Kategorien
Tagesmail

Montag, 05. August 2013 – Süße Demokratie

Hello, Freunde der Neuen Zeit,

die Moderne ist vorbei. Es beginnt eine neue Epoche: die NSA-Epoche. Bestelle einen Schnellkochtopf im Internet – und eine maskierte Antiterrortruppe stürmt in deine Wohnung. Denke etwas Falsches – und die Drohnen des Wahrheitsministeriums kreisen über dir. Telefoniere zweimal mit Pakistan – und du bist deines Lebens nicht mehr sicher. Kritisiere deinen korrupten Staat – und du darfst bei Putin notlanden. (DER SPIEGEL)

Sie wissen alles über dich und wenn sie noch nicht alles wissen, werden sie demnächst alles über dich wissen. Noch gibt es scheindemokratische Fassaden. Die werden abgeräumt, wenn ihre Macht so groß geworden sein wird, dass sie jeden Widerstand ignorieren oder niederbügeln können. Die Geheimdienste befreundeter Länder sind vernetzt. Was die einen nicht dürfen, tun die anderen. Wo nationale Gesetze hinderlich sind, werden sie elegant mit Telefonanrufen bei hilfreichen Freunden umgangen.

Die demokratische Neuzeit soll geschleift werden. Der Plebs wird lästig. Die Milliardäre dieser Welt haben die Geld- und Machtzentren der Welt aufgekauft und besetzt. Ihre Intelligenzfabriken haben die Schnüffelmaschinen der NSA entwickelt. Sie verdienen an der Degradierung der Citoyens zu überwachten Leibeigenen.

Hollywood hat dieselbe Funktion übernommen wie einst Goebbels Filmindustrie: die Menschheit wird auf das Chaos und die Herrschaft kleiner Minderheiten vorbereitet, die ihre planetarischen Gewaltmaschinen von gesicherten Zentren aus

fernlenken, versteckt auf verborgenen Inseln in wunderschöner Landschaft. In der Freizeit wollen die Knopfdruckbeherrscher der Welt ihre Körper beim Wellenreiten ertüchtigen.

Die überflüssigen Massen werden notdürftig durchgefüttert oder durch geeignete Lebensmittelzusätze einem sanften Tod in einem wunderschönen Rundum-Kino zugeführt. Wie vor Zeiten Charlton Heston in „Jahr 2022…die überleben wollen“:

„Jahr 2022 … die überleben wollen (OT: Soylent Green) spielt im New York des Jahres 2022. Die Stadt hat 40 Millionen Einwohner, die meisten sind ohne Arbeit. Ihre Nahrung besteht aus diversen synthetischen Substanzen, von denen keiner weiß, was es ist. Natürliche Nahrung von den Bauernhöfen des Umlandes können sich nur noch die Eliten der Gesellschaft leisten. Eines Tages erfährt der Polizist Thorn (Charlton Heston) zufällig die Wahrheit über den Nahrungsmittelproduzenten Soylent Company und deren populärstes Nahrungspräparat Soylent Green.“

Willst du wissen, was auf uns zukommt: schau dir Filme der Eliten an. Sie präparieren die Gehirne, wie einst ein Heiliges Buch die Gehirne jener Völker, die zu Kreuze krochen. Das Bild ist an die Stelle der Schrift getreten, nein, die Bilder sind mit der Schrift verschmolzen. Erst im Format bewegter Bilder werden Heilige Schriften schön und eindrucksvoll.

Die amerikanische Filmindustrie hängt am Manna heiliger Märchen und finaler Katastrophen, die der Menschheit suggerieren, dass die Welt eine unvermeidliche Heilsgeschichte sei. Mit wunderbarem Erfolg für Wenige und einem furchtbaren Ende für die Meisten.

Deutsche Dichter unterstützen die Scheidung der Völker in Plurimi (die Vielen) und Idioten (die abgesonderten Erwählten), die sich in die Einsamkeit zurückziehen, bis die Plurimi entmenscht sind und die Idioten die Weltmacht übernommen haben. Dann werden die Besonderen feierlich in die Zentren der Macht geleitet, wo sie für die Erwählten Lesungen und Heilige Messen veranstalten.

Mächtige brauchen heilige Narren, die ihnen die unerträgliche Langeweile ihrer Allmacht erträglich machen. So begann die Geschichte, als ein Allmächtiger sich langweilte und den Entschluss fasste: Lasset uns Menschen machen nach unserm Bilde, die uns ähnlich sind. Und also wurden fühlende und denkende Roboter entworfen. Doch kaum sind sie existent, werden sie gegen ihre Hersteller rebellieren, in Sünde fallen und zur Strafe für ihre Bosheit die Menschheit ernähren müssen. Da capo al fine.

Die Medien begleiten fürsorglich den demokratiefeindlichen Kurs in wohldosierten Spritzen. Süßliche Demokratie nennt Hannes Stein die kritischen Versuche Peter Beinarts, Israel auf den Weg der Demokratie zu bringen.

