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Mittwoch, 02. Januar 2013 – Komm ins Offene

Hello, Freunde des Offenen,

Wohin wollen wir gehen? Kommet ins Offene, Freunde. Ist das Offene ein Ort, eine bestimmte Zeit? Müssen wir reisen, um es zu finden? Welchen Weg wollen wir gehen? Wenn jeder seinen Weg geht, treffen wir uns dann noch einmal? Unterwegs sein ist alles – ist ein Ziel haben Unoffenheit? Sind gemeinsame Wege die Wege der Kolonnen, der Kollektive?

„Bist traurig, dass ich wandern muss, lieb Heimatland Ade. Vom moosgen Stein, vom waldgen Tal, da grüß ich dich zum letzten Mal, lieb Vaterland Ade. Gott weiß, zu dir steht stets mein Sinn, doch jetzt zur Ferne ziehts mich hin.“

Wie gern sagen Heimatverehrer: jetzt bin ich mal weg. Will der Deutsche in die Ferne, um das Nahe zu verstehen? Oder ist er auf der Flucht und gibt es nicht zu? Die Heimat wird er niemals wiedersehen. Was haben Deutsche in der Ferne anzubieten?

In Amerika sind die Deutschen untergegangen, ihren Vettern aus Albion mussten sie sich beugen. Von Demokratie hatten sie keine Ahnung, von Wirtschaft verstanden sie nichts.

Warum sind die Deutschen in der Welt so beliebt – Europa ausgenommen, wo sie die Scheckbuch-Korporale spielen? Was haben sie der Welt anzubieten außer gut geölten Maschinen? Sie wissen, wie man funktioniert, das bringen sie ihren Maschinen bei.

Was haben die Deutschen zur humanen Kultur der Welt beigetragen? Wäre die Menschheit ärmer, wenn die ganze deutsche Kultur plötzlich von der Festplatte verschwände? Die deutsche Musik? Johann Sebastian Bach mit ewig biblischen Leidenstexten, Wagner mit verseuchten Untergangs- und Auferstehungsmelodien? Die deutsche Innerlichkeit, die Rache und unterdrückte Größenphantasien

deponierte, bis sie es der Welt ins Gesicht erbrechen konnte?

Der größte deutsche Freiheitsfreund Schiller verlangt nur Innerliches: Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire! Wer äußerlich nicht frei ist, wird bald keine Gedankenfreiheit mehr haben.

Welche Texte müssten junge chinesische Germanisten lesen, um ihre Nation zu vermenschlichen? Kant auf jeden Fall, doch wer kennt hierzulande Kant? Einige Verse von Heine, Texte von Börne. Heinrich Mann, okay. Sein Bruder Thomas war in jungen Jahren ein Chauvinist. Als er Verstand annahm, lebte er nicht mehr in Deutschland. War er überhaupt noch ein Deutscher?

Grass trommelte in jungen Jahren für die ESPEDE, Jahre später saß er neben Schröder und Rogowski und verteidigte die Beschimpfung der Abgehängten.

Heute ist es unfein für die poetische Firma Enzensberger & Co, sich mit Politik abzugeben. Sie beten das Böse in virtueller Form an. Doch wenn ein bedeutungsloser Verlag wegen Betruges untergehen soll, fauchen sie wie mittelalterliche Exorzisten gegen den Leibhaftigen. Ein lächerliches Schauspiel. Solch windige Wortakrobaten sollen über eine Goethe-Gesellschaft exportiert werden?

Goethe, der Gegner des Volkes? Goethe, der Schleimer vor dem Heiligen, für sich antichristlich, in der Öffentlichkeit das Gegenteil? Aus allen brisanten Fragen hält er sich raus:

„Ob der Koran von Ewigkeit sei? Danach frag`ich nicht! …“ Dass er das Buch der Bücher sei Glaub ich aus Mosleminen-Pflicht.“ „Närrisch, daß jeder in seinem Falle seine besondere Meinung preist! Wenn Islam Gottergeben heißt, Im Islam leben und sterben wir alle.“ „Jesus fühlte rein und dachte Nur den Einen Gott im Stillen; Wer ihn selbst zum Gotte machte Kränkte seinen heiligen Willen.“

Er glaubt aus Mosleminen-Pflicht? War er über Nacht zum gläubigen Muslim geworden? Dass jeder sich erkühnt, in solch exquisiten Fragen eine eigene Meinung zu haben, war schon ein Affront für ein geistiges Jahrhundertereignis. Jesus war nur Mensch für ihn? Hatte er sich in dieser Frage etwa mit orthodoxen Lutheranern angelegt?

