Kategorien
Tagesmail

Mittwoch, 12. Juni 2013 – Transhumanismus

Hello, Freunde der Denker,

Deutschland hat keine Denker mehr, dafür auch keine bösen Menschen. Unter ihnen Dieter Zetsche, Daimler-Chef, Karl Albrecht von Aldi-Süd und Michael Sommer, Chef der Gewerkschaften. Richtig gut sind die nicht-bösen Menschen aber auch nicht. Außer Ingrid Hamm, der Leiterin der Robert-Bosch-Stiftung. Kein Grund zur Beunruhigung, Papst Franziskus gehört auch nicht zu den wirklich Guten, was wir schon immer ahnten.

Die Liste der 500 bedeutendsten Menschen der Gegenwart wurde von dem amerikanischen Magazin Foreign Policy erstellt. Zu den Lieblingsbeschäftigungen der Amerikaner gehört das Erstellen von Listen, die hierarchische Ordnung in die Welt bringen. Wer steht dem Himmel am nächsten? Die amerikanischen Ranking-Listen sind der Himmelsleiter Jakobs nachempfunden: „Da träumte ihm, eine Leiter sei auf die Erde gestellt, die mit der Spitze an den Himmel rührte und die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder.“

Auf der amerikanischen Leiter steigen nicht nur Engel auf und nieder. Das untere Ende der Leiter endet in der Hölle und der zurzeit Böseste ist der afghanische Taliban-Chef Mullah Mohammed Omar, ein verruchter Feind des Reichs der Guten oder unserer amerikanischen Freunde.

Natürlich kommt ein Amerikaner am besten weg. Es ist Präsident Obama. Er bekommt fünf Sternchen, die Höchstzahl, die ein Mensch erringen kann. Der Präsident ist nicht nur intelligent und reich, vor allem ist er Politiker, Agitator und Militär.

Das Paar Melinda und Bill Gates: sie sind reich und gut. Nach der amerikanischen Formel, ein vorbildlicher Christ ist Kapitalist, muss man reich werden, um

gut sein zu können. Arme Menschen sind schlecht, sie können keine Milliardenstiftungen gründen.

Nur Reiche sind in der Lage, die von ihnen ausgeblutete Welt so notdürftig zu verarzten, dass sie noch mehr ausgeblutet werden kann. Die Welt wird vom Kapitalismus am effizientesten gefoltert. Soll sich mal nicht so haben, die olle Welt. Die hält was aus, selbst das bisschen Klima-verändern der Menschen. Ein Pflästerchen aufs Klima, in alle Autos eine Klimaanlage, die Deiche an der Elbe erhöht oder mit Atemschutz herumlaufen – wo ist das Problem? Notfalls kann man anderswohin auswandern, wenn’s einem in der aufgeheizten oder überschwemmten Heimat nicht gefällt. Wir müssen alle flexibel und mobil werden.

Zu den brillanten Denkern gehören amerikanische Universitäts-Präsidenten, Firmen-Gründer und Maschinen-Erfinder aus Silicon Valley. Jeff Bezos von Amazon, PC-Hersteller Michael Dell und Larry Page von Google. Brillante Denker?

(Arno Widmann in der BLZ)

Für Popper war Brillanz die Erbsünde der modernen Angeberei. „Unsere intellektuelle wie auch unsere sittliche Erziehung ist korrupt. Sie ist verdorben durch die Bewunderung der Brillanz, durch die Bewunderung der Weise, in der Dinge gesagt werden, die an die Stelle einer kritischen Betrachtung des Gesagten (und des Getanen) tritt. Sie ist verdorben durch die romantische Idee des Glanzes auf der Bühne der Geschichte, auf der wir alle Schauspieler sind. Wir sind dazu erzogen, bei all unseren Handlungen die Galerie im Auge zu behalten.“ (Aus „Falsche Propheten, Hegel, Marx und die Folgen“)

Hätte Popper Recht, wären brillante Denker Geistesriesen, die die Welt verderben. Und die Liste zeichnete Menschen aus, die ein Verhängnis wären für alle, die wie die Amerikaner die Brillanz und den romantischen Glanz auf der Bühne der Geschichte anbeteten. Seltsamerweise hat Popper den christlichen Theologen Karl Barth bewundert, obwohl es keine Religion gibt, die das ERlösungsgeschehen auf der Bühne der Heilsgeschichte so anbetet wie das Christentum.

