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Montag, 08. Juli 2013 – Poesie des Bösen

Hello, Freunde der Poesie,

die Zeiten ändern sich, wir leben im 21. Jahrhundert, sagte der ORF-Gewaltige – und wollte den Bachmann-Wettbewerb abmurksen. Nun wissen wir, wer am Rad des Zeitgeistes dreht. Es sind die Öffentlich-Rechtlichen, die ihr Geld lieber für hübsche Blondinen ausgeben, die kraftvoll Tennis spielen und orgastisch stöhnen. Neben Zeitgeistphilosophien – das vergisst man allzu oft – gibt es auch zeitlose Wahrheiten: wenn Lust und Gewinn sich paaren, so fließt die Arbeit munter fort.

Nicht so in Klagenfurt. Dort wird nicht gestöhnt, selten schlitzt sich einer mit dem Rasiermesser die Stirn auf. Dort wird nur vorgelesen und gestritten. Eigentlich vorbildlich. Ein Text wird aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, dennoch kommen die unterschiedlichen Perspektiven miteinander ins Gespräch. Die Moderne, sonst so stolz auf die Erfindung des jahrtausendealten Perspektivismus, sollte auf diese Sendung nicht mehr stolz sein?

Dass Perspektiven sich streiten, ist nicht mehr perspektivisch, sondern objektivierend. Im Streit relativieren sich die Perspektiven und ergründen, warum sie voneinander abweichen. Lassen wir einmal die Qualität der Texte beiseite, ist das Bachmann-Festival die beste Marktplatz-Sendung der deutschsprachigen Medien. Wir ehren sie mit dem voralpenländischen Agora-Preis in blütenweißem Alabaster.

Benjamin Maack, Redakteur bei SPIEGEL online, hat sich auch um den Preis beworben. Der erste Preis ging allerdings an eine russisch-deutsche Schriftstellerin. Die ZEIT hat mit Maack ein Interview geführt und ihn

nach seinen literarischen Leitlinien befragt. (ZEIT-Interview von David Hugendick mit Benjamin Maack)

Warum er schreibt? Weil er schreibend die Welt besser verstehe. „Durch das Schreiben von Geschichten verstehe ich besser, wie Dinge funktionieren. Besser als durch einen erklärenden Satz oder ein philosophisches Traktat.“

Wären philosophische Traktate keine Möglichkeit, die Welt gedanklich einzufangen? „Kann sein. Ich kann die Welt aber nicht einfach so wegordnen. Je mehr ich versuche, über sie nachzudenken, desto mehr zerfällt und zerrinnt sie.“ Für ihn kann es also nicht sein.

Doch es ziemt sich heute nicht, klar seine Meinung zu sagen. Das könnte als Unoffenheit oder gar Dogmatismus gelten. Wie man in den Gazetten lesen kann, muss es zurzeit eine erhöhte Nachfrage nach Philosophie geben. Maack scheint nicht zu den Freunden der Weltweisheit zu gehören. Denkt er nach, zerfällt und zerrinnt ihm die Welt. Denkend ordnet er die Welt weg.

Ich denke, also bin ich: Descartes wollte durch Denken seine Zweifel überwinden, ob es ihn überhaupt gibt. Da muss am Ende des Mittelalters ein merkwürdiges Lebensgefühl in Europa geherrscht haben, das eher einem Todesgefühl in einem Leichenhause glich. Gibt es mich überhaupt oder bilde ich mir meine Existenz nur ein? Später bezog sich der Zweifel auf die ganze Welt. Warum gibt es überhaupt Seiendes und nicht vielmehr nichts?

Hätte Mollath diesen Satz gesagt, würde er lebend die Psychiatrie nicht mehr verlassen. Ist das Leben nur ein Traum? Für die meisten Menschen ein Alptraum? Dem tausendkünstigen Satan traute man die Fähigkeit zu, den Menschen die Illusion des Lebens vorzugaukeln, obgleich sie längst im Grabe vermodern.

Maack traut seiner Vernunft noch Schlimmeres zu. Würde er über die Welt nachdenken, würde sie durch den versengenden Strahl seines Denkens in Nichts aufgehen. Denken ist Vernichten. Seine Alternative? „In Geschichten kann ich Motive nehmen, sie so lange miteinander arbeiten lassen, bis sie so etwas wie eine Weisheit produzieren.“

Produzieren sie nun Weisheit oder „nur so etwas wie“ eine Weisheit und was unterscheidet diese beiden Weisheiten? Es muss sich wohl um eine bessere Weisheit handeln als die abstrakten Denker zustande bringen. Man könnte von einer permanenten Kriegserklärung der Literaten gegen die Philosophen sprechen.