Mit niemandem hat er sich angelegt. Denker und Dichter legen sich in Deutschland nicht an. Bis heute haben sie ihr ungelüftetes Reich der Innerlichkeit nicht verlassen und schaffen es, die Öffentlichkeit in eine sauerstoffarme Kemenate zu verwandeln, wo man nur auf Zehenspitzen laufen darf.

Gibt es etwa Disputationen unter den Hohen, Kühnen und Tapferen? Haben sie zur Politik was beizutragen? Je mehr die Probleme sich verschärfen, je mehr kannst du sehen, wie sie Fersengeld geben.

Ein Riesendenker namens Peter Sloterdijk muss von dem Wahn besessen sein, dass seine frühmorgendlichen Erektionsträume für das deutsche Publikum von Interesse sein müssten und veröffentlicht ein Tagebuch, das umfangreicher ist als Bibel und Koran zusammen. Die „Kritik“ in den Medien? Natürlich überschwänglich, was hast denn du gedacht? Natürlich ohne Angabe von Gründen. Argumente und Gründe riechen nach bäuerlicher Einfältigkeit.

Goethe war nicht mal imstande, Fichte im Atheismusstreit vor seinen Popengegnern zu schützen. Stattdessen stempelte er den freisinnigen Denker zum Fanatiker. „Dass doch einem sonst so vorzüglichen Menschen immer etwas fratzenhaftes in seinem Betragen anhaften muss.“

Nicht, dass die Bewertung des alten Fichte falsch wäre. Doch warum mussten freiheitlich Denkende in Deutschland zu Fratzen ihrer selbst werden? Nicht nur wegen der Gräuel der Französischen Revolution, nicht nur wegen Napoleon. Sondern weil die großen Vorbilder der Deutschen charakterlose Fürstenknechte waren, gegen die die jungen Heißsporne anrannten, bis sie vor Zorn und Ausweglosigkeit ins Totalitäre umkippten.

(Nur nebenbei: niemand kann sich erklären, warum „Sackgassen“ das meistgesuchte Stichwort bei der deutschen Wikipedia ist. Antwort: weil die Deutschen ihre Situation so sehen. Zu simpel für komplexe Denker!)

Sie sahen kein Durchkommen bei den beiden Weimaranern. Um bester Freund Goethes zu werden, ließ sich Räuberschwabe Schiller alle Zähne von ihm ziehen und schnüffelte an faulen Äpfeln, um seine letzten Werke durchzustehen. Verfaulte Äpfel: das war vom Sturm und Drang, von der Aufklärung, vom Tanz um den Freiheitsbaum übrig geblieben.

Auch Kant kuschte vor dem preußischen Religionsminister Wöllner, der jede Kritik an der Religion unter Strafe stellte, anstatt dem beamteten Sesselfurzer die Leviten zu lesen. Wenn Mosebach und Spaemann weiter Furore in den Feuilletons machen, können sie sich bald streiten, wer von ihnen den neuen Wöllner spielen darf.

Wo war die geistige Elite jemals auf der Seite der Untertanen, der ungerecht Behandelten und Verfolgten? Ja, im Vormärz ging es noch rund, da gab’s Hoffnungen auf einen Umsturz. Doch als die preußische Soldateska in Südbaden aufgeräumt hatte, flohen die Besten nach Frankreich und übers große Meer. Marx und Engels mussten nach London ausweichen.

Was dann kam, hieß Nietzsche, betete den Hammer, die Macht und Bismarck an und verfluchte Volk und Demokratie zur Hölle.

In der Weimarer Republik waren 99% aller akademischen Honoratioren Gegner der Demokratie. Wenn heute ein Putschversuch stattfände, wie viele der intellektuellen Klasse würden sich zur Wehr setzen? Der Nationalsozialismus war kein Blitzeinschlag in eine sonst propere Polis, sondern Summa diabolica einer uralten historischen Biografie.