Das Bühnengeschehen auf Golgatha war so welterschütternd, dass nicht nur der Vorhang im Tempel zerriss, sondern Finsternis sich auf der ganzen Erde verbreitete. Von der sechsten bis zur neunten Stunde. Schon bei der Geburt des süßen Jesulein war das himmlische Firmament involviert. Die drei Weisen aus dem Morgenland wären nicht zur Huldigung des kommenden Messias gekommen, wenn sie nicht seinen Stern im Morgenland gesehen hätten. Heller Stern zur Geburt, verdunkelte Erde bei seinem Tod, danach Herrscher des Weltalls: wer bringt noch mehr Glanz in die ärmliche Hütte und auf die Bühne der Geschichte?

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Der oberste Gewalthaber ist ständig präsent bei seinen Schäfchen, die sich, solange sie im Fleisch sind, als Feinde der Gewalt vorzustellen pflegen. (Aufrechten Humanisten, sie sich als Christen verstehen, dreht sich bei solchen Worten des Evangeliums regelmäßig der Magen um. Doch sie bringen nicht die Kraft auf, ihre menschenfreundliche Gesinnung von der Heiligen Schrift zu lösen. Lieber basteln sie solange an den schrecklichen Texten herum, bis sie zum Gegenteil ihres Wortlautes geworden sind. Oder sie blättern mit schlechtem Gewissen weiter.)

Zu den brillanten Denkern des Silicon Valley gehören die Transhumanisten, die der amerikanische Soziologe Fukuyama als gefährlichste Ideologen der Welt bezeichnete. Zu den Transhumanisten gehört Ray Kurzweil, der den menschlichen Geist in eine Software verwandeln und vom schwächlichen Körper befreien will. Vom biologischen Verfall wäre das Gehirn befreit, die nächste Stufe der Evolution erreicht.

Kurzweil, Prophet einer neuen heilen Welt dank Gehirnscanner, hat einen begeisterten Jünger in Deutschland: der Chefdenker einer konservativen Gazette, hinter der immer ein kluger Kopf steckt. Hätte Popper recht, wäre Schirrmacher der deutsche Prophet eines amerikanischen Propheten, der mit technischer Brillanz die Menschen verdirbt. Frank Schirrmacher gilt hierzulande als brillantester Denker seiner Generation. Vor seinem verderblichen Einfluss hat noch kein deutscher Edelschreiber gewarnt.

Zum Thema Transhumanisten hat Boris Hänssler in der SZ vor wenigen Tagen einen kritischen Artikel geschrieben – ohne den Namen Schirrmacher zu erwähnen. Deutsche Schreiber pflegen brillante Kollegen nicht zu kritisieren. Das gehört sich nicht.

Man höre und staune, Transhumanisten sehen sich in der Tradition des Humanismus und der Aufklärung. Bei Geburtstagen und Nachrufen sind die Deutschen überschwänglich und bemühen allweil Aufklärung und Humanismus. Solange die Protagonisten aber im Alltag verharren, hörst du nichts von Aufklärung und Vernunft. Höchstens die besorgte Mahnung, es mit derselben nicht zu übertreiben. Es gäbe noch weitaus Besseres als die – totalitäre – Herrschaft der Vernunft, nämlich die absolute Gewaltherrschaft der ER-lösung.

(Die Schreibweise ER-lösung soll darauf hinweisen, dass Erlösung immer von einem ER, einem Mann, kommt. Von einer Sie-lösung war nie die Rede. Von geschlechts- und altersfreien rationalen Lösungen der menschlichen Probleme überhaupt noch nie).

