewaltenteilung. In der Moderne hat‘s der Franzose Montesquieu klassisch formuliert:

„Demokratie und Aristokratie sind nicht von Natur aus freie Staatsformen. Freiheit ist nur unter maßvollen Regierungen anzutreffen. Eine Erfahrung lehrt, dass jeder Mensch, der Macht hat, dazu neigt, sie zu missbrauchen. Deshalb ist es nötig, dass die Macht der Macht Grenzen setzt. Es gibt in jedem Staat dreierlei Vollmacht: die gesetzgebende Gewalt, die vollziehende und die richterliche. Es gibt keine Freiheit, wenn diese nicht voneinander getrennt sind.“

Nie hätte der adlige Franzose ahnen können, dass in einem demokratischen Staat auf dem Papier alles in Ordnung und dennoch alles defekt sein könnte. In modernen Demokratien gibt es nicht nur die legalen Mächte Legislative, Exekutive und Judikative, die sich gegenseitig zu beäugen haben, damit keiner Macht die Macht zu Kopfe steigt. Die drei legitimen Mächte sind nicht mal die stärksten unter den wirksamen Faktoren. Wirtschaft, Wissenschaft und Technik haben sich längst zu Beherrschern der drei Mächte emporgearbeitet.

Hayek, der neoliberale Vordenker, will lieber die Demokratie sausen lassen als die Gefahr einzugehen, dass die Majorität des Volkes die nicht gewählte Übermacht der Wirtschaft – einer heiligen Tochter der Evolution – an die Kette legen könnte.

Mehrheiten sind arm und ohnmächtig. Sie haben nichts anderes im Kopf, als die Starken zu zähmen und die Mehrheit der Schwachen an die Macht zu bringen. Genau dies war einst die Absicht der athenischen Demokratieerfinder: die Mehrheit der Schwachen soll die Möglichkeit haben, sich dem Übermut der selbstermächtigten Starken per legaler Methode zu erwehren.

In diesem Sinn sind alle ökonomie-beherrschten Demokratien keine Demokratien mehr. Das Stichwort Montesquieus hört man in keiner Gazette mehr. Die Deutschen haben die einfachsten Grundlagen der demokratischen Theorie in die Mülltonne getreten.

Deutsche Innenminister sind besonders unkluge Tiere im Schutz der Demokratie. Durchweg ähneln sie jenen Schuhmachern, die selbst in löchrigen Schuhen herumlaufen. Schily ist da keine Ausnahme. In seiner Toscana-Trutzburg prangert der 81-Jährige die „wahnhaften Züge“ der NSA-Gegner an. Er selbst war in seiner Amtszeit der Erste, der nach 9/11 die Überwachungsmaßnahmen verschärfte. Den Demonstranten gegen NSA rät er: „Ich empfehle ein gewisses Vertrauen in den Staat und seine Sicherheitsbehörden“. (Annett Meiritz im SPIEGEL)

Das sind Äußerungen, die man nur als unterkomplex oder unterirdisch bezeichnen kann. Demokratie lebt vom methodischen Misstrauen der Menschen gegen Menschen an der Macht, damit sie dieselbe nicht benützen, um demokratische Spielregeln auszuhebeln und eine Nichtdemokratie einzurichten. Sei es eine Herrschaft der Wenigen, der Reichen, der Edlen oder der Weisen. Alles, was nicht demokratisch ist, ist faschistisch oder totalitär.

Diese unmissverständlichen Grenzziehungen werden zurzeit von Medien und Politikern gemieden wie das Weihwasser vom Teufel. Alle Banken, alle Börsen, alle ungesetzlichen Überwacher, alle Machtträger, deren Macht von legalen demokratischen Kräften nicht beherrscht werden, sind faschistisch bis totalitär – auch dann, wenn der Rest der Gesellschaft demokratisch zu ticken scheint.

Schily gehört zu jenen, in der Jugend aufmüpfigen, im Alter alle Mächte anbetenden Deutschen wie Joschka Fischer, Schröder & Konsorten. Wer mit 18 rebelliert hat, hat sein Pensum an Revolte hinter sich gebracht. Der Rest ist Buckeln und Reglementieren, dass die Schwarte kracht.

In diesem Sinn müsste man den bekannten Satz variieren: gegen Demokraten helfen am besten – Sozialdemokraten, die sich an die Macht gekämpft haben. Früher hassten die Proleten ihre Ausbeuter. Heute hassen die arrivierten Proleten – die Proleten. Nichts Gehässigeres als Emporkömmlinge über die, die sie schützen und fördern sollten und zu denen sie einst selbst gehörten.

Deutschland ist gespalten wie schon lange nicht mehr. Die Gegner der Überwachungsgegner entwerfen das übliche Psychogramm der Deutschen: naiv, unerwachsen, blauäugig und verlogen-moralisch. Bei Jan Fleischhauer sind nicht nur alle Klischees versammelt, er hat Broders Scheltreden gegen Antisemitismus schematisch bis aufs I-Tüpfelchen kopiert. Man muss nur den Begriffe Antisemitismus gegen Antiamerikanismus austauschen – voila, wir stehen auf der sicheren Seite der Geschichte.