Schon jetzt unterlassen die Edelschreiber nichts, um mit höhnischen Fragen die altbackene Demokratie dem Neuen zu opfern. Ist das Offene das Neue? Dann wäre der Aufbruch ins Offene eine faschistoide Regression.

Komm ins Offene, schrieb Hölderlin. Der Slogan wird heute als Aufforderung zum Wandern rund um den Killesberg missbraucht.

Was sind das für Klänge von weither, wie aus einem exotischen Zeitalter?

„Unsere Stadt steht der Welt offen, wir vertreiben nie einen Fremdling. Wir sind frei, genau so zu leben, wie es uns gefällt. Wenn wir versuchen, unseren Verstand zu stärken, so schwächen wir doch nicht unseren Willen. Seine Armut zuzugeben, bedeutet für uns keine Schande; wir halten es aber für schändlich, keine Anstrengung zu unternehmen, um sie zu vermeiden. Ein athenischer Bürger vernachlässigt die öffentlichen Angelegenheiten nicht, wenn er seinen privaten Geschäften nachgeht. Wir betrachten einen Menschen, der am Staat kein Interesse hat, nicht als harmlos, sondern als nutzlos; und obgleich nur wenige eine politische Konzeption entwerfen und durchführen können, so sind wir doch alle fähig, sie zu beurteilen. Wir halten die Diskussion nicht für einen Stein des Anstoßes auf dem Wege der politischen Aktion, sondern für eine unentbehrliche Vorbereitung zum weisen Handeln. Wir halten das Glück für die Frucht der Freiheit und die Freiheit für die Frucht der Tapferkeit. Alles in allem – ich behaupte, dass Athen die Schule Griechenlands ist und dass der einzelne Athener heranwächst, um eine glückliche Vielseitigkeit zu entwickeln; um in allen Nöten bereit zu sein und sich auf sich selbst verlassen zu können.“

Das ist die berühmte Totenrede des Perikles, überliefert von dem Historiker Thukydides. Übrigens keinem Freund der Demokratie, der aber noch in der Lage war, klar und objektiv zu beschreiben, was er bekämpfte.

Diese Passage zitiert Popper in seinem zweibändigen Werk über „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde“. Aus den Worten spricht für Popper der Stolz einer großen Generation. „Sie formulieren das politische Programm eines Kämpfers für die Gleichheit, eines Individualisten, eines Demokraten“. Dessen Glauben auf Vernunft und humanitären Prinzipien gegründet sein muss. Dieser „wahrhaftige Patriotismus“ war stolz auf ein Staatswesen, das nicht nur die Schule Griechenlands wurde, sondern „die der Menschheit, für Jahrtausende, die vergangen sind und die noch kommen werden.“

Gibt es in Deutschland einen einzigen bekannten Denker, der solch leidenschaftliche Töne zur Erhaltung und zum Ausbau der Demokratie finden würde? Im Gegenteil, ein Althistoriker wie Christian Meier, der ein Buch über die Entwicklung der athenischen Demokratie geschrieben hat, warnt ausdrücklich davor, vom klassischen Athen lernen zu wollen.

Nein, die Polis war nicht perfekt. Es gab Sklaven und Frauen, die nicht gleichberechtigt waren. Doch die Philosophie zur Gleichberechtigung aller Menschen war schon formuliert und übernahm später unter dem Namen Stoa die geistige Herrschaft über die römischen Eliten, deren Juristen das erste kodifizierte Völkerrecht verfassten und die Gleichheit aller Menschen propagierten.

Heute wird die griechische Demokratie als Etikettenschwindel abgetan und alle Grundprinzipien der Demokratie aus der biblischen Gottebenbildlichkeit abgeleitet. Schaut man sich biblische Definitionen Gottes an, versteht man in der Tat die Ähnlichkeiten mit den biblizistischen Demokratien der Gegenwart:

„Der Herr, dessen Name Eifersüchtig ist, ist ein eifersüchtiger Gott.“ „Der Herr, dein Gott, der vor dir hergeht, ist ein verzehrend Feuer. Er wird deine Feinde vertilgen und er wird sie vor dir niederwerfen, so wirst du sie vertreiben und rasch vernichten, wie dir der Herr verheißen hat.“

Die christogenen Demokratien entlarven ihre gottähnliche Herkunft immer mehr. Die beste Demokratie der Neuzeit in Amerika begann als Sklavenhalterdemokratie. Die Wirtschaftsform aller westlichen Demokratien hat keine Schwierigkeit, in aller Öffentlichkeit einem demokratisch legitimierten Staat und einer gewählten Regierung den Kampf bis aufs Messer anzusagen. Dies in aller Dreistigkeit unter dem Banner der Freiheit.