Okay, was wollen die Transhumanisten? „Sie fördern alle Wissenschaften, die den Menschen klüger, gesünder, glücklicher und stärker machen können: Genomik, Neurowissenschaft, Robotik, Nanotechnologie und künstliche Intelligenz. Die Neurowissenschaft etwa soll Wege finden, gezielt mentale Zustände zu erzeugen, eine Art Glück auf Knopfdruck.“

Sie wollen den Fortschritt der Menschheit ins uneingeschränkte Glück per Knopfdruck. Da sage einer, Utopie sei verboten, weil langweilig und risikolos. Utopien sind das Alpha und Omega der Transhumanisten. Das gar nicht geheime Ziel aller Transhumanisten ist die perfekte Utopie. Utopie ist also sehr wohl erlaubt, ja geboten, ja, der Motor der ganzen technischen Brillanz in Silicon Valley, die – sollte Popper Recht haben – die ganze Welt verderben will.

Diese Leute nennt die Foreign Policy brillante Denker. Schauen wir mal spaßeshalber nach, was Brillanz genau ist und ob sie wirklich die Fähigkeit hat, die Menschheit moralisch zu zerrütten:

„Die Brillanz ist definiert als die Zahl der Photonen pro Fläche, Raumwinkel und Zeit innerhalb eines schmalen Wellenlängenbereichs. Somit ist sie gleich der spektralen Strahldichte geteilt durch die Energie pro Photon. Wie die Strahldichte kann sie auf ein Einheits-Frequenzintervall oder ein Einheits-Wellenlängenintervall bezogen sein und wird zusätzlich noch je Einheitszeitintervall angegeben.“

Da viele unserer LeserInnen humanistisch hochgebildete Menschen und keine physikalisch ausgebildeten Edelsteinschleifer sind, hier die Übersetzung: Brillanz ist, wenn man Menschen solange wie Brillanten schleift, bis sie vor Intelligenz funkeln und glitzern. Das hört sich nicht nur schrecklich totalitär an, das ist es auch. Welche freiheitsliebenden Menschen wollen so lange geschliffen werden, bis ihnen das Großhirn auf Grundeis geht?

Brüder und Schwestern! Bitte unterschreiben Sie die folgende Petition an Kurzweil, Schirrmacher und alle falschen Propheten des transhumanistischen Fortschritts:

Sehr geehrte Utopisten und Anbeter brillanter Technik!

Bitte distanzieren Sie sich klar und eindeutig von Ihren menschheitsverderbenden Zielen – wir setzen voraus, dass Sie Popper kennen, wenn nicht, umso schlimmer für Sie – und stoppen Sie auf der Stelle, – wir wiederholen unsere Drohung: auf der Stelle – den ganzen transhumanistischen Klamauk, der nicht trans-, sondern antihumanistisch ist.

Wissen Sie nicht, dass trans auf Deutsch „über, hindurch“ bedeutet? Sie wollen, ob wissentlich oder nicht, den Humanismus über-queren oder über ihn hinaus gelangen, um das genaue Gegenteil des Humanismus zu erreichen: den Antihumanismus. Oder die Barbarei, Unmenschlichkeit, Brutalität, Grausamkeit und Herzlosigkeit.

Hier Ihren unverschlüsselten Namen eintragen: ………………………………… (Datenschutz kann angesichts von Prism nicht mehr gewährt werden)

Transhumanisten halten es für die Pflicht aller Menschen, ihre Altersprozesse zu verlangsamen oder ganz zu verhindern. Die Pflegekosten für alte Menschen mit Alzheimer, Demenz und sonstigen Senil-Simulierungen kann die Gesellschaft nicht mehr aufbringen. Wer sich dem Fortschritt trotzig verweigert, wird zwangsweise transhumanisiert. Vor kurzem sprach man von Zwangsbeglückung. Glauben Sie ja nicht, wir hätten Angst vor diesem Wort, das in der Vergangenheit nur allzu oft und mit falschen Methoden konkretisiert wurde. Mittlerweilen wissen wir wirklich, was das Glück der Menschen ist und haben elegante Methoden der Zwangsbeglückung entwickelt. Sie merken gar nicht, dass Sie gehirngewaschen werden und fühlen sich plötzlich – ohne geringste eigene Anstrengung – von trans-zendenten Glücksgefühlen überschwemmt.

