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Mittwoch, 24. April 2013 – Weltaufbau durch Weltzerstörung

Hello, Freunde der Überstunden,

nur 12% aller Malocher bekommen ihre Überstunden vergütet. Vergüten ist das angemessene Wort. Sogenannte Arbeitgeber, die mehr nehmen als sie geben, betrachten den vereinbarten Lohn als Akt der Güte. Lasst euch an ihrer Güte genügen. Jeder Lohn ist Gnade und Güte, wer hätte seinen Verdienst schon verdient? Gäbe es nicht die Langmut der Unternehmer, hätten wir schon lang keine Arbeitsplätze.

Wer Risiken auf sich nimmt, für Arbeitsplätze zu sorgen, sollte dafür ausgezeichnet und nicht abkassiert werden. 1991 waren es noch 37%, die für ihre Überstunden bezahlt wurden. (BILD)

Nur die Hälfte aller Beschäftigten kann die Überstunden mit Freizeit abfeiern. Auch ein trefflich Wörtchen. Sie feiern ab, weil sie Feiern und freie Zeit unerträglich finden und schnell dorthin zurückkehren wollen, wo sie gebraucht werden. (Darunter fast alle Mütter zu Hause, die mit Kind zu viel feiern müssen und lieber von Kapitalisten gebraucht werden wollen.) 

Wer andere zur unbezahlten Arbeit zwingen kann, den nannte man in ehrlicheren Zeiten Sklavenhalter. Kleine Erinnerung: die heutigen Arbeit-Geber waren einstmals Arbeit-Nehmer. Der arbeitenden Bevölkerung raubten sie ihre Arbeit und machten sie von ihren Arbeitsplätzen abhängig. Handwerker, Bauern waren selbständige Arbeiter und brauchten weder Staat noch Vorgesetzte, um sich selbstbestimmt zu ernähren. Kam jemand

in Not, gab‘s Nachbarn, die halfen.

Diese Autarkie und Eigenständigkeit passte denen nicht, die glauben, ein natürliches Recht zu besitzen, sich von anderen ernähren zu lassen, ohne darum betteln zu müssen. Sie legten Bauern und Handwerker: sie nahmen ihnen ihren Grund und Boden weg, damit sie nicht unabhängig leben konnten, eröffneten große Manufakturen, die mit Billigware den Handwerkern das Überleben unmöglich machten.

Bauern- und Handwerkerlegen war der Beginn des Kapitalismus. Die Mehrheit der Bevölkerung wurde mit Gewalt in Abhängigkeit gestürzt. Die Feudalisten verwandelten sich in Industrielle und Fabrikbesitzer, die gnädig jenen Arbeitsplätze schufen, die sie ihrer Autarkie beraubt hatten.

Während die beginnende Aufklärung selbständig denkende Menschen forderte, ging der Frühkapitalismus den umgekehrten Weg: er wollte Abhängige, die er mit Hungerlöhnen nach Belieben erpressen konnte. Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen? Habe Mut, deiner eigenen Hände Werk zu entsagen und dich einem Arbeit-Geber zu unterwerfen!

Vor dem Tor stand die Reservearmee der Arbeitslosen, die zu geringeren Löhnen bereit war, ihr Leib und Leben zum Tausch für ein paar Kröten anzubieten. Die Mühe von Marx, den so genannten Mehrwert zu errechnen – jenes Maß an Gewinn, den die Ausbeuter den Malochern vorenthielten – war überflüssig. Es ging nie um wahrheitsgemäße, präzis zu erforschende Gerechtigkeit in Verteilungsfragen. Die Machtverhältnisse entschieden über Profit der Eigentümer und den Lohn der Arbeiter.

Wer Macht hat, bestimmt über die Verteilung der Gewinne und lässt die Kluft zwischen Reich und Arm nach Belieben wachsen. Den Ohnmächtigen erpresst der Reiche nach Belieben. Es kam immer nur drauf an, die Arbeitsstellen so zu rationieren, dass die Nachfrage nach Arbeit stets größer war als die Malocherangebote. Dies Gesetz gilt bis heute. Es muss schwierig sein oder scheinen, einen kostbaren Arbeitsplatz zu ergattern.