Zum ersten Mal wurde die Fehde von den Romantikern ausgesprochen, die mit der harten und kalten Philosophie ihrer väterlichen Aufklärer ins Gericht gingen. Lieber erzählten sie Romane, die man auch Geschichten nennen könnte.

Was ist das Lieblingswort aller deutschen Intellektuellen? Narrativ. Kommt von narrare = erzählen. Beim Geschichtenerzählen kann man das Selbstverständliche des Lebens vom Tisch räumen und das Ungeheuerliche des Lebens nicht nur beschreiben, sondern „wachsen lassen“. Wie die Wirtschaft steht auch der Narrateur unter Wachstumszwang. Das Gruselige soll fruchtbar sein, sich mehren und die Welt untertan machen. Offenbar gibt’s viel zu wenig vom Ungeheueren in der Welt. Das scheinen Politiker auch so zu sehen, weshalb sie sich bemühen, das Grauenhafte kräftig in der Welt wachsen zu lassen.

Durch Selbstverständlichkeiten und Gewohnheiten könnten die Menschen allzu leicht erschlaffen. Der gewöhnliche Mensch will Harmonie und Eintracht, der Romanschriftsteller aber weiß besser, was für die Gattung gut ist. Er will Zwietracht, das Absurde und Ungeheure, den Stachel im Fleisch der Menschheit, damit sie für Wachstum in allen Dingen sorge. Bei Kant war diese Rolle von der strengen, aber pädagogisch denkenden Natur besetzt.

Ab der Romantik übernehmen die Geschichtenschreiber die Rolle der Natur und des Wachsenlassens. Womit wir erkennen, dass Geist und Geld keine feindlichen Brüder sein müssen. Die zartesten Poeten übernehmen, ohne es zu wissen, die Rolle akkordantreibender Wachstumsanreger. Doch Poesie kommt vom griechischen Wort für Schaffen, Erschaffen, Gestalten. Weshalb wir rein etymologisch befugt wären, die Politiker als Poeten des Grauens zu bezeichnen.

Es hätte uns nicht verwundern dürfen, dass am Hungertuch nagende Poeten auch ihren vaterländischen Beitrag zur Erhöhung des nationalen BIPs leisten. Der lebensuntüchtige Dichter ist realistischer als er denkt. (Es gibt untergründige Kanäle zwischen der deutschen Wachstums-Philosophie und der amerikanischen Wachstumsökonomie.)

Die Beschreibung des Dämonischen und Grauenhaften wurde beim spätromantischen ETA Hoffman zur eigenen Gattung, ohne die der Amerikaner Edgar Allen Poe undenkbar gewesen wäre.

Doch woher der Umschwung von der lichtdurchfluteten Aufklärung zur Vorliebe für „dunkle Stellen“, wie Maack korrekt neuromantisch formuliert. In dunklen Stellen verberge sich die „Vorstellung, dass plötzlich das Leben kommt und ein mal mit der flachen Hand alles, was man für selbstverständlich gehalten hat, vom Tisch räumt.“

Mit der flachen Hand den Tisch von Unrat säubern, entstammt dem faschistischen Tabula-rasa-Bedürfnis. Die tiefe Sehnsucht, mit einer Gewalttat ganz von vorne zu beginnen und eine Generalreinigung durchzuführen. Das ist paulinische Abneigung gegen das satte und fröhliche Leben der Heiden. „Schon seid ihr satt geworden“. Wir befinden uns auf heiligem Boden, der weltlicher Boden sein will. Die Konkretionen des Heiligen sind zu Phänomenen der Welt, ja, zu christogenen Motoren der säkularen Geschichte geworden. Kann das Säkulare als rein „innerweltliche“ Angelegenheit gelten, wie Max Weber uns einbläuen will?

Doch das Weltliche besteht gottlob nicht nur aus Heiligem unter weltlicher Schminke, es besteht auch aus Vernünftigem, dem Erbe der griechischen Aufklärung. Trotz Benedikt und seinem Freund Habermas sind Vernunft und Offenbarung keine Freunde. Sie schließen sich gegenseitig aus. Allerdings haben es die machtgestützten Kirchen verstanden, die Vernunft als Dienerin der Theologie zu missbrauchen, um ihre absurde Botschaft ein wenig aufzuhübschen.