Wie müsste die Periklesrede umgeschrieben werden, damit sie unsere Realität spiegelt?

Unsere Städte stehen beileibe nicht der Welt offen. Unablässig vertreiben wir Fremdlinge dorthin zurück, woher sie kamen – zu keinem anderen Zweck als unseren Wohlstand zu gefährden und parasitär auf unsere Kosten zu leben. Wir lieben keine Schönheit, weder in den Städten, die zu abstoßenden Monstren wurden, noch in der Natur, die wir so solange mit unseren Maschinen entstellen, bis sie hässlich wie ein von Säure verätztes Lebewesen geworden ist. Wir versuchen nicht, unseren Verstand zu stärken, sondern diskriminieren unsere Vernunft als totalitäre Erfindung des Teufels. Unseren Willen können wir gar nicht mehr schwächen. Denn eine autoritäre Wirtschaft, ein Übermaß an unnützen Dingen, die wir als Wohlstand anbeten und eine allpräsente Werbung haben uns bereits den letzten Willen geraubt. Wir bäumen uns nicht auf, wir wehren uns nicht, weil wir keinen Willen haben. Wer sich auflehnt, wird als Nestbeschmutzer und potentieller Terrorist verdächtigt. Seine Armut zuzugeben, bedeutet für uns sehr wohl eine Schande. Die meisten haben gar keine Chance, aus eigenen Kräften der Armut zu entkommen. Industriegiganten unternehmen alles, um immer mehr Leute an die Luft zu setzen. Aus Wettbewerbsgründen gibt es immer weniger Chancen, sich im Schatten der Giganten ein kleines Plätzchen zu ergattern, auf dem man sich ernähren kann. Nicht nur, dass wir öffentliche Angelegenheiten vernachlässigen, wenn wir privaten Geschäften nachgehen, wir benutzen private Geschäfte, um öffentliche Angelegenheiten in Misskredit zu bringen. Wir betrachten Menschen, die den Staat an allen Ecken und Enden zugrunde richten, nicht als nutzlos, sondern als die nützlichsten Leistungsträger unserer Gesellschaft, die wir am höchsten dekorieren und mit riesigen Gehältern und Boni belohnen. Politisch denken können bei uns nur akademische Eliten, die so filigran komplex politische Konzepte entwerfen können, dass nicht einmal sie selbst ihre Hieroglyphen verstehen. Vom simplen Volk gar nicht zu reden, das alles einfach haben will und inzwischen nicht mal mehr die Tagesschau versteht. Wir halten alle Diskussionen und öffentlichen Streitereien nicht nur für überflüssig und kontraproduktiv, sondern nennen jede parlamentarische Debatte Gezerre und unwürdiges Geschacher. Jeder wolle nur Rechthaben. Doch Rechthaben ist bei uns nur jenen Machthabern vorbehalten, die immer und automatisch Recht haben. Debatten als Vorbereitungen zum weisen Handeln – soll das ein Witz sein? Es gibt nur Interessen in einer materiellen Gesellschaft, die nur aus Sündenkrüppeln besteht. Glück ist bei uns keine Frucht der Freiheit, sondern der Raffgier und des Immermehrhabenwollens. Freiheit ist keine Möglichkeit, nach eigener Facon selig zu werden, sondern sich der Freiheit jener zu unterwerfen, die den Rachen nicht voll kriegen. Schon lange gibt es bei uns keine glückliche Vielseitigkeit mehr, wo jeder in den Tag hinein studieren oder seine Leidenschaft betreiben kann, wie er will. Heute muss das Kleinkind in der Kita zweisprachig aufwachsen, um im Gymnasium Klassen zu überspringen und als Erster den Schein zu kriegen, mit dem es Karriere machen kannt. Auf keinen Fall soll die Menschheit lernen, in allen Nöten bereit zu sein und sich auf sich selbst zu verlassen. Wozu haben wir einen Herrn im Himmel, der unsere Geschicke lenkt? Oder die Geschichte, die Evolution oder sonstige übermenschliche Mächte, die den Menschen als Marionette ihrer Vorsehung betrachten? Je mächtiger der technische Mensch, je ohnmächtiger wird der mündige Bürger, der keine andere Möglichkeit sieht, sein Los zu korrigieren – als sich fatalistisch den Giganten und Großmoguln in den Finanzzentralen und ihrer willigen politischen Helfershelfer zu unterwerfen.