Plötzlich heißt die Devise: macht euch selbständig, ihr risikoscheuen Deutschen. Seit 300 bis 400 Jahren hat man die „unteren“ Stände ihrer Selbständigkeit beraubt. Jetzt wieder umgekehrt: mehr Unternehmergeist fordern ausgerechnet diejenigen, die den autarken Unternehmergeist der Bauern und Handwerker zerschlugen.

Im Feudalismus gab es Herren und Knechte. Hegel hatte den Braten gerochen: die Herren hatten die Macht und beschützten ihre Knechte, wenn Feinde das Land bedrohten. Als Gegenleistung wurden sie in Friedenszeiten von den „Knechten“ gefüttert und als Obrigkeit von Gottes Gnaden verehrt.

Die drei Damen bei Schikaneder erklären dem Knecht Papageno die „Herr-Knecht-Dialektik“ in einem schlichten Reim:

Dich schützt der Prinz, trau ihm allein!

Dafür sollst du sein Diener sein.“

Die wahrhaft Selbständigen waren die Knechte, die der Welt kundig waren und sich mit Arbeit ernähren konnten. Wären die Zeiten friedlich gewesen, hätten die Knechte ihre waffenklirrenden Herren zum Teufel jagen können. Es bedurfte immerdräuender Kriegsgefahr, um die Existenzberechtigung adliger Kettenhemden zu bestätigen. Im Krieg waren die Herren notwendig, im Frieden wurden sie zu Blutsaugern.

Alle Kulturarbeit indes wurde von den niederen Schichten vorangetrieben. Musik, Bauerntheater, Lebenskunst, selbst der Fortschritt der mittelalterlichen Technik (siehe Zilsel: „Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft“): ohne Knechte und ihre Genialität, ihre Feiern und Feste, ihre Bodenhaftung, ihren gesunden Menschenverstand, ihre Solidarität, wäre die Herrenkultur längst an sich selbst erstickt.

Thomas Kielinger, WELT-Korrespondent in England, pries vor Tagen die unermesslichen Leistungen der verstorbenen Dame mit der aggressiven Handtasche. Sie habe wieder für jene Unterschiede in England gesorgt, ohne die es keine Kulturentwicklung im Abendland hätte geben können. Man denke an Dome, Schlösser, Hofmalerei, Orchester an Fürstenhöfen. Ohne reiche Oberschichten hätte es keinen Haydn, Mozart, Beethoven, Bach e tutti quanti gegeben.

Ist Hochkultur nicht veredelte und sublimierte Volkskultur? Kielinger verbreitete den Narzissmus der Oberen, dass Kultur das Werk der Vornehmen und Reichen sei. Er vergass nur hinzuzufügen, dass fast alle Maler, Musiker, Architekten und Kulturschaffenden aus dem Volk kamen. Kein Kulturschaffender von Rang kommt von oben. (Anmaßung, sich als Oben zu definieren, um auf alle anderen herunter zu blicken.)

Jazz ist das Lebensgefühl verachteter Schwarzer, die Beatles kommen aus dem Arbeiterviertel Liverpools, alle Pop- und Rocksänger aus der Schicht der Zukurzgekommenen, die Rapper erfanden ihre Musik auf den Straßen der Bronx.

Die Oberen domestizieren und vermarkten die Kultur der Unteren und beuten sie aus, bis sie ausgelutscht ist – und die nächste kreative Welle von unten nach oben schwappt.

Wer Geld hat, kann Kultur kaufen und verkaufen, produzieren kann er sie nicht. Luxusleben macht borniert. Der Reiche muss keine Daseinsprobleme mehr lösen. Er glaubt, am Ziel seines Lebens angekommen zu sein.

Kultur ist die Übersetzung privater Probleme in eine menschheitsverbindende Sprache, in der sich viele wiedererkennen. Tragödien und Komödien waren in Athen ein Volksereignis. Die meisten Philosophen waren Angehörige des niederen Volkes, Sokrates der Sohn einer Hebamme. Nur Platon war adliger Sprössling, er war es gewohnt zu befehlen. Kein Zufall, dass in seinem idealen Staat die Philosophen die Herrschaft übernehmen.