Auch Hegel unternahm einen grandiosen Versuch, alle Widersprüche des Abendlandes so zu verkleistern, als seien sie ein Herz und eine Seele. Seine linken und rechten Schüler aber haben Hegels Harmonien unbarmherzig zerrissen. Stalinismus und Hitlerismus haben die Einheit in letztem Aufbäumen mit brachialen Methoden retten wollen. Das Glück der Menschen oder ihre Erlösung muss durch totalitäre Mächte herbeigeführt werden.

Was daraus geworden ist, sollte uns ein für alle mal daran erinnern, dass man das Unendliche, Unfehlbare nicht mit dem Irrenden, Wirrenden und aufs Lernen angewiesenen Endlichen zur Kohabitation zwingen darf. Die Ergebnisse einer grauenhaften Kopulation sind grauenhafte Chimären.

Friedrich Schleiermacher, Hofprediger in Berlin, war der geistbegabte Ideologe der romantischen Bürschchen, die sich ausnahmslos für genial hielten. In seinen „Reden über die Religion“ kommt der romantische Verriss der Aufklärung am klarsten auf den Begriff. In den Worten Rudolf Hayms:

„Die dritte der Reden entwirft das unschmeichelhafteste Bild von dem dieser Verstandesbildung huldigenden Zeitalter. Weit entfernt, wahre Bildung zu sein, ist hienach die Aufklärung insbesondere das der Religion schlechthin feindselige Prinzip. Auf dem Standpunkt der Aufklärung wird die Religion nicht verachtet, sondern geradezu vernichtet. Denn ihr eigentliches Wesen besteht in der Hinwendung zum Endlichen, da denn das Unendliche so weit als möglich aus den Augen gerückt wird, in der Unterdrückung des unbefangenen Sinns durch die Wut des Verstehens und Erklärens. Das Verständige und das Nützliche, das sind nach Schleiermacher die Gesichtspunkte und Interessen der Aufklärung. In allem sucht sie Zweck und Absicht. Alles, wie sehr es an sich ein Ganzes ist, will sie zerpflücken und anatomieren. Alles Handeln soll sich aufs bürgerliche Leben beziehen, und reine Liebe zu Kunst und Dichtung ist ihr daher aufs höchste eine geduldete Ausschweifung. Sie ist die Gegnerin alles Originellen und Individuellen, eine erbärmliche Allgemeinheit und leere Nüchternheit ist ihr Ideal.“ Sie sei eine „Frucht der väterlichen eudaimonistischen Politik, welche die Stelle des rohen Despotismus eingenommen hat. Noch immer bilden die Anhänger dieser Denkweise die entschiedene Majorität und beherrschen die Erziehung, die Gesellschaft, die Wissenschaft und selbst die Philosophie.“ („Die Romantische Schule“)

Alles Unbearbeitete steht unter Wiederholungszwang. Schleiermachers Worte gegen die Aufklärung eignen sich passgenau als Beschreibung unserer Gegenwart. Das Eudaimonistische ist das Satte, Selbstverständliche des friedlichen wohlgemuten Lebens auf Erden.

Das Nützliche und Verständige wurde im Streit Deutschlands gegen westliche Werte („1914 gegen 1789“) mit Demokratie und technischem Fortschritt gleichgestellt. Der angelsächsische Kapitalismus wurde fälschlicherweise als Inbegriff des Nützlichen und Verständigen ausgerufen, gegen die die poetische Seele der Deutschen sich energisch wehren müsse.

Längst hat der technische Fortschritt das Stadium des Nützlichen und Verständigen verlassen und ist zum Unnützen, ja Schädlichen und Selbstmörderischen verkommen. Wissenschaft wird als Wut des Verstehens und Erklärens niedergemacht. Der „unbefangene Sinn“ der Deutschen soll hingegen ohne Vorurteile – ohne rechnerisches Grübeln und physikalisches Vermessen – die Dinge anschauen, wie sie im Grunde der Schöpfung wirklich sind.

Faust, der ergründen will, was die Welt im Innersten zusammenhält, ist kein moderner Wissenschaftler, sondern ein unmittelbarer Wesensdeuter der Natur, der minderwertige Hilfsmittel wie Rechnen und Experimente von sich weist. Dementsprechend Goethes Farbenlehre, in der er seine intuitiven Baucherkenntnisse dem mathematischen und experimentierenden Geist des Angelsachsen Newton entgegensetzte.