Man muss Broder gegen seinen Plagiatoren in Schutz nehmen. Wenigstens den jungen Broder, der noch wertvolle Einsichten vermitteln konnte, die man aus deutsch-deutschen Federn nie zu hören bekam. Der heutige Broder wiederholt sich wie ein Grammophon, sein ehemaliger Kollege imitiert nur Broder, der sich selbst imitiert. Das ist Imitation der dritten Art, bei Platon die wertlose Form des Seins. (Jan Fleischhauer im SPIEGEL)

Auch bei dem SPIEGEL-Kolumnisten sind Deutsche noch immer Nazitäter, obgleich schon die vierte Nachtäter-Generation sich auf Straßen und Plätzen der Republik tummelt. Was der Hamburger Jung schon mal gehört hat, darf in seinem Beisein nicht mehr wiederholt werden. Er steht auf offene Zukunft und Abräumen des Alten. Zumal, wenn es utopisch klingt.

Abneigung gegen jedwede Utopie verbindet den Schreiber mit der Kanzlerin. Naivität ist zu einem der schlimmsten Vergehen geworden und Moral nicht mehr gefragt, seitdem geldgierige Cleverness, realpolitische Verantwortung per Bundeswehr und verruchtes Sündersein zum dernier cri der Bourgeoisie avanciert sind.

Auch dürfen Deutsche ihre Erretter nie an Einsicht und demokratischer Kompetenz überflügeln. Erretter haben Erretter, Eleven haben Dummköpfe zu bleiben. Man ist undankbar, wenn man seinen Lebensrettern – das Leben durch warnende Zurufe retten will. Das Gleiche wie im Verhältnis zu Israel. Maul halten und kritiklos unterstützen, das ist Dankbarkeit oder bewältigte Vergangenheit.

In Fleischhauers amerikaliebender Fraktion werden Wörter Recht oder Rechtsverletzung nicht in den Mund genommen. Sonst müsste man anschließend mit Kernseife spülen. Da ist es schon ein Fortschritt, wenn Fleischhauer vom „völkerrechtswidrigen“ Drohnenkrieg in Anführungszeichen spricht.

Nicht die Riesenmächte sind die Gefahr, die eigentlichen Gefährdungen gehen vom Einzelnen aus. Theologisch: vom einzelnen Sünderlein. Wer nicht zuerst im Kleinen treu ist, der ist es auch nicht im Weltpolitischen, in dessen Kram die deutschen Hinterwäldler ihre Nase nicht stecken sollten, weil sie von hohen Dingen nichts verstehen.

Solange die Kleinkrämer ihr Innerstes freiwillig Facebook und Twitter anvertrauen, solange haben sie nicht das Recht, amerikanischen Behörden den Zutritt in ihre ohnehin nichtssagenden Seelen zu verwehren. Die Folgen dieses persönlichen Selbstverrats zu überblicken sei viel schwerer als Obama mit Hitler zu vergleichen.

In der Tat, Hitlers Spitzelapparate waren Marke „Steinzeit“, verglichen mit perfekten Gottes-Algorithmen von Silicon-Valley. Wie Gott jeden Vergleich seiner Unvergleichlichkeit mit anderen Wesen als Blasphemie ahndet, darf Hitler mit niemandem verglichen werden. Er ist ein Bösewicht sui generis oder Gott als Satansbraten, für Luther dasselbe in grün oder schwefelgelb.

Bei den Erfindern der Demokratie wurde der Streit um die Macht vorbildlich ausgefochten. Für deutsche Altphilologen kein Grund, vom ollen Athen etwas zu lernen. In der Tat, Facebook kannten die Athener noch nicht.

Die damaligen elitären Gegner der Demokratie warfen den Demokraten vor – nicht anders als Hayek –, mit der Majorität der Schwachen die wahren Starken in ihrem Tätigkeitsdrang nur behindern zu wollen. Heute würde man von Neiddebatte reden.

Nach der um 424 vdZ verfassten Schrift „Vom Staate der Athener“ hieß es gegen die Majorität der Schwachen, die demokratische Staatsverfassung sei nur auf den „Vorteil der „schlechten Leute“ eingestellt, die besoldete Ämter für sich in Anspruch nähmen und sich auf Kosten der „edlen Leute“, die ihnen geistig überlegen seien, ihr Amüsement suchen. Die vom Pöbel erlassenen Gesetze – so Alkibiades – seien genau so Gewalt wie die Herrschaft eines Tyrannen.

Der Hass zwischen Demokraten und Eliten erreichte einen solchen Grad, dass in manchen Städten die Starken den Eid zu schwören pflegten – den heutigen Machtträgern zur Nachahmung empfohlen: „Ich will dem Volke feindlich gesonnen sein und so viel ich kann, zu seinem Schaden beitragen.“

Was ist der Unterschied zwischen früheren und heutigen Kraftprotzen? Die früheren waren ehrlich. Heute geben sich die Eliten als wahre Menschenfreunde, deren Menschenliebe an der Höhe ihres Kontos abzulesen ist. Wenn sie sich maßlos bereichern, tun sie dies nur im Interesse der Schwachen. Bei steigender Flut heben sich auch die kleinen Boote.

Klassische Macht strebte nur nach Vorteilen auf Erden. Im christlichen Westen ist Macht zum Seligkeitkeitsgewinnungsmittel aufgestiegen. „Wer überwindet und bis zum Ende verharrt, dem will ich Macht über die Heiden geben und er wird sie mit eisernem Stabe weiden, wie die irdischen Gefäße zerschlagen werden – wie auch ich solche Macht von meinem Vater empfangen habe.“ Durch Leid zum Sieg, durch Ohnmacht zur Allmacht: die Ungläubigen sollen es büßen.

Was bedeutet: wem es heute schlecht geht, dem geht es mit Gottes Segen schlecht. Er muss Ungläubiger sein, sonst wäre der Racheengel an seiner Hütte vorbeigelaufen. Hätte er Glauben, könnte er Berge versetzen. Am besten beim Spekulieren mit Lebensmittelaktien.