„Menschen haben in der transhumanistischen Denkweise die moralische Pflicht, ihr Erbgut so zu verändern, dass künftige Generationen über einen leistungsfähigeren, weniger krankheitsanfälligen Körper verfügen.“

Der Begriff Transhumanismus wurde bereits in den 30ern vom englischen Biologen Julian Huxley entwickelt, der die Züchtung neuer Menschen forderte. Eugenik nannte er seine Forderung, die von den Nationalsozialisten übernommen wurde, um Euthanasie an Behinderten und Völkermorde an den Juden zu rechtfertigen. Manche behaupten, die Ideen Huxleys seien von Hitler pervertiert worden.

Doch das ist alles bearbeitete Vergangenheit, nun müssen wir nach vorne schauen.

Was bedeutet evolutionärer Humanismus? (Ein Begriff, den auch die Giordano Bruno-Gesellschaft verwendet.) Entwicklung des Menschen durch Erkenntnis und Moral? Oder Entwicklung des Menschen ohne geistige Autonome, allein durch Werke der Technik?

Wer sich der Kant‘schen Aufklärung verpflichtet fühlt, kennt dessen Satz: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Wenn dieser Satz kompatibel wäre mit evolutionärem Humanismus, dann stünde die Giordano-Bruno-Stiftung auf Kant‘schem Boden. Michael Schmidt-Salomons „Zehn Angebote“ sind die folgenden:

  1. „Diene weder fremden noch heimischen „Göttern“, sondern dem großen Ideal der Ethik, das Leid in der Welt zu mindern!
  2. Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten!
  3. Habe keine Angst vor Autoritäten, sondern den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
  4. Du sollst nicht lügen, betrügen, stehlen, töten – es sei denn, es gibt im Notfall keine anderen Möglichkeiten, die Ideale der Humanität durchzusetzen!
  5. Befreie dich von der Unart des Moralisierens! Trage dazu bei, dass die katastrophalen Bedingungen aufgehoben werden, unter denen Menschen heute verkümmern, und du wirst erstaunt sein, von welch freundlicher, kreativer und liebenswerter Seite sich die vermeintliche „Bestie“ Homo sapiens zeigen kann.
  6. Immunisiere dich nicht gegen Kritik! Ehrliche Kritik ist ein Geschenk, das du nicht abweisen solltest.
  7. Sei dir deiner Sache nicht allzu sicher! Zweifle aber auch am Zweifel! Selbst wenn unser Wissen stets begrenzt und vorläufig ist, solltest du entschieden für das eintreten, von dem du überzeugt bist. Sei dabei aber jederzeit offen für bessere Argumente, denn nur so wird es dir gelingen, den schmalen Grat jenseits von Dogmatismus und Beliebigkeit zu meistern.
  8. Überwinde die Neigung zur Traditionsblindheit, indem du dich gründlich nach allen Seiten hin informierst, bevor du eine Entscheidung triffst!
  9. Genieße dein Leben, denn dir ist höchstwahrscheinlich nur dieses eine gegeben!
  10. Stelle dein Leben in den Dienst einer „größeren Sache“, werde Teil der Tradition derer, die die Welt zu einem besseren, lebenswerteren Ort machen woll(t)en! Eine solche Haltung ist nicht nur ethisch vernünftig, sondern auch das beste Rezept für eine sinnerfüllte Existenz.“

Greifen wir die fünfte These heraus: „Befreie dich von der Unart des Moralisierens!?“

Das ist identisch mit der Marx‘schen Absage an die „private Moral“ frühsozialistischer Utopisten. Wenn das Sein das Bewusstsein bestimmt, muss zuerst das Sein – die materiellen Verhältnisse, die „katastrophalen Bedingungen“ Schmidt-Salomons – geändert werden. Danach wird der böse homo sapiens automatisch „freundlich, kreativ und liebenswert“.