Die Abneigung heutiger Medien gegen Erklären und Verstehen, der Widerwille gegen Nützliches und Bürgerliches bei jugendlichen Deutschen kurz nach dem Abitur, wo sie ihre Auszeit vom Mühen und Sorgen nehmen, den „Regenbogen vom Himmel holen und was ganz Verrücktes machen wollen,“ ist ein komplettes Plagiat der Romantik.

Wir leben in neuromantischen Wiederholungen des Verdrängten. Der wichtigste Punkt ist die Abwendung vom Endlichen – der Natur – zum Unendlichen: das sind Einschläge des jenseitigen Gottes in die Natur in Wundern und apokalyptischen Zeichen. Da beide Phänomene der natürlichen und menschlichen Logik widersprechen, müssen sie Monster gebären.

Schleiermachers Religion will nicht die Natur mit Gutmenschenmoral verbessern. Die Welt Gottes ist perfekt, sie kann nicht verbessert werden. Wer es dennoch mit „moralinsauren Idealen“ versucht, verschlimmbessert die Welt, wie sie nun mal der Fall ist. Wer von der besten aller möglichen Welten ausgeht, hat keine Legitimation zur Korrektur dunkler Ecken.

(Bei Leibniz war die beste aller möglichen Welten nicht die beste überhaupt, sondern nur die, zu der Gott mit letzter Kraft fähig ist. Sollten Menschen auf die verwegene Idee kommen, die Welt dennoch zu verbessern, würden sie sich über Gott stellen. Das wäre fluchwürdig, denn das Ergebnis der blasphemischen Überheblichkeit wäre eine dramatische Verschlimmerung der Welt. Hier gründet die konservative Abneigung gegen die Verbesserung der Welt durch aufgeblasene Gutmenschen. Leibnizens Glaube an die beste aller möglichen Welten ist der Glaube Hayeks an die Unverbesserbarkeit des wirtschaftlichen Systems. Wer es dennoch versucht und dem Kapitalismus ein menschliches Angesicht verleihen will, wird zum Destruktor des Intakten und Unüberbietbaren.)

„Religion begehrt nicht, das Universum seiner Natur nach zu bestimmen und zu erklären, sie begehrt nicht, aus Kraft der Freiheit es fortzubilden, und fertig zu machen (= perfekt zu machen! Wenn jemand fertig gemacht wird, soll er durch Verbesserungsmaßnahmen erledigt werden) wie die Moral, sondern anschauen will sie das Universum, von seinen unmittelbaren Einflüssen will sie sich in kindlicher Passivität ergreifen und erfüllen lassen.“

Ihr eigentlicher Standpunkt ist das „Bewusstwerden des geräuschlosen Verschwindens unseres ganzen Daseins im Unermesslichen“. Damit hätten wir den Knackpunkt erreicht. Wir sollen nichts verändern, nichts verbessern, sondern alles in seiner Ganzheit unangetastet anschauen. Die Verehrung des Ganzen empfanden die Deutschen als Vorzug vor dem atomistischen Zertrümmern der Natur in den Laboren des Westens.

Anschauen klingt gar nicht unökologisch. Denn wer Natur aktivistisch verändert und vergewaltigt, schaufelt sich selbst das Grab. Doch das so meditativ scheinende Anschauen beruht nicht auf Vertrauen in die Natur. Das Vertrauen zur Natur ist belanglos, ja irreführend, denn sie ist das Endliche. Das Unendliche ist die Heimat der gläubigen Seelen und wird sich erst einstellen, wenn das Endliche verschwindet: das „Bewusstwerden des geräuschlosen Verschwindens unseres ganzen Daseins im Unermesslichen“.

Die heutige Abneigung gegen Moral – zumeist „Moralisieren“ genannt –, ist die Abneigung gegen die hybride Vorstellung, die Dinge verbessern zu können. Wo sie als göttlich-vollkommene Dinge gar nicht verbesserbar sind. Wer es dennoch versucht, schaufelt sich nur den eigenen Untergang. Gewiss, die Natur ist perfekt. Durch Maschinen der genialsten Art kann sie nicht verbessert werden. Doch unser mangelhaftes menschliches Tun und Erkennen ist verbesserungswürdig und -pflichtig.