Das Herr-Knecht-Verhältnis des Mittelalters verwandelte sich in das Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Verhältnis der Moderne. Die Arbeit verrichten die Knechte, wozu mittlerweilen die Mittelschichten zählen, die ständig in Angst leben, ins Bodenlose zu stürzen.

Es ist erstaunlich, dass in der Kapitalismuskritik der Faktor Macht selten erwähnt wird, obgleich das Geld der Reichen längst nicht mehr weder der Existenzsicherung noch der Lustmaximierung dient. Wer alles hat, kennt nur noch den Luxus der erwählten Klasse, die von der Exklusion der Vielzuvielen lebt. Seine Lust besteht im Beneidetwerden. Durchweg steht er im Mittelpunkt des Geschehens, was er durch Menschenliebe und Gedankenreichtum nicht erreichen könnte.

Ilja Trojanow will die Reichen Oligarchen nennen, weil sie mit Reichtum Macht ausüben. „Oligarchen sind gesellschaftliche Akteure, die ihr massives Vermögen verteidigen und in politischen Einfluss ummünzen können. Die Regulative der parlamentarischen Demokratie können eine weitere Konzentration des Vermögens in den Händen einer oligarchischen Elite nicht verhindern.“ (Ilja Trojanow in der TAZ)

Können sie es nicht oder wollen sie nicht? Bestimmte Mittelschichtler, wozu die Medialen gehören, identifizieren sich nicht mit dem Volk, sondern nähren ihr Selbstbewusstsein durch den Glanz derer, die über ihnen sind. Ihr Ehrgeiz ist, durch eintrainierte Neidfreiheit sich vom Pöbel zu unterscheiden.

Was ist das Gegenteil zu Neid? Das Gönnertum der Lakaien, die von den Brosamen leben, welche vom Tisch der Reichen abfallen. Die gönnerhafte Überidentität mit den Erfolgreichen entschädigt die Speichellecker für die schmerzliche Tatsache, dass ihr eigener Erfolg zu wünschen übrig lässt.

Wenn Deutschland durch wirtschaftliche Potenz Macht in Europa hat, müssen die Machtbewunderer nicht mehr in martialischer Pose den ersten Vers der Deutschlandhymne singen. Cool können sie ökonomische Daten herunterrasseln und über wirtschaftliche Notwendigkeiten dozieren. Der Machtrausch der Deutschen kommt wieder auf seine Kosten, doch in sachlich-evolutionärer Wissenschaftspose. Kriege werden allmählich ersetzt durch legitime Wirtschaftsmacht.

Die Abneigung gegen Demokratie als Herrschaft des Pöbels – bei Hayek mit Händen zu greifen – kann sich als sonore Stimme ökonomischer Gesetzmäßigkeiten geben. Putschlos kann die Gewaltenteilung der Volksherrschaft unterlaufen werden. Anstatt die gewählte Regierung zu stürzen, tut man, als ob man ihr diene und ihren Einfluss in der Welt durch Wirtschaftsmacht stärke.

Die gewählten Mächte sind längst zu Vollstreckern ungewählter Selfmademen geworden. Geschichte wird von materiellen Verhältnissen bestimmt, die im Geist religiöser Erwählung wurzeln.

Die christliche Botschaft verkündete das Ende der Welt. Das Ende aller Dinge war nahe herbeigekommen, eine Umgestaltung irdischer Verderbtheiten überflüssig. Der Appell an den reichen Jüngling: verkaufe alles, was du hast und folge mir nach, war keine Aufforderung zur sozialen Revolution. Auch kein Lockruf zur Armut. Er war die Schlussfanfare der irdischen Geschichte. Die Letzten machen die Lichter aus. Das Erste ist vergangen: nun beginnt ein neues Kapitel der himmlischen Geschichte durch eine zweite Schöpfung. Die alte Schöpfung kommt auf den apokalyptischen Müll.

Hier müssen wir eine Frage stellen, die sonst unter den Teppich gekehrt wird. Wie konnte es einer Endzeit-Religion – die es ablehnte, die Welt aktiv zu gestalten – gelingen, die Welt unter ihre Kontrolle zu kriegen? Hätte sie nicht still im Winkel sitzen bleiben müssen, bis ihr ersehnter Himmelssohn am Horizont erscheint? Hätte sie sich nicht aus allen Erdenfragen heraushalten müssen? Gebet dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist: war das nicht die Absage an jegliche Erdenmacht? Der friedliche Status quo mit der heidnischen Welt?