Doch wer verändert die katastrophalen Verhältnisse? Mit welcher Moral? Wer erzieht die Erzieher, wer verändert die Veränderer, die die Welt verändern? Gibt es zwei Menschengattungen? Die einen können kraft überlegenen Wissens die Verhältnisse verändern? Die anderen sind ungebildete Nutznießer der Veränderung?

Dann gäbe es, wie im real existierenden Sozialismus, die Klasse geschichtskundiger Propheten der marxistischen Heilsgeschichte – und die unwissenden Proleten, die beglückt werden.

Gibt es hingegen keine zwei Klassen, sondern jeder ist zur Verbesserung der Verhältnisse aufgerufen: mit welcher Moral sollen sie die Veränderungen durchführen, wenn sie nicht „moralisieren“ dürfen? Moralisiere nicht, ist selbst ein moralisches Gebot.

Das Ganze erinnert an Skinners Zukunftsroman Walden Two, in dem überlegene Verhaltenstherapeuten eine futuristische Gesellschaft herstellen, die automatisch bessere und glücklichere Menschen produziert. An die Stelle der Priester und Parteifunktionäre sind psychologische Gesellschaftsingenieure getreten.

Jeder gesellschaftliche Fortschritt, der nicht auf Moral und Erkenntnis des autonomen Einzelnen beruht, muss sich herrschaftlicher Techniken bedienen, die allen Menschen – die über diese Techniken nicht verfügen – zu ihrem Glück verhelfen. Wer dem einzelnen Menschen nicht zutraut, sich im Ensemble der res publica moralisch fortzuentwickeln, muss sich gewisser Techniken bedienen, die nichts anderes als faschistoide Instrumentarien sein können.

Die einen tun‘s mit ER-lösung, die anderen mit Gewalt, die dritten mit Herrschaftswissen. Die Mittel wechseln, die Zwangsbeglückungsmethoden bleiben.

Die europäischen Aufklärer glaubten an die Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen – durch Erkennen und Moral. „Und was für ein Schauspiel bietet dem Philosophen das Bild eines Menschengeschlechtes dar, das von allen Ketten befreit, der Herrschaft des Zufalls und der Feinde des Fortschritts entronnen, sicher und tüchtig auf dem Weg der Wahrheit, der Tugend und des Glücks vorwärts schreitet“. So Marie-Jean-Antoine-Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet in seinem Buch „Entwurf einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes“.

Wahrheit und Tugend, die nur von jedem Einzelnen erarbeitet werden können, führen zum Glück. Keine Pillen, Maschinen und gesellschaftliche Reizsysteme, die von anderen gelenkt werden, sodass wir wie Pawlow‘sche Hunde zu sabbern beginnen, wenn man uns mit außengeleiteten Belohnungen oder Strafsystemen in brillanter Weise dressiert und konditioniert.

Auch Kant ist seinem kategorischen Imperativ und seinem „Sapere aude“ untreu geworden. Den notwendigen Fortschritt traut er nicht der autonomen Einsicht des Menschen zu, sondern einer trans-humanen Natur, die besser weiß, was der Mensch zu seinem Glück benötigt, als er selbst. Der einfältige Mensch will arkadisches Schäferleben in voller Harmonie mit allen Menschen. Die Natur aber verpflichtet ihn zu „Unvertragsamkeit, für missgünstig wetteifernde Eitelkeit“, um im Wettkampf mit allen anderen zum Fortschritt der Menschheit beizutragen.