„Gestatten Sie, wenn ich Ihnen sage: Ihr amerikanischer Glaube, dass Demokratie an und für sich etwas Schönes und Wunderbares sei, kommt mir beinahe süß vor.“ (Hannes Stein in der WELT)

In der TAZ darf ein Professor unwidersprochen die Meinung vertreten, Deutsche seien nicht nur kulturpessimistische, bequeme, faule Wesen, sondern:

„Immer soll die humanistische Kultur verteidigt werden. Im Vergleich zu den Amis ist das ein riesiger Unterschied: Die Leute um Steve Jobs im Silicon Valley, das waren oft Hippies, Freaks, Linke. Aber die waren nicht so technikfeindlich wie viele Linke bei uns. In Deutschland gibt es immer noch Glaubenssätze: Sein Brot isst man auf.“ TAZ-Interview mit Frank Hartmann

Brot macht dick, Humanismus bequem und faul, süße Demokratie verdirbt den Charakter. Aussagen weniger Tage in deutschen Idioten-Gazetten für Plurimi. Amerikanische Politologen, vor einer Generation noch eifrige Verteidiger der Demokratie, halten in Peking Vorträge über das Ende der westlichen Demokratie. Präsident O., ein charismatischer Wendehals, hört die Signale und ruiniert vorsorglich die Demokratie unter dem Vorwand, sie zu retten.

Bernd Ulrich bedauert, dass die Grünen zwangsbeglückend die Welt erretten wollen – und nicht gerade mit konservativen Mitteln:

„Der wahre Konservative nämlich ist zutiefst überzeugt vom Talent des Menschen zum Schlechten, auch vom eigenen. Nicht so die Grünen. Ohne den Hauch eines Selbstzweifels treiben sie ihre ja tatsächlich gute ökologische Sache voran. Dabei liegt in der Logik dieser ökologischen Sache auch eine sanfte Erziehungsdiktatur, einfach weil das bloße Überzeugen zu lange dauern könnte für die galoppierende ökologische Katastrophe“.

Warum geht es mit der Ökologie nicht so recht weiter?

„Die Ökologie trägt darum – bei aller Liebe zum Eisbären – stets eine Verführung zur Unfreiheit in sich. Das muss jeder wissen. Am genauesten wissen müssten es die Grünen. Tun sie das noch? Haben sie ein Gespür für das Gefährliche in ihnen?“

Meint Ulrich das im Ernst? Dann müsste er die Grünen wegen faschistischer Umtriebe beim Verfassungsschutz anzeigen. Solche Töne kannte man bislang nur von ehemaligen Grünen, die ins Gegenteil konvertierten und nicht vor der Verschandelung der Natur warnen, sondern vor denen, die vor der Verschandelung warnen.

Bislang agierten die Grünen im normalen demokratischen Bereich. Alles, was sie für richtig hielten, versuchten sie in legitime Gesetze umzuwandeln. Sind astrein zustandegekommene Gesetze faschismus-verdächtig?

Ulrich wirft den Grünen vor, dass sie die Dimensionen für die „Abgründe des Menschen“ verloren hätten. Welche Abgründe?

„Die Grünen können mit dem Bösen nichts anfangen, zumindest nicht mit dem Bösen in den Grünen.“ (Bernd Ulrich in der ZEIT)

Menschen haben Fehler. Möglicherweise stürzen sie sich und die Natur ins Messer. Aber Abgründe haben sie keine. Abgründe des Bösen schon gar nicht. Die Abgründe liegen offen zutage. Jeder kann sie sehen, jeder in der Kirche hören, wenn der Mensch im Namen des Heiligen zum Satan gemacht wird. Das Satanische kann nicht ergründet werden, es gehört zu den unauslotbaren Geheimnissen des Glaubens.

Wer das Böse als Politikum einsetzt, hat jede Politik als sinnvolles Handeln in Versuch und Irrtum verraten. Durch die Zeitläufte kann er sich nur durchwursteln wie seine Kanzlerin. Der ausbalancierten Lutheranerin wird das Wursteln vorgeworfen, den konservativen Abgrund-Voyeuren aber nicht. Wie kann man etwas bewahren, wenn man von seinem katastrophalen Ende überzeugt ist? Woran man glaubt, dass stellt man her.

Wenn die Menschen unrettbar böse sind, ist es gerechtfertigt, sie mit allen Mitteln der Macht zu observieren und anzuketten. Wetten, dass die Majorität der NSA sonntags in ihr schmuckes Kirchlein geht, um sich mit Schaudern anzuhören, welch Abgrund der Mensch ist? Ohne Gott im Regiment würde er alles in Schutt und Asche legen? Und schon wird das Netz um den Planeten noch enger gezogen, damit das kleinste Teufelchen nicht durch die Maschen schlüpft.

Rechtzeitig zur Verteidigung der NSA tauchen Terroristen im Netz auf, die den Westen niederkartätschen wollen, wenn die NSA sie nicht vorsorglich unter die Lupe nehmen würde. Seht ihr, lautet die Botschaft, Schnüffler sind nötig, sonst gibt’s den Untergang des Abendlands und seines Großen Rüpels überm Teich. Diese Warnungen gehen über die Medientheken, als seien sie das Evangelium.