Wie ist das Verschwinden unseres ganzen Daseins durch bloße Anschauung zu erklären? Es gibt zweierlei Arten des Verschwindens. Die erste ist selbstverfertigt und schuldhaft, die zweite ein gottgewollter Übergang ins Unendliche. Durch Moralisieren und Weltverbessern vernichten wir uns; durch quietistisches Anschauen – gleichbedeutend mit Beten, Dulden und Hoffen – werden wir gerettet, auch wenn die endliche und minderwertige Welt im Abyssus verschwindet.

Zurück zu Maack, dem neuromantischen Verherrlicher des Ungeheuerlichen. Ist das Ungeheuerliche nicht gleichbedeutend mit dem Bösen? Hat der Literat etwa Angst vor dem Bösen? Nein, er habe Angst vor dem Zufall. „Nicht vor dem Bösen. Ich nehme den Zufall sehr persönlich.“

Dummerweise ist Zufall nur ein neumodisch Wörtchen für das Böse. Bei Gott kann es keinen Zufall geben. Gibt es etwas, was nicht von Gott gewollt war, muss es als Zufall dem Bösen zugeschrieben werden.

Der Autor will keine philosophische Abhandlung, er will eine Geschichte erzählen, die „man gerne erzählt“. Die romantischen Geschichten – oder Romane – sind Abbreviaturen der Heilsgeschichte. Das Wort Romantik benutzt Friedrich Schlegel sehr oft in der Bedeutung des „Befremdenden, Wunderbaren, von einem eigentümlichen poetischen Zauber Umgebenen.“ Das sind Umschreibungen der Heilsgeschichte: für die Erretteten das Wunderbare und Zauberhafte, für Nützlichkeitsdenker, Versteher und Erklärer das „Befremdende“.

Damit der Poet nicht auf dem falschen Fuß erwischt wird, muss bei allen Erläuterungen der autistische Zusatz hinzugefügt werden: „für mich persönlich“. Da kann jeder denken und kritisieren, was er will, der schlaue Poet sitzt rundrum verbarrikadiert in seiner autistisch-individuellen Monade. Oder in einem Perspektivismus, der sich nicht objektivieren will.

Die Welt verbessern will er natürlich nicht, er will den Menschen mit dem Schlimmen und dem Chaos versöhnen: „Dass im Chaos und im Schlimmen auch eine Schönheit liegen kann, aus der man etwas lernen kann.“

Zum neuromantischen Zeitgeist gehört der Glaube, dass es für menschliche Probleme keine Lösung geben kann. So auch die Quintessenz des SZ-Artikels von Katrin Blawat: „Wir müssen nicht reden“.

„So halten sich viele Paare daran, dass Probleme in einer Ehe nicht dazu da sind, gelöst zu werden – die Konflikte wollen vielmehr ausdauernd gepflegt sein. „Ungelöste Probleme können Paare zusammenhalten“, bestätigt etwa Martin Schmidt, Leiter der Forschungsstelle Paartherapie der Uni München.“

Reden wird mit nutzlosem Zanken und Geifern verwechselt. Lass liegen, die Probleme treten sich von selbst fest. Dieser Neupietismus wird von Alexander Kluge, dem Doyen deutscher Faust-Imitatoren unterstützt, der in einem seiner unendlichen Bücher die These „Vom Nutzen ungelöster Probleme“ vertritt. Was sagt eigentlich Kluges Freund Oskar Negt zu dieser Unterordnung unter die Ausbeuter, der einst mit linken Parolen die Welt verbessern wollte?

Ganz ähnlich wie Kluge bewegt sich Maack auf der Grundlinie des Schleiermacher’schen Anschauens und Nichtstuns: „Vielleicht kann Literatur auch einen Menschen daran gewöhnen. Sie muss ja nicht brachial sagen: Obacht, so zerbrechlich und winzig ist der Mensch. Sie könnte auch sagen: Ist halt so, und das ist gar nicht so schlimm, weil darin auch die Schönheit des Menschseins steckt. Wenn alle Menschen Götter wären, wo wäre denn da die Poesie?“

Die Welt mit ihren „Maacken“ ist von Gott nur geschaffen worden, damit Literaten im Unmenschlichen ihre Poesie finden. Sonst wär‘s langweilig auf der Welt. Wenn alle Menschen Götter, also human, friedlich und freundlich wären, wo bliebe der Zufallsstoff des Bösen für die Poeten?

Lieber eine Welt mit liebenswerten Menschen ohne Poesie – als eine Kotau-Poesie in einer Welt schreckenerregender Dämonen und Ungeheuer.