In seinem Buch „Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen“ hat Ernst Troeltsch das Problem erkannt. Dem Programm der jungen Urchristengemeinde fehle gänzlich die soziale Erneuerung. Die ersten Gläubigen begnügten sich mit der „Arbeit der Selbstheiligung“ und mit Warten auf das Kommen des Gottesreiches.

Hätte sich diese Innenwendung – das Reich der Himmel ist inwendig in euch – unverändert fortgesetzt, lebten die Christen noch heute als Asketen mitten in der Welt und doch weltenweit von ihr entfernt. Sie wären Fremdlinge, die keine bleibende Stadt auf Erden hatten und auf die zukünftige im Himmel warteten und warteten und warteten.

Einige Sekten wie die Adventisten haben den Modus des Wartens noch nicht verdrängt. Stets berechnen sie die Ankunft ihres Herrn aufs neu und wandern unverdrossen in weißen Kleidern auf den nächsten Hügel, um nicht zu den schlafenden Jungfrauen zu gehören.

Wie ist der riesige Unterschied zwischen den Wartenden und den überaktiven Weltveränderern zu erklären, die sich beide als Christen definieren? Hören wir Troeltsch:

„Sobald sich nun um eine solche Predigt (wie der Frohen Botschaft) eine dauernde Gemeinschaft sammelt, ist es unausbleiblich, dass aus diesem Programm auch eine soziale Ordnung wird, dass die zunächst rein religiös gedachte soziologische Struktur sich in eine soziale Organisation innerhalb des übrigen Lebens umsetzt.“

War es tatsächlich unausbleiblich, dass die Kirche als wartende sich in eine aktive Politgesellschaft verwandelte? Will die Kirche tatsächlich das „übrige Leben“ in der Welt verändern? Erst mal nicht: „Die Neuordnung beschränkt sich auf die Gemeinde selbst und ist nicht ein Programm der sozialen Volkserneuerung überhaupt.“

Das klingt befremdlich. Veränderung der Welt ohne Veränderung? Noch paradoxer beschreibt Troeltsch das Mönchtum, in dem ein revolutionäres Element steckt, „freilich ohne jeden Willen zur Revolution.“

Was will der christliche Glaube? Will er die Welt auf den Kopf stellen, indem er sie lässt, wie sie ist? Will er sich auf Erden einrichten oder aber sich als wanderndes Volk Gottes verstehen, das ihrem Herrn entgegen geht?

Noch befremdlicher die Analyse Uhlhorns in seinem Werk „Die christliche Liebestätigkeit.“ Uhlhorn, der sich darin überschlug, der heidnischen Antike Lieblosigkeit vorzuwerfen, seiner geliebten Kirche aber eine überragende Liebestätigkeit bescheinigte – derselbe Uhlhorn stellt wenige Seiten später fest, dass die Kirche dem Staat von ihrem eigenen sozialen Leben wenig bis nichts eingepflanzt hatte.

Hatte die Kirche die gefallene Welt nicht mit Liebe durchdringen wollen wie das Salz den Sauerteig? War sie gescheitert? Ist die Welt in 2000 Jahren Christentum humaner geworden? Oder sähe es heute ganz anders aus, wenn die antiken Demokratie- und Menschenrechtsideen sich durchgesetzt hätten – ohne einen zermürbenden Dauerkampf gegen menschenfeindliche Priesterdiktaturen führen zu müssen?

Wenn die Urkirche der Welt Liebe bringen wollte, ist sie gescheitert: Der christliche Staat steht der „sozialen Frage hilflos gegenüber. Er hat so gut wie nichts getan, die soziale Frage der Zeit zu lösen.“

Die soziale Marktwirtschaft wird gegenwärtig auf den Einfluss der katholischen Soziallehre zurückgeführt. Das ist eine typisch kirchliche Geschichtsfälschung. Der Vatikan reagierte nur mit rhetorischen Mitteln auf die marxistische Verseuchung der Arbeiterschaft, die der Kirche weggelaufen war. Wieder setzte sich die Kirche an die Spitze der Bewegung, die sie erbittert bekämpft hatte.