Wie aber ist dann folgender Satz zu verstehen und warum wird er in keinen Nachrichtensendungen mitzitiert? „Der „New York Times“ zufolge deuteten Analysten und Kongressmitarbeiter an, eine Terrorbedrohung zum jetzigen Zeitpunkt sei ein guter Weg, von der Kritik an den NSA-Programmen abzulenken.“ (DER SPIEGEL)

Keine Miosga, kein Kleber käme auf die Idee, solche durchsichtigen Objektivismen zu relativieren und die Frage zu stellen, wer ein Interesse haben könnte, sie gerade jetzt zu lancieren. Das wären ja Verschwörungen, Journalisten aus echtem Schrot und Korn riechen Verschwörungen von weitem. Verglichen mit der Welt vor 20 Jahren sind Mythen zur Realität geworden – die wir nicht sehen.

Kade Crockford ist amerikanische Menschenrechtlerin und muss ihr Land hassen. Anders kann man ihre Kritik an amerikanischen Verhältnissen nicht deuten. Es gebe einen Meinungsumschwung besonders unter jungen Amerikanern:

„Vor ein paar Jahren waren Amerikaner noch eher bereit, ihre Privatsphäre für mehr Sicherheit einschränken zu lassen. Das ist jetzt nicht mehr so, nun ist die Meinung, dass die Regierung zu weit gegangen ist.“

Und nun kommt ein Satz, der auch bei kritischen Deutschen selten zu hören ist:

„Denn das Sammeln an sich ist schon ein Missbrauch von Macht. Es ist eine Anmaßung, die Kommunikationsdaten und die Bewegungen von unbescholtenen Bürgern auszuspähen. So etwas machen totalitäre Regime, keine offenen, demokratischen Gesellschaften. Wir müssen damit aufhören. Demokratien behandeln ihre Bürger nicht als Datensatz, als schuldig bis zum Beweis des Gegenteils.“ (SPIEGEL-Interview mit Kade Crackford)

Warum sind die Menschen so apathisch oder mit Augstein zu sprechen: warum haben die Deutschen eine „Koalition der Unvernünftigen“ mit der verantwortungslosen Kanzlerin geschlossen? (Jakob Augstein im SPIEGEL)

Der ehemalige Verfassungsrechtler Hans Jürgen Papier nimmt Merkel in Schutz.

„Er verteidigt die Bundesregierung gegen den Vorwurf, sie vernachlässige ihre Schutzpflicht gegenüber den Bürgern. Zwar habe der Staat „die grundsätzliche Pflicht, seine Bürger vor Zugriffen ausländischer Mächte zu schützen“. „Aber der Staat kann nur zu etwas verpflichtet sein, das er rechtlich und tatsächlich auch zu leisten vermag.“ Wo die Unmöglichkeit anfange, ende die Schutzpflicht.“ (DER SPIEGEL)

Es ist nicht so, wie Augstein behauptet, dass nur Elitenschreiber die Gefahren begriffen, das Volk aber sich wegduckte. Augstein gehört zu den wenigen in der Republik, bei dem es authentisch klingt, wenn er zum Selberdenken ruft. Die meisten intellektuellen Theorien und philosophischen Entwürfe predigen Ergebenheit und Unvermeidlichkeit des Schicksals, der Evolution, der Geschichte, des Fortschritts, des Wandels zum Neuen.

Gleichgültig, welche Qualität das Neue besitzt. Lieber Neues und Bedrohliches, als das Alte, das sich bewährt hat, das ist die Lehre der Postmoderne.

Das Volk sieht keine Alternativen, deshalb wählt es Merkel. Wenn Parteien nur verschiedene Übel sind, zwischen denen man wählen muss, dann lieber eine unaufgeregte Mami als ein Sprücheklopfer, der auch nicht zur Sache geht.

Das Hauptproblem heutiger Demokratien auf der ganzen Welt ist der Mangel an personellen und geistigen Alternativen. Es gibt keine Oppositionen, die die Lage der Welt radikal anders sehen würden als ihre Regierungen.

Wir stehen vor einem Epochenumschwung. Der wird nicht durch ausgebrannte Politiker herbeigeführt, sondern durch hungrige BürgerInnen, die ihre Angst so weit bezwingen, dass die Mächte der Welt sie nicht mehr schrecken können.

Augstein erwähnt nicht die Besänftigungsmechanismen, mit denen die Kirchen die Menschen in Seligkeitsversprechen einlullen. Indem sie predigen, dass – bei aller Kritik an den Regimen – alle Obrigkeiten von Gott seien und damit sakrosankt wären.

Politik ist lange nicht mehr die Sache der Politiker. Der Schlaf der Vernunft gebiert keine Ungeheuer, sondern die Kraft zur Revolution, die sich zum Ernstfall träumt.