Die Natur ist nicht identisch mit dem Menschen und ähnelt einer göttlichen Zwangsbeglückung. Kant hatte Smith gelesen und wollte sicher gehen, dass der Mensch nicht im statischen Glück versinkt, sondern, getrieben durch konkurrierenden Ehrgeiz, sich dem ökonomischen Fortschritt der Menschheit widmet. Im Schweiße seines Angesichts und im Ringen mit dem Nachbarn, den er übertrumpfen muss:

„Dank sei also der Natur für die Unvertragsamkeit, für die mißgünstig wetteifernde Eitelkeit, für die nicht zu befriedigende Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen! Ohne sie würden alle vortreffliche Naturanlagen in der Menschheit ewig unentwickelt schlummern. Der Mensch will Eintracht; aber die Natur weiß besser, was für seine Gattung gut ist: sie will Zwietracht. Er will gemächlich und vergnügt leben; die Natur will aber, er soll aus der Lässigkeit und untätigen Genügsamkeit hinaus sich in Arbeit und Mühseligkeiten stürzen, um dagegen auch Mittel auszufinden, sich klüglich wiederum aus den letztern heraus zu ziehen. Die natürlichen Triebfedern dazu, die Quellen der Ungeselligkeit und des durchgängigen Widerstandes, woraus so viele Übel entsprangen, die aber doch auch wieder zur neuen Anspannung der Kräfte, mithin zu mehrerer Entwickelung der Naturanlagen antreiben, verrathen also wohl die Anordnung eines weisen Schöpfers; und nicht etwa die Hand eines bösartigen Geistes, der in seine herrliche Anstalt gepfuscht oder sie neidischer Weise verderbt habe.“ (Aus „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlichen Absicht“)

Die Idee des Fortschritts mit Hilfe der Technik und Wissenschaft hatte bereits im Mittelalter der englische Mönch Roger Bacon, der im Dienst des Papstes furchterregende Waffen erfinden sollte, um „Welt durch diese Wissenschaft zu missionieren und die Weltherrschaft zu errichten.“

Die neuen Maschinen und Waffen sollten zur Massenvernichtung der Heiden dienen. Die von Ungläubigen bereinigte Erde wollte Bacon dem Papst zu Füßen legen. Der technische Fortschritt sei notwendig und unausweichlich zur Erfüllung des biblischen Imperativs: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan.

Nach den Visionen Bacons hätte Ludwig der Heilige sich sein Kreuzzugsheer sparen können, wenn er mit „Verbrennungsspiegeln“ jedes Heer und jede Stadt auf Entfernung hätte vernichten können. Auch biologische und psychologische Waffen hielt Bacon bereits für denkbar, die „ohne Zwang“ den Willen der Völker lenken sollten, um über deren Seelen „wirksam zu verfügen“. (Friedrich Wagner, Die Wissenschaft und die gefährdete Welt)

Ein Vertreter des Transhumanismus will selbst dann bestimmte Techniken außengeleiteter Perfektionierung anwenden, wenn man deren Folgen nicht abschätzen kann. Fortschritt als kollektives Abenteuer der Menschheit, die nicht weiß, was sie tut.

Ein amerikanischer Philosoph kritisiert den Transhumanismus: „Brauchen wir mehr Muskelkraft? Größere Brüste, vollere Lippen, straffere Hintern? Einen größeren Penis und bessere Erektionen?“

In Deutschland, welch Wunder, lässt die Faszination am Prothesen-Fortschritt der Futurologen noch zu wünschen übrig. „Natasha Vita-More erklärt sich die Zurückhaltung der Deutschen mit den Erfahrungen des Nationalsozialismus. „Wir sollten uns aber nicht von den Fehlern der Vergangenheit leiten lassen.“

Iwo, die Deutschen sind völlig immun gegen die amerikanischen Schalmeienklänge. Hat ihnen nicht die ganze Welt bescheinigt, sie hätten ihre transhumane Vergangenheit längst bewältigt?