Warum stellt – anlässlich der Doppelmoral von Hoeneß – niemand die Frage, welche Doppelmoral die Kirche befähigt, auf allen Schultern Wasser zu tragen? Sollten morgen die Verhältnisse sich ändern, wird die Kirche ungeniert zu ihren alten Positionen zurückkehren. In welchem christlichen Land haben die Kirchen der Macht des Mammons entsagt? Überall gehören sie zu den reichsten Institutionen, die Wasser predigen und Wein saufen.

Meister Hoeneß ist nicht die Ausnahme von der Regel. Er ist ein standardisierter bayrischer Katholik, dessen Brüllen sein schlechtes Gewissen übertönen muss. Sein Verhalten ist in der Doppelmoral des Abendlandes bestens verankert. Die widersprüchliche Moral des Christentums ist in sich selbst eine Doppelmoral.

Die Kirche veränderte die Welt, weil sie offiziell verschmähte, sie zu verändern. Sie tat, als sei sie nicht von dieser Welt. Sie zeigte dieselbe Weltverachtung wie die philosophischen Könige in Platons utopischem Staat – die unter dem Vorzeichen der Weltanimosität die Herrschaft im Staat eroberten.

Wie die Schöne sich abgeneigt zeigt, um den Galan für sich zu gewinnen, so die Kirche, die sich als weltverneinendes Gebilde präsentierte – um sich die Welt unter den Nagel zu reißen. Die Priester drehen die Augen nach oben, um davon abzulenken, dass sie die Welt längst ausgemessen haben. Sie zeigen sich abgeneigt, um ihre Interessen mit allen Mitteln durchzusetzen. Sie tun, als ob sie alles Irdische verachteten, um die irdische Herrschaft für immer abzusichern. Sie geben sich die Pose des Wartens, um ihren Heißhunger auf die Welt zu kaschieren. Die Kirche gibt sich transzendent, um ihre Weltbesoffenheit mit einem Heiligenschein zu drapieren.

Es gibt keine Religion mit Gott als Herrscher der Geschichte, die nicht politisch sein muss. Geschichte ist immer politische Geschichte. Wer die Geschichte dominieren will, kann die Dominanz nicht im luftleeren Raum und in abstrakter Zeit vollstrecken. Wer einen allmächtigen Gott anbetet, kann dem Feind nicht das kleinste Terrain überlassen. Wer gottebenbildlich sein will, muss Gottes Allmacht und Allpräsenz anstreben. Sonst macht er sich vor sich selbst lächerlich.

Das ursprüngliche Warten (Attentismus) musste in hektische Welteroberung umkippen, die alles, was sie erhofft und ersehnt, in selbsterfüllende Prophezeiung verwandelt. Die christliche Gestaltung der Welt will keine nachhaltige und friedliche Ordnung der Welt. Sie gestaltet, indem sie zerstört. Ihr Attentismus ist eine verkappte Weltpolitik mit der Abrissbirne. Ihre Überaktivität ist die Kehrseite ihres gelähmten Wartens.

Die Erde darf nicht zur verlässlichen Heimat der Menschheit werden. Passives Warten haben sie in beschleunigte Nervosität verwandelt, um den Herrn, der nicht kommen will, zur Wiederkehr zu zwingen. Das fiebrige Beschleunigen der Zeit will ans Ende. Alles strebt dem Ende zu. Nichts kann für die Dauer sein.

Warum gibt es keine Fortschritte in Nachhaltigkeit? Weil niemand sie will. Nachhaltigkeit wäre Blasphemie gegen den kommenden Herrn und verzögerte seine Parusie. Alles Dauerhafte wird verhöhnt. Schaffen aus dem Nichts und Destruieren ins Nichts: das ist das hämmernde Stakkato der modernen Sucht nach dem Neuen, dem alles Alte zum Opfer fallen muss.

„Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde, denn der erste Himmel und die erste Erde sind verschwunden und das Meer ist nicht mehr.“

Der christliche Neuaufbau der Welt – ist ihre Destruktion.