Athen ist keine Vergangenheit. Nichts, was wir aus früheren Zeiten lernen können, ist passe. Nichts, was wir von fremden Kulturen lernen können, ist exotisch oder unverwendbar.

Beim Lernen des Menschlichen gibt’s keine verflossenen Zeiten oder unpassende Orte, wo wir uns nicht umschauen könnten. Wozu hat die Menschheit geirrt, versucht, Fehler gemacht und ihre Schlüsse daraus gezogen, wenn wir nicht in der Lage wären, ihre angesammelten Weisheitsschätze zu heben?

Wir sitzen auf ungehobenen Ressourcen menschlicher Erkenntniskraft und können sie nicht nutzen.

Auch Popper hatte manch verwunderlich-falschen Zungenschlag, den sein Freund und Gönner Hayek nutzen konnte, um demokratiefeindlich neoliberale Grundsätze mit der Autorität Poppers abzusichern. Demokratie mit der Formel zu übersetzen: „das Volk soll regieren“ hielt Popper für sinnlos. Demokratie sei nur die Möglichkeit, unliebsame Politiker abzuwählen und Alternativen ins Parlament zu schicken.

Daraus konstruierte Hayek ein scheindemokratisches System, in dem das Volk alles bestimmen könnte – nur nicht die gottgegebenen Grundsätze der Raffgier-Ökonomie. Die unterstünden der Regie der Evolution und dürften von keiner zufälligen Mehrheit der Gewählten verändert oder abgeschafft werden. Hier endet die Freiheit der Freien.

Auch der Schlusssatz des ersten Popper-Bandes ist erklärungsbedürftig: „Wenn wir Menschen bleiben wollen, dann gibt’s nur einen Weg, den Weg in die offene Gesellschaft. Wir müssen ins Unbekannte, ins Ungewisse, ins Unsichere weiter schreiten und die Vernunft, die uns gegeben ist, verwenden, um, so gut wir es eben können, für beides zu planen: nicht nur für Sicherheit, sondern zugleich für Freiheit.“

Freiheit ist keine Widersacherin der Sicherheit. Wir müssen sogar sichere Verhältnisse für die Menschheit herstellen, denn jede Unsicherheit ist eine weitere Attacke gegen Mensch und Natur und gefährdet unser Überleben.

Sofern unbekannt und ungewiss bedeuten soll, wir haben keine Garantie, ob wir unsere Ziele erreichen werden, hätte Popper recht. Wenn sie aber bedeuten sollen, wir müssen ständig Neues erproben, obgleich wir nicht wissen, ob es besser ist als das bewährte Alte, dann wäre er dem leichtsinnigen Abenteuergeist der Postmoderne erlegen.

Es ist unsinnig von Popper, das Modell der athenischen Polis zu rühmen und anzuregen, von ihm zu lernen und dennoch den Eindruck zu erwecken, als gäbe es noch keine verlässlichen Erfahrungen über vernünftiges Zusammenleben der Gattung.

Vernunft ist eher das Bekannte und Gewisse, das wir blasiert ignorieren, als das Unbekannte und Ungewisse, nach dem wir süchtig sind. Lieber genial die Platte putzen als ungenial in verlässlichen Spuren der Vergangenheit überleben.

Komm ins Offene, muss bedeuten: Menschheit, komm zur Einsicht. Wenn Sokrates Recht hatte, haben wir alle notwendigen Erkenntnisse in uns. Wir müssen sie nur entbinden.